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OGH vom 29.03.2011, 10ObS31/11y

OGH vom 29.03.2011, 10ObS31/11y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schleinbach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei K***** M*****, vertreten durch Dr. Werner Mecenovic, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef Pongratz Platz 1, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Helmut Destaller und Dr. Gerald Mader Rechtsanwälte in Graz, wegen Rückforderung von Karenzgeld (4.495 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 89/09h 14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 29 Cgs 95/08z 10, bestätigt wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat am ihre Tochter Julia geboren. Im Zeitraum vom bis bezog sie Karenzgeld in Höhe von insgesamt 4.495 EUR. Daneben erzielte sie in der Zeit vom bis ein steuerpflichtiges Einkommen als Lehrerin in Höhe von gesamt 10.814,18 EUR.

Mit Bescheid vom widerrief die beklagte Steiermärkische Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Karenzgeldes für den Zeitraum vom bis wegen Überschreitung des Grenzbetrags von 14.600 EUR und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der unberechtigt empfangenen Leistung in Höhe von insgesamt 4.495 EUR.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Feststellung, dass die Klägerin nicht zum Ersatz der im Zeitraum vom bis empfangenen Leistungen verpflichtet sei, gerichtete Klagebegehren ab; es verpflichtete die Klägerin, das im genannten Zeitraum bezogene Karenzgeld binnen 14 Tagen zurückzuzahlen. Zur Ermittlung des maßgeblichen Gesamteinkommens stellte es folgende (im Revisionsverfahren nicht mehr strittige) Berechnung an: 10.814,18 EUR : 10 x 12 = 12.977.016 EUR; abzüglich des Werbungskostenpauschales von 132 EUR und erhöht um 30 % ergibt sich ein maßgebliches Gesamteinkommen von 16.698,52 EUR, das die zulässige Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR um 2.098,52 EUR oder 14,37 % übersteigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Nach der hier anzuwendenden Fassung der KBGG Härtefälle Verordnung BGBl II 2001/405 liege eine geringfügige unvorhersehbare Überschreitung iSd § 1 der Verordnung nur bei einer Überschreitung der Grenzbeträge gemäß § 2 Abs 1 Z 3 und § 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 10 % vor. Erst seit der Änderung der KBGG Härtefälle Verordnung mit der Verordnung BGBl II 2004/91 sei eine Überschreitung von 15 % maßgeblich; dieser Prozentsatz gelte aber nur im Fall einer Geburt nach dem und daher nicht zugunsten der Klägerin, die die Zuverdienstgrenze um mehr als 10 % überschreite und daher zur Rückzahlung des im Jahr 2003 bezogenen Karenzgeldes verpflichtet sei. Die Regelung sei auch nicht verfassungswidrig, denn die Anhebung des maßgeblichen Überschreitungsprozentsatzes von 10 auf 15 % liege im rechtspolitischen Ermessensspielraum des Gesetzgebers.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

In der Revision machte die Klägerin Bedenken gegen die Gesetzes- und Verfassungskonformität des § 4 der Verordnung BGBl II 2004/91 geltend.

Der Oberste Gerichtshof hat die Revision der Klägerin schon deshalb für zulässig angesehen, weil Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Wortfolge „und gilt für Geburten nach dem “ in der präjudiziellen Übergangsbestimmung des § 4 der KBGG Härtefälle Verordnung (BGBl II 2001/405 idF BGBl II 2004/91) bestanden und mit Beschluss vom , 10 ObS 33/10s, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 3 B VG einen entsprechenden Verordnungsprüfungsantrag gestellt. Mit der Fortführung des Revisionsverfahrens wurde gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom , V 76/10 11, diese Wortfolge als gesetzwidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass sie nicht mehr anzuwenden ist.

Nach Zustellung dieses Erkenntnisses ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen.

