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OGH vom 10.11.1998, 10ObS321/98y

OGH vom 10.11.1998, 10ObS321/98y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Hübner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Holper (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann F*****, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Integritätsabgeltung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 62/98v-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 7 Cgs 144/97w-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger arbeitete bis zum Unfallereignis in der Abteilung 633/Loseverladung der A***** Gesellschaft mbH. In dieser Abteilung wurden Eisenbahnwaggons mit Kunstdünger beladen. Aufgabe der dort beschäftigten Arbeiter war es, das Dach der Waggons für den Beladevorgang zu öffnen, die Waggons zu reinigen und nach der automatischen Beladung die Dachklappe wieder zu schließen und zu plombieren.

Am Unfallstag, dem , hatten die Arbeiter Edwin H***** und Mehmed K***** aus der Abteilung 634/Kunstdüngerverladung wegen urlaubsbedingten Personalmangels als Dreierpartie zusammen mit dem Kläger in der Abteilung 633/Loseverladung auszuhelfen. Nach der Befüllung eines Waggons ließ sich dessen Dachklappe nicht mit der dafür vorgesehenen Kurbel schließen. Nach den Arbeitsvorschriften hätte ein solcher Waggon im Rangierbetrieb ausgeschieden werden müssen. Es war aber üblich, daß man die zumeist nur verklemmten Dachklappen mit einer Beißzange (Beißer) unter erheblichem Kraftaufwand zuzwängte. Um an die Dachklappe zu gelangen, mußte man entweder eine Leiter an den Waggon anlehnen oder die an den Waggon selbst angeschweißten Steighilfen benutzen. Eine weitere Möglichkeit bestand darin, sich mit einem Gabelstapler in einem Arbeitskorb hochheben zu lassen. Ein solcher Arbeitskorb war im Betrieb vorhanden; er war zwar kein TÜV-geprüftes Arbeitsgerät, wurde aber mit Duldung der Betriebsleitung von den Arbeitern verwendet. Im konkreten Fall wurde aber nicht dieser Arbeitskorb verwendet, sondern es forderte der Kläger den in seiner Stammabteilung als Staplerfahrer tätigen H***** auf, ihn mit einem Gabelstapler und einer in der Nähe stehenden, ausschließlich für Folienabfälle bestimmten Holzpalette hochzuheben. H***** nahm daraufhin den Gabelstapler in Betrieb und hob den Kläger mit der Holzpalette zum Waggondach empor. Diese Holzpalette war für eine Personenbeförderung völlig ungeeignet. Bei diesem Vorgang - ob schon beim Hochheben selbst oder erst beim Hantieren an der Dachklappe konnte nicht festgestellt werden - stürzte der Kläger ab und zog sich durch den Aufprall am Betonboden schwerste Verletzungen (Gehirnquetschung, Bruch des linken Schläfen- und Scheitelbeines mit Beteiligung der Schädelbasis, Bruch des rechten Oberkiefers, Bruch des linken vorderen Darmbeinstachels, Bruch des linken Oberschenkelkopfes etc) zu. Aufgrund dieser Verletzungen wurde dem Kläger mit Bescheid der Beklagten vom eine Dauerrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 vH samt Zusatzrente ab zugesprochen.

Allen Arbeitern im Verladungsbereich der A***** Gesellschaft mbH war aufgrund von jährlich stattfindenden Unfall- und Sicherheitsbelehrungen bekannt, daß das Hochheben von Personen mit einem Gabelstapler sowie das Mitfahren auf einen Gabelstapler bzw auf Paletten verboten ist. Dem Stapelfahrer H***** war das Verbot der Personenbeförderung überdies beim Kurs zur Ablegung des Staplerführerscheines ausdrücklich zur Kenntnis gebracht worden. Wenn ausnahmsweise das Hochheben eines Arbeiters mit einem Gabelstapler aufgrund des Betriebsablaufes erforderlich war, durfte dies nach der Sicherheitsbelehrung jedenfalls nur mit einem geeigneten und fest mit der Gabel verbundenen Arbeitskorb erfolgen. Der Stapelfahrer H***** wurde mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Linz vom wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 88 Abs 1 und 4, erster Fall StGB zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

Mit Bescheid vom lehnte die Beklagte die Gewährung einer Integritätsabgeltung wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom ab.

