OGH vom 14.02.2017, 19Ob3/16d

OGH vom 14.02.2017, 19Ob3/16d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer sowie die Anwaltsrichter Dr. Buresch und Dr. Klaar als weitere Richter in der Anrechnungssache der Antragstellerin Mag. Y*****, über die Berufung der Antragstellerin gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) vom , GZ 7523/2015, nach mündlicher Verhandlung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die Berufungswerberin hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit dem angefochtenen Bescheid vom wies der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum) den Antrag der Berufungswerberin vom auf Anrechnung von Zeiten der praktischen Verwendung als Leiterin der Stabsstelle Recht der Verkehrsverbund Ost-Region (VOR) Gesellschaft m.b.H. (im Folgenden „VOR“) im Zeitraum vom bis ab. Der Ausschuss begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der VOR nicht als Verwaltungsbehörde im Sinne der bisherigen Spruchpraxis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (OBDK) und des Verfassungsgerichtshofs qualifiziert werden könne.

Die seit dem geltende neue Bestimmung des § 2 Abs 3 Z 3 RAO, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch eine „sonstige praktische rechtsberufliche Tätigkeit“ anrechenbar sei, könne nach dem eindeutigen Wortlaut der Übergangsbestimmung des § 60 Abs 1 RAO nur auf praktische Verwendungen angewendet werden, die nach dem begonnen worden seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Berufung der Antragstellerin ist nicht berechtigt.

Von der Berufungswerberin werden folgende Punkte in den Vordergrund gestellt:

– Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien verletze das Gleichheitsgebot des Art 7 B-VG, indem er die Berufungswerberin im Verhältnis zu anderen Anrechnungswerbern, die vergleichbare Tätigkeiten bei Verwaltungsbehörden ausgeführt haben, ohne sachliche Rechtfertigung schlechter stelle; der VOR sei inhaltlich als Verwaltungsbehörde zu qualifizieren;

– das Aufgabengebiet der Berufungswerberin beim VOR habe Tätigkeiten umfasst, die denen gleichwertig seien, die ein Rechtsanwalt verrichte, insbesondere im Vergaberecht; die Tätigkeit der Berufungswerberin in Vergabesachen sei unter Aufsicht eines Rechtsanwalts erfolgt;

– der vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien in der vor dem geltenden Fassung herangezogene § 2 Abs 3 Z 3 RAO habe einen gleichheitswidrigen Inhalt, weshalb der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien eine Anrechenbarkeit nach dieser Bestimmung nicht geprüft habe;

– die vom Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien zur Begründung herangezogene Vorjudikatur sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Dazu wurde erwogen:

1. Gemäß § 2 Abs 1 RAO in der im Zeitraum von bis anwendbaren Fassung kann die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung „außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater“ bestehen.

1.1. Mit dem insoweit mit in Kraft getretenen Bundesgesetz BGBl I 2015/156 wurde § 2 Abs 3 RAO um eine Z 3 dahin ergänzt, dass auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, auch „eine sonstige praktische rechtsberufliche Tätigkeit im In- oder Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen und sie unter der Verantwortung einer entsprechend qualifizierten Person oder Stelle erfolgt ist“ anzurechnen ist.

1.2. Weiters wurden dem § 2 Abs 3 RAO mit dieser Novelle folgende Sätze angefügt: „Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer hat Leitlinien dazu zu beschließen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Ausmaß praktische Verwendungen im Sinn der Z 2 und 3 angerechnet werden; diese Leitlinien haben insbesondere auch Angaben dazu enthalten, welche Anforderungen von jener Stelle oder Person, bei der die praktische Verwendung absolviert oder von der diese überwacht wird, zu erfüllen und in welcher Form die erforderlichen Nachweise über Art und Inhalt der praktischen Verwendung zu erbringen sind. Die Leitlinien sind auf der Website der Rechtsanwaltskammer zu veröffentlichen und dort dauerhaft bereitzustellen.

