OGH vom 07.11.2007, 13Os109/07i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Maschler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Selcuk T***** und einen anderen Angeklagten wegen der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Selcuk T***** und die Berufungen beider Angeklagter gegen das Urteil des Geschworenengerichtes in Jugendstrafsachen beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom , GZ 444 Hv 2/07m-137, sowie über die Beschwerde des Angeklagten Selcuk T***** (§ 498 Abs 3 StPO) gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach § 494a Abs 6 StPO iVm § 53 Abs 3 StGB nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Bauer, der Angeklagten Selcuk T***** und Ismail Ö***** und ihrer Verteidiger Stephan M***** und Dr. Kurt W***** zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den beide Angeklagten betreffenden Schuldsprüchen A/I/6 und A/II/1, weiters im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und der zugleich verkündete, den Angeklagten Selcuk T***** betreffende Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit aufgehoben und insoweit nach § 351 StPO in der Sache selbst
I. zu Recht erkannt:
Selcuk T***** und Ismail Ö***** werden von dem wider sie erhobenen Vorwurf, sie hätten in Wien und Niederösterreich im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) Gewahrsamsträgern der B***** AG fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeldbeträge unter Verwendung einer Waffe
I. am weggenommen, indem sie den Angestellten Matthias W***** mit einer Pistole bedrohten und die Übergabe von Geld forderten, und II. am wegzunehmen versucht, indem sie die Angestellte Manju S***** mit einer Pistole bedrohten und die Übergabe von Bargeld forderten,
gemäß § 337 StPO freigesprochen.
Für die ihnen weiter zur Last liegenden Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/I), des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/II) sowie des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (B) werden die Angeklagten unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB, Ismail Ö***** auch unter Anwendung des § 36 StGB, nach dem ersten Strafsatz des § 143
Selcuk T***** zu einer Freiheitsstrafe von
acht Jahren,
Ismail Ö***** zu einer Freiheitsstrafe von
fünf Jahren
verurteilt.
Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen. Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Angeklagten Selcuk T***** fallen auch die auf die Erledigung seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten zur Last. II. der Beschluss
gefasst:
Gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO wird vom Widerruf der Selcuk T***** mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom , AZ 161 Hv 227/04i, in Ansehung einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.
Mit seiner impliziten (§ 498 Abs 3 StPO), gegen den Beschluss auf Verlängerung der Probezeit gerichteten Beschwerde wird der Angeklagte Selcuk T***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurden Selcuk T***** und Ismail Ö***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (A/I), der Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142, 143 zweiter Fall StGB (A/II) und des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt.
Danach haben sie im Zeitraum bis in Wien und Niederösterreich im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) Gewahrsamsträgern im Urteilstenor näher bezeichneter Unternehmen durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) fremde bewegliche Sachen, nämlich Bargeldbeträge, mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem
Vorsatz
A. unter Verwendung einer Waffe
I. in insgesamt neun Angriffen weggenommen, und zwar in acht Fällen Gewahrsamsträgern der im Spruch bezeichneten Tankstellen insgesamt 9.140 Euro und in einem weiteren Fall Gewahrsamsträgern der B***** AG 400 Euro, indem sie die Opfer mit einer Pistole bedrohten, die Übergabe von Geld forderten und in sechs Fällen auch einen Pfefferspray zum Einsatz brachten;
II. in zwei Angriffen wegzunehmen versucht, und zwar Gewahrsamsträgern der B***** AG und einer B*****-Tankstelle, indem sie die Opfer mit einer Pistole bedrohten und die Übergabe von Bargeld forderten und
B. wegzunehmen versucht, indem sie den Gewahrsamsträger einer B*****-Tankstelle maskiert mit dem Zuruf „Überfall" bedrohten.
Rechtliche Beurteilung
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Selcuk T*****:
Der ausschließlich auf Z 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Vorauszuschicken ist zunächst, dass bei allen Delikten, bei denen der Eintritt schwerer Verletzungsfolgen zu einem höheren Strafsatz führt (hier: § 143 zweiter Satz StGB), die Zufügung einer leichten Körperverletzung nicht echt idealkonkurrierend als zusätzliche Deliktsverwirklichung nach § 83 Abs 1 oder Abs 2 StGB hinzutritt, sondern infolge scheinbarer Idealkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt wird. Diese Tatumstände betreffen bloß die Sanktionsfrage und sind solcherart Gegenstand der Beschlussfassung von Schwurgerichtshof und Geschworenen. Sie haben demnach zu Recht keinen Eingang in die Fragestellung an die Geschworenen gefunden (vgl § 312 Abs 2 StPO e contr).