Mit der gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt der Kläger die Gewährung einer Integritätsabgeltung entsprechend einem Integritätsschaden von 100 vH im gesetzlichen Ausmaß mit der Begründung, sein Arbeitsunfall sei durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht worden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie räumte zwar ein, daß die zum Hochheben des Klägers verwendete Palette völlig ungeeignet und unzulässig gewesen sei, bestritt jedoch das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit des beteiligten Stapelfahrers. Auch das Strafgericht wäre offenbar nur von einer leichten Fahrlässigkeit ausgegangen, weil sonst die verhängte Strafe nicht bedingt nachgesehen worden wäre. Eine grobe Fahrlässigkeit sei eher dem Kläger zuzuordnen, der den Staplerfahrer zur Verwendung der Holzpalette angehalten habe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Integritätsabgeltung festsetzenden Bescheides die vorläufige Zahlung des (der Höhe nach außer Streit stehenden) Betrages von S 750.000,-- zu erbringen.

Ausgehend von dem einleitend wiedergegebenen Sachverhalt gelangte es zur rechtlichen Beurteilung, daß dem Staplerfahrer H***** grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Dieser habe in auffallender Sorglosigkeit durch das Hochheben des Klägers in einem für die Personenbeförderung ungeeigneten und unzulässigen Palettenkorb gegen die jährlichen Sicherheitsbelehrungen und Instruktionen im Staplerführerscheinkurs, sohin gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften verstoßen. Auch der Kläger habe durch seine diesbezügliche Aufforderung an den Staplerfahrer grob fahrlässig gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften verstoßen. Das Mitverschulden des Geschädigten sei jedoch ohne Einfluß auf die Würdigung des Verschuldensgrades des Schädigers. Die grobe Fahrlässigkeit des Versicherten sei auch ohne Einfluß auf die Gewährung der Integritätsabgeltung. Eine gesetzeskonforme Interpretation des § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien über die Leistung einer Integritätsabgeltung ergebe im Zusammenhalt mit § 213a ASVG, daß ein Anspruch auf Integritätsabgeltung nur dann nicht bestehe, wenn ausschließlich den Versicherten - also weder den Arbeitgeber noch einen Arbeitskollegen - eine grobe Fahrlässigkeit treffe.

Das Berufungsgericht gab der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung der Beklagten nicht Folge und trat der Beurteilung des Erstgerichtes bei. Dem Staplerfahrer sei bewußt gewesen, daß sich der Kläger anschickte, in einer Höhe von ca 4 m über dem Boden auf einer dafür völlig ungeeigneten Palette eine Tätigkeit durchzuführen, die gerade einen besonders sicheren Stand erfordert hätte und die aufgrund dieser Umstände als besonders gefahrenträchtig einzustufen gewesen sei. Der Staplerfahrer habe in Anbetracht der jährlichen Sicherheitsunterweisungen, der Staplerfahrerprüfung und des Umstandes, daß die gewählte Vorgangsweise auch innerbetrieblich nicht üblich gewesen sei, einfache und naheliegende Überlegungen unterlassen. Die Aufforderung des Klägers habe für den Staplerfahrer keine besondere Druck- oder Ausnahmesituation bewirkt. Auch den Kläger selbst treffe eine grobe Fahrlässigkeit, sie sei jedoch nicht entscheidend. Für den Anspruch auf Integritätsabgeltung komme es darauf an, daß es im Bereich des Arbeitgebers zu einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften gekommen sei. Ein Anspruchsausschluß bei grob fahrlässigem Mitverschulden des Versicherten wäre mit dem Grundkonzept des Gesetzgebers, durch die Integritätsabgeltung die Härten aus dem Dienstgeberhaftungsprivileg zu mildern und Ersatzansprüche betreffend Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung zu supplieren, nicht zu vereinbaren. Die Integritätsabgeltung sei trotz ihrer Prägung durch schadenersatzrechtliche Überlegungen eine Leistung der Unfallversicherung. Ein Mitverschulden des Geschädigten führe weder zum Anspruchsverlust noch zu einer Anspruchskürzung; derartiges wäre dem Unfallversicherungsrecht fremd.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Wurde ein Arbeitsunfall durch die grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht und hat der Versicherte dadurch eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Integrität erlitten, so gebührt, wenn wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls auch ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht, eine angemessene Integritätsabgeltung (§ 213a Abs 1 ASVG). Unstrittig ist, daß der Kläger durch einen Arbeitsunfall eine erhebliche und dauernde Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Integrität erlitten hat und daß deshalb ein Anspruch auf Versehrtenrente besteht. Unstrittig ist weiters, daß der Arbeitsunfall durch die Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften verursacht wurde; konkret wurde die Vorschrift des § 62 Abs 10 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV - BGBl 1983/318, verletzt (AB 1142 BlgNR 17. GP, 2), die bestimmt, daß das Befördern von Personen auf Betriebseinrichtungen und Betriebsmitteln, die zum Heben oder Bewegen von Lasten bestimmt sind und die über keine gesicherten Einrichtungen zur Personenbeförderung verfügen, nicht zulässig ist. Strittig ist laut Revision, ob die Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig außer Acht gelassen wurden und ob eine allfällige grob fahrlässige Außerachtlassung dieser Vorschriften auch durch den Versicherten selbst der Gewährung der Integritätsabgeltung entgegensteht.