1. Im Hinblick auf das Erkenntnis ist nunmehr von einem maßgeblichen Überschreitungsprozentsatz von 15 % auszugehen (vgl 10 ObS 33/10s Punkt 1. bis 3. zur hier [noch] anwendbaren Rechtslage). Da das maßgebliche Gesamteinkommen der Klägerin von 16.698,52 EUR, die zulässige Zuverdienstgrenze (14.600 EUR) um 2.098,52 EUR oder 14,37 % übersteigt, liegt also eine „geringfügige“ Überschreitung iSd § 1 lit a der KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2001/405 idF BGBl II 2004/91) vor.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein Härtefall im Sinne der genannten Bestimmung aber nur gegeben, wenn eine bloß geringfügige Überschreitung der Grenzbeträge gemäß § 2 Abs 1 Z 3 und § 9 Abs 3 KBGG um nicht mehr als 15 % vorliegt und diese Überschreitung für den Leistungsempfänger unvorhersehbar war. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, ist vom Krankenversicherungsträger auf die Rückforderung zu verzichten (10 ObS 186/10s; 10 ObS 63/09a = SSV-NF 23/38; 10 ObS 145/09k; 10 ObS 143/09s = SSV-NF 23/66 ua).

3. Die beiden für das Bestehen eines Härtefalls erforderlichen Voraussetzungen stellen nämlich auf das Vorliegen unterschiedlicher Kriterien ab: einerseits auf die objektive Höhe der Überschreitung der Grenzbeträge und andererseits auf die subjektive Vorhersehbarkeit bzw Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Grenzbeträge für den Leistungsempfänger. Die Ansicht der Klägerin, jede nur geringfügige (objektive) Überschreitung der Grenzbeträge sei auch (subjektiv) für den Leistungsbezieher nicht vorhersehbar gewesen, trifft daher, wie auch der vorliegende Fall zeigt, nicht zu (10 ObS 186/10s).

4. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst (zu 10 ObS 186/10s) ausgeführt, dass bei der von der Klägerin (im Verfahren erster Instanz) vertretenen Auslegung auch die damals vorgesehene Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR ihre Bedeutung verlieren würde, weil jeder Leistungsbezieher ohne Gefahr einer Rückforderung tatsächlich 16.060 EUR (= 14.600 EUR + 10 %) dazuverdienen könnte. Im vorliegenden Fall ergebe sich eine jeweilige Zuverdienstmöglichkeit von 16.790 EUR (= 14.600 EUR + 15 %).

5. Das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ ist nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS Justiz RS0124751) dann erfüllt, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte; wobei den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte trifft (10 ObS 167/10x mwN) und die Fragen der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung bzw des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs jeweils nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden können (10 ObS 137/09h; 10 ObS 208/09z; 10 ObS 167/10x). Diesbezügliche Leitlinien hat der Oberste Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 10 ObS 63/09a = SSV-NF 23/38 = RIS-Justiz RS0124751 und 10 Ob 143/09s = SSV-NF 23/66 (betreffend Supplierstunden, die von der dort klagenden Lehrerin jedoch [offenbar anders als hier] gehalten werden mussten ) vorgegeben.

6. Demgemäß hat die Klägerin den in erster Instanz vertretenen Standpunkt, dass die Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze kein eigenes Kriterium sei, im Hinblick auf die „nunmehr vorliegende Judikatur“ in der Berufung gegen das Ersturteil nicht weiter aufrecht erhalten. Sie hat vielmehr darauf verwiesen, dass es „einen sekundären Verfahrensmangel begründen kann (§ 182a iVm § 496 Abs 1 Z 3 ZPO)“, wenn vor dem Hintergrund dieses unrichtigen Rechtsstandpunkts ihre Vernehmung als Partei unterblieben sei, zumal diese Judikatur des Obersten Gerichtshofs nicht erörtert worden sei. Das Erstgericht habe jedoch auch ohne Einvernahme der Klägerin die Feststellung getroffen, dass sie von der Beklagten die Auskunft erhalten habe, als Teilzeitbeschäftigte Karenzgeld beziehen zu dürfen und dass sich die Klägerin auf die Richtigkeit dieser Aussage verlassen habe. Eine unrichtige bzw unvollständige Auskunft der beklagten Partei über die Zuverdienstgrenze begründe das Kriterium der Unvorhersehbarkeit ihrer Überschreitung.

