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OGH vom 23.02.2018, 8ObA61/17d

OGH vom 23.02.2018, 8ObA61/17d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Stefula sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wahlwerbende Gruppe T***** F***** K*****, vertreten durch den Vertreter des Wahlvorschlags W***** K*****, dieser vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler, Mag. Harald Mühlleitner und Mag. Georg Wageneder, MA, Rechtsanwälte in St. Florian, gegen die beklagte Partei Angestellten-Betriebsrat der v***** GmbH, vertreten durch den Betriebsratsvorsitzenden H***** K*****, dieser vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, wegen Anfechtung einer Betriebsratswahl (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 10/17w30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 7 Cga 37/16w19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 501,91 EUR (darin 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am fand die Betriebsratswahl des Angestellten-Betriebsrats der v***** GmbH statt. Bei der Wahl traten die klagende und eine andere wahlwerbende Gruppe an. Der Wahlvorstand legte einheitliche Stimmzettel auf, auf welchen unter Liste-Nr 2 die Klägerin, unter Liste-Nr 1 die andere wahlwerbende Gruppe jeweils samt der Kurzbezeichnung angeführt war. Die andere wahlwerbende Gruppe erstellte persönliche Stimmzettel, die von der Gestaltung her den einheitlichen Stimmzetteln entsprachen, auf denen anstatt des Aufdrucks Liste 1 und 2 und der jeweiligen Bezeichnung und Kurzbezeichnung aber allein (unter der Rubrik „Listenbezeichnung“) ein Name eines ihrer Kandidaten aufgestempelt war. Die Klägerin verwendete keine persönlichen Stimmzettel.

Bei der Auszählung wurden 118 Stimmen für die Klägerin und 2080 Stimmen für die andere wahlwerbende Gruppe gewertet. Die Wahlzahl betrug 122,35. Die Klägerin erlangte kein Mandat. Sämtliche 17 Mandate wurden der anderen wahlwerbenden Gruppe zugeschlagen.

Das Wahlergebnis wurde am kundgemacht.

Die Klägerin begehrt mit ihrer beim Erstgericht am eingebrachten Klage, die Betriebsratswahl des Angestellten-Betriebsrats der v***** GmbH vom für unwirksam zu erklären. Sie brachte in der Klagsschrift vor, der Wahlvorstand habe der anderen wahlwerbenden Gruppe ein Muster des einheitlichen Stimmzettels zur Verfügung gestellt, der Klägerin ein solches hingegen verweigert. Allein die andere wahlwerbende Gruppe habe hierauf dem einheitlichen Stimmzettel in der Größe gleichende „persönliche Stimmzettel“, versehen jeweils allein mit dem aufgestempelten Namen eines ihrer Kandidaten, verteilt. Die Verteilung sei direkt vor den Wahllokalen erfolgt, weshalb es für den Wähler nicht erkennbar gewesen sei, ob es sich bereits um den amtlichen Stimmzettel handle. Das Verteilen dieser Stimmzettel direkt vor dem Wahllokal stelle ein massiv wahlbeeinflussendes Verhalten dar und widerspreche der sinngemäß anzuwendenden Bestimmung des § 58 NRWO über Verbotszonen. Auch der Grundsatz der geheimen Wahl sei verletzt, „da die Wähler durch dieses Verhalten dazu genötigt werden, den zweiten 'amtlichen' Stimmzettel gar nicht mehr anzunehmen“.

Etwa 200 bis 300 Wähler hätten sowohl den „amtlichen“ Stimmzettel, ohne darauf eine der beiden wahlwerbenden Gruppen angekreuzt zu haben, als auch den vor dem Wahllokal verteilten Stimmzettel in das Wahlkuvert gelegt. Diese Stimmen seien entgegen § 24 BRWO nicht als ungültig gewertet, sondern der anderen wahlwerbenden Gruppe zugerechnet worden. Nach § 56 ArbVG hätte, zumal die Ausnahmetatbestände von dessen Abs 4 nicht griffen, die Stimmabgabe zwingend mittels des einheitlichen („amtlichen“) Stimmzettels zu erfolgen gehabt, weshalb es sich bei den von der anderen wahlwerbenden Gruppe verteilten („persönlichen“) Stimmzetteln nur um Reklamematerial handeln könne. Jene Bestimmungen der BRWO, welche „andere“ als die einheitlichen, amtlichen Stimmzetteln zuließen, widersprächen § 56 ArbVG und seien folglich „nichtig“.

Es lägen damit Verstöße gegen wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens vor. Diese seien geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen, da die für die Klägerin gewerteten Stimmen die Wahlzahl nur knapp unterschritten hätten. Wären 300 ungültige Stimmen korrekterweise als solche gezählt worden, hätte sich auch die Wahlzahl geändert und es wären auf die Klägerin zwei Mandate entfallen.

Der beklagte Betriebsrat beantragte die Abweisung der Klage. Es seien keine wesentlichen Bestimmungen des Wahlverfahrens verletzt worden. Die Klägerin habe kein Muster des einheitlichen Stimmzettels verlangt und auch als Vorlage nicht benötigt, zumal für die Herstellung eines eigenen Stimmzettels allein das Format des einheitlichen Stimmzettels relevant und dieses ihr bekannt gewesen sei. Die Bestimmung der NRWO über Verbotszonen gelte nicht für Betriebsratswahlen. Die Auszählung habe den Regeln entsprochen. Die Zulässigkeit eines eigenen persönlichen oder fraktionellen Stimmzettels sei in der Wahlvorstandssitzung vom beschlossen worden. Die Verwendung solcher „anderer Stimmzettel“ sei auch nach § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG, § 24 Abs 3 BRWO zulässig.

