VfGH vom 03.10.1994, b530/94

VfGH vom 03.10.1994, b530/94

Sammlungsnummer

13889

Leitsatz

Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch denkunmögliche Auslegung einer Bestimmung der WandergewerbeV bei Feststellung des Fehlens der Voraussetzungen für die Ausübung des Gewerbes der Viehschneider mangels eines geeigneten Befähigungsnachweises durch Vorlage einer amtstierärztlichen Bestätigung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsausübungsfreiheit verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer hat am das gebundene Gewerbe der Viehschneider (§103 Abs 1 litb Z 50 GewO 1973 in der damals geltenden Fassung vor der GewO-Novelle 1992, BGBl. 29/1993) angemeldet. Dabei berief er sich zum Nachweis seiner fachlichen Befähigung - für diese ist (gem. § 375 Abs 1 Z 24 GewO 1973 in der genannten Fassung iVm dem dort verwiesenen § 5 Abs 3 der Verordnung BGBl. 103/1924) neben dem Nachweis, daß sich der Bewerber nach Erlernung des Berufs in diesem "angemessene Zeit unter Aufsicht zufriedenstellend betätigt" hat, auch eine amtstierärztliche Bestätigung darüber erforderlich, daß der Bewerber mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen gehörig vertraut ist - ua. auf eine am in Anwesenheit des Amtstierarztes durchgeführte Demonstration (Kastrierung bzw. Sterilisierung zweier Eber, eines Hengstes, eines Stieres und eines weiblichen Kalbes).

Über diese Demonstration wurde vom Amtstierarzt, der eine Videoaufzeichnung vorgenommen hatte, trotz mehrfacher Urgenzen seitens des nunmehrigen Beschwerdeführers wie auch der Gewerbebehörde eine Bestätigung nicht erteilt. In einer Stellungnahme vom vertrat der Amtstierarzt die Auffassung, daß für den Viehschnitt (abgesehen von jenem weiblicher Rinder) schmerzausschließende Maßnahmen erforderlich seien (er vermutete die Verwendung zweier bestimmter derartiger Substanzen) und zu prüfen wäre, ob dafür geeignete Medikamente von einem Viehschneider legal besorgt werden dürfen. Ohne mit einem Wort auf die Frage einzugehen, ob bei der Demonstration die Vertrautheit mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen nachgewiesen werden konnte, kommt die amtstierärztliche Stellungnahme zum Ergebnis: "Eine positive amtstierärztliche Bestätigung im Sinne der Wandergewerbeverordnung kann daher für den Bewilligungswerber nur für die beim Viehschnitt weiblicher Rinder erforderlichen Verrichtungen, nicht jedoch hinsichtlich anderer Nutztiere ausgestellt werden."

Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Neunkirchen vom wurde sodann unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Amtstierarztes festgestellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Viehschneidergewerbes nicht vorliegen und die weitere Gewerbeausübung untersagt. Begründend wird angeführt, es sei "vertretbar", das Erfordernis des gehörigen Vertrautseins mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen nicht bloß handwerklich-technisch, sondern weiterentwickelt zu denken, sodaß auch die Frage, ob ein Viehschneider legal zu bestimmten schmerzausschließenden Medikamenten gelangen könne, in die Betrachtung mit einzubeziehen sei; hinsichtlich der vom Amtstierarzt als geeignet genannten Medikamente sei solches nicht möglich. Angesichts der Stellungnahme des Amtstierarztes sei daher der Befähigungsnachweis des Vertrautseins mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen nicht erbracht worden.

Im Berufungsverfahren wurde der Amtstierarzt zu einem ergänzenden Gutachten über die am durchgeführte Demonstration aufgefordert. Dieses habe sich lediglich auf die Frage zu beziehen, ob bei dieser Demonstration nachgewiesen wurde, daß der Bewerber mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen gehörig vertraut sei.

In dem daraufhin erstatteten ergänzenden Gutachten wurde - anders als im Erstgutachten - festgestellt, daß der Bewerber bei der Kastration der beiden Eber, des Jungstieres und des Hengstes zur Schmerzausschaltung ein Lokalanästhetikum parenteral verabreicht habe und dabei keine ausreichende Schmerzfreiheit erzielt worden sei. Dies widerspreche den fachgerechten Anforderungen, weshalb ein gehöriges Vertrautsein mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen nicht nachgewiesen wurde.

