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OGH vom 07.05.1997, 13Os10/97

OGH vom 07.05.1997, 13Os10/97

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Rouschal, Dr.Habl und Dr.Ratz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Marte als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Franz Xaver S***** wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter achtzehn Jahren nach § 209 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom , GZ 8 Vr 411/96-71, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Dr.Jenny und des Verteidigers Dr.Tassul, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, und es werden das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt,

1. in den Schuldsprüchen (zu 1)a) wegen des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB sowie (zu 3)a) wegen des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB

2. im Strafausspruch und weiters

3. der gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßte Beschluß

aufgehoben.

Gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO wird (zu 3)a) teilweise in der Sache selbst erkannt:

Franz Xaver S***** wird von der Anklage, er habe in Braunau am Inn (auch) vom bis Oktober 1995 unter Ausnützung seiner Stellung den seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden, am geborenen Erwin E***** (als Minderjährigen) zur Unzucht mißbraucht, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im verbleibenden Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die durch den erfolglos gebliebenen Teil seines Rechtsmittels verursachten Verfahrenskosten zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Franz Xaver S***** der Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB (Faktengruppe 1) und der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (Faktengruppe 2), weiters der Vergehen des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (Faktengruppe 3), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (4), der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB (5) und der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB (6) schuldig erkannt.

Danach hat er in Braunau am Inn

1) nach Vollendung des 19.Lebensjahres mit Personen, die das 14., aber noch nicht das 18.Lebensjahr vollendet hatten, gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben, und zwar

a) von Herbst 1990 bis wiederholt mit dem am geborenen Erwin E***** durch gegenseitiges Betasten am Glied und Durchführung des Analverkehrs,

b) zwischen Herbst 1990 und wiederholt mit dem am geborenen Peter E***** durch Durchführung des Oralverkehrs und Onanieren;

2) unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar

a) in der Zeit zwischen 1992 und April 1996 die am geborene Jennifer S***** dadurch, daß er sie am Geschlechtsteil betastete und sie seinen Geschlechtsteil betasten ließ,

b) im Juli oder August 1995 den am geborenen Herbert R***** dadurch, daß er ihn am Glied betastete;

3) unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person diese zur Unzucht mißbraucht, und zwar

a) von Herbst 1990 bis Oktober 1995 Erwin E***** durch die unter 1)a) angeführten Tathandlungen,

b) von Herbst 1990 bis Herbst 1992 Peter E***** durch die unter 1)b) angeführten Tathandlungen,

c) in der Zeit zwischen 1992 und April 1996 Jennifer S***** durch die unter 2)a) angeführten Tathandlungen;

4) zwischen Herbst 1990 und April 1996 Monika E***** durch wiederholtes Versetzen von Schlägen die Hämatome im Gesicht zur Folge hatten, am Körper verletzt;

5) am dadurch, daß er ein Kündigungsschreiben betreffend den Bausparvertrag des Peter E***** mit dem Namen "Peter E***** unterschrieb und in der Folge der Bausparkasse ***** vorlegte, eine falsche Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis der behaupteten Kündigung dieses Bausparvertrages gebraucht;

6) in der Zeit von Mai 1995 bis April 1996 dadurch, daß er für seinen am geborenen Sohn Rene S***** keine Unterhaltszahlung leistete und es unterließ, einem geregelten Erwerb nachzugehen, seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, daß der Unterhalt ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Schuldsprüche richtet sich die auf die Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, den Strafausspruch und einen gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO gefaßten Widerrufsbeschluß bekämpft er mit Berufung bzw Beschwerde. Die beiden letztgenannten Rechtsmitteln (Berufung und Beschwerde) waren jedoch nicht Gegenstand des Gerichtstages zur öffentlichen Verhandlung, weil dieser in analoger Anwendung der §§ 232 Abs 4, 256 Abs 2 StPO auf die Nichtigkeitsbeschwerde des (verhafteten und gemäß § 296 Abs 3 StPO eine Vorführung zum Gerichtstag über die Berufung beantragenden) Angeklagten eingeschränkt wurde (vgl 11 Os 135/76, 10 Os 94/76, 15 Os 1/93).

Die Nichtigkeitsbeschwerde enthält Ausführungen zu den Schuldsprüchen wegen der Sittlichkeitsdelikten zu den Fakten 1)a) und 3)a), nicht jedoch auch zu den weiteren Fakten 1)b), 2), 3)b) und c) sowie 4) bis 6). Insoweit die Beschwerde auch die Aufhebung letzterer Schuldsprüche und den Freispruch auch davon begehrt, mangelt es ihr an der vom Gesetz vorausgesetzten deutlichen und bestimmten Bezeichnung von gesetzlichen Nichtigkeitsgründen, und läßt sie auch ausdrückliche oder doch durch deutliche Hinweisung angeführte Tatumstände vermissen, die Nichtigkeitsgründe bilden sollen, sodaß sie schon aus diesem Grunde zu verwerfen war.