In der Tagsatzung vom brachte die Klägerin als Anfechtungsgrund ergänzend vor, auch bei der Wertung der Stimmen benachteiligt worden zu sein, etwa weil „Liste 1“ als Bezeichnung für die andere wahlwerbende Gruppe, nicht aber „Liste 2“ als Bezeichnung für die Klägerin akzeptiert worden sei. Des Weiteren relevierte die Klägerin in der Tagsatzung als Anfechtungsgrund, dass Wähler dazu angehalten worden seien, den vor dem Wahllokal verteilten persönlichen Stimmzettel mit in die Kabine zu nehmen. Eine Wählerin, die sich bereits im Wahllokal befunden habe, sei sogar von der Wahlkommission wieder aus dem Wahllokal geschickt worden, um sich den persönlichen Stimmzettel abzuholen. Erst nachdem sie den Stimmzettel der anderen wahlwerbenden Gruppe in der Hand gehabt habe, sei ihr der amtliche Stimmzettel übergeben worden und habe sie die Wahlzelle betreten können.

Der Beklagte sprach sich gegen die Zulassung dieses Vorbringens mit der Begründung aus, es sei verspätet und ein Nachschieben von Argumenten bei einer Betriebsratswahlanfechtung nicht zulässig.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es ging von dem eingangs wiedergegebenen sowie im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus (§ 510 Abs 3 Satz 1 ZPO):

Der Wahlvorstand beschloss am , dass die Betriebsratswahl der Angestellten am durchgeführt wird, die voraussichtliche Größe des einheitlichen Stimmzettels A6 sein wird und nach § 24 Abs 5b der BRWO die Verwendung eines eigenen, persönlichen oder fraktionellen Stimmzettels erlaubt sei, der Stimmzettel allerdings nicht im Wahllokal verteilt wird.

Am händigte der Vorsitzende des Wahlvorstands den Listenführern der beiden wahlwerbenden Gruppen ein Muster des vorläufigen einheitlichen Stimmzettels aus, der dem dann tatsächlich verwendeten einheitlichen Stimmzettel entsprach. In einer weiteren Sitzung wurde am festgelegt, dass Stimmzettel mit Namen von Betriebsratskandidaten mit oder ohne fraktioneller Bezeichnung gelten sollten.

Der Wahlvorstand gab an die beiden wahlwerbenden Gruppen keine Muster von persönlichen Stimmzetteln aus. Diese sollten vielmehr die Fraktionen selbst erstellen. Die Klägerin entschied, für sich keine persönlichen Stimmzettel zu entwerfen und auszuteilen. Die andere wahlwerbende Gruppe verteilte ihre persönlichen Stimmzettel teilweise Tage vor der Betriebsratswahl in den Büros, teilweise wurden sie vor den Wahllokalen aufgelegt bzw von den wahlwerbenden Betriebsratsmitgliedern persönlich verteilt.

Insgesamt gab es für die Betriebsratswahl 8 Wahllokale. Es waren 2.516 Arbeitnehmer wahlberechtigt und 17 Betriebsratsmitglieder zu wählen. Die persönlichen Stimmzettel wurden nicht im jeweiligen Wahllokal verteilt, sondern am Gang, der zum Wahllokal führt. Das Wahllokal war mit einer Wahlzelle ausgestattet, welche eine geheime Stimmabgabe ermöglichte. Beim Betreten des Wahllokals erhielten die Wähler ein Kuvert samt einheitlichem Stimmzettel ausgehändigt. In der Wahlzelle waren Namenslisten der jeweiligen Kandidaten der einzelnen wahlwerbenden Gruppen ausgehängt. Wählern, die einen persönlichen Stimmzettel verwendeten, war somit erkennbar, welcher wahlwerbenden Gruppe der auf dem persönlichen Stimmzettel aufgestempelte Namen zuzurechnen ist. Die Wähler waren in ihrer Entscheidung frei, den persönlichen Stimmzettel zu verwenden oder auch nicht.

Bei der Stimmenauszählung fanden sich in Kuverts ausschließlich der einheitliche Stimmzettel, ausschließlich der persönliche Stimmzettel oder sowohl der einheitliche als auch der persönliche Stimmzettel. Im Fall, dass sich zwei Stimmzettel in einem Kuvert befanden, wurden diese nach dem Öffnen sofort zusammengeheftet. Wenn am einheitlichen Stimmzettel eine wahlwerbende Gruppe angekreuzt war und der persönliche Stimmzettel mit dieser übereinstimmte, wurde die Stimme als gültig, im entgegengesetzten Fall als ungültig gewertet. Wenn am einheitlichen Stimmzettel keine wahlwerbende Gruppe angekreuzt war und sich ein persönlicher Stimmzettel zusätzlich im Wahlkuvert befand, wurde diese Stimme gültig gewertet für die wahlwerbende Gruppe, der die genannte Person zuzurechnen ist.

Das Erstgericht beurteilte den Sachverhalt rechtlich dahin, dass die Wahlanfechtung wegen Einhaltung der Monatsfrist nach § 59 Abs 1 ArbVG rechtzeitig, aber mangels eines Anfechtungsgrundes nicht berechtigt sei. Die Verwendung persönlicher Stimmzettel sei nach § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG kein Anfechtungsgrund. Die Bestimmungen der NRWO, unter diesen das Verbot der Wahlagitation in der Nähe des Wahlorts, seien nicht anwendbar. Die Auszählung habe § 24 BRWO entsprochen.

