VfGH vom 25.06.1993, b543/92
Sammlungsnummer
13483
Leitsatz
Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch Abweisung einer Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat gegen mehrere auf das HeeresdisziplinarG gestützte vorläufige Festnahmen wegen unerlaubter Abwesenheit und Nichtbefolgung von Befehlen; verfehlte Annahme des Vorliegens einer (zeitlich unbeschränkt zulässigen) "Beugehaft"
Spruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Landesverteidigung) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen der Beschwerdevertreter die mit 15.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Auf Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates Burgenland wurden mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G155/91-10, der vorletzte und der letzte Satz des § 41 Abs 5 Heeresdisziplinargesetz 1985 (HDG), BGBl. 294, gemäß Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufgehoben.
1.1.2. Anlaß der Antragstellung war ein beim Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland anhängiges Beschwerdeverfahren nach Art 129 a Abs 1 Z 2 B-VG, in dem sich der (durch einen Bescheid des Militärkommandos Burgenland zum Grundwehrdienst einberufene) P S gegen insgesamt elf auf § 41 Abs 1 HDG gestützte vorläufige Festnahmen (in einem Fall durch eine Militärstreife wegen unerlaubter Abwesenheit und in den übrigen Fällen durch einen Offizier wegen Nichtbefolgung von Befehlen) mit jeweils darauffolgender, 24 Stunden nicht überschreitender Anhaltung gewendet hatte.
1.2. Im fortgesetzten Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Burgenland wurde die Beschwerde des P S als unbegründet abgewiesen.
In den Entscheidungsgründen führte der Verwaltungssenat ua. wörtlich aus:
"... Der vorletzte und letzte Satz des Abs 5 des § 41 HDG finden, da es sich hier um den Anlaßfall für das Gesetzesprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof handelt, keine Anwendung.
Das bedeutet, daß für Festnahmen zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Behörde Art 4 Abs 5 des Verfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit unmittelbar anzuwenden ist, somit eine 24-stündige Frist für die Anhaltung nicht überschritten werden darf.
Diese Frist wurde nach der sich auf § 41 Abs 1 Z 2 und 3 HDG stützenden Festnahme durch die Militärstreife am um 11.07 Uhr nicht überschritten. Weiters wurde der Beschwerdeführer unmittelbar nach der Festnahme dem Einheitskommandanten übergeben.
Nach ho. Ansicht haben die weiteren nach der vorläufigen Festnahme durch die Militärstreife erfolgten vorläufigen Festnahmen des Beschwerdeführers den Charakter einer Beugehaft gemäß Art 2 Abs 1 Z 4 des Verfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, da mit dieser Maßnahme weitere Befehlsverweigerungen verhindert werden sollen bzw. die Befolgung der erteilten Befehle erzwungen werden soll. Daraus folgt, daß die Vorführung vor die zuständige Behörde nicht Voraussetzung für die Festnahmen war. Davon ist offenbar auch der Gesetzgeber im vorletzten, nunmehr aufgehobenen Satz des § 41 Abs 5 HDG ausgegangen, weil danach der Festgenommene binnen der gesetzlichen Frist freizulassen oder der zur weiteren Verfolgung berufenen Behörde zu übergeben war. Jedoch kann zur Durchsetzung einer gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung eine Festnahme erfolgen, die durch Art 2 Abs 1 Z 4 des Verfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit gedeckt ist. Hiefür ist keine Höchstdauer der Anhaltung festgesetzt
..."
1.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des P S an den Verfassungsgerichtshof. Darin wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Verwaltungsaktes begehrt.
1.4. Der Unabhängige Verwaltungssenat Burgenland als belangte Behörde legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher er die Abweisung der Beschwerde begehrte.
2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Zunächst hegt der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 41 HDG, soweit er im (fortgesetzten) Verwaltungsverfahren angewandt wurde; der Beschwerdeführer hat auch keine solchen Bedenken vorgebracht.
2.2. Die in den 4. Abschnitt des Allgemeinen Teils des HDG ("Sicherungsmaßnahmen") eingereihte Vorschrift des § 41, überschrieben mit "Vorläufige Festnahme", regelt - wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis vom , G155/91-10, zum Ausdruck brachte - (vorläufige) Festnahmen von Soldaten, die im Verdacht einer (als Verwaltungsübertretung zu beurteilenden) Pflichtverletzung stehen, und zwar zur Sicherung der Strafverfolgung. Die Auffassung der belangten Behörde, die jeweils nur in Anwendung und nach Maßgabe des § 41 Abs 1 HDG ausgesprochenen vorläufigen Festnahmen des Beschwerdeführers (samt anschließender Haft) seien als zeitlich unbeschränkt zulässige "Beugehaft" anzusehen, ist angesichts der Rechtslage nach dem HDG grob verfehlt und unhaltbar, zumal sich eine solche (Beuge-)Haft mit dem Zweck des § 41 HDG, nämlich der Sicherung der Strafverfolgung, überhaupt nicht in Zusammenhang bringen läßt.
Demgemäß wurde der Beschwerdeführer durch den - den Umständen nach nicht trennbaren - angefochtenen Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenats in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art1 Abs 1 PersFrG) verletzt:
Die belangte Behörde wird in dem zu erneuernden Verfahren über die an sie gerichtete Beschwerde unter Abstandnahme von ihren als verfassungswidrig erkannten Überlegungen zur "Beugehaft" zu befinden haben, nämlich darüber, ob dem Beschwerdeführer die persönliche Freiheit "zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung ..." (Art2 Abs 1 Z 3 PersFrG) "auf die gesetzlich vorgeschriebene", dh. im HDG (§41) festgelegte Weise entzogen wurde.
2.3. Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG 1953; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf Umsatzsteuer.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Fundstelle(n):
CAAAE-03029