Soweit sich die Mängel- (Z 5) und Rechtsrüge (Z 9 lit a) gegen jenen Teil des Schuldspruches laut Punkt 3 a des Urteilssatzes wegen Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses gemäß § 212 Abs 1 StGB richtet, der Tathandlungen ab dem bis Oktober 1995 zum Gegenstand hat, ist sie (schon mit Z 9 lit a) im Recht.

Abgesehen davon, daß die Entscheidungsgründe keinen Ausspruch über eine Deliktsverübung gegen Erwin E***** nach dem (soweit im Spruch zu 3)a) auf die Tathandlungen zu 1)a) verwiesen wird, fehlt sogar ein Hinweis auf eine Tatzeit nach dem ) enthalten, kam der Genannte ab als Deliktsobjekt für einen Mißbrauch eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB nicht in Betracht, weil er zufolge Vollendung des 19.Lebensjahrs am kein Minderjähriger (§ 74 Z 3 StGB) mehr war. Die hier stattgefundene Verlängerung der Minderjährigkeit (§ 173 ABGB) hatte für den Bereich des materiellen Strafrechts keine Wirksamkeit (Leukauf-Steininger Komm3 § 74 RN 6). Hier war sofort mit Urteilsaufhebung und Freispruch vorzugehen, zumal nach der Aktenlage eine allfällige andere Subsumtionsmöglichkeit (gerade für diesen Zeitraum) ausscheidet.

Soweit die Nichtigkeitsrüge (Z 3) eine Verletzung des § 151 Z 2 StPO durch die Verwertung der Aussage der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugin Brigitte B***** (zu 1)a) und 3)a) behauptet, weil deren - vom Erstgericht angenommene und im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierte (S 137/II) - Entbindung von der Verpflichtung zur Amtsverschwiegenheit in Zweifel zu ziehen sei, geht sie ins Leere:

Ihre Dienstbehörde hat nämlich auf ihren Amtsvermerk als Anzeigengrundlage hingewiesen, sodaß schon dadurch für das Gericht zweifelsfrei feststand, daß Brigitte B***** durch ihre Aussage die amtliche Verschwiegenheitspflicht nicht verletzt (vgl Mayerhofer StPO4 § 151 E 26), sie hat auch diese Entbindung selbst angegeben.

Zutreffend zeigt die Beschwerde jedoch im selben Umfang eine Nichtigkeit begründende Verletzung des § 152 Abs 1 Z 5 StPO (§ 152 Abs 5 StPO) auf, wenn sie einen - im Verhandlungsprotokoll auch nicht bekundeten - Verzicht der Zeugin auf ihr Entschlagungsrecht vermißt.

Die als Sozialarbeiterin bei der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn beschäftigte Zeugin Brigitte B***** hat nämlich über Tatsachen ausgesagt, die ihr ausschließlich aus ihrer (amtlichen) Tätigkeit im Rahmen der Jugendwohlfahrt (BGBl 1989/161, vgl auch die bezughabende Aktenzahl der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn) bekannt geworden sind. Diesfalls hätte die (den Vorschriften über das Amtsgeheimnis unterliegende) Zeugin zusätzlich als Mitarbeiterin einer anerkannten Einrichtung zur psychosozialen Beratung und Betreuung das in § 152 Abs 1 Z 5 umschriebene, persönliche und nicht den Dispositionen anderer unterliegende (siehe 13 Os 110,111/96) Entschla- gungsrecht gehabt, weil - wie auch die Generalprokuratur in ihrer diesbezüglich der Nichtigkeitsbeschwerde folgenden Stellungnahme zutreffend aufzeigt - zwar nicht nach dem strikten Wortsinn der auslegungsbedürftigen Begriffsumschreibung, aber nach der erklärten Normintention (924 BlgNR 18.GP 27) die gesetzlich vorgesehenen Jugendwohlfahrtseinrichtungen - und somit die Bezirksverwaltungsbehörden bei Erfüllung der ihnen insoweit übertragenen Aufgaben (§ 4 OÖ.JWG 1991) - solche Institutionen sind.

Da die Aussage dieser Zeugin (S 138/II) über ihr bekannt gegebenen sexuelle Übergriffe des Angeklagten ausdrücklich bei der in die Erwägungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen Erwin E***** (Fakten 1)a) und 3)a) einbezogen wurde (US 9), kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, daß sie sich bei der Abwägung der Aussageverläßlichkeit dieses Belastungszeugen gegenüber jener des die angelasteten sexuellen Übergriffe in Abrede stellenden Angeklagten zu dessen Nachteil ausgewirkt hat.

Die Schuldsprüche zu den Fakten 1)a) und 3)a) waren daher als nichtig nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren bezüglich derselben Fakten geltend gemachten Nichtigkeitsgründe bedurfte. Demnach war auch der Strafausspruch und der gleichzeitig mit dem Urteil gefaßte Widerrufsbeschluß aufzuheben und die Sache - soweit es nicht bereits am Tatbild mangelte - zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die Berufung und Beschwerde des Angeklagten (die nicht Gegenstand des Gerichtstages waren) sind damit obsolet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.