Aus Anlass ihrer Berufung gegen das klagsabweisende Urteil brachte die Klägerin beim Verfassungsgerichtshof einen Parteiantrag auf Normenkontrolle nach Art 139 Abs 1 Z 4 B-VG (§ 528b ZPO) ein, mit dem sie beantragte, die Wortfolge „Verwendet der Wähler zur Stimmabgabe einen anderen Stimmzettel, so soll dieser in der Größe dem einheitlichen entsprechen“ des § 24 Abs 3 BRWO sowie die Wortfolge „oder eines anderen Stimmzettels (Abs 3)“ des § 24 Abs 5b BRWO und die Wortfolge „enthält ein Wahlkuvert mehrere Stimmzettel, die auf denselben Wahlvorschlag lauten, so zählen sie als eine gültige Stimme“ des § 24 Abs 7 BRWO wegen Verstoßes gegen § 56 ArbVG als gesetzwidrig aufzuheben.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom ,

V 15/2017, die Behandlung des Antrags mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, auch wenn der Wahlvorstand die Wahl grundsätzlich mittels eines aufzulegenden einheitlichen Stimmzettels durchzuführen habe, sei § 56 Abs 2 ArbVG iVm § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG dahingehend auszulegen, dass daneben auch die Verwendung anderer Stimmzettel zulässig sei, weshalb die angefochtenen Verordnungsbestimmungen nicht gesetzwidrig seien. Auch verstoße die Verwendung von nicht amtlichen Stimmzetteln nicht gegen das Gebot der geheimen Wahl.

Das Berufungsgericht, das wegen des Normenkontrollverfahrens mit dem Rechtsmittelverfahren gemäß (richtig) § 57a Abs 6 VfGG innegehalten hatte, änderte nach Vorliegen des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofs mit der angefochtenen Entscheidung das Urteil des Erstgerichts im klagsstattgebenden Sinne ab. Die Verwendung von anderen als den einheitlichen Stimmzetteln sei zwar gesetzlich grundsätzlich möglich, hier sei aber durch eine systematische Verwendung von anderen Stimmzetteln dem Zweck des einheitlichen Stimmzettels zuwidergelaufen worden, der den Wähler vor Beeinträchtigung seines freien Wählerwillens durch Fraktionszwang oder nachträglicher Kontrolle schützen solle. Das systematische Auflegen und Verteilen von Fraktionsstimmzetteln sei für den organisatorischen Ablauf der Wahl völlig unnötig und habe offenkundig nur den Zweck, die Wähler durch Überreichung eines derartigen bereits ausgefüllten Fraktionsstimmzettels zu beeinflussen. Eine derartige Vorgehensweise verletze das Postulat der „Reinheit der Wahlen“, wonach im Ergebnis der wahre Wille der Wählerschaft zum Ausdruck kommen solle. Das Verteilen der Fraktionsstimmzettel am Gang vor dem Wahllokal verstoße darüber hinaus gegen das absolute Wahlgeheimnis, da hier unter bestimmten Umständen Rückschlüsse auf das Wahlverhalten Wahlberechtigter möglich gewesen seien, etwa wenn ein Wahlberechtigter auf dem Weg ins Wahllokal den von Wahlwerbern der anderen wahlwerbenden Gruppe ausgeteilten Fraktionsstimmzettel an sich nahm, damit die Wahlzelle betrat und mit dem Fraktionsstimmzettel in der Hand wieder die Wahlzelle verließ. Es sei zwar richtig, dass § 58 NRWO über die Verbotszonen mangels ausdrücklichen Verweises in der NRWO keine Anwendung auf Betriebsratswahlen finde. Überschreite die Beeinflussung der Wähler durch mündliche oder schriftliche Agitation die zum Schutz der Wahlfreiheit gezogenen Schranken, leite sich aber ein Wahlagitationsverbot aus dem Grundsatz der freien und geheimen Wahl ab, der uneingeschränkt auch für Betriebsratswahlen gelte. Auch die Auszählung sei nicht korrekt erfolgt. Zum einen wäre bei Vorfinden eines einheitlichen Stimmzettels, auf dem die Klägerin angekreuzt worden sei, und eines Fraktionsstimmzettels in einem Kuvert eine gültige Stimmte für die Klägerin anzunehmen gewesen. Zum anderen hätte bei Vorfinden bloß eines Fraktionsstimmzettels in einem Kuvert die Stimme als ungültig gewertet werden müssen. Die Wahlverstöße seien geeignet gewesen, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision wegen Fehlens höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Verwendung von Fraktionsstimmzetteln bei Betriebsratswahlen und dem Verteilen dieser vor dem Wahllokal zu.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Beklagten mit einem auf Wiederherstellung des Ersturteils gerichteten Abänderungsantrag.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1. §

 59 ArbVG, zuletzt geändert durch BGBl 1990/411, regelt die Anfechtung der Wahl. Danach sind die einzelnen Wahlberechtigten und jede wahlwerbende Gruppe berechtigt, binnen Monatsfrist vom Tag der Mitteilung des Wahlergebnisses an gerechnet, die Wahl beim Gericht anzufechten, wenn wesentliche Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitende Grundsätze des Wahlrechts verletzt wurden und hiedurch das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte. Ein Anfechtungsgrund liegt auch dann vor, wenn

einheitliche Stimmzettel nicht aufgelegt werden, obgleich der Wahlvorstand einen Beschluss im Sinn des § 56 Abs 4

ArbVG nicht gefasst hat. Ein Anfechtungsgrund liegt jedoch nicht vor, wenn trotz eines aufgelegten

einheitlichen Stimmzettels Wahlberechtigte mittels anderer

Stimmzettel wählen (§

 59 Abs 1

ArbVG).