Die Voraussetzungen für die Annahme einer grob fahrlässigen Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften wurden vom Berufungsgericht im Sinne der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes richtig dargestellt und angewendet, sodaß auf diese Ausführungen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Zusammenfassend ist der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Die Gesetzesmaterialien verweisen zum Begriff der groben Fahrlässigkeit in § 213a Abs 1 ASVG auf die bisher ergangene einschlägige Judikatur zu § 334 ASVG (AB 1142 BlgNR 17. GP, 2). Grobe Fahrlässigkeit im Sinne dieser Bestimmung ist dem Begriff der auffallenden Sorglosigkeit im Sinne des § 1324 ABGB gleichzusetzen und nur dann anzunehmen, wenn eine ungewöhnliche und auffallende Vernachlässigung einer Sorgfaltspflicht vorliegt, die den Eintritt eines Schadens nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen läßt. Sie erfordert, daß ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist (SSV-NF 6/61 ua).

Richtig ist, daß eine strafgerichtliche Verurteilung für sich allein für die Annahme grober Fahrlässigkeit nicht ausreicht. Für die hier relevante Unterscheidung zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ist aus dem in der Strafverfügung zugrunde gelegten Straftatbestand (§ 88 Abs 1 und 4, erster Fall StGB) nichts Unmittelbares zu gewinnen (10 ObS 39/98b). Die bedingte Strafnachsicht spricht entgegen der Auffassung der Beklagten allerdings nicht gegen das Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit. Zwar ist unter den mehreren Voraussetzungen einer bedingten Strafnachsicht auch der Grad der Schuld des Rechtsbrechers bei der Prüfung, ob die bloße Androhung der Vollziehung der Strafe genügen werde, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken, zu berücksichtigen (§ 43 Abs 1 StGB); doch ist die bedingte Strafnachsicht keineswegs auf Fahrlässigkeitsdelikte beschränkt, sondern auch bei Vorsatztaten möglich (Foregger/Kodek, StGB (MKK)6 Anm III zu § 43 mwN).

