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VfGH vom 11.06.1996, b545/95

VfGH vom 11.06.1996, b545/95

Sammlungsnummer

14490

Leitsatz

Feststellung der Zuständigkeit des UVS Wien zur Entscheidung über eine Berufung gegen die Nichterfüllung der Auskunftspflicht wegen Übertretung des Wr ParkometerG; Sitz der anfragenden Behörde als Erfüllungsort dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung; Zurückweisung der Beschwerde in derselben Sache aufgrund Aufhebung des der Kompetenzfeststellung entgegenstehenden behördlichen Aktes (hier: Zurückweisung der Berufung)

Spruch

1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien ist zuständig, über die Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom , Z MA 4/5-PA-108251/3/0, wegen Übertretung des § 1 a des Parkometergesetzes, LGBl. für Wien Nr. 47/1974 idF 24/1987, zu entscheiden.

2. Der Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Z UVS-08/15/00746/93, wird aufgehoben.

3. Die Beschwerde gegen den unter Punkt 2. aufgehobenen Bescheid wird zurückgewiesen.

4. Die Gemeinde Wien ist schuldig, der antragstellenden Partei die mit S 18.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom , Z MA 4/5-PA-108251/3/0, wurde dem Antragsteller zur Last gelegt, er habe als Zulassungsbesitzer dem am ordnungsgemäß zugestellten Verlangen des Magistrats der Stadt Wien vom , innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung Auskunft darüber zu geben, wem er das Fahrzeug mit einem bestimmten behördlichen Kennzeichen überlassen habe, welches am um 12.58 Uhr in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone in Wien 16, Thaliastraße 93, abgestellt gewesen sei, nicht entsprochen. Er habe dadurch § 1 a des Parkometergesetzes, LGBl. für Wien Nr. 47/1974 idF LGBl. 24/1987, (Wiener Parkometergesetz), verletzt.

Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Antragsteller Berufung. Mit Schreiben vom übermittelte der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die Berufung gemäß § 6 AVG in Verbindung mit § 51 Abs 1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. 52/1991, (VStG), "zuständigkeitshalber" dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich. Dieser wies die Berufung mit Beschluß vom , ZVwSen-101564/2/Kei/Shn, wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück.

Mit Schreiben vom beharrte der Magistrat der Stadt Wien als weitere Partei des Verfahrens darauf, daß der Unabhängige Verwaltungssenat Wien über die Berufung gegen das Straferkenntnis entscheide.

Mit Bescheid vom , Z UVS-08/15/00746/93, wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien die Berufung ebenfalls wegen örtlicher Unzuständigkeit als unzulässig zurück.

2. Die Einschreiter begehren nun gemäß Art 138 Abs 1 litc B-VG, "den verneinenden Kompetenzkonflikt zwischen den zwei Ländern Wien und Oberösterreich, nämlich speziell zwischen den Behörden UVS Wien und UVS OÖ," zu entscheiden.

Gleichzeitig wurde gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Z UVS-08/15/00746/93, Beschwerde gemäß Art 144 B-VG erhoben und beantragt, diesen Bescheid wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien und der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich haben jeweils eine Gegenschrift erstattet.

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien vertrat in seiner Gegenschrift die Auffassung, daß eine Verwaltungsübertretung nach § 1 a des Wiener Parkometergesetzes kein Erfolgsdelikt darstelle, weil zum Tatbestand dieser Übertretung nicht der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr gehöre. Als Tatort sei demnach der Ort anzusehen, an dem der Zulassungsbesitzer die Auskunft verweigert oder unrichtig erteilt habe. Im gegenständlichen Fall hätte der Antragsteller von dem Ort aus, an dem das in Rede stehende Kraftfahrzeug auf ihn zugelassen war und wohin auch das behördliche Ersuchen im Sinne des § 1 a des Wiener Parkometergesetzes zugestellt worden war, somit von Linz aus, handeln müssen. Die Auskunftsverweigerung sei daher in Linz erfolgt.

