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OGH vom 01.06.2010, 10ObS33/10s

OGH vom 01.06.2010, 10ObS33/10s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Hon. Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Georg Eberl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karoline M*****, vertreten durch Dr. Werner Mecenovic, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef Pongratz Platz 1, 8010 Graz, vertreten durch Das Haus des Rechts Destaller Mader Rechtsanwälte in Graz, wegen Rückforderung von Karenzgeld (4.495 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 89/09h 14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 29 Cgs 95/08z 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 3 B-VG den Antrag, gemäß Art 139 Abs 4 B VG auszusprechen, dass die Wortfolge „und gilt für Geburten nach dem “ in § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2001/405 in der Fassung BGBl II 2004/91) gesetzwidrig war.

Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung:

Die Klägerin hat am ihre Tochter Julia geboren. Im Zeitraum vom bis bezog sie Karenzgeld in Höhe von insgesamt 4.495 EUR. Daneben erzielte sie in der Zeit vom bis ein steuerpflichtiges Einkommen als Lehrerin in Höhe von gesamt 10.814,18 EUR.

Mit Bescheid vom widerrief die beklagte Steiermärkische Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Karenzgeldes für den Zeitraum vom bis wegen Überschreitung des Grenzbetrags von 14.600 EUR und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von insgesamt 4.495 EUR.

Das Erstgericht wies das Begehren auf Feststellung, dass die Klägerin nicht zum Ersatz der im Zeitraum vom bis empfangenen Leistungen verpflichtet sei, ab und verpflichtete die Klägerin, das im genannten Zeitraum bezogene Karenzgeld binnen 14 Tagen zurückzuzahlen. Bei der Ermittlung des maßgeblichen Gesamteinkommens wurde folgende (im Revisionsverfahren nicht mehr strittige) Berechnung angestellt: 10.814,18 EUR : 10 x 12 = 12.977,016 EUR; abzüglich des Werbungskostenpauschales von 132 EUR und erhöht um 30 % ergibt sich ein maßgebliches Gesamteinkommen von 16.698,52 EUR, das die zulässige Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR um 2.098,52 EUR oder 14,37 % übersteigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Nach der hier anzuwendenden Fassung der KBGG-Härtefälle-Verordnung BGBl II 2001/405 liege eine geringfügige unvorhersehbare Überschreitung iSd § 1 der Verordnung nur bei einer Überschreitung der Grenzbeträge gemäß § 2 Abs 1 Z 3 und § 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 10 % vor. Erst seit der Änderung der KBGG Härtefälle-Verordnung mit der Verordnung BGBl II 2004/91 sei eine Überschreitung von 15 % maßgeblich; dieser Prozentsatz gelte aber nur im Fall einer Geburt nach dem und daher nicht zugunsten der Klägerin, die die Zuverdienstgrenze um mehr als 10 % überschreite und daher zur Rückzahlung des im Jahr 2003 bezogenen Karenzgeldes verpflichtet sei. Die Regelung sei auch nicht verfassungswidrig, denn die Anhebung des maßgeblichen Überschreitungsprozentsatzes von 10 auf 15 % liege im rechtspolitischen Ermessensspielraum des Gesetzgebers.

Die Revision wurde im Hinblick auf die bestehende Rechtslage und Judikatur nicht zugelassen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer Revision macht die Klägerin Bedenken gegen die Gesetzes- und Verfassungskonformität des § 4 der Verordnung BGBl II 2004/91 geltend und zieht als plastisches Beispiel heran, dass es hinsichtlich der Überschreitung des Grenzbetrags keinen Unterschied machen dürfe, ob ein Kind als Silvesterbaby des Jahres 2001 oder als Neujahrsbaby des Jahres 2002 geboren werde.