Der Unterschied zwischen leichter und grober Fahrlässigkeit ist rein maßlich und nur aus den Umständen des Einzelfalles ableitbar. Nicht jede Übertretung einer Unfallverhütungsvorschrift bedeutet bereits grobe Fahrlässigkeit. Für die Beurteilung des Verschuldens ist ein objektiver, jedoch nach Betriebshierachie typisierender Maßstab anzulegen. Entscheidende Kriterien sind nicht die Zahl der übertretenen Vorschriften, sondern die Schwere der Sorgfaltsverstöße und die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes. Dabei ist im wesentlichen zu prüfen, ob der Betreffende ganz einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat (Arb 10.087; SSV-NF 6/61, 8/122, 9/3, 9/9, 9/11, 9/12, 9/51; DRdA 1997/38 ua).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall läßt sowohl das Verhalten des Stapelfahrers als auch jenes des Klägers als grob fahrlässige Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften erscheinen. Beiden war aufgrund wiederkehrender Belehrungen bekannt, daß das Hochheben von Personen mit einem Gabelstapler grundsätzlich verboten ist; ein ausnahmsweises Hochheben war nur mit einem fest mit der Gabel verbundenen für die Personenbeförderung bestimmten Arbeitskorb gestattet. Daß die im vorliegenden Fall von den Genannten verwendete Holzpalette, die ausschließlich zum Sammeln von Folienabfällen bestimmt war, für den Zweck des Hochhebens einer Person mit einem Gabelstapler nicht nur gänzlich ungeeignet, sondern auch verboten war, war sowohl dem Stapelfahrer als auch dem Kläger bekannt. Die Ansicht der Revisionswerberin der Stapelfahrer hätte sich nur "nicht geweigert" den Kläger hochzuheben, man könne ihm daher nur "unangebrachte Folgsamkeit" vorwerfen, verkennt bzw verharmlost die Verantwortung und Stellung eines besonders geprüften Staplerfahrers und unterstellt überdies ein nicht gegebenes Anordnungsverhältnis des Klägers gegenüber dem Staplerfahrer. Der Staplerfahrer entscheidet aufgrund seiner Ausbildung und Prüfung über die Art des Gebrauches des Gabelstaplers. Die damalige Idee des Klägers, wie man den Gabelstapler nutzbringend einsetzen könnte, um zum Waggondach zu gelangen, hatte daher nicht den Charakter einer verbindlichen Anordnung, sondern bestenfalls einer Anregung.

Richtig hob das Berufungsgericht hervor, daß sich der Kläger anschickte, in einer Höhe von etwa 4 m über dem Boden Arbeiten zu verrichten, die den Einsatz einer Eisenstange (Beißer) mit erheblichem Kraftaufwand erforderten. Es liegt auf der Hand, daß diese Arbeiten einen besonders sicheren Stand des Klägers erfordert hätten, der auf einer gänzlich ungeeigneten Holzpalette (statt eines Personenkorbs) nicht gegeben war, sodaß der Absturz des Klägers nicht nur bloß möglich, sondern bereits wahrscheinlich und geradezu vorprogrammiert war. An den Staplerfahrer und den Kläger ist daher der Vorwurf zu erheben, daß sie auffallend sorglos agiert und dabei einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt haben. Die erwähnte Arbeitnehmerschutzvorschrift wurde daher von beiden Personen grob fahrlässig verletzt.

Für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften ist primär der Arbeitgeber verantwortlich. Jeder Arbeitsunfall, der sich im Betrieb des Arbeitgebers ereignet, und jede Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften sind, unfallversicherungsrechtlich betrachtet, im weitesten Sinn der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen. Es liegt im Verantwortungsbereich des Arbeitgebers, seinen Betrieb so zu organisieren, daß es zu keinen Gefahren für die in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliederten Arbeitnehmer kommt; der Arbeitgeber hat für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften zu sorgen (Windisch/Graetz in DRdA 1997/38, 323). Nicht nur die Übertretung der Arbeitnehmerschutzvorschriften durch Arbeitgeber und ihnen gleichgestellte Personen begründet den Anspruch auf Integritätsabgeltung, auch eine grob fahrlässige Übertretung durch andere Personen, insbesondere durch Arbeitskollegen des Versicherten, kann ihn auslösen (Reischauer in DRdA 1992, 317 ff [326, 329]).