2. Die Anfechtung einer Betriebsratswahl ist nur innerhalb einer Frist von einem Monat zulässig (§ 59 Abs 1 Satz 1 ArbVG, § 34 Abs 1 Satz 1 BRWO). Für das Verfahren vor dem Gericht gilt, anders als noch im Verfahren vor den Einigungsämtern, der Dispositions- und Antragsgrundsatz; danach bestimmen die Parteien den Beginn und den Gegenstand des Verfahrens (Jabornegg/Naderhirn/Trost, Betriebsratswahl6 217, 229 [in FN 94]). Die Anfechtung hat schriftlich und mit einer entsprechenden Begründung zu erfolgen, ansonsten eine Überprüfung der geltend gemachten Anfechtungsgründe nur schwer möglich wäre (Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG § 59 Anm 6; Kallab in ZellKomm2 § 59 ArbVG Rz 3; vgl auch Jabornegg/Naderhirn/Trost, Betriebsratswahl6 216). Hieraus ergibt sich, dass das Gericht – so wie auch der Verfassungsgerichtshof bei der in seine Zuständigkeit fallenden Wahlanfechtungen (VfGH W I 6/2016 = VfSlg 20.071 [in Pkt 2.1., 2.4.2. und 2.7.2.5. mwN]) – das Wahlverfahren nur in den Grenzen der von dem Anfechtungswerber in der Anfechtungsschrift (Anfechtungsklage) behaupteten Rechtswidrigkeiten nachzuprüfen hat (idS Kallab in ZellKomm2 § 59 ArbVG Rz 4; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 II § 59 Rz 22). Könnten nach Fristende noch Anfechtungsgründe „nachgeschoben“ werden, wäre die vom Gesetzgeber durch die Statuierung einer kurzen Klagsfrist offenkundig beabsichtigte baldige Rechtssicherheit gefährdet (zutr Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 II § 59 Rz 22 mwH). Allein wenn der Anfechtungswerber noch innerhalb der Monatsfrist einen weiteren Anfechtungssachverhalt vorbringt, wäre in Erwägung zu ziehen, auch diesen zu prüfen.

Hier wurde innerhalb der Frist von einem Monat allein die Anfechtungsklage eingebracht. Die erst nach Fristende von der Klägerin in der Tagsatzung vorgetragenen Anfechtungsgründe – sie sei bei der Listenbezeichnung und auch insoweit bei der Auszählung benachteiligt worden, Wähler seien dazu angehalten worden, den vor dem Wahllokal verteilten persönlichen Stimmzettel mit in die Kabine zu nehmen und eine Wählerin sei sogar von der Wahlkommission wieder aus dem Wahllokal geschickt worden, um sich den persönlichen Stimmzettel abzuholen – fanden sich in der Anfechtungsklage noch nicht und sind daher verfristet. Allein den in der Anfechtungsklage vorgetragenen Anfechtungssachverhalten kann Relevanz zukommen. Alle übrigen (erst in der Tatsatzung vorgebrachten, allenfalls zu einer Anfechtung legitimierenden) Mängel des Wahlverfahrens gelten durch den Fristablauf als saniert und können die Gültigkeit der Betriebsratswahl nicht mehr beeinträchtigen (Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 II § 59 Rz 23 mwH).

3. Die Klägerin ficht die Betriebsratswahl wegen Verwendung von sogenannten Fraktionsstimmzetteln durch die andere wahlwerbende Gruppe an.

3.1. Bis zur ArbVG-Novelle BGBl 1990/411 sah das ArbVG in § 56 Abs 2 Satz 2 allein vor, dass die Wahl „mittels Stimmzettels“ zu erfolgen hat. Nach § 24 Abs 3 BRWO (idF BGBl 1974/319) war dem Wähler vom Vorsitzenden der Wahlkommission „ein undurchsichtiger leerer Umschlag (Wahlkuvert) und ein leerer Stimmzettel auszufolgen“. Die Wahlkuverts und die vom Vorsitzenden ausgegebenen Stimmzettel mussten „die gleiche Größe und Farbe“ haben und durften „keinerlei Aufschriften tragen, die auf die Person des Wählers schließen lassen“. In der Wahlzelle hatte der Wähler „den ihm vom Vorsitzenden ausgefolgten Stimmzettel oder einen anderen, den Bestimmungen der Wahlkundmachung (§ 19 Abs 2 Z 10) entsprechenden Stimmzettel in den Umschlag zu legen“. Der geschlossene Umschlag war dem Vorsitzenden zu übergeben, der ihn uneröffnet in die Wahlurne zu legen hatte. Nach § 19 Abs 2 Z 10 BRWO hatte die Wahlkundmachung zu enthalten „die Bestimmung, dass die Stimmzettel für alle wahlwerbenden Gruppen das gleiche vom Wahlvorstand festgelegte Ausmaß betragen sollen“.

Über vorgedruckte Stimmzettel enthielt die BRWO keine Vorschriften; sie setzte ihr Vorhandensein aber offenbar voraus. Aus dem Grundsatz der geheimen Wahl wurde abgeleitet, „dass die von den wahlwerbenden Gruppen vorbereiteten Stimmzettel gleichartig sein müssen“ (Floretta in Floretta/Strasser, ArbVG § 56 Anm 5). Diese Stimmzettel wurden – bereits damals – als „Fraktionsstimmzettel“ bezeichnet. Ihr Verwendung war zulässig, dies auch dann, wenn bei einer Betriebsratswahl fast ausschließlich Fraktionsstimmzettel verwendet wurden (vgl EA Linz Re 79/83 = Arb 10.253).

