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OGH vom 22.05.2018, 20Ds3/18y

OGH vom 22.05.2018, 20Ds3/18y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über Einspruch und Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Abwesenheitserkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom , AZ D 73/15 (DV 32/16), TZ 32, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller, des Kammeranwalt-Stellvertreters der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Kammler und des Verteidigers des Disziplinarbeschuldigten Dr. Simon zu Recht erkannt:

Spruch

Der Einspruch wird zurückgewiesen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten ***** ergangenen Erkenntnis, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch in Ansehung eines weiteren Vorwurfs enthält, wurde der Beschuldigte der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt) schuldig erkannt, weil er in den Verfahren AZ 1 Nc 16/14k und 1 Nc 17/14g jeweils des Landesgerichts ***** die Antragsteller Erwin N*****, Franz P*****, Walter W*****, Walter Wi*****, Margarete K*****, Franz Kn***** und Johann E***** bis Jänner 2015 vertrat, ohne von diesen hiezu einen Auftrag oder eine Vollmacht erhalten zu haben und sich in diesen Gerichtsverfahren fälschlicherweise auf von diesen Personen tatsächlich nicht erteilte Vollmachten berief.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde unter Bedachtnahme (§ 16 Abs 5 zweiter Satz DSt iVm §§ 31, 40 StGB) auf das rechtskräftige Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom , TZ 55 in AZ D 5/15, DV 18/15, eine (Zusatz-)Geldbuße in der Höhe von 1.500 Euro verhängt. Dabei war mildernd die bisherige (disziplinarrechtliche) Unbescholtenheit, erschwerend das Vorliegen mehrerer vollmachtslosen Vertretungen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich Einspruch und Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe des Beschuldigten.

Entgegen dessen Vorbringen in seinem Einspruch, wonach er mangels Zustellung einer Ladung zur mündlichen Verhandlung am durch ein für ihn unabwendbares Hindernis am Erscheinen bei diesem Termin gehindert gewesen sei, ist die eigenhändige Übernahme der Ladung durch persönliche Unterfertigung des Rückscheins am (vgl TZ 30 S 1 verso) ausgewiesen.

Sonstige Gründe im Sinne des § 35 DSt iVm § 427 Abs 3 StPO hat der Disziplinarbeschuldigte nicht genannt, sodass sein Einspruch zurückzuweisen war.

Aber auch der der Sache nach wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit b StPO) und wegen Schuld erhobenen Berufung kommt – wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte – keine Berechtigung zu:

Auf den erstmals in der Berufungsverhandlung erhobenen Einwand eines Verstoßes gegen § 252 Abs 1 Z 4 StPO (dSn § 281 Abs 1 Z 3 StPO, vgl RIS-Justiz RS0117012) war keine Rücksicht zu nehmen, weil er in der schriftlichen Ausführung der Nichtigkeitsgründe nicht enthalten ist (§ 467 Abs 2 StPO; vgl Fabrizy, StPO13§ 467 Rz 1, § 285 Rz 1 und RIS-Justiz RS0101914, auch RS0100172 [T8, T 12], RS0100170).

Der Rechtsmittelwerber bringt (prozessual korrekt) weiters vor, dass sämtliche ihm vorgeworfenen Tathandlungen bereits im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom , AZ D 5/15, DV 18/15, mit welchem er der vollmachtslosen Vertretung der (weiteren) Antragsteller Franz Ö*****, Ing. Franz Ö***** und Adolf M***** in den (auch) nun gegenständlichen Verfahren schuldig erkannt wurde, „bekannt und entscheidungsreif“ gewesen seien, sohin die Voraussetzungen für ein „eigenes“ Erkenntnis und die Verhängung einer Zusatzstrafe nicht vorgelegen hätten (inhaltlich § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO). Sinngemäß spricht er damit einen Verstoß gegen den auch im Disziplinarverfahren zu beachtenden (vgl RIS-Justiz RS0056182; Engelhart et al,RAO9 § 23 DSt Rz 10) Grundsatz „ne bis in idem“, also das Verbot doppelter Verfolgung an. Dabei übersieht er jedoch, dass § 11 RL-BA 1977 (inhaltlich unverändert: § 7 RL-BA 2015) das persönliche Interesse und den tatsächlichen Willen jedes einzelnen Vertretenen zu schützen trachtet (vgl Engelhart et al,RAO9 § 11 RL-BA 1977 Rz 6 f; RIS-Justiz RS0125482), sodass das Hinzukommen weiterer Betroffener jeweils einen neuen, weil personenbezogen definierten historischen Sachverhalt herstellt (zur „Identität der Tat“ siehe Lewisch,WK-StPO Vor §§ 352–363 Rz 22 f).