3.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich meinte in seiner Gegenschrift,

"daß die bundesverfassungsrechtliche Ermächtigung der Länder zur Festlegung einer Auskunftspflicht im Zusammenhang mit der Regelung der Erhebung von Abgaben für das Abstellen von Fahrzeugen und Kraftfahrzeugen (Verfassungsbestimmung des ArtII, BGBl. Nr. 384 vom ) aus denselben verfassungsrechtlichen Überlegungen geschaffen wurde, welche für die Verfassungsbestimmung des § 103 Abs 2 letzter Satz KFG relevant waren, nämlich eine Durchbrechung des Anklageprinzips zu ermöglichen. Keinesfalls sollte durch die Ermächtigung der Länder gemäß ArtII BGBl. 384/1986 auch eine Kompetenzverschiebung von den Ländern in Richtung mittelbare Bundesverwaltung bzw in Richtung Art 11 Abs 2 B-VG dergestalt bezweckt werden, daß damit eine Vollziehungsmöglichkeit von Landesrecht auch außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches dieser Normen und durch Organe anderer Länder bewirkt werden sollte."

Nach Meinung des Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich entspreche es auch der föderalistischen Interpretationsmaxime, daß aus verfahrensrechtlichen Bestimmungen - im gegenständlichen Zusammenhang der Bestimmung des § 51 Abs 1 VStG - nicht ein Verzicht auf die Wahrnehmung einer Landeskompetenz abgeleitet werden könne, sondern daß das Verfahrensrecht eine Annexmaterie zum materiellen Landesrecht darstelle. Auch könne nach der angeführten Interpretationsmaxime der jeweilige Landesgesetzgeber nicht die Zuständigkeit eines unabhängigen Verwaltungssenates eines anderen Bundeslandes zur Vollziehung seiner Landesgesetze begründen.

Für den Fall, daß der Verfassungsgerichtshof entgegen der Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich der Meinung sei, daß auf den Tatort abzustellen sei, sei eine Verwaltungsübertretung im Sinne des § 1 a des Wiener Parkometergesetzes wie ein "Auslandsdelikt" zu behandeln. In solchen Fällen komme die nach Art und Gegenstand ähnlichste Regelung des VStG zur Anwendung, nämlich die Vorschrift des § 56 Abs 3 VStG, die in Privatanklagesachen die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates zur Entscheidung über die Berufung des Privatanklägers gegen die (Verfahrens-)Einstellung vom Sitz der Behörde abhängig macht, die den bekämpften Bescheid erlassen hat.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Frage der Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art 138 Abs 1 litc B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Kompetenzkonflikte zwischen den Ländern untereinander.

Im Sinne des § 50 VerfGG liegt ein derartiger verneinender Kompetenzkonflikt dann vor, wenn in derselben Verwaltungsangelegenheit zwei Länder das Verfügungs- oder Entscheidungsrecht abgelehnt haben und ein Land seine Kompetenz zu Unrecht ablehnt.

Im vorliegenden Fall haben sowohl der Unabhängige Verwaltungssenat Wien als auch der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrats Wien vom , Z MA 4/5-PA-108251/3/0, in Vollziehung eines Landesgesetzes wegen örtlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen. Da dieselben Rechtsvorschriften (VfSlg. 2956/1956) auf denselben Sachverhalt (VfSlg. 2429/1952) anzuwenden waren, liegt Identität der Sache vor.

Der Antrag ist demnach zulässig.

III. In der Sache hat der Verfassungsgerichtshof erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung über einen Antrag gemäß Art 138 Abs 1 litc B-VG jene Rechtslage als Prüfungsmaßstab heranzuziehen, die bei Erlassung der Bescheide in Geltung stand. Im Zeitpunkt der Erlassung beider Bescheide war die VStG-Novelle BGBl. 620/1995 noch nicht in Kraft getreten.