Nach einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs (318/82 = Arb 10.263 = DRdA 1983, 293) war das Unterlassen der Ausfolgung eines neutralen Stimmzettels zwar ein Verstoß gegen die Regelung des § 24 Abs 3 BRWO, aber kein Anfechtungsgrund. Der Verwaltungsgerichtshof begründete dies damit, dass der Wähler hierdurch nicht gehindert sei, eine gültige Stimme abzugeben. Er könne nach einer der im § 24 Abs 6 BRWO dargestellten Möglichkeiten vorgehen oder mit dem in der Wahlzelle vorhandenen Bleistift einen der Fraktionsstimmzettel durchkreuzen. Zu einer weiteren Rüge der Beschwerdeführerin, „daß von der Liste der Sozialistischen Gewerkschafter Stimmzettel aufgelegt worden seien, die nach Färbung, Druckbuchstaben und Papierqualität unterschiedlich gewesen seien“, merkte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis an, eine Norm, die eine solche Unterschiedlichkeit in den Stimmzetteln einer Fraktion verböte, bestehe nicht.

3.2. Die ArbVG-Novelle BGBl 1990/411 (Art I Z 6) führte durch Neufassung des § 56 Abs 2 Satz 2 ArbVG („Die Wahl hat mittels eines vom Wahlvorstand aufzulegenden einheitlichen Stimmzettels zu erfolgen.“) einen einheitlichen Stimmzettel ein. In bestimmten – vorliegend nicht erfüllten – Ausnahmefällen kann der Wahlvorstand beschließen, keinen einheitlichen Stimmzettel aufzulegen (§ 56 Abs 4 ArbVG). In einem solchen Ausnahmefall ist nach der mit der BRWO-Novelle BGBl 1990/690 eingeführten Bestimmung des § 35a BRWO den Arbeitnehmern stattdessen ein leerer Stimmzettel auszufolgen.

Durch Art I Z 7 der ArbVG-Novelle 1990 wurden § 59 Abs 1 ArbVG zwei Sätze angefügt. Nach dem nunmehr vorletzten Satz dieser Bestimmung liegt ein Anfechtungsgrund „auch dann vor, wenn einheitliche Stimmzettel nicht aufgelegt werden, obgleich der Wahlvorstand einen Beschluss im Sinne des § 56 Abs  4 nicht gefasst hat“. Nach dem nunmehr letzten Satz der Bestimmung liegt ein Anfechtungsgrund „jedoch nicht vor, wenn trotz eines aufgelegten einheitlichen Stimmzettels Wahlberechtigte mittels anderer Stimmzettel wählen“.

3.2.1. Mit der Einführung des einheitlichen Stimmzettels reagierte der Gesetzgeber auf das genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs, wonach Unterschiede in Färbung, Druckbuchstaben und Papierqualität keinen Wahlanfechtungsgrund darstellen (Marhold/Mayer-Maly, Arbeitsrecht2 II 171). Aus der Bestimmung des § 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG ergibt sich nach den Gesetzesmaterialien, dass der Wähler nicht gehalten ist, den einheitlichen Stimmzettel zu verwenden, sondern „zulässigerweise“ auch einen anderen Stimmzettel verwenden kann (ErläutRV 1308 BlgNR 17. GP 8). Damit lässt das Gesetz nach Marhold/Mayer-Maly (Arbeitsrecht2 II 171) indirekt zu, dass von den Fraktionen (weiterhin) Fraktionsstimmzettel ausgegeben werden. Ebenso lehrte Strasser (Die Arbeitsverfassungsgesetznovellen des Jahres 1990, DRdA 1990, 409 [420 f]), dass durch die ArbVG-Novelle 1990 sich am System nichts Wesentliches geändert habe und im Ergebnis an die Stelle der bis dahin zwingenden Ausgabe eines leeren Stimmzettels jene des einheitlichen Stimmzettels getreten sei. In der jüngeren Literatur wird ohne weitere Begründung die Zulässigkeit von Fraktionsstimmzetteln anerkannt (Kallab in ZellKomm2 § 56 ArbVG Rz 24; Windisch-Graetz in Tomandl, ArbVG § 56 Rz 2, § 59 Rz 28; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 II § 56 Rz 5; ders, Glosse zu 9 ObA 40/11i in DRdA 2013, 37 [38]).

3.2.2. Der erkennende Senat hat erwogen:

Nach dem Gesetzestext liegt ein Anfechtungsgrund ausdrücklich nicht vor, wenn trotz eines aufgelegten einheitlichen Stimmzettels Wahlberechtigte mittels anderer Stimmzettel wählen (§ 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG). Die Verwendung eines anderen Stimmzettels erfolgt nach den Gesetzesmaterialien „zulässigerweise“, also rechtmäßig (aA Vinzenz, Mangelhafte Betriebsratswahl, JAP 2013/2014, 230 [231]). Dass ein Fraktionsstimmzettel kein „anderer Stimmzettel“ wäre, ist dem ArbVG und den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass der Fraktionsstimmzettel nicht als „anderer Stimmzettel“ (weiterhin) verwendet werden darf, hätte er dem im Gesetz oder zumindest in den Materialien Ausdruck zu verleihen gehabt, zumal ihm der Einsatz von Fraktionsstimmzetteln bei Verabschiedung der ArbVG-Novelle 1990 bekannt war.