1.3. Nach der Übergangsbestimmung des § 60 Abs 1 RAO tritt diese Neufassung von § 2 Abs 3 RAO mit in Kraft. „§ 2 Abs 3 Z 3 RAO ist auf praktische Verwendungen anzuwenden, die nach dem begonnen worden sind.

2. Nach der älteren Judikatur der OBDK (etwa Bkv 6/90, AnwBl 1991, 563) war die Aufzählung des § 2 Abs 1 RAO eine taxative; die Bestimmung war einer extensiven Interpretation nicht zugängig.

2.1. Nach Bkv 6/89 (AnwBl 1991, 649) ist die Tätigkeit bei einer Verwaltungsbehörde nicht nur anrechenbar, wenn sie in der Hoheitsverwaltung vorgenommen wurde, sondern unter der Voraussetzung ihrer Dienlichkeit auch dann, wenn sie in der Privatwirtschaftsverwaltung einer Behörde ausgeübt worden ist. Verwaltungsbehörde ist allerdings nur ein Organ, das mit Zwangsgewalt ausgestattet ist, wenn es auch nicht erforderlich ist, dass es ausschließlich Zwangsakte setzt (in diesem Sinn auch etwa Bkv 2/90 und Bkv 9/91).

In Fortentwicklung dieser Rechtsprechung war auch eine rechtsberufliche Tätigkeit bei der Zivildienstverwaltungs-GmbH, einem „beliehenen Unternehmen“, welchem gemäß § 54a ZDG vom BMI Aufgaben der Zivildienstverwaltung übertragen worden waren, anrechenbar. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Tätigkeit des damaligen Beschwerdeführers in der Zivildienstverwaltungs-GmbH dieselbe gewesen sei wie als Beamter oder sonst Zugeteilter einer Verwaltungsbehörde, nämlich Bescheide in Zivildienstangelegenheiten zu verfassen und zu unterfertigen sowie Bescheide von Sachbearbeitern zu approbieren (Bkv 3/05, AnwBl 2006, 398).

2.2. In dem in der Berufung zitierten Erkenntnis vom , B 381/93, VfSlg 13.560, vertrat der VfGH die Auffassung, dass die Tätigkeit als juristischer Mitarbeiter eines Landesvolksanwalts als Ersatzzeit anrechenbar sei, weil der Begriff der Verwaltungsbehörde nicht „formell-organisatorisch“ zu interpretieren sei, sondern lediglich darauf abzustellen sei „inwieweit eine im weitesten Sinne als Verwaltungsbehörde aufzufassende Institution geeignet ist, den dort tätigen Juristen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich sind“.

Unter Bezugnahme auf dieses Erkenntnis vertrat der VfGH in seinem Erkenntnis vom , B 1962/94, VfSlg 14.305, die Auffassung, dass bei verfassungskonformer Interpretation von § 2 Abs 1 RAO eine rechtsberufliche Tätigkeit bei Kammern und Sozialversicherungsträgern nicht generell unberücksichtigt bleiben könne, sondern in jedem Einzelfall eine konkrete Beurteilung zu erfolgen habe, ob die ausgeübte Tätigkeit für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs dienlich sei.

Hingegen hat der VfGH wiederholt ausgesprochen, dass keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, die in der Rechtsabteilung eines privaten Unternehmens verbrachten Zeiten nicht als Ersatzzeiten im Sinne des § 2 Abs 1 RAO zu berücksichtigen (etwa , B 68/94).

2.3. Auch nach ständiger Rechtsprechung der OBDK war eine Tätigkeit in der Rechtsabteilung eines privatrechtlich organisierten Unternehmens, mag sie auch für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen sein, nicht anrechenbar (etwa Bkv 5/93, AnwBl 1994, 529; Bkv 5/95, AnwBl 1996, 701). Nicht anerkannt wurden zuletzt etwa Tätigkeiten bei der ÖBB Immobilienmanagement GmbH (OBDK Bkv 3/09 [, VfSlg 19.458]) bzw eine Tätigkeit als stellvertretender Leiter des Stabes Unternehmensrecht bei der Eisenbahn-Hochleistungs-AG bzw bei der ÖBB-Infrastruktur Bau AG (Bkv 4/12).