Sodann erließ der Landeshauptmann von Niederösterreich den den erstinstanzlichen bestätigenden Bescheid vom , der nunmehr ausschließlich darauf gestützt wurde, daß der Bewerber bei seiner Gewerbeanmeldung am eine amtstierärztliche Bestätigung nicht vorgelegt habe. "Durch die Nichtvorlage dieser amtstierärztlichen Bestätigung wurden nach Ansicht der Berufungsbehörde nicht alle wesentlichen Voraussetzungen für die Anmeldung des gegenständlichen Viehschneidergewerbes erfüllt, weshalb die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen zu Recht - wenn auch auf Grund anderer Überlegungen - zu ihrer angefochtenen Entscheidung vom gelangt ist."

2.a) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der der Beschwerdeführer behauptet, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbsfreiheit dadurch verletzt worden zu sein, daß der Amtstierarzt eine Bestätigung über die von ihm bei seiner Demonstration am nachgewiesenen Fähigkeiten nicht bzw. fehlerhaft ausgestellt habe, und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

b) Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Beim gebundenen Gewerbe der Viehschneider (§103 Abs 1 litb Z 50 GewO 1973), das bis zum Inkrafttreten der Bestimmungen der GewO-Novelle 1992, BGBl. 29/1993 am angetreten werden konnte (§376 Z 16 GewO 1973 idF der GewO-Novelle 1992 und auch der GewO 1994, BGBl. 194/1994), handelt es sich um ein Anmeldegewerbe. Hinsichtlich solcher Gewerbe ist für Bescheide, die das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewerbeausübung betreffen und auch für solche, die im Falle des Fehlens dieser Voraussetzungen die Ausübung des Gewerbes untersagen, nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwSlg. 11.243/1993 A, /0069, vom , Z 92/04/0145) die Rechtslage zum Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung maßgeblich. Beurteilungsmaßstab ist somit im vorliegenden Fall die Gewerbeordnung in der Fassung vor der GewO-Novelle 1992.

Danach war zur Erlangung der Befugnis zur Ausübung des gebundenen Gewerbes der Viehschneider gem. § 375 Abs 1 Z 24 GewO 1973, § 5 Abs 3 der Verordnung des Bundesministers für Handel und Verkehr im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft vom , BGBl. 103/1924, über Wandergewerbe, soweit er Bestimmungen über den Befähigungsnachweis für die Ausübung des Viehschnittes enthält, und zwar auf Grund der zitierten Bestimmung der GewO 1973 in bundesgesetzlichem Rang, maßgeblich.

Diese Bestimmung lautete:

"Bewilligungen zur Ausübung des Viehschnittes dürfen nur an Personen verliehen werden, die den Nachweis erbringen, daß sie sich nach Erlernung des Berufes in diesem angemessene Zeit unter Aufsicht zufriedenstellend betätigt haben. Außerdem wird die amtstierärztliche Bestätigung gefordert, daß der Bewerber mit den beim Viehschnitt erforderlichen Verrichtungen gehörig vertraut ist."

b) Für die Ausübung des Gewerbes maßgeblich war § 121 GewO 1973 (idF vor der Novelle 1992), seither § 376 Z 16 Abs 2 und 3 GewO 1973 bzw. GewO 1994, der Bestimmungen über beim Viehschnitt einzuhaltende Reinlichkeitsgebote und Desinfektionsvorschriften enthält; der durch die GewO-Novelle BGBl. 399/1988 eingeführte Abs 3 des § 121 (der mit der GewO-Novelle 1992 wieder aufgehoben wurde) bestimmte, daß der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten "zum Schutz der Tiere vor Quälereien durch unsachgemäße Vornahme des Viehschnittes ... erforderlichenfalls für einzelne in Betracht kommende Tierarten nähere Vorschriften über die Vornahme des Viehschnittes zu erlassen" hat. Eine diese Bestimmung ausführende Durchführungsverordnung erging während der Geltung dieser Bestimmung nicht (die Verordnung BGBl. 132/1991 bezieht sich nur auf die Tierhaltung).