Die Verwendung von Fraktionsstimmzetteln ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs gibt es kein verfassungsrechtliches Gebot, nach dem die Stimmabgabe so geregelt werden muss, dass sie nur unter Verwendung von amtlichen Stimmzetteln vorgenommen werden darf (VfGH W I 7/96 = VfSlg

 14.847; W I 2/05 = VfSlg 17.610; W I 4/07 = VfSlg 18.729). Zum Teil wird in der Literatur postuliert, der Gesetzgeber habe, wenn er nichtamtliche Stimmzettel zulässt, wenigstens sicherzustellen, dass jeder Wähler, der vor die Wahlbehörde tritt, einen (leeren) amtlichen Stimmzettel verlangen kann (Schick in Neisser/Handstanger/Schick, Bundeswahlrecht2 82; weiterführend Holzinger/Holzinger in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht Art 26 B-VG Rz 54 mwN). Selbst dieser verschärften Anforderung entspricht aber das Betriebswahlrecht, zumal nach § 24 Abs 3 Satz 1 (iVm § 21a) BRWO (idF BGBl 1990/690) dem Wähler vom Vorsitzenden ein undurchsichtiger leerer Umschlag (Wahlkuvert) und ein einheitlicher Stimmzettel auszufolgen ist. Der Wähler muss daher nicht einmal nach einem einheitlichen Stimmzettel fragen (was wohl auch bedenklich wäre, zumal hieraus geschlossen werden könnte, dass er von einem bereits zuvor verteilten Fraktionsstimmzettel nicht Gebrauch machen, also offenbar eine andere Wahl treffen möchte).

3.2.3. Der Senat schließt sich daher der einhelligen Auffassung in der Literatur, dass die Verwendung von Fraktionsstimmzetteln bei Betriebsratswahlen zulässig ist, an.

4. Dass die Beklagte ihren Fraktionsstimmzettel „systematisch“ einsetzte, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die Wahlanfechtung nicht stützen. Es liegt in der Natur von Fraktionsstimmzetteln, systematisch eingesetzt zu werden. Der Gesetzgeber hat mit der ArbVG-Novelle 1990 den als solchen systematisch eingesetzten Fraktionsstimmzettel gerade nicht verboten. Es steht jeder wahlwerbenden Gruppe frei, einen eigenen Fraktionsstimmzettel zu verwenden oder dies – so wie die Klägerin – zu unterlassen.

5. Nach den Feststellungen erhielten die Wähler beim Betreten des Wahllokals ein Kuvert samt einheitlichem Stimmzettel ausgehändigt. Damit wurde § 24 Abs 3 Satz 1 (iVm § 21a) BRWO Genüge getan und sichergestellt, dass jeder Wähler in der Wahlzelle die freie Wahl hat.

6. Die Behauptung der Klägerin, dass es für den Wähler nicht erkennbar gewesen sei, ob es sich bei den vor dem Wahllokal verteilten Stimmzettel bereits um den „amtlichen“ (einheitlichen) Stimmzettel handelte, erweist sich als irrelevant, weil es durch die festgestelltermaßen erfolgte Übergabe des Wahlkuverts samt einheitlichem Stimmzettel beim Betreten des Wahllokals klar war, dass erst der im Wahllokal erhaltene Stimmzettel der „amtliche“ war.

7. Dass der Klägerin im Unterschied zur anderen wahlwerbenden Gruppe ein Muster des einheitlichen Stimmzettels verweigert worden wäre, bewahrheitete sich im Verfahren nicht. Auch hierauf lässt sich die Wahlanfechtung nicht stützen.

8. Das Vorbringen, die Verteilung der Fraktionsstimmzettel sei direkt vor den Wahllokalen
– nämlich am Gang – erfolgt, wurde zwar unter Beweis gestellt, stellt aber keinen Wahlanfechtungsgrund im Sinne des § 59 Abs 1 ArbVG dar:

8.1. Die Stimmabgabe wird in § 24 BRWO näher geregelt. Hinsichtlich der Wahlzelle wird dabei in Abs 1 verlangt, diese derart herzustellen, dass der Wähler in der Zelle unbeobachtet von allen anderen im Wahllokal anwesenden Personen den Stimmzettel ausfüllen und in das Wahlkuvert geben kann, und im Übrigen für die Einrichtung der Wahlzelle die Geltung des § 57 NRWO verfügt. Auf die unmittelbar folgende Bestimmung des § 58 NRWO wird in § 24 Abs 1 BRWO oder einer anderen Bestimmung der BRWO oder des ArbVG gerade nicht verwiesen.

Das EA Innsbruck entschied bereits vor langem zu den (insoweit inhaltsgleichen) Vorgängerbestimmungen der heutigen BRWO und NRWO, dass allein die Bestimmungen des Wahlgesetzes (heute: NRWO) für die Errichtung der Wahlzelle sinngemäß zu gelten haben und daher das im Wahlgesetz bestehende Verbot der Wahlagitation in der Nähe des Wahlorts bei der Betriebsratswahl nicht gelte (R 4/47 = Arb 4954). Die heutige BRWO wurde durch BGBl 1974/319 eingeführt und seither mehrmals novelliert, gleichwohl aber keine Bestimmung über eine Verbotszone statuiert. Es ist daher von einer beabsichtigten Lücke in der BRWO auszugehen; dies umso mehr, als derselbe Verordnungsgeber (Bundesminister für soziale Verwaltung; § 264 Abs 2 Z 11 ArbVG) in der ebenso von ihm erlassenen

Arbeiterkammer-Wahlordnung (BGBl II 1998/340) in § 35 sehr wohl eine Verbotszone festlegte. Vom Gesetzgeber beabsichtigte

Lücken rechtfertigen einen Umkehrschluss (RIS-Justiz RS0008870), sodass anders als etwa bei einer Nationalratswahl (§ 58 NRWO) oder einer Arbeiterkammerwahl (§ 35 AKWO) bei einer Betriebsratswahl keine Verbotszone zu beachten ist.

