OGH vom 30.01.2012, 9ObA43/11f

OGH vom 30.01.2012, 9ObA43/11f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Robert Hauser als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Parteien 1. S***** D*****, Kapitän, *****, 2. M***** G*****, Kapitän, *****, beide vertreten durch Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen ad 1. Feststellung (Streitwert 21.800 EUR), ad 2. 1.046,68 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 9 Ra 139/10t 31, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 20 Cga 107/08p 27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies die beiden Feststellungsbegehren des Erstklägers mangels rechtlichen Interesses an den begehrten Feststellungen iSd § 228 ZPO ab. Hilfsweise verneinte es auch deren inhaltliche Berechtigung. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Erstklägers nicht Folge. Hinsichtlich des ersten Feststellungsbegehrens des Erstklägers (Feststellung der Unzulässigkeit der Anordnung der Beklagten vom ) verwies es darauf, dass die begehrte Feststellung sowohl bei Klageeinbringung als auch bei Schluss der Verhandlung nicht mehr aktuell gewesen sei; es sei auch keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen der Nichtbefolgung der Anordnung vom behauptet worden. Hinsichtlich des zweiten Feststellungsbegehrens (Feststellung bezüglich einseitiger Änderungen des Dienstplans im Lichte des § 39 des anzuwendenden Kollektivvertrags bzw des § 19c Abs 2 Z 3 AZG) verwies das Berufungsgericht darauf, dass bloß abstrakte Feststellungen nicht zulässiger Gegenstand eines Feststellungsbegehrens sein können. Die ordentliche Revision sei im vorliegenden Fall nicht zuzulassen, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

Der Revisionswerber beruft sich zur Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision bezüglich des ersten Feststellungsbegehrens darauf, dass noch keine Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob ein Feststellungsbegehren ungeachtet des Wegfalls der strittigen Maßnahme nicht doch zulässig sei, wenn die Maßnahme trotz ihrer Aufhebung noch eine „gewisse Fortwirkung“ (Begründung der Beharrlichkeit der Dienstverweigerung im Wiederholungsfall) zeitige. Bezüglich des zweiten Feststellungsbegehrens sei die außerordentliche Revision deshalb zulässig, weil es um die Auslegung des hier anzuwendenden Kollektivvertrags gehe, von der rund 700 Arbeitnehmer betroffen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Zulassungsbeschwerde des Erstklägers vermag keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Das Bestehen eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung iSd § 228 ZPO richtet sich regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalls, denen vom hier nicht vorliegenden Fall grober Fehlbeurteilung abgesehen keine über diesen hinausgehende Bedeutung zukommt (1 Ob 107/08d; RIS Justiz RS0039177 ua). Nach der Rechtsprechung muss das Feststellungsurteil für den Kläger von „rechtlich praktischer Bedeutung“ sein ( Rechberger/Klicka in Rechberger , ZPO³ § 228 Rz 7 mwN ua). Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten, aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen und ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehebaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (1 Ob 107/08d; RIS Justiz RS0039215 ua). Diese Voraussetzungen wurden vom Berufungsgericht mit vertretbarer Begründung bezüglich beider Feststellungsbegehren des Erstklägers verneint.

Prozessökonomischer Zweck der Feststellungsklage ist es, die Rechtslage dort zu klären, wo ein von der Rechtsordnung anerkanntes Bedürfnis zur Klärung streitiger Rechtsbeziehungen besteht (RIS Justiz RS0037422 ua). Das Feststellungsinteresse muss noch im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorhanden sein (RIS Justiz RS0039204 ua). Dies wurde vom Berufungsgericht verneint. Die umstrittene Anordnung der Beklagten bezüglich der Dienstbereitschaft am wurde vom Erstkläger nicht befolgt; die anschließende, einige Tage währende Dienstfreistellung des Erstklägers zur Untersuchung der Ereignisse vom verlief offenbar ohne besondere Ergebnisse. Der Erstkläger wurde im Anschluss an die Dienstfreistellung jedenfalls behauptet dies keine der Parteien weder besonders ermahnt noch verwarnt; es war auch sonst von dienstlichen Nachteilen oder gar einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Erstklägers keine Rede.