2.4. In seinem zuletzt zu dieser Thematik ergangenen Erkenntnis vom , B 204/11, VfSlg 19.537, entschied der VfGH, dass eine Tätigkeit beim ÖGB nicht anrechenbar sei, weil es sich beim ÖGB im Gegensatz zur Arbeiterkammer, einer Körperschaft öffentlichen Rechts, um eine auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvertretung der Arbeitnehmerschaft und somit um eine rein private Einrichtung handle. Auch aus dem Umstand der Kollektivvertragsfähigkeit des ÖGB könne keine Qualifikation als Verwaltungsbehörde abgeleitet werden.

3. Auch der VOR ist keine Verwaltungsbehörde im weitesten Sinn:

3.1. Nach § 4 ÖPNRV-G 1999 sind Verkehrsverbünde „Kooperationsformen von Verkehrsunternehmen zur Optimierung des Gesamtangebotes des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs im Interesse der Sicherstellung der Benutzung unterschiedlicher öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund eines Gemeinschaftstarifes“. Zur organisatorischen Umsetzung der im Zusammenhang mit Verkehrsverbünden wahrzunehmenden Aufgaben der Gebietskörperschaften und zur Umsetzung der von den Verkehrsunternehmen im Rahmen ihrer Kooperation nicht oder nur unzureichend wahrnehmbaren oder wahrgenommenen Aufgaben ist für jeden Verkehrsverbundraum eine Verkehrsverbundorganisations-gesellschaft einzurichten (§ 17 Abs 1 ÖPNRV-G 1999). Aufgaben einer Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft sind nach § 18 Abs 1 ÖPNRV-G 1999 insbesondere:

1. Rahmenvorgaben für die Festsetzung, Entwicklung oder Weiterentwicklung sowie die Umsetzung des Verbundregelbeförderungspreises.

2. Koordination der Bestellung (Auferlegung) von Verkehrsdiensten.

3. Kontrolle der Erfüllung der Qualitätskriterien gemäß § 31 sowie der Einhaltung der Bestimmungen von Verkehrsdienstverträgen.

4. Ausübung verbundspezifischer Marketing- und Vertriebstätigkeiten.

5. Verbundspezifische Kundeninformation.

6. Schlichtungs- und Clearingstelle für die Abrechnung und Zuscheidung der Erlöse einschließlich Schüler- und Lehrlingsfreifahrt. Gegebenenfalls im Auftrag der Verkehrsunternehmen Abrechnung unternehmens-übergreifender Verbundtarife und sonstiger Erlöse.

7. Vorschlag an die Gebietskörperschaften für Nah- und Regionalverkehrsplanung gemäß § 11.

8. Über Auftrag von Gebietskörperschaften oder Dritten Einzelplanungen für den Abschluß von Verkehrdienstverträgen (Bestellungen) einschließlich Kosten- und Erlösschätzung.

9. Abwicklung von Verkehrsdienstverträgen, Bestellung von Verkehrsdienstleistungen im Kraftfahrlinienverkehr sowie Ausschreibungsverfahren im Auftrag von Gebietskörperschaften oder von Dritten.

10. Anhörung bei Konzessionsvergaben gemäß § 5 Abs. 1 Z 9 des Kraftfahrliniengesetzes und des Eisenbahngesetzes 1957, BGBl. Nr. 60, soweit es sich um streckenbezogene Konzessionen handelt.

