OGH vom 29.06.2020, 8ObA65/20x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Sabine Duminger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H***** M*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, gegen die beklagte Partei H***** N*****, vertreten durch Urbanek Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 37.657,33 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 16/20a26, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 2 ASGG,§ 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin macht mit der Begründung, die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung über die einvernehmliche Beendigung ihres Dienstverhältnisses sei unwirksam gewesen, Kündigungsentschädigung geltend.
Das Klagebegehren blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Ausführung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Klägerin hat in erster Instanz nicht behauptet, die von der Beklagten im Fall einer Arbeitgeberkündigung einzuhaltende Kündigungsfrist nicht gekannt zu haben. Eine solche Behauptung stünde zudem mit der Aussage der Klägerin als Partei in Widerspruch (ON 13a, S 8). Mangels entsprechenden Vorbringens hatten die Vorinstanzen keine der nunmehr in der Revision als fehlend reklamierten Feststellungen zu treffen.
2. Soweit die Revision argumentiert, die Klägerin habe vor Unterfertigung der einvernehmlichen Auflösung ein Verlangen nach Beratung im Sinn des § 104a ArbVG gestellt, weicht sie unzulässig vom festgestellten Sachverhalt ab.
3. Sittenwidrig im Sinn des § 879 Abs 1 ABGB ist ein Geschäft, wenn es, ohne gegen ein positives inländisches Gesetz zu verstoßen, offenbar rechtswidrig ist, wobei es auf den Gesamteindruck der Vereinbarung ankommt. Im Sinne eines beweglichen Systems sind alle Umstände zu berücksichtigen und durch deren Gewichtung zu prüfen, ob eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen vorliegt. Großer wirtschaftlicher Druck oder die Existenzgefährdung einer Partei können einen relevanten Umstand bilden, doch ist selbst damit allein eine Sittenwidrigkeit noch nicht begründet (RIS-Justiz RS0113653). Im vorliegenden Fall stand die Klägerin bei Abschluss der strittigen Auflösungsvereinbarung unter keinem für diese Situation überdurchschnittlichen Druck. Nach den Feststellungen wurde sie weder dazu gedrängt, sich sofort zu entscheiden, noch die Möglichkeit einer Beratung mit dem Betriebsrat nicht in Anspruch zu nehmen.
Ob sich die Einhaltung einer längeren Kündigungsfrist bei Dienstgeberkündigung für den Dienstnehmer in einer Gesamtbetrachtung günstiger auswirkt als eine einvernehmliche kurzfristige Auflösung, hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Auf den Entfall des in der Kündigungsfrist zu bezahlenden Entgelts kommt es dabei nicht ausschließlich an, ist doch dafür auch eine Arbeitsleistung zu erbringen. Die Klägerin hatte allenfalls die Aussicht, aber keinen Anspruch auf eine Dienstfreistellung während der Kündigungsfrist.
Eine grobe Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht, die auch bei einer Einzelfallbeurteilung die Zulässigkeit der Revision begründen könnte, wird damit in der Revision nicht aufgezeigt.
4. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die zur Auflösung von Dienstverhältnissen entscheidungsberechtigte Leiterin der Stabsstelle Personal den ihr unterstellten Mitarbeiterinnen vorweg das Pouvoir zum Abschluss einer einvernehmlichen Auflösung mit der Klägerin erteilt und mit der Erlaubnis, ihre eingescannte Unterschrift auf die Urkunde zu setzen, dokumentiert hat. Ein Vertretungsmangel wurde daher von den Vorinstanzen ebenfalls ohne aufzugreifenden Rechtsirrtum verneint.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:008OBA00065.20X.0629.000 |
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