OGH vom 27.05.2020, 8Ob40/19v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Erlagssache der erlegenden Partei V***** AG, *****, gegen die Erlagsgegner 1. Verlassenschaft nach dem am verstorbenen K***** T 2. R***** T*****, beide vertreten durch Oberbichler Kramer Rechtsanwälte in Feldkirch, über die Revisionsrekurse des Zweiterlagsgegners und der E***** T***** V*****, ebenso vertreten durch Oberbichler Kramer Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom , GZ 1 R 278/18t91, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom , GZ 32 Nc 15/17y84, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 70 Abs 3 der Verordnung (EU) Nr 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) dahin auszulegen, dass eine entgegen dieser Regelung ohne Angabe eines Ablaufdatums auf unbefristete Dauer ausgestellte Abschrift des Zeugnisses
a. unbefristet gültig und wirksam ist, oder
b. nur für die Dauer von sechs Monaten ab dem Ausstellungsdatum der beglaubigten Abschrift gültig ist, oder
c. nur für die Dauer von sechs Monaten ab einem anderen Datum gültig ist, oder
d. ungültig und zur Verwendung im Sinn des Art 63 EuErbVO ungeeignet ist?
2. Ist Artikel 65 Abs 1 in Verbindung mit Art 69 Abs 3 der Verordnung (EU) Nr 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO) dahin auszulegen, dass die Wirkungen des Zeugnisses zugunsten sämtlicher Personen eintreten, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter namentlich genannt sind, sodass auch jene das Zeugnis gemäß Art 63 EuErbVO verwenden können, die seine Ausstellung nicht selbst beantragt haben?
3. Ist Artikel 69 in Verbindung mit Art 70 Abs 3 EuErbVO dahin auszulegen, dass die Legitimationswirkung der beglaubigten Abschrift eines Nachlasszeugnisses anzuerkennen ist, wenn sie bei ihrer erstmaligen Vorlage noch gültig war, aber vor der beantragten Entscheidung der Behörde abgelaufen ist, oder steht diese Bestimmung nationalem Recht nicht entgegen, wenn es eine Gültigkeit des Zeugnisses auch im Zeitpunkt der Entscheidung erfordert?
II. Das Revisionsrekursverfahren wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
A. Sachverhalt
Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist der Antrag der Erlagsgegner auf Ausfolgung eines zur gerichtlichen Verwahrung angenommenen Erlags. Die Erlegerin, eine Bank, hatte die gerichtliche Verwahrung des aus Geld und Wertpapieren bestehenden Erlags beantragt, weil die Erlagsgegner konkurrierende Ansprüche darauf erhoben hatten und ihre Berechtigung ungeklärt war.
Die gerichtlich verwahrten Werte dürfen nur über einen gemeinsamen schriftlichen Antrag der Erlagsgegner oder aufgrund einer – nicht vorliegenden – rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung ausgefolgt werden.
Der Ersterlagsgegner, bei dem es sich um den Vater des Zweiterlagsgegners handelte, ist am verstorben. Sein letzter gewöhnlicher Aufenthalt lag in Spanien. Die Abhandlung seines Nachlasses wurde nach spanischem Recht vor einem Notar durchgeführt.
B. Vorbringen der Parteien
Die Antragsteller, Frau T***** V***** und Herr T*****, begehren als Rechtsnachfolger ihres Vaters, des Ersterlagsgegners, gemeinsam die Ausfolgung des Erlags. Zum Nachweis dafür, dass sie je zur Hälfte Erben nach dem Ersterlagsgegner seien, legten sie eine beglaubigte Kopie eines vom spanischen Notar ausgestellten europäischen Nachlasszeugnisses gemäß Art 62 ff der Verordnung (EU) Nr 650/2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO), ausgestellt auf einem Formblatt V nach der Durchführungsverordnung (EU) 1329/2014 der Kommisssion vom (DurchführungsVO) vor. Diese Urkunde wurde über Antrag der Erstantragstellerin, Frau T***** V*****, ausgestellt und weist in der Rubrik „Gültig bis“ den Vermerk „unbefristet“ auf. Der Zweitantragsteller, Herr T*****, ist in der Anlage IV zum Formblatt V neben der Erstantragstellerin als Hälfteerbe namentlich genannt.