Dem weiteren Berufungsvorbringen ist vorerst entgegenzuhalten, dass dem Beschuldigten nach den wesentlichen Annahmen des Erkenntnisses die (bloß) fahrlässig unrichtige Berufung auf tatsächlich nicht erteilte Vollmachten zur Last gelegt wird, weil er es im Hinblick auf die „lange Zeitspanne“ seit der Vollmachtserteilung durch Gerhard S***** (dem Obmann des Fischereireviers T*****) als Dritten im Jahre 2011 und dem erst 2014 erfolgten Einschreiten vor Gericht unter Verstoß gegen die aus § 8 Abs 1 RAO iVm § 11 RL-BA 1977 resultierenden Verpflichtungen unterließ, unmittelbaren Kontakt und Konsens mit den Vertretenen (weiteren Mitgliedern des genannten Fischereireviers) herzustellen und zu prüfen, ob die seinerzeitige Vollmacht (noch) vom Wissen und Willen aller Beteiligten gedeckt ist und ob diese die konkrete Prozesshandlung wünschen (ES 8 f).

An diesem Vorwurf vorbei zielt der nach Art einer Aufklärungsrüge (Z 5a – s dazu allerdings RIS-Justiz RS0114036, RS0115823) erhobene, auf die schriftliche Bevollmächtigung durch Gerhard S***** vom und die eigenständige Interpretation des Beschlusses des Landesgerichts ***** vom , AZ 1 Nc 16/14k (Blg ./12; vgl dazu allerdings bereits die ablehnende Erörterung in 20 Os 14/16h, die Berufungsentscheidung zu AZ D 5/15, DV 18/15), gestützte Einwand, der Disziplinarrat habe es seiner amtswegigen Wahrheitsforschungspflicht zuwider verabsäumt, die zum Nachweis einer „lückenlosen Vollmachtskette“ unabdingbar notwendige Vernehmung des Zeugen S***** durchzuführen. Soweit der Beschuldigte in diesem Zusammenhang den hier anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab thematisiert, spricht er eine – vom Disziplinarrat überdies zutreffend gelöste (vgl 20 Os 4/15m mwN; RIS-Justiz RS0089972) – Rechtsfrage an (RIS-Justiz RS0089407 [T3]), die nicht Gegenstand von Zeugenaussagen sein kann (RIS-Justiz RS0097540).

Die im Rahmen der Schuldberufung erstmalig (vgl TZ 9) beantragte Vernehmung von Beweispersonen scheitert bereits daran, dass nicht dargelegt wird, warum fallbezogen die Voraussetzungen der eingeschränkten Neuerungserlaubnis im Berufungsverfahren (§ 49 DSt; vgl RIS-Justiz RS0129770) vorliegen sollten, zumal eine auf Basis des Einleitungsbeschlusses vorzunehmende Vorbereitung zur Disziplinarverhandlung erster Instanz dem Rechtsmittelwerber zumutbar gewesen wäre und schon deren Unterlassung ein Indiz für ein Versehen nicht bloß minderen Grades darstellt (vgl Engelhart et al, RAO9§ 49 DSt Rz 10).