8.2. Im Übrigen unterliegt der Kognition des Gerichts nach § 59 Abs 1 ArbVG nur die Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts. Die Verbreitung nichtamtlicher Stimmzettel durch eine Wählergruppe ist der Wahlwerbung zuzurechnen und kein Teil des Wahlverfahrens (VfGH W I 16/91 = VfSlg 13.090; W I 4/07 = VfSlg 18.729). Es verbleibt damit nur die Verletzung von leitenden Grundsätzen des Wahlrechts als zu prüfender Anfechtungsfall. Die Beeinflussung der Wähler durch mündliche oder schriftliche Agitation (= Wahlwerbung) ist aber nur dann in diesem Sinne relevant, wenn sie die zum Schutz der Wahlfreiheit – einem leitenden Grundsatz des Wahlrechts – gezogenen Schranken überschreitet und damit gegen das Postulat der „Reinheit der Wahlen“, in deren Ergebnis der wahre Wille der Wählerschaft zum Ausdruck kommen soll, verstößt (8 ObA 287/99k mwN). Das bloße Verteilen von Fraktionsstimmzetteln, mag es auch im Gang unmittelbar vor dem Wahllokal erfolgen, überschreitet diese Schranken jedenfalls nicht.

8.3. Dass – wie in der Anfechtungsklage vorgebracht – durch das Verteilen von Fraktionsstimmzetteln am Gang vor dem Wahllokal die Wähler „genötigt“ gewesen seien, den einheitlichen Stimmzettel gar nicht mehr anzunehmen, wurde nicht erwiesen. Es steht fest, dass jedem Wähler beim Betreten des Wahllokals das (Wahl-)Kuvert samt einheitlichem Stimmzettel übergeben wurde und die Wähler in ihrer Entscheidung frei waren, den persönlichen Stimmzettel (Fraktionsstimmzettel) zu verwenden oder auch nicht.

8.4. Durch die Verteilung der Fraktionsstimmzettel am Gang vor dem Wahllokal wurde entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch keine Situation geschaffen, die (tragfähige) Rückschlüsse auf das Wahlverhalten zugelassen hätte, sodass das absolute Wahlgeheimnis verletzt wäre. Es ist zwar richtig, dass bei einem Wähler, der die Wahlzelle mit dem Fraktionsstimmzettel in der Hand wieder verlässt, ein Anschein besteht, dass er nicht diese wahlwerbende Gruppe gewählt hat. Es ist aber jedem Wähler leicht möglich, zwecks Vermeidung des genannten Anscheins den nicht verwendeten Fraktionsstimmzettel beim Verlassen der Wahlzelle zu verbergen, zB in der Hosentasche oder Handtasche.

9. Hinsichtlich der Auszählung beanstandete die Klägerin in ihrer Anfechtungsklage allein, dass es für die andere wahlwerbende Gruppe als Stimme gewertet wurde, wenn ein Wähler sowohl den „amtlichen“ Stimmzettel, ohne darauf eine der beiden wahlwerbenden Gruppe angekreuzt zu haben, als auch den vor dem Wahllokal verteilten (Fraktions-)Stimmzettel in das Wahlkuvert legte.

9.1. Bei Verwendung eines leeren Stimmzettels oder eines anderen Stimmzettels erfolgt nach § 24 Abs 5b Satz 1 BRWO eine gültige Stimmabgabe, wenn aus dem Stimmzettel eindeutig zu erkennen ist, welchen Wahlvorschlag der Wähler wählen wollte. Dies ist nach § 24 Abs 5b Satz 2 BRWO „insbesonders der Fall, wenn auf dem Stimmzettel der Wahlvorschlag durch die Bezeichnung (§ 20 Abs 3) oder durch Angabe eines oder mehrerer Wahlwerber eindeutig bezeichnet wird“.

Hier war auf den Fraktionsstimmzetteln jeweils der Name eines Kandidaten der betreffenden wahlwerbenden Gruppe gestempelt. Damit war nach dem klaren Wortlaut des § 24 Abs 5b Satz 2 BRWO durch die Verwendung des Fraktionsstimmzettels eindeutig zu erkennen, dass der Wähler seine Stimme der betreffenden Fraktion (wahlwerbenden Gruppe) geben wollte.

9.2. Soweit das Berufungsgericht meint, die Abgabe eines unausgefüllten Fraktionsstimmzettels könne nicht als eindeutige Stimme für die angegebene Liste angesehen werden, übersieht es die soeben genannte Bestimmung und missversteht den von ihm zitierten Rechtssatz (RIS-Justiz RS0127721), der – wie der ihm zugrundeliegenden Entscheidung 9 ObA 40/11i zu entnehmen ist – nur einheitliche Stimmzettel mit bloß einem einzigen Wahlvorschlag betrifft. Dass bei einem einheitlichen Stimmzettel mit bloß einem einzigen Wahlvorschlag das Abgeben dieses Stimmzettels ohne Eintrag durch den Wähler nicht als eindeutige Stimme für den Wahlvorschlag angesehen werden kann, ist naheliegend:

