OGH vom 23.09.2019, 18OCg6/19k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten Dr. Veith sowie die Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. Musger und Mag. Painsi als weitere Richter in der Schiedsrechtssache der klagenden Partei B***** PE, *****, Ukraine, vertreten durch die Dr. Stephan Müller Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei i*****gesmbH, *****, vertreten durch Mag. Ralph Kilches, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufhebung eines Schiedsspruchs (Streitwert 8.659,20 EUR), in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Antrag der beklagten Partei vom auf Festsetzung einer Prozesskostensicherheit wird zurückgewiesen.
II. Der Kostenbestimmungsantrag der beklagten Partei vom wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Klage vom begehrte die Klägerin die Aufhebung des Schiedsspruchs eines Börsenschiedsgerichts. Der Oberste Gerichtshof wies diese Klage mit Beschluss vom a limine zurück.
Der Oberste Gerichtshof stellte die Klage der Beklagten nicht zu; er erteilte ihr auch keinen Auftrag zur Klagebeantwortung. Die Beklagte erlangte von diesem Verfahren (nur) dadurch Kenntnis, dass der Klagsvertreter die Aufhebungsklage dem im Schiedsverfahren ausgewiesenen Beklagtenvertreter per EMail übermittelte.
Am stellte die Beklagte in Unkenntnis der mittlerweile erfolgten Zurückweisung der Klage einen (formell nach wie vor aufrechten) Antrag auf Festsetzung einer Prozesskostensicherheit. Am langte beim Beklagtenvertreter wiederum per Direktzustellung durch den Klagsvertreter der Antrag der Klägerin auf Ermäßigung der Pauschalgebühr ein. Aus diesem Antrag erfuhr die Beklagte erstmals, dass der Oberste Gerichtshof die Klage a limine zurückgewiesen hat. Mit Antrag vom verzeichnete die Beklagte daraufhin die ihr im Zusammenhang mit der Aufhebungsklage im Zeitraum vom bis entstandenen Kosten.
Rechtliche Beurteilung
Die Anträge der Beklagten sind unzulässig und zurückzuweisen.
1.1. Mit der Einbringung der Klage tritt die Gerichtsanhängigkeit ein. Der Beklagte erhält in rechtswirksamer Form erst durch die vom Gericht angeordnete Klagszustellung an ihn Kenntnis. Die Zustellung der Klage an den Beklagten bewirkt die Streitanhängigkeit (Mayr in Fasching/Konecny3 III/1 Vor § 230 ZPO Rz 1).
1.2. Mit der Gerichtsanhängigkeit wird das konkrete Prozessrechtsverhältnis (vorerst zweiseitig) zwischen dem Kläger und dem Gericht begründet. Erst durch die Klagszustellung an den Beklagten und dem Eintritt der Streitanhängigkeit wird es durch dessen Einbeziehung zum dreiseitigen Prozessrechtsverhältnis erweitert(Mayr in Fasching/Konecny3 Vor § 230 ZPO Rz 15). Die Gerichtsanhängigkeit endet ausnahmsweise noch vor dem Eintritt der Streitanhängigkeit, wenn die Klage in den Fällen des § 230 Abs 2 und 3 ZPO (ohne Klagszustellung) sofort a limine zurückgewiesen wird(Mayr in Fasching/Konecny3 Vor § 230 ZPO Rz 16).
2.1. Sind beide Parteien durch Rechtsanwälte vertreten, so hat jeder dieser Rechtsanwälte, der einen Schriftsatz einbringt, die für den Gegner bestimmte Gleichschrift dessen Rechtsanwalt durch einen Boten, die Post oder mittels Telefax oder elektronischer Post direkt zu übersenden; diese Übersendung ist auf dem dem Gericht überreichten Stück des Schriftsatzes zu vermerken. Dies gilt nicht für Schriftsätze, die dem Empfänger zu eigenen Handen zuzustellen sind oder durch deren Zustellung eine Notfrist in Lauf gesetzt wird (§ 112 ZPO).
2.2. Zu eigenen Handen zuzustellende Schriftsätze sind demnach vom Gebot der Direktzustellung nach § 112 ZPO nicht erfasst. Dieser Ausschluss eigenhändig zuzustellender Schriftsätze betraf bis zum BudgetbegleitG 2009, BGBl I 2009/52, vor allem auch Klagen und andere verfahrenseinleitende Schriftsätze, die gemäß § 106 ZPO idF vor dem BudgetbegleitG 2009 eigenhändig zuzustellen waren. Mit dem BudgetbegleitG 2009 wurde die Eigenhandzustellung für Klagen und andere verfahrenseinleitende Schriftsätze abgeschafft; dies ausweislich der Gesetzesmaterialien aus rein fiskalischen Gründen. Die Eigenhandzustellung führe gegenüber einem gewöhnlichen Rückscheinbrief nicht zu einem Mehr an Empfängerschutz, verursache aber im Hinblick auf die Portokosten erhebliche Ausgaben des Bundes (ErläutRV 113 24. GP 33).
