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OGH vom 11.05.2005, 9ObA48/05g

OGH vom 11.05.2005, 9ObA48/05g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mario B*****, vertreten durch Dr. Ulrike Koller, Rechtsanwältin in Melk, gegen die beklagten Parteien 1. Franz F*****, und 2. W***** AG, ***** vertreten durch Mag. Ludwig Redtensteiner, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Ybbs, wegen Leistung und Feststellung (Gesamtstreitwert EUR 19.923,50 sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 168/04h-32, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 5 Cga 5/03v-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 1.170,18 (darin EUR 195,03 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu Handen des Beklagtenvertreters zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger erlitt im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit für die Zweitbeklagte am einen Arbeitsunfall, bei dem er sich dadurch erheblich verletzte, dass er mit dem rechten Arm in das Sägeblatt einer Kreissäge geriet.

Er begehrte nun von den Beklagten EUR 17.923,50 an Schmerzengeld, Verdienstentgang, unfallkausalen Nebenspesen und Kosten einer Pflegeperson sowie die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden aus dem Unfall. Er brachte im Wesentlichen vor, die schadensverursachende Säge sei mit einer sich automatisch öffnenden und schließenden Schutzabdeckung ausgestattet gewesen. Die Zweitbeklagte habe die Weisung erteilt, diese Schutzeinrichtung durch Einklemmen von zwei Holzlatten außer Betrieb zu setzen, damit auf der Maschine schneller gearbeitet werden könne. Vor dem Unfall habe der Erstbeklagte durch Einklemmen von zwei Holzlatten die Abdeckung außer Betrieb gesetzt.