Inhaltlich ist das Begehren überdies auf eine bloße Erkundungsbeweisführung (§ 55 Abs 1 letzter Satz StPO) gerichtet (RIS-Justiz RS0099453). Angesichts der in der mündlichen Verhandlung verlesenen (TZ 31 S 2) Angaben der Zeugen Erwin N***** (Blg ./10 S 3 f), Walter Wi***** (Blg ./10 S 4 f), Margarete K***** (Blg ./10 S 7 f) sowie Johann E***** (Blg ./10 S 10 f), wonach diese von den vor dem Landesgericht ***** angestrengten Verfahren bis zur Ladung zu einer Verhandlung im Dezember 2014 nicht in Kenntnis gewesen seien, und dem Zugeständnis des Beschuldigten, dass es sich hinsichtlich Franz P***** und Walter W***** „ähnlich zugetragen“ habe (Blg ./10 S 12), lässt der Antrag auf Vernehmung der Genannten nämlich jeden Hinweis darauf vermissen, weshalb eine neuerliche Befragung im Rahmen der Berufungsverhandlung ein geändertes Aussageverhalten der Zeugen im Sinne einer von Anfang an bestehenden Beauftragung und Bevollmächtigung des Beschuldigten zu deren Vertretung in den Verfahren AZ 1 Nc 16/14k und 1 Nc 17/14g des Landesgerichts ***** erwarten ließe (vgl RIS-Justiz RS0098117 [T3]). Dieser Umstand trifft mit Blick auf die Feststellungen im Beschluss des Landesgerichts ***** vom , AZ 1 Nc 16/14k, in gleichem Maße auf die geforderte Vernehmung des Gerhard S***** zum selben Beweisthema zu.

Welche diesbezüglichen „wesentlichen Beweisergebnisse“ konkret vom Disziplinarrat übergangen sein sollen, bezeichnet die Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) nicht.

Solcherart vermag die auf eben dieses Vorbringen gestützte Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld auch unter dem Gesichtspunkt einer Überprüfung der Beweiswürdigung des Disziplinarrats keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellung nicht vorgelegener wirksamer Bevollmächtigungen des Rechtsmittelwerbers hervorzurufen.

Die eine Anwendung des Strafausschließungs-grundes des § 3 DSt fordernde Rechtsrüge (Z 9 lit b) versagt schon deshalb, weil das Verhalten des Beschuldigten in Anbetracht des alleine dadurch ausgelösten Zwischenstreits zur Frage der Parteistellung und der solcherart publik gewordenen leichtfertigen Inanspruchnahme des vom Gesetzgeber der Rechtsanwaltschaft gewährten Vertrauensvorschusses im Sinne des § 8 Abs 1 RAO nicht bloß unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat (vgl RIS-Justiz RS0089972 [T3, T 6, T 9]).

Seine Berufung wegen Strafe begründet der Beschuldigte damit, dass bei der erstinstanzlichen Strafbemessung seine persönlichen Verhältnisse, insbesondere sein Einkommen und seine Sorgepflichten, nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden hätten. Dabei übersieht er freilich, dass er es in erster Instanz unterlassen hat, zu seinem Einkommen und seinen Sorgepflichten irgendwelche Angaben zu machen, und der Disziplinarrat deshalb von
einem durchschnittlichen Nettoeinkommen eines oberösterreichischen Rechtsanwalts ausgehen durfte (ES 10) und ohne Kenntnis von dem Beschuldigten obliegenden Sorgepflichten solche auch nicht berücksichtigen konnte.

Nach dem im Berufungsverfahren zulässig vorgelegten Einkommenssteuerbescheid vom für das Jahr 2016 (für den Bescheid vom gilt § 49 DSt) erlöste der Beschuldigte damals rund 20.000 Euro netto und wies eine Sorgepflicht auf. Wieweit dies für den im Gegenstand entscheidenden Zeitpunkt Oktober 2017 (§ 19 Abs 2 StGB) gilt, bleibt damit weiterhin offen.

Bei dieser Sachlage war daher auch der Berufung wegen Strafe – selbst unter Berücksichtigung teilweiser nachträglicher Sanierung der Vollmachtsmängel im Februar 2015 (ES 8) – der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0200DS00003.18Y.0522.000

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