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OGH vom 09.04.2019, 14Os24/19i

OGH vom 09.04.2019, 14Os24/19i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Mag. Binder in der Strafsache gegen Jürgen A***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom , GZ 16 Hv 23/18g-99, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – Jürgen A***** des Vergehens der dauernden Sachentziehung nach § 135 Abs 1 StGB (4), mehrerer Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (6), je eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (7) und des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 und 3 erster Fall StGB (8) sowie des Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 15, 207b Abs 3 StGB (9) schuldig erkannt.

Danach hat er in G*****

(4) am Marlene B***** dadurch geschädigt, dass er eine fremde bewegliche Sache, nämlich deren Handtasche aus ihrem Gewahrsam dauernd entzog, ohne diese sich oder einem Dritten zuzueignen;

(6) am im Anschluss an die zu Punkt 4 angeführte Handlung Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, und zwar den Führerschein, die Jahreskarte, die U*****Card, die ECard und eine Bonuskarte MILES MORE der Marlene B*****, mit dem Vorsatz unterdrückt zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden;

(7) in der Nacht zum Barbara Br***** mit Gewalt und durch Entziehung der persönlichen Freiheit zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er ihre Hände hinter dem Rücken mit Kabelbindern fixierte, wobei ihre Beine bereits gefesselt waren, ein Geschirrtuch in ihren Rachen schob, mit der Hand ihren Mund zuhielt, sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf sie legte und den Analverkehr an ihr vollzog;

(8) in der Nacht zum Barbara Br*****, die infolge übermäßigen Alkoholkonsums und der Einnahme von Medikamenten wehrlos und unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er seine Faust in deren Scheide einführte und sie anal penetrierte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich einen operativ zu versorgenden Vaginalriss und Hämatome im Afterbereich, zur Folge hatte;

(9) am die 16jährige Anja Ba***** unmittelbar durch ein Entgelt dazu zu verleiten versucht, eine geschlechtliche Handlung an ihm und von ihm an sich vornehmen zu lassen, indem er ihr für den oralen, analen und vaginalen Geschlechtsverkehr 100 Euro anbot, wobei es infolge Ablehnens durch das Tatopfer und Verhaftung des Angeklagten beim Versuch blieb.

Rechtliche Beurteilung

Nur gegen diese Schuldsprüche richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Sie ist nicht im Recht.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung der Anträge auf „Auswertung des gesamten SMS- und WhatsApp-Nachrichten-Verkehrs“ der vom Angeklagten im Tatzeitraum (zu den Schuldsprüchen 7 und 8) verwendeten Mobiltelefonnummer und auf Vernehmung der Polizeibeamtin Rosa W***** Verteidigungsrechte nicht verletzt.

Aus der erstangeführten Beweisaufnahme sollte sich nach dem Antragsvorbringen ergeben, „dass hinsichtlich sämtlicher sexuellen Praktiken (, die) zwischen den beiden (gemeint: dem Angeklagten und Br*****) gelaufen sind, dies einvernehmlich stattgefunden hat und einvernehmlich praktiziert und eben vorbesprochen wurde“ (ON 80 S 22 f). Inwieferne aus einem – der Sache nach unter Beweis zu stellenden – vorweg erteilten grundsätzlichen Einverständnis der Genannten zu bestimmten „sexuellen Praktiken“ verlässliche Rückschlüsse auf ihren (alleine relevanten) tataktuellen Willen (zu 8 zudem im Zustand der Diskretionsunfähigkeit; US 11 f) oder dessen Einschätzung durch den Beschwerdeführer möglich sein sollten, das beantragte Beweismittel also für die

Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung gewesen wäre (RISJustiz RS0118444), ließ sich dem Antrag jedoch nicht entnehmen. Davon abgesehen gingen die Tatrichter – auf Basis der Angaben des Angeklagten (ON 80 S 5) und des Tatopfers (ON 41 S 4) – ohnehin davon aus, dass es „diesbezüglich eine Art 'Vorspiel' per WhatsApp oder SMS“ gab (US 10; ON 80 S 23; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Gleiches gilt für das zum zweitangeführten Begehren genannte (den Schuldspruch 9 betreffende) Beweisthema, dass nämlich im Zuge einer freiwilligen Nachschau in der Wohnung des Angeklagten „nur einen Tag nach dessen Festnahme keine Kabelbinder gefunden wurden“ (ON 80 S 22), welches das Erstgericht ebenso als erwiesen ansah (ON 80 S 23). Im Übrigen ließ sich dem Begehren auch insoweit der

Konnex zur Schuld- oder Subsumtionsfrage nicht entnehmen.

