OGH vom 25.06.2018, 17Os7/18k (17Os13/18t, 17Os14/18i)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gustav P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 St 7/14w der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption, über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 404 HR 256/14z-900, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 20 Bs 10/18v (ON 982 der HR-Akten), ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und den Antrag des Beschuldigten Dr. Michal L***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalprokurators Dr. Plöchl und des Verteidigers Dr. Wess zu Recht erkannt:
Spruch
I/ In der Strafsache gegen Gustav P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen verletzen die Beschlüsse des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 404 HR 256/14z900, und des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 20 Bs 10/18v, § 104 Abs 1 StPO.
Diese Beschlüsse werden aufgehoben. Es ist dem Beschuldigten Dr. Michal L***** Gelegenheit zu einem Besprechungstermin mit dem Sachverständigen unter denselben Bedingungen zu geben, wie er der Staatsanwaltschaft eingeräumt worden ist, also ohne deren Anwesenheit, sofern der Beschuldigte nicht durch seinen Verteidiger ausdrücklich erklärt, diese zu gestatten.
II/ Mit seinem Antrag auf Erneuerung wird der Beschuldigte Dr. Michal L***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Im Ermittlungsverfahren gegen Gustav P***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 4 St 7/14w der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), bestellte die Einzelrichterin (§ 31 Abs 1 StPO) des Landesgerichts Korneuburg über Antrag mehrerer Beschuldigter (§ 126 Abs 5 erster Satz StPO) mit Beschluss vom , GZ 404 HR 256/14z345, Mag. Heimo Pr***** zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet des Speditionswesens.
Am ersuchte die WKStA um „Einräumung eines Gesprächstermins mit dem Sachverständigen zwecks Erörterung der dem Gutachtensauftrag zugrundeliegenden noch offenen Fragestellungen“ (ON 1 S 501). Ein solcher Gesprächstermin unter Beteiligung der Einzelrichterin, des Sachverständigen und der WKStA wurde für den anberaumt (ON 1 S 523).
Den Antrag des Beschuldigten Dr. Michal L***** auf Teilnahme an dem Besprechungstermin (ON 886) wies die Einzelrichterin mit Beschluss vom (ON 900) ab. Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der StPO sei kein Recht des Beschuldigten (oder seines Verteidigers) auf Teilnahme an Besprechungen zwischen dem Richter und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen zu entnehmen. Die WKStA werde zu dem Termin beigezogen, weil sie – unabhängig von ihrer Parteistellung – die ermittelnde Behörde sei und es nicht zweckmäßig sei, „dem Sachverständigen Aufträge zu erteilen bzw. mit dem Sachverständigen Vorgehensweisen zu akkordieren, die dem Ermittlungsinteresse und intentionen der WKStA“ entgegenstünden. Schließlich sei bei der Bestimmung des Umfangs der Auftragserteilung nach den Grundsätzen der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (§ 126 Abs 2c StPO) vorzugehen. Da die Einzelrichterin den Termin leiten werde, könne in dem gewählten Vorgehen kein Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit erblickt werden.
Der dagegen gerichteten Beschwerde Dris. Michal L***** gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom , AZ 20 Bs 10/18v (ON 982 der HRAkten), nicht Folge. Nach der Entscheidungsbegründung sei aus dem Recht des Beschuldigten, die gerichtliche Bestellung des Sachverständigen zu beantragen (§ 126 Abs 5 StPO), kein Recht abzuleiten, zu sämtlichen Besprechungsterminen mit dem Sachverständigen beigezogen zu werden.
Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde eine Gesetzesverletzung durch die genannten Beschlüsse auf.
Rechtliche Beurteilung
Die Änderung der Vorschriften über die Sachverständigenbestellung durch das StPRÄG 2014 (BGBl I 2014/71) erfolgte mit der Intention, grundrechtliche Bedenken gegen das davor bestehende System auszuräumen (EBRV 181 BlgNR 25. GP 8 ff; AB 203 BlgNR 25. GP 3; vgl 17 Os 19/16x, EvBl 2017/91, 623 [zu Rechten des Beschuldigten im Zusammenhang mit der Bestellung des Sachverständigen]).
Seither darf zwar die Staatsanwaltschaft, anders als die Verteidigung, Beweisführung durch einen Sachverständigen auch bloß zur Erkundung veranlassen, weil für sie insoweit bloß § 103 Abs 2 StPO, für die Verteidigung § 55 StPO gilt. Tut die Staatsanwaltschaft das aber, so ist die Verteidigung ihr in Betreff der veranlassten Beweisführung durch Sachverständige vollkommen gleichgestellt, womit dieselben Bedingungen im Sinn des Art 6 Abs 3 lit d MRK garantiert werden.