Das rechtliche Interesse ist vom Feststellungskläger substantiiert darzutun. Ob dies im Einzelfall gelingt, hängt von den jeweiligen konkreten Umständen ab (vgl RIS Justiz RS0037977 ua). Das Resümee des Berufungsgerichts, dass das rechtliche Interesse des Erstklägers im Endergebnis nicht ausreichend dargelegt worden sei, betrifft auch eine ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängige Frage der Auslegung des Parteivorbringens, der ebenfalls keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RIS Justiz RS0042828 ua). Es ist richtig (und wurde auch vom Berufungsgericht nicht in Abrede gestellt), dass der Erstkläger in erster Instanz allgemein behauptete, dass die beharrliche Pflichtverletzung auch bei Betriebsratsmitgliedern ein Kündigungsgrund sei, womit der Erstkläger die Überlegung verbunden haben könnte, dass der Vorfall vom möglicherweise in der Zukunft als das erste Glied einer Kette (erst zu begehender) beharrlicher Pflichtverletzungen des Erstklägers beurteilt werden könnte. Allerdings war dies nach dem Vorbringen und der Lage des Falls eine bloß theoretische Überlegung des Erstklägers, denn es wurde nicht behauptet, dass die Beklagte aus dem gegenständlichen Ereignis konkrete Konsequenzen gezogen hätte, die den künftigen Vorwurf beharrlicher Pflichtverletzungen mitbegründen könnten. Rein theoretische Befürchtungen genügen aber den Erfordernissen des § 228 ZPO in Bezug auf die vorgenannte „rechtlich praktische Bedeutung“ der begehrten Feststellung nicht (vgl RIS Justiz RS0038900; RS0039178; RS0039224 [T2] ua). Dies gilt auch für die erstmals in der Revision angestellten Spekulationen, dass der Kläger möglicherweise in der Zukunft seinen besonderen Kündigungsschutz als Betriebsratsmitglied verlieren könnte.

Der Senat verkennt nicht, dass es offenbar zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat im täglichen Flugbetrieb unterschiedliche Auffassungen über die Zulässigkeit bestimmter nachträglicher Dienstplanänderungen auf der Grundlage des anzuwendenden Kollektivvertrags gibt. Der Gesetzgeber hat auf der Betriebsebene für den Fall mangelnder Einigung das besondere Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG vorgesehen, in dessen Rahmen von parteifähigen Organen der Arbeitnehmerschaft oder dem jeweiligen Arbeitgeber auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen, die mindestens drei Arbeitnehmer des Betriebs oder Unternehmens betreffen, geklagt werden kann. In der Praxis kommt als „Organ der Arbeitnehmerschaft“ (siehe zum Begriff insbesondere § 40 ArbVG) vor allem der Betriebsrat in Betracht ( Kuderna , ASGG² § 54 Anm 3 ua). Dem Kläger steht als einzelnem Mitglied eines derartigen Organs nicht die Klagelegitimation nach § 54 Abs 1 ASGG zu. Er nimmt sie auch nicht ausdrücklich für sich in Anspruch; er erweckt aber vor allem mit seinem zweiten Feststellungsbegehren, mit dem allgemeine Auslegungsfragen des anzuwendenden Kollektivvertrags aufgeworfen werden, den Eindruck, dass er die Klagemöglichkeit nach § 54 Abs 1 ASGG auch für einzelne Arbeitnehmer nutzbar machen will. Abgesehen von der mangelnden Legitimation übergeht er aber, dass es nicht nur in Bezug auf Feststellungsklagen einzelner Arbeitnehmer nach § 228 ZPO (vgl RIS Justiz RS0038900; RS0039178; RS0039224 [T2] ua), sondern auch bei allfälligen Feststellungsklagen nach § 54 Abs 1 ASGG nicht die Aufgabe des Obersten Gerichtshofs ist, rein theoretische Fragen in Form eines Rechtsgutachtens zu lösen (RIS Justiz RS0109383 ua). Dass etwa Feststellungsbegehren des Inhalts, dass der Arbeitgeber nicht befugt sei, gegen gesetzliche oder kollektivvertragliche Normen zu „verstoßen“, an den konkreten Problemen vorbeigehen und nicht zielführend sind, bedarf keiner besonderen Erörterung.

Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Erstklägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).