OGH vom 15.05.2019, 9ObA48/19b

OGH vom 15.05.2019, 9ObA48/19b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. ***** M*****, 2. ***** N*****, beide vertreten durch Dr. Alois Obereder, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 12.422,55 EUR brutto sA (erstklagende Partei) und 4.611,43 EUR brutto sA (zweitklagende Partei), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 69/18t-22, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 5 Cga 113/17y-17, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien binnen 14 Tagen die mit 1.292,50 EUR (darin 215,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die am ***** 10. 1966 geborene Erstklägerin und die am ***** 7. 1965 geborene Zweitklägerin stehen seit bzw in einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Auf ihre Dienstverhältnisse gelangte zu Beginn die bis geltende Bestimmung der Dienstordnung A für die Angestellten bei Sozialversicherungen Österreichs (DO.A) zur Anwendung. Diese normierte in § 40 Abs 2 DO.A, dass DienstnehmerInnen vor Vollendung des 16. Lebensjahres in die Bezugsstufe a, vor Vollendung des 17. Lebensjahres in die Bezugsstufe b und vor Vollendung des 18. Lebensjahres in die Bezugsstufe c einzustufen waren und in den Bezugsstufen a bis c vor Vollendung des 18. Lebensjahres zugebrachte Zeiten nicht als für die Einstufung in das Gehaltsschema anrechenbare Dienstzeiten galten. Davon waren auch die Klägerinnen betroffen. In der ab geltenden Fassung der DO.A (idF der 80. Änderung) wurde das Kriterium des Lebensalters durch das Kriterium der allgemeinen Schulpflicht ersetzt, für nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht vorliegende Zeiten, die im Rahmen der Einstellung nicht bereits angerechnet wurden (also für Zeiten vor dem 18. Lebensjahr), eine zusätzliche Anrechnungsmöglichkeit, ua betreffend Dienst- und Lehrzeiten in der Sozialversicherung vor dem 18. Lebensjahr, geschaffen und die Bezugsstufen a bis c ersatzlos gestrichen. Die unterste Einstufung ist nunmehr die Bezugsstufe 1, in der man fünf statt bisher zwei Jahre verbleibt. Die weiteren Vorrückungen erfolgen wie früher alle zwei Jahre.

Die Anträge der Klägerinnen vom 22. 2. bzw auf Neufestsetzung der Vordienstzeiten beantwortete die Beklagte dahin, dass sich keine Änderungen ergeben hätten.

Die Klägerinnen begehrten von der Beklagten aus Gründen einer Altersdiskriminierung die Zahlung der
– der Höhe nach nicht strittigen – Gehaltsdifferenzen, die sich aus der Berücksichtigung der bei der Beklagten jeweils vor Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegten Dienstzeiten, jedoch ohne die seit geltende Verlängerung der Bezugsstufe 1 auf fünf Jahre ergeben.

Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die seit 2011 bestehende Möglichkeit des Antrags auf Neufestsetzung der Dienstzeitfeststellung bereinige die Diskriminierung der alten Regelung. Die Neuregelung der Anrechnungsvorschriften und des Gehaltsschemas sei nicht diskriminierend und entspreche der Richtlinie 2000/78/EG.

Das Erst- und das Berufungsgericht gaben den beiden Klagebegehren statt, weil den Klägerinnen Dienstzeiten bloß aus Gründen ihres damaligen Alters nicht angerechnet worden seien. Die seit 2011 geltende 80. Änderung der DO.A habe zwar bewirkt, dass diese Vordienstzeiten nunmehr doch angerechnet würden, doch müssten Angestellte gleichzeitig nunmehr fünf statt zwei Jahre in der Bezugsstufe 1 verharren und es erfolge die Neufeststellung der Einstufung und des Zeitpunkts der Zeitvorrückung nur auf Antrag. Die diskriminierende Situation werde daher nur für zukünftige Angestellte beseitigt. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die Bestimmungen der § 13 und 40 DO.A idF der 80. Änderung dem Verbot der Diskriminierung wegen des Alters widersprächen.

Die Beklagte beantragt in ihrer dagegen gerichteten Revision die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerinnen beantragen, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a ZPO) – Zulassungsausspruch unzulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Beklagte bestreitet nicht, dass die Klägerinnen wegen des Alters diskriminiert wurden, weil ihnen (bei der Beklagten selbst zurückgelegte) Dienstzeiten bloß deswegen nicht als solche angerechnet wurden, weil sie zu diesem Zeitpunkt jeweils das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Dass dies eine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, ergibt sich schon aus der Entscheidung des , Hütter. Die Beklagte steht aber auf dem Standpunkt, dass diese Diskriminierung durch die 80. Änderung der DO.A beseitigt worden sei.

In der Rechtsprechung des EuGH ist die Unionsrechtswidrigkeit einer nationalen Regelung geklärt, die zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung vor dem vollendeten 18. Lebensjahr zurückgelegte Zeiten (doch) berücksichtigt, aber zugleich eine tatsächlich nur für Bedienstete, die Opfer dieser Diskriminierung sind, geltende Bestimmung enthält, die den für die Vorrückung erforderlichen Zeitraum verlängert und damit eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festschreibt (, Schmitzer;C-417/13, Starjakob). In Umsetzung dieser Rechtsprechung wurden vom Obersten Gerichtshof entsprechende Gehaltsdifferenzen zugesprochen (8 ObA 11/15y; s auch ).

Mit der 80. Änderung der DO.A wurde eine Bestimmung eingeführt, nach der die vom früheren System benachteiligten Bediensteten und die von diesem System begünstigten Bediensteten in Bezug auf ihre Einstufung in das Gehaltsschema und das entsprechende Gehalt insofern weiterhin unterschiedlich behandelt werden, als die vom (Alt-)System begünstigten Bediensteten keinen Antrag auf Neufestsetzung stellen müssen, die benachteiligten Bediensteten zwar einen solchen Antrag stellen können, dann aber länger in der Bezugsstufe 1 verharren. Nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH kann daher nicht fraglich sein, dass auch diese Regelung unionsrechtswidrig ist. Daran ändert auch nichts, dass die Regelung, wie die Beklagte vorbringt, den unter 18-Jährigen eine deutliche Gehaltserhöhung bringt und gänzlich neue Anrechnungsmöglichkeiten schafft, weil hier alleine dadurch die Fortschreibung der Diskriminierung der Klägerinnen nicht beseitigt wird. Die Beklagte hatte ihnen über ihren Antrag auch mitgeteilt, dass sich für sie keine Änderungen ergaben. Die Beklagte behauptet auch nicht, dass das Übergangsregime (§ 239 DO.A) so ausgestaltet ist, dass die Diskriminierung im Zeitverlauf beseitigt wird. Die Ausführungen der Revision, dass Dienstalter, Berufserfahrung und Beschäftigungsförderung, insbesondere auch jüngerer Personen, als beschäftigungs- und unternehmensbezogene Rechtfertigungsgründe anerkannt sind, erklären nicht, warum die Klägerinnen bei gleich langer Beschäftigungsdauer geringer als die vom Altsystem begünstigten Bediensteten entlohnt werden dürften.

Der Anregung der Revisionswerberin auf Unterbrechung des vorliegenden Verfahrens bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-24/17 Österreichischer Gewerkschaftsbund über das zu 9 ObA 141/15y gestellte Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (RS0131186) ist nicht nachzukommen. Der EuGH hat über dieses Vorabentscheidungsersuchen am entschieden. Aus dieser Entscheidung ist für den Rechtsstandpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen. Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO.

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00048.19B.0515.000

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.