Dazu wurde erwogen:

1. Das Kinderbetreuungsgeldgesetz (KBGG) wurde mit dem Bundesgesetz BGBl I 2001/103 erlassen; es trat am in Kraft und ist für Geburten nach dem anzuwenden (§ 49 Abs 1 KBGG). Mit diesem Gesetz wurde das Karenzgeldgesetz (KGG) auch insoweit geändert, als dem § 2 KGG ein Abs 6 angefügt wurde, wonach für Ansprüche auf Karenzgeld aufgrund von Geburten vom bis ab für den zulässigen Zuverdienst auf den Grenzbetrag gemäß § 2 Abs 1 Z 3 KBGG abgestellt wurde und nicht mehr auf die sozialversicherungsrechtliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 2 Abs 2 KGG). In diesem Sinn wollte der Gesetzgeber offensichtlich Kinderbetreuungsgeldbezieher und Karenzgeldbezieher (bei Geburten ab ) gleichstellen (siehe auch 10 ObS 394/02t).

2. Hinsichtlich der Rückforderung von Karenzgeld blieb über den hinaus vorerst die Bestimmung des § 39 KGG, die ein Absehen von der Rückforderung unter berücksichtigungswürdigen Fällen, aber keine Verordnungsermächtigung enthielt, in der bisherigen Fassung (BGBl I 1998/148) in Geltung. § 39 KGG wurde erst mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl I 2003/71, dahin geändert, dass ab (mit Geltung für Bezugszeiträume nach dem ) für die Rückforderung sinngemäß § 31 KBGG anzuwenden ist. Auf diese Weise erhielt die KBGG-Härtefälle-Verordnung BGBl II 2001/405 auch Bedeutung für die Rückforderung von Karenzgeld (siehe auch RV 59 BlgNR 22. GP 352; in diesem Sinn etwa 10 ObS 136/09m und 10 ObS 144/09p mit näherer Begründung).

3. Die die Kriterien für Härtefälle determinierende KBGG-Härtefälle-Verordnung stellte bereits in der ursprünglichen Fassung (BGBl II 2001/405) auch auf die Geringfügigkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze ab und legte diesbezüglich in § 1 lit a einen Überschreitungsprozentsatz von höchstens 10 % fest; dieser Prozentsatz wurde mit der Verordnung BGBl II 2004/91 auf 15 % angehoben. Nach § 4 dieser Verordnung gilt § 1 lit a in der geänderten Fassung für Geburten nach dem , woraus zu schließen ist, dass die Erhöhung des Prozentsatzes nicht im Fall einer Geburt am gilt.

Die Regelung des § 4 der Verordnung ist demnach im vorliegenden Fall anzuwenden und für die Entscheidung präjudiziell.

Zwar ist die KBGG-Härtefälle-Verordnung mit Ablauf des außer Kraft getreten, jedoch auf Anspruchsüberprüfungen betreffend die Kalenderjahre 2002 2007 weiter anzuwenden (§ 49 Abs 15 KBGG).

4. Die Ausführungen der Klägerin richten sich prinzipiell gegen die Gesetzes- und Verfassungskonformität dieser auf den abstellenden Stichtagsregelung. Wie bereits erwähnt wird als plastisches Beispiel das Silvesterbaby des Jahres 2001 im Vergleich zum Neujahrsbaby des Jahres 2002 herangezogen. Da das KBGG in Bezug auf die Definition von Härtefällen keine zeitlichen Vorgaben enthält, kommt nur ein Verstoß der Verordnung gegen den verfassungsgesetzlichen Gleichheitsgrundsatz in Betracht.

4.1. Nach dem Verordnungswortlaut gilt für die Klägerin eine ungünstigere frühere Regelung weiter; sie will erreichen, dass eine günstigere spätere Verordnungsregelung auch auf sie angewendet wird. Mit anderen Worten wäre ihres Erachtens der Verordnungsgeber gehalten gewesen, die Anwendbarkeit der Neuregelung weiter rückwirkend als (nur) bis zum anzuordnen. Nach Ansicht der Klägerin würde durch die getroffene Regelung in unsachlicher Weise zwischen der (strengeren) Rückforderung von Karenzgeld und der (milderen) Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld unterschieden.

4.2. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist eine gesetzliche Stichtagsregelung beim Inkrafttreten einer Rechtsnorm nicht von vornherein verfassungswidrig; im Gegenteil wird die Notwendigkeit von Stichtagsregelungen ausdrücklich anerkannt, selbst wenn sie im Einzelfall zu Härten führen (anstatt vieler G 125/93 ua = VfSlg 14.050). So hat es der Verfassungsgerichtshof beispielsweise als unbedenklich angesehen, wenn der Gesetzgeber im Rahmen einer Anpassungsregelung, die ab einem Stichtag die Gleichstellung bestimmter Ansprüche vorsieht, für vor diesem Stichtag erworbene Ansprüche ein unterschiedliches Ausmaß beibehält (B 3649/95 ua = VfSlg 14.960 mwN).

