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VfGH vom 26.09.2007, B505/07

VfGH vom 26.09.2007, B505/07

Sammlungsnummer

18212

Leitsatz

Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde gegen die behauptete Veröffentlichung von Amtsgeheimnissen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien (bzw durch die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft und das Bundesministerium für Justiz) mangels Vorliegen eines Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Eingabe vom brachte der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat Wien eine auf Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG gestützte Beschwerde gegen das Landesgericht für Strafsachen Wien, gegen die Staatsanwaltschaft Wien, gegen die Oberstaatsanwaltschaft Wien sowie gegen den Bundesminister für Justiz ein. Diese Maßnahmenbeschwerde richtete sich gegen die "wiederkehrende Weitergabe streng vertraulicher und dem Amtsgeheimnis unterliegender Informationen und Aktenbestandteile an Printmedien und an einen Buchautor".

2. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Z UVS-02/11/8132/2006-8 ua., wurde die Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die behauptete Veröffentlichung von Amtsgeheimnissen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien (bzw. durch die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft und das Bundesministerium für Justiz) keinen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstelle.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) sowie auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 1 und Abs 2 EMRK behauptet und die (kostenpflichtige) Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt auf das Wesentliche zusammengefasst vor, dass durch die wiederkehrende Weitergabe streng vertraulicher und dem Amtsgeheimnis unterliegender Informationen und Aktenbestandteile aus den Akten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bzw. der Staatsanwaltschaft Wien an Printmedien und an einen näher bezeichneten Buchautor versucht worden sei, die zuständigen Richter bzw. Laienrichter zu beeinflussen. Dadurch sei die durch Art 6 Abs 1 EMRK garantierte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage entscheidenden Personen verletzt worden.

3.2. Außerdem habe das betreffende Organ durch die Weitergabe dieser Informationen (in Verletzung des Amtsgeheimnisses) versucht, eine mediale Vorverurteilung zu erreichen, um der Staatsanwaltschaft einen "Startvorteil" in dem durchzuführenden Strafverfahren zu verschaffen. Die eingebrachte Maßnahmenbeschwerde stelle die einzig sinnvolle Möglichkeit dar, die Interessen des Beschwerdeführers im Hinblick auf dieses Strafverfahren zu wahren. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde sei insbesondere mit Blick auf die Rechtsprechung des EGMR davon auszugehen, dass nicht erst eine ex-post-Betrachtung des Strafverfahrens zeige, ob die Unschuldsvermutung im notwendigen Ausmaß gewahrt worden sei.

Weiters bringt der Beschwerdeführer vor, dass auch die Rechtsansicht der belangten Behörde unhaltbar sei, wonach es sich bei den in Beschwerde gezogenen Akten um solche der Gerichtsbarkeit handle und ihr folglich keine Kompetenz zur Überprüfung derselben zukomme. Die Weitergabe von Informationen aus den Akten des Landesgerichtes für Strafsachen Wien bzw. aus dem Akt der Staatsanwaltschaft Wien sei weder im Hinblick auf richterliche Organe noch hinsichtlich der handelnden Organe auf Seiten der Staatsanwaltschaft als Tätigkeit oder Handeln im Rahmen der Gerichtsbarkeit anzusehen, sondern eindeutig der Staatsfunktion Verwaltung zuzuordnen. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde handle es sich daher um Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Selbst wenn die Weitergabe von Aktenbestandteilen für sich genommen noch nicht als Eingriff in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers anzusehen wäre, stelle jedenfalls die daraus resultierende mediale Hetzkampagne gegen die Person des Beschwerdeführers - als Ergebnis dieser Informationsweitergabe - einen rechtswidrigen Eingriff in dessen verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte dar.

Darüber hinaus sei entgegen der Auffassung der belangten Behörde davon auszugehen, dass befugnisüberschreitendes, strafbares Handeln sehr wohl auch mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar sei. Der Umstand, dass sich die betreffende Einzelperson durch die Weitergabe von Aktenbestandteilen gerichtlich strafbar gemacht habe, entbinde die belangte Behörde nicht von ihrer Sachkompetenz, über die Rechtmäßigkeit derartigen Verwaltungshandelns zu erkennen.

Die belangte Behörde habe daher zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert und damit den Beschwerdeführer auch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien verweist in seiner Gegenschrift im Wesentlichen auf die Begründung des bekämpften Bescheides und führt neuerlich aus, dass eine Überprüfung von Gerichtsakten durch den Unabhängigen Verwaltungssenat nicht möglich sei. Gleichzeitig wurde der Verwaltungsakt des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vorgelegt und beantragt, die eingebrachte Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Im Akt des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien befindet sich ein Schreiben des Bundesministeriums für Justiz, Z BMJ-D1102/0013-IV 2/2007, vom , mit folgendem Wortlaut:

"Mit Bezugnahme auf das obangeführte Ersuchen teilt das Bundesministerium für Justiz mit, dass die angeforderten Akten aus den in der Gegenschrift vom (GZ: BMJ-D1102/0025-IV 2/2006) dargelegten Argumenten nicht übersendet werden.

