VfGH vom 05.10.1982, B522/80
Sammlungsnummer
9525
Leitsatz
Art144 Abs 1 B-VG; Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Abziehen und Verwahrung eines Autozündschlüssels, Durchsuchen eines PKW, Öffnen des Handschuhfaches sowie Ansichnahme und Verwahrung eines Reisepasses durch einen Gendarmeriebeamten; keine Verletzung des Eigentums- und des Gleichheitsrechtes
Gesetz zum Schutze des Hausrechtes; Durchsuchen eines PKW - hier keine "Räumlichkeit" iS des Hausrechtsgesetzes
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Auf Grund der in den hier bedeutsamen Belangen im wesentlichen übereinstimmenden Ausführungen in der Beschwerde und in der Äußerung des Beschwerdeführers vom 2. Feber 1982 einerseits und in der Sachverhaltsdarstellung in der von der belangten Behörde erstatteten Gegenschrift andererseits, ferner auf Grund der im Zuge des gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachtes der Übertretung nach der StVO 1960 und dem KFG 1967 durchgeführten Verwaltungsstrafverfahrens abgelegten Aussagen der Gendarmeriebeamten E. M., G. L. und H. Sp. als Zeugen (Akt der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn, Z X 150-8446/80) steht fest:
Der Beschwerdeführer fuhr am gegen 22.20 Uhr mit seinem PKW V ... vom Parkplatz des Gasthauses Sch. in Hohenems im Rückwärtsgang kurz vor einem herannahenden Gendarmeriepatrouillenfahrzeug (Insassen: die oben angeführten Zeugen) in die Bundesstraße B 190 ein. Inspektor L. sprang aus dem Dienstwagen und gab dem Beschwerdeführer mit einer auf rot geschalteten Taschenlampe Anhaltezeichen, die der Beschwerdeführer jedoch nicht beachtete - er behauptet, sie nicht bemerkt zu haben -; vielmehr fuhr er rasch davon. Die Gendarmeriebeamten nahmen die Verfolgung des Beschwerdeführers auf. Nach etwa 1 km Fahrt bog der Beschwerdeführer nach rechts in die Kaiser-Josef-Straße ein, wo er sein Fahrzeug auf einem Hausvorplatz abstellte; er sprang aus dem PKW und lief in der Dunkelheit auf eine angrenzende Wiese. Er ließ den Zündschlüssel stecken, den Motor laufen, die Fahrzeugbeleuchtung eingeschaltet und die Fahrzeugtüre offen stehen. Die Gendarmeriebeamten L. und Sp. verfolgten den Beschwerdeführer; er konnte jedoch in der Dunkelheit entkommen.
Inspektor M. durchsuchte inzwischen das Fahrzeug des Beschwerdeführers und entnahm aus dem unversperrten Handschuhfach den dort befindlichen Reisepaß des Beschwerdeführers. Der Beamte nahm diesen Paß und den Zündschlüssel an sich, sperrte das Fahrzeug ab und fuhr mit seinen beiden inzwischen zum Dienstwagen zurückgekehrten Kollegen zum Gasthof Sch. Auf Grund der Aussage der Wirtin waren die Beamten überzeugt, daß ihr Verdacht, das fluchtartig verlassene Fahrzeug könnte gestohlen gewesen sein, nicht zutreffe. Die Beamten fuhren zunächst zum Gendarmerieposten Hohenems; dem dort dienstversehenden Beamten war der Beschwerdeführer von früheren Beanstandungen her bekannt. Anschließend begaben sich die Gendarmeriebeamten zur Wohnung des Beschwerdeführers. Sie trafen dort nur dessen Mutter an. Sie teilten ihr mit, daß der Reisepaß und die Fahrzeugschlüssel beim Gendarmerieposten Hohenems abgeholt werden könnten.
Diese Gegenstände wurden am dem Beschwerdeführer dort ausgehändigt.
2. Die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am in Hohenems gegen den Beschwerdeführer gerichteten Maßnahmen, nämlich gegen die Abnahme und Verwahrung des Schlüssels seines Autos, das Eröffnen des verschlossenen Autohandschuhfaches - damit auch gegen die Durchsuchung des PKW - sowie die "Beschlagnahme" und Verwahrung seines Reisepasses.
