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VfGH vom 18.06.1980, B510/77

VfGH vom 18.06.1980, B510/77

Sammlungsnummer

8841

Leitsatz

EStG 1972; keine Bedenken gegen § 4 Abs 3 und Abs 4; keine denkunmögliche und keine gleichheitswidrige Anwendung

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt; er ermittelt seinen Gewinn gem. § 4 Abs 3 EStG 1972.

Mit dem im Instanzenzug ergangengen Bescheid vom hat die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. einen in der Einkommensteuererklärung des Beschwerdeführers für das Jahr 1974 als Betriebsausgabe unter dem Titel "dubioses Darlehen" angeführten Betrag von 105000 S nicht als Betriebsausgabe anerkannt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht wird.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. Gem. § 4 Abs 3 EStG 1972 kann als Gewinn der Überschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben angesetzt werden, wenn das Betriebsvermögen am Schluß des einzelnen Wirtschaftsjahres vom Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahres in der Regel nicht wesentlich abweicht. Nach Abs 4 dieser Gesetzesbestimmung sind Betriebsausgaben die Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlaßt sind.

Gegen diese Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides sind verfassungsrechtliche Bedenken weder vorgebracht worden noch beim VfGH entstanden (s. hiezu auch das den - wortgleichen - § 4 Abs 3 EStG 1967 betreffende Erk. des VfGH, VfSlg. 8165/1977).

2. Der Beschwerdeführer erachtet sich deshalb im Gleichheitsrecht verletzt, weil es keinen sachlich gerechtfertigten Grund dafür gebe, "Einnahmen- und Ausgabenrechner einerseits sowie Gewinnermittler gem. § 4 Abs 1 EStG hinsichtlich des Verlustes eines - betrieblich veranlaßten - Darlehens steuerlich anders zu behandeln". Eine weitere sachlich ungerechtfertigte Differenzierung treffe die belangte Behörde, wenn sie vermeine, daß bei Steuerpflichtigen mit Einkünften aus selbständiger Arbeit Wirtschaftsgüter häufiger zum notwendigen Privatvermögen gerechnet werden als bei Gewerbetreibenden und reine Geldgeschäfte in der Regel als berufsfremd anzusehen seien. Es könne keine Rede davon sein, daß insb. bei Rechtsanwälten Darlehen und Bürgschaftsübernahmen berufsfremd seien, wenn man bedenke, daß sie in den meisten Fällen ihren Klienten die Gerichtsgebühren vorstrecken und damit kreditieren müßten.

Im Eigentumsrecht erachtet sich der Beschwerdeführer deshalb verletzt, weil die belangte Behörde in denkunmöglicher Anwendung des Wortes "veranlassen" in § 4 Abs 4 EStG das Darlehen nicht als Betriebsausgabe angesehen habe. Das Wort "veranlassen" sei sowohl grammatikalisch als auch im Zivil- sowie Steuerrecht iS des reinen Verursachungsprinzipes auszulegen, wobei nach ständiger Lehre und Rechtsprechung Zweckmäßigkeit bzw. Verschulden nicht zu prüfen seien. Der Beschwerdeführer habe das ohnehin nur kurzfristige Darlehen zwei langjährigen Klienten, von Beruf Baumeister, nur deshalb gewährt, weil diese Klienten dem Beschwerdeführer bereits zahlreiche Geschäftsfälle vermittelt hätten. Der Beschwerdeführer habe sich insofern in einer Zwangslage befunden, als er unter den gegebenen Umständen das Ersuchen um ein kurzfristiges Darlehen als Überbrückungshilfe schwer habe ablehnen können, zumal in diesem Zeitpunkt die Uneinbringlichkeit der Forderung (über die beiden Klienten sei in der Folge ein Insolvenzverfahren eröffnet worden) schon im Hinblick auf die Kurzfristigkeit des Darlehens nicht voraussehbar gewesen sei. Dazu sei noch gekommen, daß das Darlehen für die Auszahlung von Löhnen gedient habe, damit die Klienten ihre Arbeitskräfte erhalten könnten und nicht der Gefahr eines Insolvenzverfahrens ausgesetzt würden. Dieser Zweck sei mit ein Grund für die Darlehensgewährung gewesen, damit der Beschwerdeführer nicht seine beträchtlichen Kostenforderungen durch ein Insolvenzverfahren aufs Spiel setzen müßte. Es bestehe daher eindeutig ein "zumindest dreifacher, unwiderlegbarer Kausalzusammenhang" zwischen der Berufstätigkeit des Beschwerdeführers und der Darlehensgewährung. Zu den ansonsten (Bevorschussung für Gerichtsgebühren u. dgl.) durch Rechtsanwälte an ihre Klienten gewährten Darlehen und dem vorliegenden Vorgang bestehe aber kein Unterschied, wenn in der gegebenen Zwangssituation ein Darlehen gewährt worden sei, zumal die Motive hiefür ua. das "Erkenntlichzeigen für vermittelte Geschäftsfälle und die Erhaltung von Kostenforderungen" gewesen seien.