C. Bisheriges Verfahren
Das Erstgericht wies den Ausfolgungsantrag ab.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel der Antragsteller keine Folge. Es begründete diese Entscheidung mit drei hier wesentlichen Argumenten:
1. Mit der Abschrift eines Europäischen Nachlasszeugnisses könne nur diejenige Partei ihre Berechtigung nachweisen, die die Ausstellung des Zeugnisses beantragt habe, im Anlassfall also die Erstantragstellerin.
2. Die Ausstellung eines Nachlasszeugnisses mit unbestimmter Gültigkeit widerspreche dem Befristungsgebot nach Art 70 Abs 3 EuErbVO. Es sei wie ein Zeugnis mit einer regulären Gültigkeitsdauer von sechs Monaten ab Ausstellungsdatum zu behandeln.
3. Die zeitliche Gültigkeit müsse nicht nur bei Antragstellung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts aufrecht sein, damit die Kopie des Nachlasszeugnisses seine Legitimationswirkung entfalten könne.
D. Der Oberste Gerichtshof hat über den Revisionsrekurs der Antragsteller zu entscheiden.
Die strittige Ausfolgung des Gerichtserlags kann nach österreichischem Recht (rechtskräftigen Beschluss über die Annahme der Hinterlegung) nur über gemeinsamen schriftlichen Antrag beider Erlagsgegner bewilligt werden. Es ist für die Entscheidung wesentlich, ob die im Verfahren vorgelegte Kopie eines Europäischen Nachlasszeugnisses für sich allein geeignet ist, die Legitimation der Erben nach dem Ersterlagsgegner nachzuweisen.
Der Oberste Gerichtshof beschließt, das Revisionsrekursverfahren auszusetzen und dem EuGH für die Entscheidung der Rechtssache wesentliche unionsrechtliche Fragen vorzulegen.
E. Anzuwendende Normen
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EU) Nr 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (EuErbVO).
Maßgeblich sind im vorliegenden Fall insbesondere folgende Bestimmungen der EuErbVO:
Artikel 63
Zweck des Zeugnisses
(...)
(2) Das Zeugnis kann insbesondere als Nachweis für einen oder mehrere der folgenden speziellen Aspekte verwendet werden:
a) die Rechtsstellung und/oder die Rechte jedes Erben oder gegebenenfalls Vermächtnisnehmers, der im Zeugnis genannt wird, und seinen jeweiligen Anteil am Nachlass; (...)
Art 65:
Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses
(1) Das Zeugnis wird auf Antrag jeder in Artikel 63 Absatz 1 genannten Person (im Folgenden „Antragsteller“) ausgestellt. (...)
Art 69:
Wirkungen des Zeugnisses
(1) Das Zeugnis entfaltet seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf.
(2) Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist. Es wird vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen.
(3) Wer auf der Grundlage der in dem Zeugnis enthaltenen Angaben einer Person Zahlungen leistet oder Vermögenswerte übergibt, die in dem Zeugnis als zur Entgegennahme derselben berechtigt bezeichnet wird, gilt als Person, die an einen zur Entgegennahme der Zahlungen oder Vermögenswerte Berechtigten geleistet hat, es sei denn, er wusste, dass das Zeugnis inhaltlich unrichtig ist, oder ihm war dies infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt.
Art 70:
Beglaubigte Abschriften des Zeugnisses
(...)