Der Beschwerdeführer erachtet sich in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf den Schutz des Hausrechtes, auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Gleichheit aller Staatsbürger, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Freizügigkeit des Vermögens verletzt. Er begehrt, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt als verfassungswidrig zu erkennen; hilfsweise beantragt er die Abtretung der Beschwerde an den VwGH.
II. Der VfGH hat erwogen:
1. Das Abziehen und die Verwahrung des Autozündschlüssels, das Durchsuchen des PKW, das Öffnen des Handschuhfaches sowie die Ansichnahme und Verwahrung des Reisepasses sind in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangene Verwaltungsakte, die in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers eingreifen. Diese Maßnahmen sind - da ein Rechtsmittel gegen diese Amtshandlung gesetzlich nicht vorgesehen ist - nach Art 144 Abs 1 zweiter Satz B-VG beim VfGH bekämpfbar.
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.
2. Die Beschwerde ist aber nicht begründet:
a) Der Beschwerdeführer behauptet, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden zu sein.
"Durchsuchen" iS des Gesetzes vom 27. Oktober 1862, RGBl. 88, zum Schutz des Hausrechtes (HausrechtsG) ist das Suchen nach einer Person oder nach einem Gegenstand, von denen unbekannt ist, wo sie sich befinden. Einen Raum durchsuchen heißt, dessen Bestandteile und die darin befindlichen Objekte deshalb zu besichtigen, um festzustellen, ob in diesem Raum und an welcher Stelle sich ein bestimmter Gegenstand befindet. Eine Hausdurchsuchung liegt auch schon bei einer systematischen Besichtigung wenigstens eines bestimmten Objektes durch ein behördliches Organ vor (vgl. zB VfSlg. 8642/1979 und 8815/1980 sowie die dort zitierte Vorjudikatur).
Der Gendarmeriebeamte besichtigte den PKW des Beschwerdeführers auf eine Weise, die den obigen Merkmalen entspricht. Das ergibt sich schon daraus, daß der Beamte das Handschuhfach des Autos öffnete, um festzustellen, ob sich etwa dort für die Ausforschung des (vermutlichen) Diebes dienliche Gegenstände befinden.
Zu erörtern ist noch die - in den hg. Erk. VfSlg. 8815/1980 und offengelassene - Frage, ob ein PKW unter den Begriff "sonstige zum Hauswesen gehörige Räumlichkeiten" iS des HausrechtsG fällt. Der VfGH hat in den Erk. VfSlg. 1486/1933 (bekräftigt mit VfSlg. 5182/1965) dargetan, daß durch dieses Gesetz "ein die persönliche Würde und Unabhängigkeit verletzender Eingriff in den Lebenskreis des Wohnungsinhabers, in Dinge, die man im allgemeinen berechtigt und gewohnt ist, dem Einblick Fremder zu entziehen", hintangehalten werden soll. Der Gerichtshof hat weiters die Meinung vertreten, daß der erwähnte Begriff im weitesten Sinn auszulegen ist (zB VfSlg. 1747/1949, 2867/1955, 5182/1965); daher wurden etwa auch die Privatordination eines Arztes
(VfSlg. 1747/1949), Geschäftsräume (VfSlg. 1811/1949), Betriebsräume (VfSlg. 2867/1955) und ein nicht der Wohnung angeschlossenes Kellerabteil (VfSlg. 5182/1965) als "sonstige zum Hauswesen gehörige Räumlichkeiten" gewertet. Der VfGH hält an dieser Rechtsprechung fest. Sie geht davon aus, daß das HausrechtsG offenkundig den Schutz der Intimsphäre des Inhabers jeder "Räumlichkeit" bezweckt, die einer Wohnung vergleichbar ist. Ein PKW ist zwar ortsveränderlich. Dessen ungeachtet unterliegt ein solches Fahrzeug dann dem Schutz des HausrechtsG, wenn es seiner Bestimmung nach einer "Räumlichkeit" gleich verwendet wird, die nach der bisherigen Judikatur des VfGH von diesem Gesetz erfaßt wird.
Das Verfahren hat keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, daß dies für den PKW des Beschwerdeführers zutrifft.