Mit der Beschwerdebehauptung, die Berücksichtigung der Zufügung von Körperverletzungen bei sechs Opfern durch den Einsatz von Pfefferspray als erschwerend stelle einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot dar, wird keine offenbar unrichtige Beurteilung für die Strafbemessung entscheidender Tatsachen aufgezeigt, weil leichte Verletzungen nicht tatbildlich nach §§ 142, 143 StGB sind und ihre Berücksichtigung als Erschwerungsgrund damit keine doppelte Anlastung bereits die Strafdrohung bestimmender Umstände darstellt (Ebner in WK² § 32 Rz 59 und 85; RIS-Justiz RS0090709, RS0091115).
Zur amtswegigen Maßnahme:
Aus Anlass der erfolglosen Nichtigkeitsbeschwerde des Selcuk T***** war allerdings der vom Nichtigkeitswerber nicht geltend gemachte und sowohl ihn als auch den Mitangeklagten Ismail Ö***** benachteiligende Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit b StPO zu den Schuldsprüchen A/I/6 und A/II/1 infolge Missachtung des Grundsatzes der Spezialität von Amts wegen wahrzunehmen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz, 344 zweiter Satz StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 616, § 290 Rz 9).
§ 271 Abs 1 Z 5 StPO ermöglicht es dem Obersten Gerichtshof nämlich, sich über den Inhalt eines in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstückes ein Bild zu machen. Solcherart ist er in der Lage, sich vom Fehlen einzelner Spezialitätserfordernisse zu überzeugen (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 17) und einen Feststellungsmangel im Sinne des § 281 Abs 1 Z 9 lit b (§ 345 Abs 1 Z 11 lit b) StPO amtswegig aufzugreifen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600). Wenn - wie hier (S 325/III) - die für die Feststellungen über prozessuale Tatsachen notwendigen Beweismittel in der Hauptverhandlung vorgekommen sind, kann der Oberste Gerichtshof aus den Akten eigenständige Feststellungen treffen und aufgrund dieser in der Sache selbst entscheiden (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 40 ff). Dies trifft hier zu. Die Angeklagten Selcuk T***** und Ismail Ö***** wurden am (S 319 und 323/I) auf Grund der vom Landesgericht für Strafsachen Wien ausgestellten Europäischen Haftbefehle vom , die sich auf „insgesamt zehn Raubüberfällen auf Tankstellen in Wien unter Verwendung einer Faustfeuerwaffe" im Zeitraum vom bis zum bezogen (S 17 und 31/I), in Deutschland festgenommen und in der Folge nach Österreich ausgeliefert. Von den ausgelieferten Personen und seitens der deutschen Anklagebehörden wurde auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität ausdrücklich nicht verzichtet (S 383 und 389/I sowie ON 47 und ON 71).
Da den Akten in Ansehung der zwei von den Europäischen Haftbefehlen nicht umfassten Raubüberfälle zum Nachteil der B***** AG (Schuldsprüche A/I/6 und A/II/1) auch keine sonstigen Gründe für eine Aufhebung der Spezialitätsbindung (§ 31 Abs 2 EU-JZG) zu entnehmen sind, steht einer Verfolgung und Verurteilung der Angeklagten wegen dieser Fakten das Fehlen einer nach § 31 Abs 1 EU-JZG erforderlichen Auslieferungsbewilligung entgegen.
Demgemäß ist das Urteil in den Schuldsprüchen A/I/6 und A/II/1 mit dem nichtigkeitsbegründenden Mangel eines prozessualen Verfolgungshindernisses iSd § 311 Abs 1 StPO (Schindler, WK-StPO § 311 Rz 3) behaftet.
Für ein bereits anhängiges Nachtragsauslieferungsverfahren finden sich keine aktenkundigen Hinweise, weshalb das angefochtene Urteil in den betroffenen Schuldsprüchen aufzuheben, gemäß § 351 erster Satz StPO in der Sache selbst zu entscheiden und mit Freispruch vorzugehen war (SSt 52/49; RIS-Justiz RS0092340, RS0098426).