Anstelle von Bestellung oder auch bloß Führung (§ 103 Abs 2 StPO) des Sachverständigen im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft (mit der Konsequenz, zum Verlangen nach Austausch ausschließlich aufgrund dieses Umstands nicht mehr berechtigt zu sein) steht es der Verteidigung zu, die gerichtliche Aufnahme des Sachverständigenbeweises zu verlangen, in welchem Fall alle Bestellungs- und Führungskompetenzen dem Gericht zukommen und die Staatsanwaltschaft – in Betreff dieser Beweisaufnahme (§ 104 StPO) – sofort zur Partei wird, demnach nur noch dieselben Rechte wie die Verteidigung hat (§ 104 Abs 1 iVm § 55 StPO). Die sonst gegenüber der Staatsanwaltschaft (als Leiterin des Ermittlungsverfahrens) bestehenden Rechte stehen nun gegenüber dem Ermittlungsrichter zu. Seine Entscheidungen (auch bloß die Zulassung einzelner Aufträge den Sachverständigen betreffend) sind als Beschlüsse anfechtbar.
Was die Führung auf Verlangen nach gerichtlicher Beweisaufnahme vom Gericht bestellter Sachverständiger anlangt, gelten für Staatsanwaltschaft und Verteidigung dieselben Kriterien. Beide können unter den gleichen Bedingungen Fragen an den Sachverständigen richten oder die Ergänzung von Befund und Gutachten beantragen. Mangelhafte Begründung der Eignung, das Beweisthema zu klären, berechtigt nur dann zur Unterlassung der Beweisaufnahme, wenn der Antrag zur Verzögerung gestellt wurde (§ 104 Abs 1 StPO). Der Einzelrichter (§ 31 Abs 1 Z 1 StPO) hat beide Teile über diese Frage tunlichst in gleicher Weise anzuhören (zum Ganzen Ratz, Was gilt mit Inkrafttreten des StRÄG 2014 für Sachverständige im Strafprozess?, ÖJZ 2015, 835 [836]; JAB 203 BlgNR 25. GP 3). Der Austausch der Parteien mit dem vom Gericht geführten Sachverständigen hat – im Interesse der Waffengleichheit und um dessen Position als neutrale Beweisperson nicht zu unterlaufen – über das Gericht zu erfolgen (Rebisant, Waffengleichheit beim Sachverständigen-beweis: OGH, VfGH und StPRÄG 2014, in: Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2015, 205 [215]).
Dem Gericht steht es (wie das Beschwerdegericht an sich zutreffend betont) offen, mit dem von ihm geführten Sachverständigen – etwa zur Wahrung des Beschleunigungsgebots (§ 9 Abs 1 StPO) oder der Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit (§ 126 Abs 2c StPO) im Zusammenhang mit dem Gutachtensauftrag – auch ohne die Parteien zu kommunizieren. Hält es aber (wie hier) die Beteiligung einer Partei an einem Gespräch mit dem Sachverständigen über die weitere Vorgangsweise in Bezug auf den Gutachtensauftrag und darauf gerichtete Anträge für geboten, hat es – um den Zweck gerichtlicher Aufnahme des Sachverständigenbeweises nicht zu konterkarieren – der anderen Partei Gelegenheit zu geben, an diesem Gespräch teilzunehmen (vgl RIS-Justiz RS0123183 [zu § 270 Abs 3 erster Satz StPO]).
Indem das Landesgericht Korneuburg den Antrag des Beschuldigten Dr. Michal L*****, ihm die Möglichkeit, an einem vom Gericht anberaumten Besprechungstermin mit dem Sachverständigen und der WKStA (die sich übrigens nicht dagegen ausgesprochen hatte [ON 1 S 521]) teilzunehmen, abwies und das Oberlandesgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde dieses Beschuldigten nicht Folge gab, verletzten sie § 104 Abs 1 StPO.
Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die Feststellung der Gesetzesverletzung nach § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen, um dem Einzelrichter des Landesgerichts Korneuburg die Möglichkeit zu geben, die erfolgte Verkürzung der Verteidigungsrechte auf die im Spruch ersichtliche Weise auszugleichen.
Mit seinem gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 20 Bs 10/18v, gerichteten Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens war der Beschuldigte Dr. Michal L***** auf diese Entscheidung zu verweisen (RIS-Justiz RS0126458).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0170OS00007.18K.0625.000 |
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