Ein unausgefüllter Stimmzettel mit mehreren Wahlvorschlägen gibt schon grundsätzlich keinen Hinweis auf einen bestimmten Wählerwillen. Enthält ein einheitlicher Stimmzettel nur einen Wahlvorschlag, trifft dies ebenso zu, zumal es eben grundsätzlich nur diesen (einheitlichen) Stimmzettel gibt, der – weil vom Wahlvorstand beschlossen – grundsätzlich keine Präferenz für den darin genannten Wahlvorschlag abgibt. Der einheitliche Stimmzettel enthält daher – auch wenn er nur einen Wahlvorschlag enthält – definitionsgemäß noch keine Willensbekundung, sondern bedarf notwendigerweise noch der Ergänzung des Wählerwillens darauf (idS bereits Gerhartl, Fehlerhafte Stimmenzählung im Zuge einer Betriebsratswahl, ASoK 2013, 255 [259 f]). Aus diesem Grund verlangt § 24 Abs 5a BRWO beim einheitlichen Stimmzettel eine aktive Veränderung desselben: Es muss „der Wille des Wählers durch Ankreuzen, Unterstreichen oder andere Kennzeichnung eines Wahlvorschlages durch Durchstreichen der übrigen Wahlvorschläge oder auf sonstige Weise eindeutig zu erkennen“ [sein].

Anders ist dies aber bei einem eigenen Stimmzettel oder auch bei einem Fraktionsstimmzettel. Solche „anderen Stimmzettel“ (§ 59 Abs 1 letzter Satz ArbVG, § 24 Abs 3 und 5b sowie § 34 Abs 1 letzter Satz BRWO) werden als solche nicht vom Wahlvorstand erstellt, sondern vom einzelnen Wähler bzw einer wahlwerbenden Gruppe. Dass schon die Verwendung eines solchen Stimmzettels beim Wahlvorgang einen hinreichend eindeutigen Schluss auf den Wählerwillen zulässt, wurde bereits vor Einfügung des Abs 5b in § 24 BRWO durch BGBl 1990/690 judiziert (EA Linz Re 79/83 = Arb 10.253; vgl auch EA Leoben Re 35/82 = Arb 10.162). Die nunmehrige Regelung des § 24 Abs 5b BRWO geht auch davon aus. Sie verlangt – im Unterschied zur für einheitliche Stimmzettel geltenden Regelung des § 24 Abs 5a BRWO – gerade keine Veränderung des Stimmzettels, sondern nur, dass „aus dem Stimmzettel eindeutig zu erkennen ist, welchen Wahlvorschlag der Wähler wählen wollte“.

Dabei ist es auch völlig unerheblich, wer diesen „anderen Stimmzettel“ erstellt hat und durch welche Schriftzeichen – hand- oder maschinengeschrieben oder (wie hier) gestempelt – der Wählerwille ausgedrückt wird, weil der Wahlvorgang (in der Wahlzelle und abseits der Briefwahl) grundsätzlich die Abgabe des Stimmzettels ist (§ 24 Abs 2 BRWO), wozu (nur) beim einheitlichen Stimmzettel noch das Ausfüllen desselben hinzutritt (§ 24 Abs 3 Satz 3 BRWO). Bei einem anderen Stimmzettel besteht der Wahlvorgang in dessen Verwendung, sodass auch mit im Vorhinein ausgefüllten Stimmzettel gewählt werden kann.

Soweit in der Literatur (Löschnigg in Jabornegg/Resch, ArbVG § 51 Rz 19; Schneller in Gahleitner/Mosler, Arbeitsverfassungsrecht5 II § 51 Rz 13) unter Berufung auf 9 ObA 40/11i die Meinung vertreten wird, aus der bloßen Verwendung des Stimmzettels einer wahlwerbenden Partei (also eines Fraktionsstimmzettels), bei welchem nicht durch Ankreuzen die ausdrückliche Zustimmung erkennbar sei, könne keine gültige positive Stimmabgabe erblickt werden, kann dem vom erkennenden Senat aus den dargelegten Überlegungen nicht gefolgt werden.

9.3. Enthält ein Wahlkuvert mehrere Stimmzettel, die auf verschiedene Wahlvorschläge lauten, so sind sie nach § 24 Abs 7 Satz 1 BRWO ungültig. Enthält ein Wahlkuvert mehrere Stimmzettel, die auf denselben Wahlvorschlag lauten, so zählen sie nach § 24 Abs 7 Satz 2 BRWO als eine gültige Stimme.

Keiner dieser beiden Fälle ist erfüllt, wenn ein unausgefüllter einheitlicher Stimmzettel und ein Fraktionsstimmzettel in das Wahlkuvert gelegt werden. Erster ist mangels Ankreuzen etc ungültig (§ 24 Abs 6 Z 1 BRWO), letzterer wie erörtert wegen des eindeutigen zu erkennenden Wählerwillens gültig (vgl auch § 24 Abs 6 Z 1 BRWO e contrario).

Enthält das Wahlkuvert einen gültigen und einen leeren (unausgefüllten) Stimmzettel, so liegt eine gültige Stimme für die wahlwerbende Gruppe vor, auf welche der Fraktionsstimmzettel hinweist (vgl (Jabornegg/Naderhirn/ Trost, Betriebsratswahl6 182: gültige Stimme, wenn Wahlkuvert einen gültigen und einen leeren Stimmzettel enthält).

10. Keiner der in der Anfechtungsklage vorgebrachten Anfechtungsgründe erweist sich daher als durchschlagend. Der Revision war Folge zu geben und die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 2, 58 Abs 1 ASGG iVm §§ 41 und 50 ZPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:008OBA00061.17D.0223.000

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