Es wurde sohin hier keine "Räumlichkeit" iS des HausrechtsG durchsucht. Der Beschwerdeführer wurde allein schon deshalb durch das Durchsuchen des PKW nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt.
b) Der Beschwerdeführer macht geltend, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt worden zu sein.
Die belangte Behörde beruft sich zur Rechtfertigung der bekämpften Verwaltungsakte auf § 38 (richtig: § 24) StPO.
Diese Bestimmung ermächtigt die Sicherheitsbehörden - die belangte Behörde ist eine solche - und ihre Hilfsorgane - zu diesen zählen die Gendarmeriebeamten - zum Einschreiten aus eigenem Antrieb. Hienach haben sie bei Offizialdelikten von sich aus jene Untersuchungshandlungen vorzunehmen, die unaufschiebbar sind, nämlich "die keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, die zur Aufklärung der Sache dienen oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Täters verhüten können".
Die bekämpften Maßnahmen sind also nicht ohne jede gesetzliche Grundlage erfolgt. Der VfGH hat unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles gegen § 24 StPO keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Beschwerdeführer könnte daher im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht nur verletzt worden sein, wenn die einschreitenden Gendarmeriebeamten die Maßnahmen in denkunmöglicher Gesetzesanwendung vorgenommen hätten (vgl. zB VfSlg. 8569/1979).
Davon kann aber nicht die Rede sein:
Der Beschwerdeführer behauptet, er sei vor den Gendarmeriebeamten deshalb geflüchtet, weil er früher mit Organen der Bundesgendarmerie (unliebsame) Erfahrungen gemacht habe. Der die Durchsuchung vornehmende Gendarmeriebeamte konnte auf Grund des oben unter I.1. geschilderten Verhaltens des Beschwerdeführers aber vertretbarerweise annehmen, daß dieser das Kraftfahrzeug gestohlen habe; eine andere Erklärung für sein ungewöhnliches Verhalten lag zu diesem Zeitpunkt für den Beamten nicht nahe.
Alle angefochtenen Maßnahmen waren unter diesen Umständen adäquat und sinnvoll. Das Einschreiten der Gendarmeriebeamten durfte nicht verzögert werden.
Nachdem die Gendarmeriebeamten sich von der Unrichtigkeit ihres Verdachtes überzeugt hatten, stellten sie die an sich genommenen Gegenstände zur Disposition des Beschwerdeführers. Sie gaben der Mutter des Beschwerdeführers sofort den Verbleib der Schlüssel und des Reisepasses bekannt und forderten zu ihrer Abholung auf. Sie folgten sie auch am nächsten Tag sofort dem im Gendarmeriepostenkommando Hohenems vorsprechenden Beschwerdeführer aus.
Bei diesem Ergebnis kann unerörtert bleiben, durch welche Maßnahmen überhaupt in das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers eingegriffen wurde.
Der Beschwerdeführer ist somit auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nicht verletzt worden.
c) Anhaltspunkte dafür, daß die Beamten gegen den Beschwerdeführer willkürlich vorgegangen wären, haben sich nicht ergeben. Der Beschwerdeführer ist - bei der gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die bekämpften Amtshandlungen tragenden Rechtsvorschriften - daher auch nicht im Gleichheitsrecht verletzt worden.
Der Beschwerdeführer erblickt die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter offenbar darin, daß ihm die Gendarmeriebeamten seinen Reisepaß entzogen hätten; für diese Maßnahme seien sie nicht zuständig gewesen. Die Ausgangsposition des Beschwerdeführers ist unzutreffend: Die Beamten haben den Reisepaß nicht etwa iS des Paßgesetzes entzogen, sondern das Dokument (im Dienst der Strafjustiz) kurzfristig an sich genommen, um einen vermuteten Autodiebstahl zu klären. Da die zuständigen Organe eingeschritten sind, ist der Beschwerdeführer nicht im zuletzt erwähnten Gleichheitsrecht verletzt worden.
Zur Widerlegung des Vorwurfes, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freizügigkeit des Vermögens (Art4 StGG) verletzt worden zu sein, genügt es, auf die ständige Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 3849/1960) zu verweisen.
d) Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm in einem Recht verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.