Die Beklagten wandten dagegen im Wesentlichen ein, das Alleinverschulden am Unfall treffe den Kläger, der entgegen den ihm erteilten Weisungen bei der Entfernung von Schneideabfällen unachtsam vorgegangen sei. Die Abdeckung sei lediglich als Lärmschutzeinrichtung installiert worden und nicht zu Schutz vor einem Kontakt mit dem Sägeblatt. Im Übrigen hätte die Schutzabdeckung beim Entfernen von Schnittabfällen jedenfalls hochgehoben werden müssen. Weder habe der Erstbeklagte den Lärmschutz außer Betrieb gesetzt, noch habe die Zweitbeklagte diesbezüglich Weisungen an ihre Dienstnehmer erteilt. Eine Haftung der Zweitbeklagten käme auch wegen § 333 ASVG nicht in Betracht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte unter anderem fest, dass die Säge ursprünglich nicht mit der fraglichen Abdeckung versehen gewesen sei. Eine solche sei auch nicht vorgeschrieben gewesen. Sie sei erst später wegen des großen Lärms aus Schallschutzgründen installiert worden. Der Kläger sei am ersten Arbeitstag von einem Mitarbeiter der Zweitbeklagten mit der Maschine vertraut gemacht worden. Dabei sei er insbesondere darauf hingewiesen worden, allfälligen Schneideabfall mit einer Luftdruckpistole abzublasen bzw größere Abfallstücke mit der Verlängerung der Luftdruckpistole wegzuschieben. An den Arbeitstagen vor dem Unfall sei die Vorrichtung während der Arbeit des Klägers nicht hinaufgespreizt gewesen. Der Kläger habe auf Nachfrage erklärt, dass beim Arbeiten an der Maschine alles in Ordnung sei. Sowohl vor dem Unfall als auch am nächsten Tag sei das Verlängerungsstück an der Luftdruckpistole montiert gewesen. Bei Arbeitsbeginn des Klägers am Unfalltag sei die Lärmschutzvorrichtung nicht hinaufgespreizt gewesen, auch nicht bei einer Kontrolle am Nachmittag. Ob der Kläger oder jemand anderer die Vorrichtung vor dem Unfall hinaufgespreizt hat, könne nicht festgestellt werden. Zum Unfall sei es dadurch gekommen, dass der Kläger ein Abfallstück entfernen wollte, dazu jedoch nicht die Luftdruckpistole bzw deren Verlängerung verwendet habe, sondern versucht habe, das Stück mit der rechten Hand zu entfernen. Dabei sei sein Handschuh und in der Folge seine Hand vom Sägeblatt erfasst worden. Den Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall, da er entgegen den Anweisungen das Abfallstück nicht mit der dafür vorgesehenen Luftdruckpistole mit Verlängerungsrohr, sondern mit der Hand während des Schneidevorgangs beseitigen habe wollen. Das Hochspreizen der Abdeckung sei nicht kausal und rechtlich irrelevant, weil sie zum Entfernen von Schnittabfällen jedenfalls hochgehoben werden müsse.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die Revision für zulässig. Es erachtete die Beweisrüge des Klägers teilweise als nicht gesetzmäßig ausgeführt. Weitere Teile der Beweisrüge erledigte es aus rechtlichen Gründen nicht, weil die entsprechenden Tatsachen rechtlich irrelevant seien. Unbekämpft sei jedenfalls festgestellt worden, dass der Kläger unterwiesen worden sei, zum Entfernen der Abfälle die Luftdruckpistole als Stock zu benützen und nie mit dem Handschuh in die Höhe der Säge zu greifen; ein Verbot des Greifens in laufende Maschinen ergebe sich auch aus einer dem Kläger übergebenen Unterlage. Aus rechtlichen Gründen könne dahingestellt bleiben, ob die Bedenken des Klägers gegen die zentralen Feststellungen des Erstgerichts zutreffend seien. Ein Verstoß gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften liege nicht vor. Gemäß § 35 Abs 1 ASchG dürften Arbeitsmittel nur mit dem für die verschiedenen Verwendungszwecke „vorgesehenen" Schutz- und Sicherheitsvorrichtungen benutzt werden. Damit seien jedoch nur die gesetzlich vorgeschriebenen, nicht aber allenfalls darüber hinaus vorhandene Schutzeinrichtungen gemeint. Es wäre nicht zu vertreten, einem Arbeitgeber rechtswidriges Handeln vorzuwerfen, der zusätzliche (nicht vorgeschriebene) Schutzmaßnahmen installiert und sie im Einzelfall oder ganz außer Kraft setzt, wenn doch jenem Arbeitgeber nichts vorzuwerfen wäre, der derartige zusätzliche Einrichtungen gar nicht schafft und die Maschine im ursprünglichen (gesetzeskonformen) Zustand belässt. Auch das in § 15 Abs 3 ASchG enthaltene Verbot, Schutzvorrichtungen zu entfernen, außer zu Betrieb zu setzen, zu verändern oder umzustellen, könne sich nur auf vorgeschriebene Schutzvorrichtungen beziehen. Auch bei dieser Regelung gehe es dem Gesetzgeber um die Sicherstellung der Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, nicht aber um die Pönalisierung der Außerkraftsetzung nicht vorgeschriebener Schutzvorrichtungen. Die Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob auch die Außerkraftsetzung nicht vorgeschriebener Schutzvorrichtungen nach dem Arbeitnehmerschutzrecht rechtswidriges Handeln bedeute, nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der nicht bindenden Auffassung des Berufungsgerichts erweist sich die Revision des Klägers mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig. Eine Haftung der Beklagten kommt nämlich unabhängig davon nicht in Betracht, ob ein gesetzliches Verbot anzunehmen wäre, auch nicht vorgeschriebene Schutzeinrichtungen außer Kraft zu setzen bzw in ihrer Funktion zu beeinträchtigen.

Die Zweitbeklagte hat sich bereits im Verfahren erster Instanz auf § 333 ASVG berufen, der eine Haftung des Dienstgebers für Körperschäden eines Dienstnehmers auf die Fälle vorsätzlicher Schadenszufügung beschränkt (zuletzt wbl 2005, 185). Da ein Vorsatz der maßgeblichen Repräsentanten der Zweitbeklagten, dem Kläger die erlittene Verletzung zuzufügen (zutreffenderweise) nicht einmal behauptet wurde, scheidet eine Haftung der Zweitbeklagten jedenfalls aus.