3. Die Behörde hat ihre Entscheidung damit begründet, daß die Kreditgewährung nicht durch den Betrieb veranlaßt gewesen sei. Sie hat sich dabei darauf gestützt, daß nach dem Erk. des , ein Darlehen nur in den Ausnahmsfällen als Betriebsvermögen angesehen werden könne, in denen ein deutlich wahrnehmbarer und nach der Verkehrsauffassung einleuchtender wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem freiberuflichen Betrieb und der Gewährung des Darlehens bestehe. Der Aufgabenkreis eines Rechtsanwaltes umfasse die rechtliche Beratung seiner Klienten sowie die Vertretung dieser Klienten vor Gerichten und Behörden sowie die berufsmäßige Parteienvertretung in allen gerichtlichen, öffentlichen und privaten Angelegenheiten. Eine Verpflichtung, in Notsituationen gelangte Auftraggeber finanziell zu unterstützen bzw. diesen Darlehen zu gewähren, sei durchaus nicht abzuleiten. Der Versuch, die betriebliche Bedingtheit der Darlehenshingabe damit zu begründen, daß auf diese Weise Honorarforderungen gerettet werden sollten, sei nicht zielführend. Die Gewährung eines Darlehens an einen Klienten sei nach der Verkehrsauffassung weder geeignet, der rechtsanwaltlichen Tätigkeit zu dienen noch diese zu fördern. Es sei nicht üblich, daß Angehörige freier Berufe ihren Auftraggebern Darlehen gewähren. Es müsse vielmehr davon ausgegangen werden, daß der Angehörige eines freien Berufes solche Darlehen im Rahmen seines Privatvermögens eingeht. Das gelte vor allem für die Fälle, in denen der Freiberufliche durch ein solches Geldgeschäft sich einen Auftraggeber zu erhalten oder einen solchen zu gewinnen suche.

4. Im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte der Beschwerdeführer nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. zB VfSlg. 8083/1977) im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur dann verletzt worden sein, wenn der in sein Eigentum eingreifende Bescheid in denkunmöglicher Anwendung eines Gesetzes erlassen worden wäre.

Der Beschwerdeführer könnte im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. zB VfSlg. 7996/1977) nur dann verletzt worden sein, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie Willkür geübt hätte.

Die Behörde hat jedoch - entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführers - dem Gesetz deshalb keinen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, weil sie nicht den Standpunkt vertreten hat, daß Darlehen für jene Steuerpflichtigen keine Betriebsausgabe sein können, die ihren Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG 1972 ermitteln.

Wenn die Behörde nämlich am Beginn ihrer Erwägungen im angefochtenen Bescheid ausführt, daß bei der Gewinnermittlung durch Überschußrechnung ein Vergleich des Vermögensstandes zu unterbleiben habe und daher Forderungen (somit auch Darlehen) außer Betracht zu bleiben hätten, dann hat sie damit die Möglichkeit, ein Darlehen als Betriebsausgabe iS des § 4 Abs 4 EStG 1972 zu werten, nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Die Behörde hat sich nämlich in der Begründung des Bescheides sodann mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Darlehen aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles als Betriebsausgabe anzusehen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (vgl. zuletzt das Erk. vom , Z 2067/77, 1324/78 und die dort angeführte Vorjudikatur) ergibt sich die Zugehörigkeit eines Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen nach der Zweckbestimmung des Wirtschaftsgutes, nach den Verhältnissen und Besonderheiten des Betriebes und des Berufszweiges des Steuerpflichtigen sowie nach der Verkehrsauffassung. Die Anwendung dieser Grundsätze auch bei Beurteilung der Frage, ob eine Betriebsausgabe vorliegt, ist nicht denkunmöglich.

Wenn die belangte Behörde, von derartigen Überlegungen ausgehend, zum Schluß gekommen ist, daß die Gewährung des Darlehens im vorliegenden Fall in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit des Beschwerdeführers als Rechtsanwalt gestanden ist und daß nach der Verkehrsauffassung die Gewährung von Darlehen an Klienten (abgesehen von der Entrichtung von Gebühren u. dgl. für den Klienten im Rahmen gerichtlicher oder behördlicher Verfahren) dem Rechtsanwaltsberuf im allgemeinen fremd sei, kann dies nicht als denkunmöglich bezeichnet werden. Wenn die Behörde die Besonderheiten dieses Falles nicht so gewertet hat, daß hier ein Ausnahmsfall gegeben ist und daß auch nach der Verkehrsauffassung und den Besonderheiten im Berufszweig des Beschwerdeführers eine Aufwendung vorliegt, die durch den Betrieb des Beschwerdeführers veranlaßt ist, dann ist diese Wertung nicht denkunmöglich.

Ob die Entscheidung der belangten Behörde auch richtig ist, hat der VfGH nicht zu entscheiden.

Mit der Argumentation, bei Steuerpflichtigen mit Einkünften aus selbständiger Arbeit würden Wirtschaftsgüter häufiger zum notwendigen Privatvermögen gerechnet als bei Gewerbetreibenden und insb. reine Geldgeschäfte (Darlehen, Bürgschaftsübernahme) würden in der Regel als berufsfremd angesehen, unterstellt die Behörde dem Gesetz jedenfalls keinen gleichheitswidrigen Inhalt. Dies allein schon deshalb, weil diese eher allgemein gehaltene Feststellung die Behörde in keiner Weise der Verpflichtung enthebt, im konkreten Fall zu begründen, aus welchen Erwägungen ein Geldgeschäft durch den Betrieb veranlaßt ist oder nicht.

Daß die Behörde Willkür geübt hätte, ist weder vom Beschwerdeführer behauptet worden noch im Verfahren vor dem VfGH hervorgekommen.

5. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid demnach in den von ihm geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden.

Im Verfahren ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden wäre.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.