(3) Die beglaubigten Abschriften sind für einen begrenzten Zeitraum von sechs Monaten gültig, der in der beglaubigten Abschrift jeweils durch ein Ablaufdatum angegeben wird. In ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen kann die Ausstellungsbehörde abweichend davon eine längere Gültigkeitsfrist beschließen. Nach Ablauf dieses Zeitraums muss jede Person, die sich im Besitz einer beglaubigten Abschrift befindet, bei der Ausstellungsbehörde eine Verlängerung der Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschrift oder eine neue beglaubigte Abschrift beantragen, um das Zeugnis zu den in Artikel 63 angegebenen Zwecken verwenden zu können.
Rechtliche Beurteilung
F. Begründung der Vorlagefragen
1. Zur Frage 1:
Die Urschrift des Europäischen Nachlasszeugnisses verbleibt nach der Austellung in Verwahrung der aussstellenden Behörde. Die Antragsteller erhalten davon beglaubigte Abschriften, die nach dem Formblatt V Anhang 5 der Durchführungsverordnung (EU) 1329/2014 auszustellen sind. Das Fomblatt enthält auf der ersten Seite den einleitenden Vermerk, dass es bis zu dem im entsprechenden Feld am Ende des Formblatts angegebenen Datum gültig ist.
Es wird aufgrund des Wortlauts des Art 70 Abs 3 EuErbVO davon ausgegangen, dass die Kopie des Europäischen Nachlasszeugnisses seine Wirkungen grundsätzlich nur innerhalb der angegebenen Gültigkeitsfrist entfaltet (OGH 5 Ob 90/18y ua). Der europäische Gesetzgeber wollte offenbar sicherstellen, dass die Ausstellungsbehörde stets die Kontrolle über die zirkulierenden Nachlasszeugnisse behält, indem dem Rechtsverkehr nur beglaubigte Abschriften zur Verfügung gestellt werden, die zeitlich begrenzt sind. Mit der Befristung der Abschriften sollte vermieden werden, dass Abschriften kursieren, die dem bei der Ausstellungsbehörde verbliebenen Nachlasszeugnis nicht mehr entsprechen, also unrichtige Tatsachen wiedergeben oder unwirksam sind (Rechberger/Kieweler in Rechberger/Zöchling-Jud, Die EUErbrechtsverordnung in Österreich [2015] II. Verfahren zur Ausstellung des ENZ Rz 42).
Eine Kopie eines Europäischen Nachlasszeugnisses von unbegrenzter Gültigkeitsdauer, wie sie im Anlassfall vorgelegt wurde, ist in der EuErbVO in keinem Fall vorgesehen.
Wie sich die Angabe einer ausdrücklich unbegrenzten Gültigkeitsdauer auf die Wirksamkeit der Abschrift des Europäischen Nachlasszeugnisses auswirkt, wurde in der Rechtsprechung, soweit überblickbar, bisher nicht behandelt.
Es wäre möglich, die Anordnung der unbefristeten Wirksamkeit durch die ausstellende Behörde als zulässigen Sonderfall der Verlängerung nach Art 70 Abs 3 EuErbVO anzusehen.
Der Wortlaut dieser Bestimmung lässt aber auch die Möglichkeit offen, einer solchen Urkunde begrenzte Wirksamkeit in der regulären Höchstdauer von sechs Monaten beizumessen, wobei sich dann die weitere Frage stellt, ab welchem Datum diese Frist zu bemessen wäre.
Letztlich kommt aber auch die Möglichkeit in Betracht, dass eine auf unbestimmte Dauer ausgestellte Kopie des Nachlasszeugnisses nicht den Anforderungen des § 70 Abs 3 EuErbVO entspricht und wegen dieses Mangels überhaupt keine Legitimationswirkung entfaltet.
2. Zu Frage 2:
Das Europäische Nachlasszeugnis ist gemäß Art 63 Abs 1 EuErbVO zur Verwendung durch Erben bestimmt, die sich in einem anderen Mitgliedstaat auf ihre Rechtsstellung berufen oder ihre Rechte als Erben ausüben müssen. Es wird auf Antrag jeder in Art 63 Absatz 1 der VO genannten Person von der zuständigen Behörde ausgestellt.