11. Maßnahmen im Zusammenhang mit Parallelverkehren gemäß den Bestimmungen des Abschnittes III.

3.2. Nach den §§ 20, 21 ÖPNRV-G 1999 ist die Verkehrsverbundorganisationsgesellschaft berechtigt, im Zusammenhang mit verkehrspolitisch nicht notwendigen Parallelführungen von Kraftfahrlinien Abschlagszahlungen für die daran beteiligten Kraftfahrlinienunternehmen festzulegen. Diese Festlegung erfolgt jedoch nicht durch Vorschreibung in Bescheidform. Vielmehr hat das Unterbleiben der Abschlagszahlung trotz zweimaliger Aufforderung lediglich die (wirtschaftliche) Folge, dass Zahlungen für verbundbedingte Fahrpreisersätze an das Unternehmen einzustellen sind (§ 21 Abs 4 ÖPNRV-G 1999).

3.3. Der VOR hat daher in erster Linie Planungs- und Koordinationsaufgaben wahrzunehmen und ist mit keinerlei Hoheitsgewalt, insbesondere nicht der Befugnis zur Bescheiderlassung ausgestattet.

3.4. Auch wenn die Koordinierung des öffentlichen Personennah- und Regionalverkehrs zweifellos im öffentlichen Interesse gelegen ist, hat die Berufungswerberin als Leiterin der Stabsstelle Recht des VOR nach ihrem Vorbringen dort keine andere Tätigkeit ausgeübt als eine Mitarbeiterin der Rechtsabteilung eines privaten Unternehmens, nämlich die Verfassung und Überprüfung von Verträgen und die Beratung der Geschäftsführung in Rechtsangelegenheiten, insbesondere im Vergaberecht.

3.5. Selbst wenn die nach dem Vorbringen ausgeübte Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, könnte sie nach der hier noch anzuwendenden Rechtslage nicht allein deshalb als Ersatzzeit angerechnet werden, weil sie bei einem Unternehmen geleistet wurde, dessen Gesellschafter Körperschaften öffentlichen Rechts (wie im vorliegenden Fall die Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland) sind und nicht private Rechtsträger.

3.6. Wie die unter 2. dargestellte Rechtsprechung zeigt, stellt die hier gemäß § 60 RAO anzuwendende Rechtslage für die Anrechnung einer bei einer Verwaltungsbehörde verbrachten Zeit als Ersatz im Grunde auf eine hoheitliche Tätigkeit – in Abgrenzung von einer Tätigkeit in einem privatrechtlich organisierten und tätigen Unternehmen ab. Es sind folglich nicht nur Verwaltungsbehörden im engeren Sinn, sondern auch jene Institutionen, die wegen ihrer historischen Einrichtung in besonderer Organisationsform, etwa die grundsätzlich mit Zwangsmitgliedsschaft verknüpften und zu juristischen Person erhobenen Personenmehrheiten in Form der Personalkörperschaften (Kammern und Sozial-versicherungsträger) und die gesetzlich eingerichteten Kontrolleinrichtungen (wie die nach Art 148a ff B-VG und in den Landesverfassungen eingerichteten Volksanwaltschaften) im Zusammenspiel mit ihrem Anteil an der Hoheitsverwaltung (vgl zur Selbstverwaltung Schragel, AHG³ Rz 20 f; zur Volksanwaltschaft Schragel, AHG³ Rz 89) als „Verwaltungsbehörde im weitesten Sinn, die geeignet ist, den dort tätigen Juristen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln, die für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich sind“ gemäß § 2 Abs 1 RAO in der im hier maßgeblichen Zeitraum anwendbaren Fassung anzusehen. Auch wenn zu diesen Einrichtungen noch – und zwar nur wegen der von ihnen hoheitlich zu vollziehenden Aufgaben – privatrechtlich organisierte Rechtsträger zählen können, die aber wegen ihrer Ausstattung mit hoheitlichen Befugnissen als Organ im Sinne des AHG anzusehen sind (RIS-Justiz RS0124590), fallen selbst bei nicht streng formell-organisatorischer Interpretation des in § 2 Abs 1 RAO verwendeten Begriffs „Verwaltungsbehörde“ juristische Personen des Privatrechts ohne hoheitliche Befugnisse und Anteil an der Hoheitsverwaltung nicht mehr darunter.