Weitere in der Beschwerdeschrift zur

Antragsfundierung nachgetragene Ausführungen unterliegen dem Neuerungsverbot und sind daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618).

Die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) vermag nicht darzulegen, aus welchem Grund die Ableitung der Feststellungen zu den Schuldsprüchen 4 und 6 aus den Angaben der Zeugin Marlene B*****, nach denen sie ihre Handtasche samt den darin befindlichen Urkunden „beim Fortgehen verloren“ habe (ON 80 S 19), und der von den Tatrichtern als geständig beurteilten Verantwortung des Angeklagten, der eingangs der Hauptverhandlung angab, sich – abgesehen von den „Sittlichkeitsdelikten“ – „im Großen und Ganzen“ schuldig zu fühlen (ON 80 S 3 f; vgl auch die Sicherstellung der Urkunden ON 34), den Kriterien logischen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widersprechen sollte (RISJustiz RS0099413).

Unvollständigkeit der (Z 5 zweiter Fall) zufolge Unterbleibens einer Erörterung der, sein Geständnis im Folgenden (auf die Auffindung und „Zueignung“ der Brieftasche des Opfers) einschränkenden Einlassung des Beschwerdeführers (ON 80 S 4 und 20) oder deren aktenwidrige Wiedergabe im Urteil (Z 5 letzter Fall) wird nicht mit Bestimmtheit behauptet.

Der zunächst pauschal gegen die den Schuldsprüchen 7 und 8 zugrunde liegenden „Feststellungen auf Seiten 11 ff des Urteils“ erhobene Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) entzieht sich einer meritorischen Erwiderung, weil in der Hauptverhandlung vorgekommene, angeblich übergangene konkrete Verfahrensergebnisse nicht genannt, vielmehr bloß urteilsfremde allgemeine Überlegungen (vor allem zum Verhalten der Zeugin Br*****) angestellt werden (RISJustiz

RS0118316 [T1]).

Mit der Behauptung, die das objektive Tatgeschehen zum Schuldspruch 7 betreffenden Urteilsannahmen seien „schon aufgrund der tatsächlich möglichen Abfolge, psychischen Gegebenheiten und der vorliegenden Proportionen … lebensfremd und daher zu negieren“, zumal der Vorfall sich im Dezember 2014 zugetragen und (nach Angaben der genannten Zeugin) nur sieben Minuten gedauert habe, wird Nichtigkeit im Sinn der Z 5 nicht angesprochen.

Ob das Opfer durch die davon umfassten Tathandlungen Verletzungen erlitt, ist nicht entscheidend

(RIS-Justiz

RS0095232). Diesbezügliche Beweisergebnisse bedurften daher unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall keiner Erörterung.

Die den Vorwurf der Vergewaltigung leugnende Verantwortung des Angeklagten wurde im Urteil berücksichtigt und als widerlegt angesehen (US 13 f). Mit einzelnen Details daraus mussten sich die Tatrichter nicht gesondert auseinandersetzen

(RIS-Justiz

RS0098642 [T1]). Im Übrigen wurden die Geldschulden des Beschwerdeführers beim Tatopfer ohnehin erörtert (US 14).

Mit auf die angeführten – durchwegs unerheblichen – Umstände und das Nachtatverhalten des Opfers bezogenen, weitgehend ohne Aktenbezug angestellten Spekulationen versucht die Beschwerde bloß die Glaubwürdigkeit der Zeugin Br***** in Zweifel zu ziehen und bekämpft solcherart unzulässig die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (RISJustiz

RS0106588 [va T 15]).

„Widersprüchlichkeit“ der „Feststellungen“ wird ohne argumentatives Substrat behauptet.

