VfGH vom 21.02.1985, B505/84

VfGH vom 21.02.1985, B505/84

Sammlungsnummer

10326

Leitsatz

StPO; mangelnde Präjudizialität des § 41 Abs 3

RAO; keine Bedenken gegen § 45 Abs 1 in bezug auf das durch Art 6 Abs 3 litc MRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht, sich selbst vor Gericht verteidigen zu können

Art144 Abs 1 B-VG; Mitteilung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer, daß einem Antrag auf Widerruf der Bestellung eines Rechtsanwaltes gemäß § 45 RAO nicht entsprochen werden könne - kein anfechtbarer Bescheid

Spruch

1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. Die gegen die Erledigung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. vom gerichtete Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom , GZ ... Vr 949/82, Hv 6/83, war dem nunmehrigen Bf. Dr. F W K in der gegen ihn wegen §§75 ua. StGB anhängigen Strafsache gemäß § 41 Abs 2 StPO für die vor dem Geschwornengericht anberaumte Hauptverhandlung ein Verteidiger beigegeben worden.

1.2. Mit Bescheid vom bestellte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. gemäß § 45 RAO im Rahmen der Beigebung Rechtsanwalt Mag. Dr. F B zum Verteidiger des Bf.

1.3. Der Bf. beantragte hierauf in einer an die Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. gerichteten Eingabe vom , die Bestellung des genannten Rechtsanwaltes - gegen dessen Person er keine Einwendungen erhob - zu widerrufen und dem Kreisgericht Korneuburg mitzuteilen, daß im Hinblick auf die Erklärung des Bf. vom , sich selbst verteidigen zu wollen, die Bestellung eines Verteidigers gemäß § 45 RAO abgelehnt werde.

Mit Erledigung vom teilte der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Wien, NÖ und Bgld. dem Einschreiter mit, daß dem Enthebungsantrag nicht entsprochen werden könne, solange der Beschl. des Kreisgerichtes Korneuburg vom , Zlen. ... Vr 949/82, Hv 6/83 (Beigebung eines Verteidigers nach § 41 Abs 2 StPO), aufrecht sei, zumal gegen die Person des bestellten Verteidigers keine Einwendungen erhoben würden.

2.1. Gegen die Erledigungen vom und vom richtet sich die vorliegende Beschwerde an den VfGH, in der ausschließlich eine Verletzung des gemäß Art 6 Abs 3 litc der Menschenrechtskonvention (MRK) gewährleisteten Rechtes auf Selbstverteidigung geltend gemacht sowie die Verfassungswidrigkeit des § 41 Abs 3 StPO, der §§28 Abs 1 liti und 45 RAO behauptet und die Aufhebung der bekämpften Erledigungen beantragt wird.

2.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenäußerung erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde gegen den Bescheid vom abzuweisen, die Beschwerde gegen die Erledigung vom zurückzuweisen.

3. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde gegen den Bescheid vom erwogen:

3. 1. Der Bf. erblickt die Verfassungswidrigkeit des bekämpften Bescheides in einer Verletzung des ihm nach Art 6 Abs 3 litc MRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, sich selbst vor Gericht verteidigen zu können. Durch die genannte Verfassungsbestimmung sei ihm ein "Wahlrecht ... zwischen Selbstverteidigung und Verteidigung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter" zugesichert. Auf einfach-gesetzlicher Stufe stehe nun ein solches Wahlrecht nicht zu. § 41 Abs 3 StPO bestimme vielmehr:

"(3) Wählt für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornen- oder Schöffengericht weder der Angeklagte selbst noch ein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger ... so ist ihm von Amts wegen ein Verteidiger beizugeben ...

Abs2 letzter Satz gilt entsprechend."

§41 Abs 3 StPO sei daher mit Verfassungswidrigkeit belastet. Verfassungswidrig seien dann aber auch die §§28 Abs 1 liti und 45 RAO, die die Zuständigkeit der bel. Beh. (auch) zur Bestellung eines Ex-offo-Verteidigers gegen den Willen des Beschuldigten vorsehen, da ihre Rechtsanwendung nur dann möglich sei, wenn die bel. Beh. die Bestimmung des § 41 Abs 3 heranziehe; denn diese Bestimmung und § 42 StPO, demzufolge das Gericht den Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer von der Beigebung eines Verteidigers zu verständigen habe, damit diese einen Rechtsanwalt als Verteidiger bestelle, verpflichteten "die bel. Beh. - offenbar ohne weitere Prüfung - in Vollziehung (?) des Gerichtsbeschlusses, einen solchen Verteidiger in Person eines Kammermitgliedes zu nomieren. Eine Vorschrift, die es der bel. Beh. gestattete, das Ersuchen des Gerichtes abzulehnen, wenn der Beschuldigte (Angeklagte) ausdrücklich erklärt hat, er wolle sich selbst verteidigen, fehle aber".

3.2.1. § 41 Abs 2 StPO regelt, unter welchen Voraussetzungen Beschuldigten (Angeklagten) über ihren Antrag vom Gericht ein Verteidiger unentgeltlich beizugeben ist. Nach Abs 3 leg. cit. ist Angeklagten insbesondere für die Hauptverhandlung vor dem Geschwornen- und dem Schöffengericht von Amts wegen ein Verteidiger auf seine Kosten beizugeben, es sei denn, daß die Voraussetzungen nach Abs 2 vorliegen.

Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so ist der Ausschuß der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit er einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle (§42 StPO).

§45 Abs 1 RAO legt fest, daß eine Partei Anspruch auf die Bestellung eines Rechtsanwaltes durch die Rechtsanwaltskammer besitzt, wenn das Gericht die Beigebung eines Rechtsanwaltes beschlossen hat. Nach § 28 Abs 1 leg. cit. ist für die Bestellung nach § 45 RAO der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer zuständig.

3.2.2. Gemäß der Verfassungsbestimmung des Art 6 Abs 3 MRK hat der Angeklagte mindestens (englischer Text) insbesondere (französischer Text) die in den lita bis e festgelegten Rechte, nach litc das Recht, "sich selbst zu verteidigen oder den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten und, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt, unentgeltlich den Beistand eines Pflichtverteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist".

3.3.1. Von dieser Rechtslage ausgehend ist den Beschwerdeausführungen zunächst entgegenzuhalten, daß der angefochtene Bescheid wohl auf einem Gerichtsbeschluß beruht, mit welchem dem Bf. für ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren unter Anwendung des § 41 Abs 2 StPO ein Verteidiger beigegeben wurde, daß diese Bestimmung von der bel. Beh. bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides jedoch nicht angewendet wurde.

Die Entscheidung, ob einem Angeklagten ein Rechtsanwalt als Verteidiger beizugeben ist, obliegt nämlich nach § 41 Abs 2 StPO ausschließlich dem Gericht, während der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer gemäß § 28 Abs 1 liti iVm. § 45 RAO zu bestimmen hat, wer aus dem Kreise der Rechtsanwälte als Verteidiger bestellt wird. Der bel. Beh. kam auch nicht zu, aus Anlaß der Erlassung des bekämpften Bescheides zu prüfen, ob § 41 Abs 3 StPO vom Gericht anzuwenden war, ein Vorgehen, das auf eine - nach Art 94 B-VG - unzulässige Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch die Verwaltungsbehörde hinausgelaufen wäre. § 41 Abs 3 StPO ist auch vom VfGH bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides nicht anzuwenden, er ist für das Beschwerdeverfahren somit nicht präjudiziell. Damit konnte sich dem VfGH aus Anlaß des Beschwerdeverfahrens auch gar nicht die Frage stellen, ob gegen § 41 Abs 3 StPO verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.

Auch der vom Bf. erhobene Vorwurf, durch den Vollzug in dem aus Art 6 Abs 3 litc MRK erfließenden subjektiven Recht verletzt zu sein, richtet sich insofern nicht gegen den angefochtenen Bescheid, sondern gegen den Beschl. des Gerichtes, der dem Bf. einen Verteidiger für das Strafverfahren beigegeben hat, sodaß auf dieses Vorbringen vom VfGH nicht einzugehen war.

3.3.2. Zu § 45 RAO, dessen Abs 1 die bel. Beh. bei Erlassung des angefochtenen Bescheides idF BGBl. 383/1983 angewendet hat, genügt es, auf VfSlg. 9535/1982 zu verweisen, in welchem Erk. zum - wortgleichen - § 45 Abs 1 RAO idF BGBl. 570/1973 dargelegt wurde, daß diese Bestimmung zu Art 6 Abs 3 litc MRK nicht in Widerspruch steht (die mangelnde Bestimmtheit, die zur Aufhebung des § 45 Abs 1 RAO idF BGBl. 570/1973 führte, veranlaßte den Gesetzgeber, § 45 Abs 1 RAO mit dem BG BGBl. 383/1983 neu zu erlassen und einen - im Beschwerdefall nicht präjudiziellen - neuen Abs 4 einzufügen). Die in VfSlg. 9535/1982 dargelegten Erwägungen treffen auch auf § 45 Abs 1 RAO idgF zu.

Der VfGH sieht sich durch die Beschwerdeausführungen somit zu verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 45 Abs 1 RAO idgF nicht veranlaßt.

3.3.3. Warum § 28 Abs 1 liti RAO - eine ausschließliche Zuständigkeitsnorm - wegen Verstoßes gegen Art 6 Abs 3 litc MRK verfassungsrechtlich bedenklich sein sollte, ist auch nach den Beschwerdeausführungen unerfindlich.

3.4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Bf. in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, daß er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Zur Beschwerde gegen die Erledigung vom hat der VfGH erwogen:

Wie unter 3.3.1. dargelegt, kommen der Rechtsanwaltskammer bei der Beigebung eines Verteidigers behördliche Aufgaben nur im Bereich der Frage, "wer" einem Angeklagten als Verteidiger beigestellt wird, zu. Wenn der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer auf die Eingabe des Bf. vom geantwortet hat, daß seinem Begehren, die mit Bescheid vom vorgenommene Bestellung zu widerrufen, nicht entsprochen werden könne, solange der Beschl. des Gerichtes, daß ihm ein Verteidiger beizugeben sei, aufrecht sei, kann darin nur eine informative Mitteilung erblickt werden.

Dem Schreiben vom kommt somit Bescheidcharakter nicht zu. Die gegen das Schreiben des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer vom gerichtete Beschwerde war daher, da sie sich nicht gegen einen Bescheid und ebensowenig gegen einen iS des Art 144 Abs 1 B-VG als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu wertenden Verwaltungsakt richtet, wegen Nichtzuständigkeit des VfGH zurückzuweisen.