5. Es ist daher zu prüfen, ob die Stichtagsregelung infolge Unsachlichkeit zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führt.

5.1. Wie schon unter Punkt 1. am Ende erwähnt, ging der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 2 Abs 6 KGG offensichtlich davon aus, dass Kinderbetreuungsgeldbezieher und Karenzgeldbezieher hinsichtlich der Zuverdienstgrenze gleichgestellt werden sollten (siehe auch RV 620 BlgNR 21. GP 72). Das liegt auch deshalb nahe, weil es sich beim Karenzgeld um eine auf vorheriger Beitragsleistung beruhende Sozialversicherungsleistung handelt, während das Kinderbetreuungsgeld nicht von einer vorherigen Beitragsleistung abhängt; es würde daher einen gewissen Wertungswiderspruch darstellen, wenn der Anspruch auf die vergleichbare Sozialversicherungsleistung hinsichtlich der Zuverdienstgrenze an strengere Prämissen gebunden würde.

5.2. Die Verordnung, mit der Kriterien für Härtefälle nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz festgelegt werden (KBGG-Härtefälle-Verordnung), wurde mit der Verordnung BGBl II 2004/91 (nur) in der Form geändert, dass in § 1 lit a der Ausdruck „10 %“ durch den Ausdruck „15 %“ ersetzt und ein § 4 angefügt wurde, wonach die geänderte Fassung der Verordnung mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft tritt und für Geburten nach dem gilt.

Das Datum des Geltungsbeginns ist insofern nahe liegend, als für alle Geburten nach dem das Kinderbetreuungsgeld gebührt (§ 49 Abs 1 KBGG). Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber übersehen hat, dass die Zuverdienst- und Rückforderungsregelungen des KBGG und die KBGG Härtefälle-Verordnung übergangsweise auch für Fälle des Karenzgeldbezugs gelten, erscheint es doch überraschend, dass grundsätzlich eine Gleichstellung von Karenzgeldbeziehern und Kinderbetreuungsgeldbeziehern hinsichtlich Zuverdienst und Rückforderung angestrebt wurde, aber für einen spezifischen Teilbereich doch wieder unterschiedliche Regelungen gelten sollten.

5.3. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung ist nicht erkennbar. Der Gesetzgeber wollte offensichtlich die Regelungen zu den Zuverdienstgrenzen und den Rückforderungsmöglichkeiten im Fall eines unrechtmäßigen Bezugs von Kinderbetreuungsgeld und Karenzgeld (für Geburten ab ) aneinander angleichen. Ein Größenschluss aus dem Charakter der auf Beiträgen beruhenden Karenzgeldleistung (im Vergleich zum Kinderbetreuungsgeld, das nicht von einer vorherigen Beitragsleistung abhängt) spricht eher dafür, dass Karenzgeldbezieher in Bezug auf die Zuverdienstgrenzen und die Rückforderungsmöglichkeiten nicht schlechter gestellt sein sollen als Kinderbetreuungsgeldbezieher.

In diesem Sinn bestehen Bedenken dagegen, dass die Wortfolge „und gilt für Geburten nach dem “ in § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung (in der Fassung BGBl II 2004/91) dem Art 7 B-VG entspricht.

6. Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher veranlasst, im Hinblick auf die dargelegten Bedenken an der Gesetzmäßigkeit der genannten präjudiziellen Wortfolge in § 4 der KBGG-Härtefälle-Verordnung einen entsprechenden Verordnungsprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Da die KBGG-Härtefälle-Verordnung nicht mehr in Kraft steht, ist iSd § 89 Abs 3 B-VG die Feststellung zu begehren, dass die genannte Verordnungsregelung gesetzwidrig war.

Die Anordnung der Innehaltung des Verfahrens beruht auf § 62 Abs 3 VfGG.