Ebenso wie die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls (§ 29 Abs 1 erster Satz EU-JZG) hängt ein Beschluss nach § 31 Abs 4 EU-JZG nämlich von einem Antrag des Staatsanwaltes ab. Für diesen aber gilt die von § 293 Abs 2 StPO angeordnete Bindung nicht, sodass nicht nur eine - stets ohne Anwesenheit des Staatsanwaltes (vgl §§ 32 Abs 2 e contr, 33 Abs 1 StPO) ergehende - Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst, sondern auch eine Verweisung an das Erstgericht mit dem Auftrag, einen solchen Beschluss zu fassen, ausscheidet.
Dem Angeklagten im Gerichtstag in dieser prozessualen Situation zu einer ihn offenkundig benachteiligenden Prozesserklärung im Sinn des § 31 Abs 2 Z 5 EU-JZG Gelegenheit zu geben, kommt für den Obersten Gerichtshof selbst bei Anwesenheit eines Verteidigers (vgl § 31 Abs 3 zweiter Satz EU-JZG) schon aufgrund der Behörden ganz allgemein treffenden Verpflichtung, Abhilfe gegen allfällige grobe Versäumnisse des Verteidigers zu schaffen (vgl EGMR , Nr 38. 830/97, Czekalla gg Portugal, Newsletter 2002, 209; EGMR , Nr 77. 837/01, Saez Maeso gg Spanien, Newsletter 2004, 274), nicht in Frage.
Zur Strafneubemessung:
Bei der zufolge Aufhebung auch des Strafausspruches notwendig gewordenen Strafneubemessung waren bei beiden Angeklagten deren umfassendes Geständnis, der Umstand, dass es in zwei Fällen beim Versuch geblieben ist, bei Ismail Ö***** zudem sein Alter unter 21 Jahren im Tatzeitraum und sein bisher ordentlicher Lebenswandel und bei Selcuk T***** die im Gerichtstag bescheinigte Schmerzengeldzahlung in Höhe von insgesamt 1.500 Euro an vier der bei den Raubüberfällen verletzten Opfer als mildernd, als erschwerend dagegen bei beiden Angeklagten das Zusammentreffen von zehn Verbrechen, die sechs Tatopfern durch Einsatz von Pfefferspray zugefügten leichten Körperverletzungen sowie bei Selcuk T***** zusätzlich dessen einschlägige Vorstrafe zu werten. Bei Abwägung dieser Strafzumessungsgründe erachtete der Oberste Gerichtshof - selbst unter Berücksichtigung der beiden Angeklagten von der Sachverständigen Dr. L***** attestierten, vom Erstgericht aber als nicht gegeben angesehenen (US 39 f) eingeschränkten Dispositionsfähigkeit (jeweils S 12 in den Gutachten ON 143 und 143a) - bei Selcuk T***** eine Freiheitsstrafe in der Dauer von acht und bei Ismail Ö***** eine Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren als tat- und täteradäquate Sanktionen.
Mit Blick auf die nunmehr über Selcuk T***** verhängte mehrjährige Freiheitsstrafe erschien der Widerruf der mit dem im Spruch näher bezeichneten Urteil gewährten bedingten Strafnachsicht nicht zusätzlich geboten, die Verlängerung der Probezeit jedoch schon aus spezialpräventiven Gründen erforderlich.
Die Zulässigkeit einer Probezeitverlängerung wird vom Spezialitätsgrundsatz nicht berührt. Es liegt darin nämlich weder eine „Fortsetzung des Erkenntnisverfahrens in veränderter Gestalt im Vollstreckungsverfahren" (so aber Vogler, Bewährungswiderruf und Spezialität der Auslieferung, FS-Salger, 763 [766]) noch die Vollstreckung einer (hier: Freiheits-) Strafe (vgl Art 27 Abs 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, Abl L 190 vom [im Folgenden: Rahmenbeschluss], S 1; vgl auch Art 14 Abs 1 erster und zweiter Fall EuAlÜbk, welches im Verhältnis zu jenen Mitgliedsstaaten der EU, die den Europäischen Haftbefehl bereits anwenden, samt dazugehörigem 2. ZP sowie dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EuAlÜbk und die Erleichterung seiner Anwendung durch das EU-JZG ersetzt wurde [§ 77 Abs 1 Z 1
EU-JZG]).