2.a) Die belangte Behörde stützt ihren Bescheid ausschließlich auf den Umstand, daß der Befähigungsnachweis durch Vorlage einer amtstierärztlichen Bestätigung im Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung am nicht vorlag und daher ein Gewerberecht nicht entstanden sei. Sie verweist dazu auf VwSlg. 2086/1951 A, dies jedoch zu Unrecht, da der Verwaltungsgerichtshof in dieser Entscheidung zwar die Ansicht vertreten hat, daß einer Gewerbeanmeldung keine gewerberechtsbegründende Qualität zukomme, wenn ein wesentliches Element der Gewerbeanmeldung fehle, als wesentliche Elemente jedoch bloß die Angaben über Person, Beschäftigung und Standort qualifizierte.

b) Die Ansicht der belangten Behörde unterstellt der angewendeten Vorschrift des § 5 Abs 3 der in Rede stehenden Verordnung zu Unrecht einen verfassungswidrigen Inhalt: Denn hätte die Vorschrift tatsächlich die ihr von der Behörde zugemessene Bedeutung, hätte es der Amtstierarzt in der Hand, durch - rechtswidrige - Nichterteilung einer Bestätigung das Entstehen eines Gewerbes zu verhindern. Angesichts des Umstandes, daß eine Bestätigung des Amtstierarztes nach dem oben zitierten, im Gesetzesrang stehenden § 5 Abs 3 der Wandergewerbeverordnung nicht etwa durch andere Bestätigungen substituierbar ist und ihre Erstellung für sich weder erzwungen noch überprüft werden kann, muß die in Rede stehende Bestimmung des § 5 Abs 3 so verstanden werden, daß die Rechtmäßigkeit der Bestätigung bzw. der Versagung ihrer Erteilung bei der rechtlichen Kontrolle des über die Gewerbeanmeldung befindenden Bescheides der Gewerbebehörde mit zu beurteilen ist. Jede andere Auffassung käme in Konflikt mit den rechtsstaatlichen Grundanforderungen der österreichischen Rechtsordnung und stünde in Widerspruch zu den Anforderungen der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Erwerbsfreiheit. Denn es wäre ein unverhältnismäßiger und durch das öffentliche Interesse der Sicherung einer ordnungsgemäßen Ausübung des Viehschneidergewerbes nicht mehr gerechtfertigter Eingriff in die Grundrechtsposition jener Person, die das Gewerbe zu betreiben beabsichtigt, würde man von dieser eine Bestätigung verlangen, auf deren Erteilung sie auch im Falle des Vorliegens der zu bestätigenden Voraussetzungen keinen Rechtsanspruch hat und die sie daher im Falle der (rechtswidrigen) Weigerung des Amtstierarztes, eine Bestätigung auszustellen, gar nicht erbringen könnte.

Wollte man solches annehmen, wäre das mit jenem Fall vergleichbar, in dem für eine Gewerbetätigkeit eine Bewilligung erforderlich ist, aber der Bewerber um eine solche Bewilligung selbst dann keinen Rechtsanspruch auf ihre Erteilung hat, wenn er sämtliche Voraussetzungen erfüllt, die das Gesetz für die Bewilligungserteilung verlangt. In einem solchen Fall hat der Verfassungsgerichtshof aber mit VfSlg. 5240/1966 die solches bewirkende Gesetzesvorschrift wegen Verstoßes gegen das Rechtstaatsprinzip und gegen Art 6 StGG als verfassungswidrig aufgehoben.

Einen solchen - wie hiemit gezeigt wurde - verfassungswidrigen Inhalt anzunehmen, zwingt aber § 5 Abs 3 der in Rede stehenden Verordnung gar nicht. Sie kann durchaus auch so interpretiert werden, daß im Zuge der Beurteilung der Gewerbeanmeldung auch geprüft wird, ob eine Bestätigung über eine vorgenommene Demonstration etwa zu Unrecht nicht erteilt wurde oder ob sie rechtswidrigerweise erteilt oder versagt wurde.

c) Indem die belangte Behörde diesen Inhalt der angewendeten Norm verkannt und ihr zu Unrecht einen Inhalt beigemessen hat, der die Vorschrift verfassungswidrig machen würde, hat sie das Gesetz verfassungswidrig angewendet, was nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10386/1985) als denkunmögliche Rechtsanwendung zu qualifizieren ist. Eine denkunmögliche Anwendung eines das Grundrecht der Erwerbsausübungsfreiheit beschränkenden Gesetzes aber belastet einen darauf gestützten verwaltungsbehördlichen Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 10413/1985) mit Verfassungswidrigkeit.

Der Bescheid war daher aufzuheben. Der Ersatzbescheid wird - wie sich aus der oben geschilderten (vgl. Pkt. II/1a) Rechtslage ergibt - aufgrund der im Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung geltenden Gewerberechtslage zu erlassen sein.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

III. Die Entscheidung konnte gem. § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen werden.