Eine solche Abgrenzung liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der erkennbar die Erweiterung der Anrechenbarkeit eng verstanden hat.

4. Der Oberste Gerichtshof teilt auch nicht die von der Berufungswerberin vorgetragenen Bedenken, dass die Übergangsregelung des § 60 RAO wegen Fehlens einer rückwirkenden Anrechnung gleichheitswidrig sei.

4.1. Gemäß der ab geltenden Neuregelung des § 2 Abs 3 RAO haben die Rechtsanwaltskammern Leitlinien über die Voraussetzungen für die Anrechenbarkeit praktischer Verwendungen zu beschließen und auf ihrer Website nicht nur zu veröffentlichen, sondern dort auch dauerhaft bereitzustellen. Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 901 BlgNR 25. GP 15) soll diese Regelung den Betroffenen eine entsprechende Planbarkeit ihrer praktischen Ausbildung gewährleisten, wobei insbesondere auch ältere Fassungen der Leitlinien weiterhin abrufbar gehalten werden müssen, um den Betroffenen eine verlässliche Beurteilung zu ermöglichen, welche Fassung in ihrem konkreten Fall zur Anwendung gelangt.

4.2. Dieser Grundgedanke der besseren Planbarkeit der Ausbildung ist im Sinne der Rechtssicherheit sachgerecht. Ein schützenswertes Vertrauen der Berufungswerberin könnte unter Umständen durch die rückwirkende Anordnung strengerer Anrechnungskriterien verletzt werden, nicht aber durch die Unterlassung einer rückwirkenden Anordnung von Erleichterungen.

5. Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Berufungswerberin die Anforderungen gemäß den nun von der Rechtsanwaltskammer Wien veröffentlichten Leitlinien (abrufbar unter www.rakwien.at im Bereich Formulare/Rechtsanwaltsanwärterinnen und Rechts-anwaltsanwärter und Kanzleiangestellte) nicht erfüllt:

Gemäß Ziffer 3.3 dieser Leitlinien ist Voraussetzung für die Dienlichkeit des Berufspraktikums unter anderem, dass die Ausbildung unter Anleitung und kontinuierlicher Überwachung eines nach Ziffer 4 dieser Leitlinien qualifizierten für die Ausbildung Verantwortlichen erfolgt (im Wesentlichen durch Personen, die zum Zeitpunkt der Ausbildung oder davor als Rechtsanwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater tätig waren, die Zulassungsvoraussetzungen für einen dieser Berufe erfüllen, über eine vergleichbare juristische Berufsausbildung und Berufserfahrung verfügen oder auch durch Dozenten oder Professoren einer Rechtswissenschaftlichen Fakultät oder eines rechtswissenschaftlichen Instituts). Die nach dem Berufungsvorbringen bloß mittelbar „unter Verantwortung der Länder“ erfolgte Beaufsichtigung der Berufungswerberin kann diese geforderte Qualifikation nicht ersetzen.

Auch die behauptete Kontrolle ihrer Tätigkeit durch eine auf Vergaberechtsangelegenheiten spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei würde zu keinem anderen Ergebnis führen. Zum einen besteht die Tätigkeit eines Rechtsanwalts typischerweise in der Beratung und Vertretung, nicht aber in der Ausbildung der Mitarbeiter des Mandanten. Zum anderen fehlt bei einem Mandatsvertrag mit einem Rechtsanwalt die gerade für ein Ausbildungsverhältnis charakteristische Disziplinargewalt und Anordnungsbefugnis über den Mitarbeiter des Mandanten.

6. Der Berufung ist daher der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch, dass die Berufungswerberin ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen hat, beruht auf der Einseitigkeit des Verfahrens (vgl § 78 Abs 2 AußStrG).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0190OB00003.16D.0214.000
Schlagworte:
Standes- und Disziplinarrecht

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