Es wird neuerlich darauf verwiesen, dass insbesondere ein Recht auf Einsichtnahme in die Tagbücher und Aktenvorgänge der Staatsanwaltschaften und der ihnen im Rahmen der Fachaufsicht vorgesetzten Behörden nur in den gesetzlich geregelten Fällen des § 35 Abs 1 und 2 StAG besteht (hinsichtlich der vorgesetzten Behörden: Mayerhofer, Nebenstrafrecht5 § 35 StAG Anm 1b). Eine derartige Einsichtsbefugnis ist gesetzlich weder für den Unabhängigen Verwaltungssenat noch den Verfassungsgerichtshof vorgesehen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

1.1. Die Beschwerde an den UVS richtet sich der Sache nach gegen die - in der Beschwerde näher ausgeführte - behauptete Weitergabe von Amtsgeheimnissen an die Öffentlichkeit. Konkret wird der Vorwurf erhoben, dass durch die "wiederkehrende Weitergabe streng vertraulicher und dem Amtsgeheimnis unterliegender Informationen und Aktenbestandteile aus dem Akt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien an Printmedien und einen näher bezeichneten Buchautor", die in Art 6 Abs 1 und Abs 2 EMRK verbürgten Grundrechtspositionen verletzt worden seien.

1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien begründete die Zurückweisung der Maßnahmenbeschwerde damit, dass die behauptete Veröffentlichung von Amtsgeheimnissen durch das Landesgericht für Strafsachen Wien (bzw. durch die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft und das Bundesministerium für Justiz) keinen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt darstelle und daher keine Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates bestehe.

2. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges (sofern ein solcher in Betracht kommt) über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes).

2.1. Kennzeichnend für einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist, dass ein Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gegenüber einem individuell bestimmten Adressaten physischen Zwang (Gewalt) ausübt oder einen Befehl (mit unverzüglichem Befolgungsanspruch) erteilt (vgl. Köhler, Art 129a B-VG [1999], in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht [1999] Rz 47; Walter/Mayer/Kucsko-Stadlmayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts10 [2007] Rn 608 ff.).

Eine gegen eine Person gerichtete (dem Staat zurechenbare) Maßnahme stellt also nur dann eine Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar, wenn damit dem Betroffenen (ohne dass ein Bescheid erlassen wird) entweder im Sinne eines Befehls eine Verpflichtung auferlegt wird oder aber durch eine zwangsbewehrte faktische Handlung in die Rechtsposition des Betroffenen eingegriffen wird (vgl. Köhler, Art 129a B-VG [1999], in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht [1999] Rz 54). Daraus ist abzuleiten, dass der Eingriff in die Rechtsposition des Betroffenen unmittelbare Folge der durch das Verwaltungsorgan im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzten Maßnahme ist. Dies bestätigt auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (zB Anhaltung eines Lenkers zwecks Feststellung der Trunkenheit, Fesselung durch Anlegung von Handschellen, zwangsweise Entfernung einer Person aus einem bestimmten Straßenbereich, Abnahme des Führerscheines, das Abziehen und Verwahren des Autoschlüssels usw.; vgl. dazu die Übersicht in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Band 12 [1998], § 67a AVG E 54).

Der Verfassungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Weitergabe von Informationen welcher Art immer, weder als Befehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch noch als Anwendung physischen Zwangs und damit auch nicht als Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person anzusehen ist (vgl. VfSlg. 8965/1980, 10.318/1985, 11.953/1989, 12.129/1989, 13.043/1992).

2.2. Die behauptete Weitergabe streng vertraulicher und dem Amtsgeheimnis unterliegender Informationen und Aktenbestandteile an Printmedien bzw. an einen näher bezeichneten Buchautor ist im Lichte der bisherigen Ausführungen weder als Befehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch noch als Ausübung von Zwangsgewalt zu qualifizieren.

Dass es sich bei den in Rede stehenden Vorgängen nicht um einen Befehl mit unverzüglichem Befolgungsanspruch handelt, ist evident und bedarf keiner weiteren Erläuterungen. Genauso wenig handelt es sich dabei jedoch um die Ausübung von physischem Zwang (Zwangsgewalt) im Sinne der obigen Ausführungen.

Anders als der Beschwerdeführer meint, bedeutet der Umstand, dass kein Akt unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt vorliegt, aber nicht, dass der Beschwerdeführer keinerlei Möglichkeiten der Wahrung seiner Rechte hat. Vielmehr stehen ihm im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung des Rechts nach Art 6 EMRK auf ein faires Verfahren und der Unschuldsvermutung als Folge der Weitergabe von Informationen andere (etwa strafrechtliche oder datenschutzrechtliche) Wege der Rechtsverfolgung zur Verfügung.

2.3. Entgegen der Auffassung des Bundesministeriums für Justiz steht § 35 Abs 1 StAG, demzufolge eine Einsichtnahme in die Tagebücher und Aktenvorgänge der Staatsanwaltschaften und der ihnen vorgesetzten Behörden vorgesehen ist, einer Aktenvorlage im Verfahren vor dem UVS und den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nicht entgegen. Dennoch ist der belangten Behörde von Verfassungs wegen nicht vorzuwerfen, dass sie keine weiteren Ermittlungen angestellt hat. Selbst wenn - wie vom Beschwerdeführer behauptet - Aktenbestandteile weitergegeben worden sein sollten, handelt es sich dabei um keinen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, weshalb die belangte Behörde ihre Zuständigkeit zu Recht verneint hat.

3. Da die Beschwerde von der belangten Behörde zu Recht zurückgewiesen worden ist, ist der Beschwerdeführer im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden. Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der die Zurückweisung tragenden Rechtsvorschriften ist es damit auch ausgeschlossen, dass er in anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden wäre (vgl. zB VfSlg. 10.374/1985, 15.312/1998).

Die Beschwerde war daher abzuweisen und antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.