Unabdingbare Voraussetzung für eine Haftung des Erstbeklagten wäre, dass gerade er eine der Verhinderung einschlägiger Unfälle dienende Schutzvorrichtung außer Kraft gesetzt hätte. Das Erstgericht hat dazu festgestellt, dass die Vorrichtung am Unfallstag bei Arbeitsbeginn des Klägers - und auch im späteren Verlauf der Arbeit - nicht hochgespreizt war; es konnte nicht feststellen, wer vor dem Unfall die Vorrichtung außer Kraft gesetzt hatte.

Der Kläger bekämpfte in der Berufung diese Feststellungen zwar ersichtlich und begehrte stattdessen die Feststellung, dass der Erstbeklagte die Vorrichtung außer Kraft gesetzt hätte, doch erweist sich seine Berufung insoweit als nicht gesetzmäßig ausgeführt, was auch vom Revisionsgericht zu berücksichtigen ist. Nach ganz herrschender Auffassung (vgl dazu nur die Nachweise bei Kodek in Rechberger² § 471 ZPO Rz 8) muss der Berufungswerber nicht nur nachvollziehbar ausführen, welche Tatsachenfeststellungen er bekämpfen will und welche gegenteiligen Feststellungen er stattdessen anstrebt, er hat insbesondere auch darzulegen, aufgrund welcher Beweisergebnisse die von ihm gewünschten Feststellungen seiner Ansicht nach zu treffen gewesen wären. Zur Frage des Außerkraftsetzens der Schutzvorrichtung am Unfallstag, verweist der Kläger in seiner Berufung darauf, dass bei Bearbeitung „normaler" Profile stets mit hochgespreizter Schutzvorrichtung gearbeitet worden sei und ausschließlich bei großer Lärmentwicklung anlässlich der Bearbeitung von größeren Sonderprofilen die Schutzvorrichtung eingesetzt worden sei, wobei dies von „allen Arbeitern" so gehandhabt worden wäre, lässt jedoch jeglichen Hinweis auf Ergebnisse des Beweisverfahrens vermissen, aus denen sich ergebe, dass gerade der Erstbeklagte vor Arbeitsbeginn des Klägers die Schutzvorrichtung außer Funktion gesetzt hätte. Mangels gesetzmäßiger Ausführung der Beweisrüge konnte daher das Berufungsgericht die vom Revisionswerber angestrebte Feststellung, gerade der Erstbeklagte habe die Schutzvorrichtung außer Funktion gesetzt, nicht treffen.

Nach der Darstellung des Klägers in seiner Berufung wurde die Vorrichtung generell ausschließlich zur Lärmverringerung bei der (seltenen) besonders lauten Bearbeitung von „Spezialprofilen" eingesetzt. Die weitere Behauptung, die Zweitbeklagte habe die generelle Weisung erteilt, die Vorrichtung (sonst) außer Betrieb zu setzen, macht deutlich, dass auch aus der Sicht des Klägers den Beschäftigten die Abdeckung als reine Lärmschutzvorrichtung dargestellt wurde. Dem Erstbeklagten könnte daher keinesfalls ein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn auch er den Einsatz der Vorrichtung auf diese Funktion beschränkt haben sollte, zumal weitere Schutzmaßnahmen gesetzlich nicht geboten waren. Der Kläger macht auch nicht geltend, der Unfall wäre deshalb geschehen, weil er auf das Vorhandensein über die gesetzlichen Erfordernisse hinausgehender Schutzeinrichtungen vertraut hätte; er gab in seiner Aussage als Partei (AS 51) vielmehr an, er habe nicht gewusst, welche Funktion die Abdeckung habe.

Damit kommt den in der Revision angesprochenen Rechtsfragen keine entscheidungserhebliche Bedeutung zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 2 ASGG, 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, sodass ihnen der Ersatz ihres zur Rechtsverteidigung zweckmäßigen Schriftsatzes gebührt.