§ 51 Abs 1 VStG lautete (in der im Zeitpunkt der Erlassung der zurückweisenden Bescheide der beiden unabhängigen Verwaltungssenate geltenden Fassung BGBl. 666/1993):

"Dem Beschuldigten steht das Recht der Berufung an den Unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde."

Aus dem Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses läßt sich zwar der Tatort nicht entnehmen. Bereits in VfSlg. 12883/1991 hat der Verfassungsgerichtshof aber ausgeführt, daß "ein Bescheid nicht nur aus dem Spruch, sondern unter Umständen auch im Zusammenhalt mit seiner Begründung auszulegen ist". Nennt auch die Bescheidbegründung den Tatort nicht ausdrücklich, "muß der Tatzuschreibung in örtlicher Beziehung der konkretisierte Tatvorwurf, wie er sich aus den Akten in Verbindung mit der Bescheidbegründung in der Regel notwendig ergibt, zugrundegelegt werden".

Im vorliegenden Fall hat die erstinstanzliche Behörde dem in Linz ansässigen Beschwerdeführer vorgeworfen, er habe es unterlassen, dem Magistrat der Stadt Wien - mit Sitz in Wien - die am verlangte Lenkerauskunft rechtzeitig zu erteilen. Damit enthält der erstinstanzliche Bescheid sämtliche Sachverhaltselemente, die eine Festlegung des von der Behörde erster Instanz angenommenen Tatortes ermöglicht.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in einem ähnlich gelagerten Beschwerdefall in seinem Erkenntnis vom , Z 95/17/0211, ausgeführt hat, ist gemäß § 27 Abs 1 VStG

"örtlich zuständig ... die Behörde, in deren Sprengel die Verwaltungsübertretung begangen worden ist, auch wenn der zum Tatbestand gehörende Erfolg in einem anderen Sprengel eingetreten ist".

Zur Auslegung des im Sinne von § 51 Abs 1 und § 27 Abs 1 VStG maßgebenden Begriffes des Ortes der Begehung ist die Bestimmung des § 2 Abs 2 leg.cit. heranzuziehen. Demnach ist eine Verwaltungsübertretung dort als begangen anzusehen, wo der Täter gehandelt hat oder bei Unterlassungsdelikten hätte handeln sollen.

§ 1 a Wiener Parkometergesetz sieht nun keine bestimmte Form für die Erfüllung der Auskunftspflicht vor. Da dem Zulassungsbesitzer dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Z 95/17/0211, folgend verschiedene Handlungsalternativen zur Erfüllung der Auskunftspflicht zur Verfügung stehen und allen diesen Handlungsalternativen gemeinsam ist, daß die Auskunftspflicht erst dann erfüllt ist, wenn die geschuldete Auskunft auch tatsächlich bei der Behörde eingelangt ist, ist Erfüllungsort dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der Sitz der anfragenden Behörde. Dort ist nämlich - so auch schon der Verwaltungsgerichtshof im vorzitierten Erkenntnis - die geschuldete Handlung, also die Erteilung der Auskunft vorzunehmen (ebenso jüngst im verstärkten Senat der Verwaltungsgerichthof in seinem Erkenntnis vom , Z 93/03/0156, zur vergleichbaren Bestimmung des § 103 Abs 2 KFG 1967).

2. Da demnach der Ort, an dem der Täter im vorliegenden Fall hätte handeln sollen, der Sitz des Magistrats der Stadt Wien in Wien ist, folgt daraus die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien nach § 51 Abs 1 VStG, über die Berufung gegen das Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien zu erkennen. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien verneinte daher seine Kompetenz zu Unrecht, sodaß spruchgemäß zu entscheiden war.

3. Da der Antrag gemäß Art 138 Abs 1 litc B-VG zulässig ist und bereits gemäß § 51 VerfGG der "dem Erkenntnis entgegenstehende behördliche Akt" aufzuheben war, war die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde zurückzuweisen.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-

enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.