Fällt nun aber einem Arbeitskollegen des Klägers eine grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zur Last, die der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen ist, so stellt sich die Frage, ob eine grobe Fahrlässigkeit - auch - des Verletzten selbst der Gewährung einer Integritätsabgeltung entgegensteht. Nach den schon erwähnten Gesetzesmaterialien wurde die Integritätsabgeltung mit der 48. ASVG-Novelle eingeführt, um eine dem Schmerzengeld und der Verunstaltungsentschädigung bzw dem Ersatz wegen Verhinderung des besseren Fortkommens verwandte Leistung zu schaffen, um Härtefälle, die der Haftungsausschluß des § 333 ASVG teilweise bewirken kann, zu supplieren (AB 1142 BlgNR 17. GP, 2). Dabei ist der Anspruch auf Integritätsabgeltung einerseits enger als es diesem Ziel entspricht, weil er auf Fälle beschränkt ist, in denen der Unfall auf eine grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zurückzuführen ist, andererseits weiter, weil er nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen diese Verletzung den genannten privilegierten Personen zur Last fällt. Der Anspruch auf Integritätsabgeltung ist danach viel näher im Bereich des Schadenersatzrechtes angesiedelt als sonstige Leistungen aus der Unfallversicherung, weil er im wesentlichen die Funktion bürgerlich-rechtlicher Schadenersatzsansprüche übernehmen soll. Diese sind jedoch auf den Fall des Fremdverschuldens beschränkt. Ausgehend von diesem Ziel, das der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgte, muß § 213a Abs 1 ASVG teleologisch dahin reduziert werden, daß Anspruch auf Integritätsabgeltung nur dann besteht, wenn eine vom Verletzten verschiedene Person eine grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu verantworten hat. Legt man diese Auslegung zugrunde, so steht § 1 Abs 2 Z 1 der Richtlinien ("Ein Anspruch auf Integritätsabgeltung besteht nicht, wenn der (die) Versehrte selbst grob fahrlässig durch Außerachtlassung von Arbeitnehmerschutzvorschriften den Versicherungsfall herbeigeführt hat") mit dem Gesetz in Einklang. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungsbestimmung (SSV-NF 9/51 = DRdA 1996/30 [Mosler]). Es kann nicht der Absicht des Gesetzes entsprechen, einem Arbeitnehmer, der sich ohne jedes Fremdverschulden verletzt, eine Integritätsabgeltung zu gewähren. Es wäre unverständlich, wollte man dem Arbeitnehmer, der sich grob fahrlässig selbst beschädigt, diesen Anspruch gewähren, nicht aber demjenigen, der sich selbst leicht fahrlässig verletzt (Reischauer aaO 325 f). Meisler/Widlar (SozSi 1991, 362 [364]) rechtfertigen den Leistungsausschluß zutreffend damit, daß bei (ausschließlichem) Eigenverschulden auch keine zivilrechtlichen Schadenersatzansprüche bestehen.

Zu berücksichtigen ist allerdings auch, daß der Anspruch auf Integritätsabgeltung, auch wenn er näher im Bereich des Schadenersatzrechtes angesiedelt ist als sonstige Leistungen aus der Unfallversicherung, dennoch ein Anspruch aus der Unfallversicherung ist. Eigenverschulden nimmt aber normalerweise Ansprüche aus der Unfallversicherung nicht aus (Reischauer aaO 326). Geldleistungen aus der Sozialversicherung gebühren generell auch bei Verschulden des Versicherten, wenn nicht eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles vorliegt und damit Verwirkung eintritt (§ 88 ASVG; vgl auch § 175 Abs 6 ASVG, wonach verbotswidriges Handeln die Annahme eines Arbeitsunfalles nicht ausschließt). Sieht man daher vom schon erwähnten Fall ab, daß ausschließlich dem Versicherten selbst eine grob fahrlässige Verletzung von Arbeitnehmerschutzvorschriften vorzuwerfen ist, ist es daher unerheblich, ob neben dem Schädiger auch der Versicherte selbst Arbeitnehmerschutzvorschriften grob fahrlässig mißachtet hat (Reischauer aaO 329; Mosler in DRdA 1996/30, 329). Es kann in diesem Zusammenhang auch auf § 334 Abs 3 ASVG verwiesen werden, der normiert, daß die Haftung des Dienstgebers bei Arbeitsunfällen gegenüber den Sozialversicherungsträgern durch ein Mitverschulden des Versicherten weder aufgehoben noch gemindert wird.