Dies gilt, selbst wenn man mit Schwaighofer, Auslieferung und Internationales Strafrecht, 185 (ohne eigene Begründung, jedoch unter Verweis auf JABl 1986/28, welcher Erlass indes seinerseits auf jegliche Begründung für die Behauptung verzichtet), die Meinung vertreten wollte, dass eine Entscheidung auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht oder Entlassung aus Anlass einer Tat, für welche die Auslieferung bewilligt wurde (§ 53 Abs 1 StGB) nach Maßgabe des Art 14 Abs 1 EuAlÜbk, der Vorgängerbestimmung des § 31 EU-JZG, unzulässig war, weil man die auf Widerruf lautende Entscheidung bereits zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe zählt oder im Widerruf einen Teil des Erkenntnisverfahrens sieht (vgl Wendisch in Löwe-Rosenberg StPO25 § 453 Rz 5) und den Spezialitätsgrundsatz auf die in Art 14 Abs 1 EuAlÜbk verwendeten Begriffe „Verfolgung" und „Aburteilung" (nunmehr:
„Verfolgung" und „Verurteilung"; Art 27 Abs 1 des Rahmenbeschlusses) bezieht (so wohl Vogler aaO, der sich für die These, bereits die auf Widerruf lautende Entscheidung und nicht erst die Vollstreckung unterliege dem Spezialitätsgrundsatz, auf einen Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz aus 1979 und einen Entscheid des schweizerischen Bundesgerichts beruft [vollständig: BGE 90 IV 121, wo indes bloß aufgrund von in concreto gegen den Beschwerdeführer zum Zweck seiner Anhörung tatsächlich angewendeten freiheitsbeschränkenden prozessualen Zwangsmitteln {vgl Art 14 Abs 1 letzter Fall EuAlÜbk} und gerade nicht deshalb eine Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes bejaht wurde, weil das Bundesgericht im Widerruf einen Teil des Erkenntnisverfahrens oder der Vollstreckung gesehen hatte {zur angeblichen Unzulässigkeit eines Widerrufs angesichts BGE 90 IV 121 daher - arg „kann ... im Wege stehen" - zu Recht differenzierend Trechsel StGB2 Art 41 Rz 60}, während ein nachfolgender Bundesgerichtsentscheid, wonach der Widerruf einer Vollstreckung gleichzusetzen sei, sich zur Begründung mit einem Verweis auf die Ansicht Schwaighofers {aaO} begnügt {BGE 117 IV 222}]; über Schwaighofer und Vogler hinausgehend allerdings Murschetz, Auslieferung und Europäischer Haftbefehl, 153, die - ohne eigene Begründung - nicht bloß auf Widerruf lautende Entscheidungen, sondern überhaupt jede „Entscheidung über einen Widerruf" ohne Auslieferungsbewilligung für unzulässig hält, sich dabei aber auf Schwaighofer, aaO, und Vogler beruft, die wiederum den Widerruf ablehnende Entscheidungen nicht erwähnen; vgl auch Vogler in Pötz/Kreß IRG-Kommentar2 § 11 Rz 37a, ders, Der rechtshilferechtliche Grundsatz der Spezialität, FS-Spendel, 871 [878]).
Die von §§ 494a Abs 3, 495 Abs 3 StPO angeordnete Anhörung der betroffenen Person hinwieder stellt keinen Fall des Art 14 Abs 1 letzte Alternative EuAlÜbk (nunmehr Art 27 Abs 2 letzter Fall des Rahmenbeschlusses) dar. Sie setzt nämlich die betroffene Person keinerlei Beschränkungen ihrer persönlichen Freiheit aus (vgl Jerabek, WK-StPO § 494a Rz 8, 495 Rz 6 mit Judikaturnachweis; RIS-Justiz RS0111829, RS0101961; vgl demgegenüber zur damals geltenden schweizerischen Rechtslage BGE 90 IV 121), weil die StPO in Betreff dieser Anhörung keine Zwangsmittel vorsieht (vgl § 495 Abs 3 zweiter Satz sowie § 496 StPO, der nur die Flucht verhindern will; vgl Jerabek, WK-StPO § 496 Rz 1).