6.1. Auch in der außerordentlichen Revision führt die Klägerin zum Kriterium der Unvorhersehbarkeit lediglich aus, sie habe diesbezüglich „geltend gemacht“, auf Anfrage von der Beklagten die Auskunft erhalten zu haben, als Teilbeschäftigte Karenzgeld beziehen zu dürfen und sich auf die Richtigkeit dieser Aussage verlassen. Sie beruft sich also weiterhin allein darauf, dass deshalb eine Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze vorliege, weil durch eine Auskunft der Beklagten für die Klägerin der unrichtige Eindruck entstanden sei, dass beim Bezug von Karenzgeld keine Zuverdienstgrenzen zu beachten seien.

6.2. Die Revisionsbeantwortung hält dazu fest, die Klägerin sei von der Beklagten zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert worden, weshalb die bei ihr vorliegende geringfügige Überschreitung des Grenzbetrags auch unvorhersehbar gewesen sei. In ihrem Antwortschreiben habe die Klägerin angegeben, dass ihr anlässlich einer telefonischen Anfrage bei der beklagten Partei mitgeteilt worden sei, neben dem Karenzgeldbezug teilzeitbeschäftigt erwerbstätig sein zu können. Da eine Teilzeitbeschäftigung per se dem Kinderbetreuungsgeld oder erweitertem Karenzgeldbezug nicht schade, sofern das daraus erzielte Einkommen nicht auch die Zuverdienstgrenzen überschreite, sei die Auskunft der Beklagten durchaus richtig; wenn auch im Regelfall darauf hingewiesen werde, dass immer die jeweilige Zuverdienstgrenze zu beachten sei. Aber auch wenn dies im konkreten Gespräch nicht erfolgt sein sollte, würde dies nichts an der Pflicht der Klägerin ändern, die Zuverdienstgrenze einzuhalten. Im Umstellungsantrag vom habe die Klägerin zwar bestätigt, sich über die Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere die Notwendigkeit der Einhaltung der jeweiligen Zuverdienstgrenzen ausreichend informiert zu haben, sie scheine sich jedoch - wie ihrem Schreiben zu entnehmen sei - mit der Berechnung der für sie geltenden Zuverdienstgrenze nicht auseinandergesetzt zu haben.

7. Das Kriterium der „Unvorhersehbarkeit“ (vgl Punkt 5. ) wird damit gar nicht angesprochen. Geltend gemacht wird vielmehr der Umstand, dass die Überschreitung der Zuverdienstgrenze von der Klägerin deshalb nicht verschuldet worden sei, weil sie sich auf eine unrichtige Auskunft der Beklagten verlassen habe, dass beim Bezug von Karenzgeld gar keine Zuverdienstgrenzen zu beachten seien. Das Klagevorbringen ist inhaltlich also lediglich auf mangelndes Verschulden gerichtet, weil - wie die Revisionswerberin meint - auch dieser Umstand das Kriterium der Unvorhersehbarkeit ihrer Überschreitung begründe.

8. Dabei wird übersehen, dass die Klägerin auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen verpflichtet ist, wenn sich ohne ihr Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat (§ 39 KGG iVm § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG), wobei gegen diese verschuldensunabhängige Rückzahlungsverpflichtung auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (zuletzt: 10 ObS 167/10x mwN):

9. Die Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch eine von der Klägerin selbst begehrte Auszahlung eines Entgelts war demnach für sie auch dann nicht „unvorhersehbar“, wenn sie sich dabei auf eine (grundsätzlich zutreffende, aber offenbar missverstandene [vgl 10 ObS 167/10x]) Auskunft der Beklagten verlassen hat, dass eine Teilzeitbeschäftigung dem Kinderbetreuungsgeld oder erweitertem Karenzgeldbezug nicht schade; also selbst dann, wenn für sie der unrichtige Eindruck entstanden sein sollte, dass beim Bezug von Karenzgeld keine Zuverdienstgrenzen zu beachten seien.

Im Ergebnis musste die Revision der Klägerin daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Umstände, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit an die unterlegene Klägerin im Sinne dieser Gesetzesstelle rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.