3.1. Mit dem Wegfall der Eigenhandzustellung für Klagen (und andere verfahrenseinleitende Schriftsätze) sind diese nun – dem Wortlaut nach – nicht mehr von den Ausnahmen des Gebots der Direktzustellung nach § 112 ZPO erfasst. Im Hinblick auf die besondere Funktion der Zustellung verfahrenseinleitender Schriftsätze ist aber davon auszugehen, dass der Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung der Eigenhandzustellung die Bestimmung des § 112 ZPO aus einem Redaktionsversehen nicht angepasst und die Ausnahme vom Zustellgebot nicht auch auf Klagen (und andere verfahrenseinleitende Schriftsätze) erstreckt hat (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny3 II/2 § 112 ZPO Rz 4).
3.2. Nach Einlangen der Klage bei Gericht hat dieses die Klage von Amts wegen einer Vorprüfung hinsichtlich der Prozessvoraussetzungen und der Formvorschriften zu unterziehen. Sind (trotz eines allfälligen Verbesserungsverfahrens) die Prozessvoraussetzungen nicht gegeben oder liegen Form- oder Inhaltsmängel vor, hat das Gericht die Klage sofort – noch vor deren Zustellung – zurückzuweisen. Liegt kein Grund zur Zurückweisung der Klage vor, hat das Gericht (außerhalb des Mahnverfahrens) die Zustellung der Klage an den Beklagten zu veranlassen und dem Beklagten sogleich die Beantwortung der Klage aufzutragen (Mayr in Fasching/Konecny3§ 230 ZPO Rz 2 f; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO5 § 230 ZPO Rz 1, 3). Erst mit der durch die vom Gericht nach Abschluss des Vorprüfungsverfahrens verfügten Zustellung der Klage tritt Streitanhängigkeit ein (Mayr in Fasching/Konecny3 Vor § 230 ZPO Rz 1), nicht schon durch eine Direktzustellung nach § 112 ZPO (vgl 1 Ob 109/16k [Nebenintervention/Zustellung der Beitrittserklärung]). Dieses Vorprüfungsverfahren kann durch die direkte Übermittlung nach § 112 ZPO also nicht „umgangen“ werden und führt nicht zur sofortigen Beteiligung des Gegners (vgl Schneider, Glosse zu 1 Ob 109/16k, EvBl 2017/33, 231).
3.3. Dafür, dass bei Klagen (und anderen verfahrenseinleitenden Schriftsätzen) eine Direktzustellung nach § 112 ZPO nicht vorgesehen ist, spricht zudem die (zusätzliche) Voraussetzung der beiderseitigen Vertretung durch Rechtsanwälte (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny3 § 112 ZPO Rz 3 f). Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt setzt gerade im Kontext mit der Zustellung an Prozessbevollmächtigte voraus, dass die Partei (als Machthaber) den Rechtsanwalt (als Bevollmächtigten) gegenüber dem Gericht für das konkrete Verfahren als Vertreter namhaft gemacht hat (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 93 Rz 3 mwN). Im Stadium der Verfahrenseinleitung ist das – von besonderen Konstellationen abgesehen – systemimmanent nicht der Fall.
3.4. Das Zustellgebot des § 112 ZPO ist daher teleologisch dahin zu reduzieren, dass (auch) Klagen und andere verfahrenseinleitende Schriftsätze von der Direktzustellung ausgenommen sind (so auch Stumvoll in Fasching/Konecny3 II/2 § 112 ZPO Rz 4 [mit ausführlicher Begründung]; Frauenberger-Pfeiler in Frauenberger-Pfeiler/Raschauer/Sander/Wessely, Zustellrecht2§ 112 ZPO Rz 8).
4.1. Eine Klage kann demnach nicht wirksam nur im Wege des § 112 ZPO zugestellt werden (7 Ob 143/13z = RIS-Justiz RS0111433 [T1]). Eine solche „unerlaubte“ Zustellung (vgl Stumvoll in Fasching/Konecny3§ 112 ZPO Rz 9) begründet daher insbesondere auch keine Streitanhängigkeit.
4.2. Die Direktzustellung der Aufhebungsklage an den Beklagtenvertreter begründete demnach kein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien und (auch) die Gerichtsanhängigkeit endete durch die Zurückweisung der Klage. Die Festsetzung einer Prozesskostensicherheit und/oder die Verpflichtung der Klägerin zu einem Kostenersatz kommt daher in diesem Verfahren nicht in Betracht.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:018OCG00006.19K.0923.000 |
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