Entgegen der Mängelrüge (erneut Z 5 zweiter Fall) zum Schuldspruch 8 haben die Tatrichter sowohl die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. K***** zum tataktuellen Zustand des Opfers als auch die diesbezügliche (Fehl)Einschätzung der Zeugen O***** und P***** (die Sanitäter, die die Zeugin Br***** unmittelbar nach dem sexuellen Missbrauch ins Universitätsklinikum G***** transportierten) berücksichtigt (US 15) und zudem in ihre Überlegungen einbezogen, dass die behandelnden Ärzte im Krankenhaus, „so etwa ... Dr. G*****“, (in der Krankengeschichte ON 60) den Alkoholisierungsgrad der Verletzten nicht einstuften (US 15). Dass sie daraus andere als die vom Beschwerdeführer gewünschten Schlüsse zogen, stellt den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nicht her.

Davon abgesehen stehen die von der Rüge aus den Krankenunterlagen abgeleiteten Umstände, dass Br***** nach ihrer Einlieferung ins Spital „klare Antworten gegeben, Vorkrankheiten geschildert, ihre Daten bekanntgegeben, Unterschriften geleistet“ und Sexualverkehr und „Fisting“ als Ursache ihrer Verletzungen im Genitalbereich genannt habe, nicht im erörterungsbedürftigen Widerspruch zur Annahme eines durch Alkohol- und Tablettenkonsum wehrlosen Zustands im Tatzeitpunkt, zumal das Erstgericht ohnehin davon ausging, dass die Genannte durch die Brutalität des Angriffs aus ihrem „Dämmerzustand“ erwachte (US 12).

Soweit mit dem Hinweis auf die – den Angaben im Aufnahmeprotokoll entgegenstehende – Behauptung der Zeugin Br*****, wonach sie sich „an keine Form des Geschlechtsverkehrs in dieser Nacht erinnern könne“ (ON 2 S 38), die Glaubwürdigkeit der Genannten unter dem Aspekt der Z 5 zweiter Fall in Zweifel gezogen werden soll,

stellt die Beschwerde demzufolge keinen Bezug zu den Feststellungen über entscheidende Tatsachen her. Ein solcher ist aber prozessuale Voraussetzung des Einwands der Unvollständigkeit bei der Beurteilung der Überzeugungskraft einer Aussage (RIS-Justiz

RS0119422 [T4]).

Indem die Rüge zum Schuldspruch 9 unter erneuter Berufung auf Z 5 zweiter Fall aus dem – im Urteil erörterten (US 14 f) – Chatverlauf zwischen dem Angeklagten und Anja Ba***** sowie deren – ohne Nennung der Fundstelle in den umfangreichen Akten zitierten (vgl aber RISJustiz

RS0124172) – Angaben den (rechtlichen) Schluss zieht, die „Anfrage“ des Angeklagten könne „maximal als straflose Vorbereitungshandlung … gewertet werden“, macht sie keinen Begründungsmangel geltend.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich in einer weitestgehend wörtlichen Wiederholung des Vorbringens der Mängelrüge und lässt solcherart den

wesensmäßigen Unterschied der einzelnen Nichtigkeitsgründe außer Acht (RIS-Justiz RS0115902). Sich aus den Akten ergebende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen werden damit nicht geweckt. Mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz wird Nichtigkeit aus Z 5a nicht dargetan (RISJustiz RS0102162).

Die (auf Z 9 lit a sowie – verfehlt – auch auf Z 10 gestützte) Forderung eines Freispruchs von den, den Schuldsprüchen 4, 6, 7 und 8 zugrundeliegenden Vorwürfen basiert auf den Prämissen der Mängel- und Tatsachenrüge und orientiert sich solcherart prozessordnungswidrig nicht am festgestellten Urteilssachverhalt (RISJustiz RS0099810).

Zum Schuldspruch 9 legt die Beschwerde nicht dar, aus welchem Grund das konstatierte schriftliche Anbot, dem Opfer für die Duldung von Oral-, Vaginal- und Analverkehr 100 Euro zu bezahlen (US 12), keine Ausführungshandlung des – hier aktuellen – Vergehens des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 207b Abs 3 StGB darstellen, dieses Verhalten vielmehr bloß deshalb als „straflose Vorbereitungshandlung“ zu beurteilen sein sollte, weil die Vollendung (durch zumindest begonnenen Versuch der geschlechtlichen Handlung) – nach dem Beschwerdestandpunkt – nicht an der Verhaftung des Angeklagten scheiterte, sondern unterblieb, weil dieser die Ablehnung durch das Tatopfer akzeptierte (vgl zum Ganzen Philipp in WK² StGB § 207b Rz 19; Hinterhofer, SbgK § 207b Rz 37 ff).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00024.19I.0409.000

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