Wenn kein Widerruf ausgesprochen wird, sind - entgegen Murschetz (aaO) - demnach sämtliche nach Maßgabe der geltenden Gesetze ergehende Entscheidungen nach § 53 StGB problemlos ohne Auslieferungsbewilligung zulässig (vgl im Übrigen die Entscheidungen zweier dt OLG in NJW 1983, 1987 und NStZ 1991, 497, welche auf der Basis des EuAlÜbk auch einen Widerruf für zulässig erachtet haben, weil dafür die Anwesenheit der betroffenen Person nicht erforderlich sei).
Soweit auch der Oberste Gerichtshof zu 11 Os 114/05g (ÖJZ-LSK 2006/129) für positive Entscheidungen über einen Widerruf Spezialitätsbindung bejaht und bei fehlender „Zustimmung der ausliefernden Justizbehörde" im für die Entscheidung nach § 494a Abs 1 StPO relevanten Zeitpunkt der Urteilsverkündung einen Zuständigkeitsübergang (§ 495 StPO) nach Maßgabe einer Vorbehaltsentscheidung (§ 494a Abs 2 letzter Satz StPO) angenommen hatte, steht dies, wie zur Klarstellung angemerkt sei, nicht im Einklang mit der in ständiger Rechtsprechung vertretenen Judikaturlinie, wonach ohne Anhängigkeit eines Auslieferungsverfahrens das Fehlen einer Auslieferungsbewilligung im Urteilszeitpunkt zum sofortigen Freispruch führt (RIS-Justiz RS0098426; weil - wie erwähnt - sowohl die Erlangung einer Auslieferungsbewilligung als auch die Erlassung eines Europäischen Haftbefehls von einem Antrag des Staatsanwaltes abhängig ist [vgl § 68 Abs 1 erster Satz ARHG, § 29 Abs 1 EU-JZG] und für diesen die in § 293 Abs 2 StPO angeordnete Bindung nicht gilt).
Zudem hätte es der Staatsanwalt bei der von 11 Os 114/05g vertretenen Auffassung in der Hand, durch nicht rechtzeitige Antragstellung einen Zuständigkeitsübergang herbeizuführen. Davon abgesehen ist § 494a Abs 2 letzter Satz StPO nach ständiger Rechtsprechung auf die Fälle sachlicher Unzuständigkeit beschränkt (RIS-Justiz RS0101961, RS0111829), geht der Klammerhinweis auf die gerade nicht den Widerruf, vielmehr die bedingte Strafnachsicht betreffende Vorschrift des § 493 StPO fehl und verzichtet die zur Begründung darüber hinaus einzig angeführte Stelle aus dem Schrifttum ([gemeint:] Mayerhofer Nebenstrafrecht5 ARHG § 70 Anm 2) auf eine Begründung für die - solcherart substratlose - Behauptung.
Für den Vollzug einer Freiheitsstrafe nach auf Widerruf lautender Entscheidung sind schließlich die zeitlichen Schranken der § 494a StPO, § 56 StGB nicht von Relevanz, womit entgegen 11 Os 114/05g gar wohl ein Unterschied gegenüber der Entscheidung über den Vollzug besteht.
Anzumerken bleibt, dass in § 31 Abs 1 EU-JZG - ersichtlich planwidrig [vgl § 31 Abs 4 erster Satz EU-JZG] - die Vollstreckung von Freiheitsstrafen unerwähnt geblieben, die Lücke aber mit Blick auf Art 27 Abs 1 des Rahmenbeschlusses auszufüllen wäre (vgl nunmehr jedoch Art 27 Abs 1 und 3 lit e und f des Rahmenbeschlusses sowie § 31 Abs 2 Z 5 bis 7 und Abs 7 EU-JZG).
Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf die Strafneubemessung, mit seiner (impliziten, § 498 Abs 3 StPO) Beschwerde war der Angeklagte Selcuk T***** auf die Entscheidung über die Verlängerung der Probezeit zu verweisen.
Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten Selcuk T***** gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Kostenersatz für die getroffenen amtswegigen Maßnahmen kennt das Gesetz hingegen nicht (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12).