Nach Art 69 Abs 1 und 2 EuErbVO entfaltet das Nachlasszeugnis seine Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Es wird vermutet, dass das Zeugnis die Sachverhalte, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden, zutreffend ausweist.
Es wird insbesondere vermutet, dass die Person, die im Zeugnis als Erbe genannt ist, die in dem Zeugnis genannte Rechtsstellung und/oder die in dem Zeugnis aufgeführten Rechte oder Befugnisse hat und dass diese Rechte oder Befugnisse keinen anderen als den im Zeugnis aufgeführten Bedingungen und/oder Beschränkungen unterliegen. Nach dem Erwägungsgrund 71 der EuErbVO sollte das Zeugnis in sämtlichen Mitgliedstaaten dieselbe Wirkung entfalten. Es sollte zwar als solches keinen vollstreckbaren Titel darstellen, aber Beweiskraft besitzen, und es sollte die Vermutung gelten, dass es die Sachverhalte zutreffend ausweist, die nach dem auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwendenden Recht oder einem anderen auf spezifische Sachverhalte anzuwendenden Recht festgestellt wurden.
Die Frage, ob der Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses durch nur einen von mehreren berechtigten Erben gestellt werden kann und ob er in diesem Fall seine Wirkungen nur für den Antragsteller entfaltet, oder ob sich auch andere darin genannte Personen zum Nachweis ihrer Rechtsstellung in einem Verfahren auf dieses Zeugnis berufen können, ist in der EuErbVO nicht ausdrücklich geregelt.
In der Literatur wird wegen Art 65 Abs 1 EuErbVO und im Hinblick auf unterschiedliche Bedürfnisse der Antragsberechtigten die Zulässigkeit der selbständigen Antragstellung vertreten.
Zur Frage, ob sich die Legitimationswirkung des Zeugnisses auch auf jede andere im Nachlasszeugnis genannte Person außer dem Antragsteller erstreckt, wird in der Literatur überwiegend, wenn auch ohne nähere Begründung, die Auffassung vertreten, dass jeder Antragsberechtigte (mit Ausnahme des Testamentsvollstreckers und des Nachlassverwalters) nur ein Zeugnis verlangen kann, das seine eigene Rechtsstellung bescheinigt (vgl etwa Perscha in Deixler/Hübner/Schauer, EuErbVO Art 65 Rz 14 f; Dutta in Münchener Kommentar zum BGB Band 11, Internationales Privatrecht7 Art 65 EuErbVO Rz 4, 6). Art 70 EuErbVO geht zwar davon aus, dass auch andere Personen als die Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Ausstellung einer Abschrift haben können. Ob diese anderen Personen aber auch von den Wirkungen im Sinne des § 69 Abs 3 EuErbVO erfasst sind, selbst wenn sie nicht selbst die Ausstellung der Abschrift begehren, ist damit nicht eindeutig erklärt. Zu bedenken ist dabei auch, dass Personen, die nicht Antragsteller waren, ja regelmäßig keine Möglichkeit der Beteiligung am Ausstellungsverfahren haben.
3. Zu Frage 3:
Die Frage der allfälligen Nachwirkungen einer beglaubigten Kopie des Europäischen Nachlasszeugnisses nach Ablauf ihrer angegebenen Gültigkeitsdauer ist insbesondere von Bedeutung, wenn eine gültige Abschrift vorgelegt wurde, aber die Behörde ihre darauf gegründete Entscheidung nicht mehr innerhalb der Gültigkeitsfrist trifft und die vorlegende Partei keinen Einfluss auf die Dauer des Entscheidungsprozesses nehmen kann.
Es wird dazu sowohl die Meinung vertreten, dass es für die Legitimationswirkung des Europäischen Nachlasszeugnisses ausreichen soll, wenn die Gültigkeitsdauer der Abschrift bei der Antragstellung noch aufrecht war, als auch die gegenteilige Ansicht, dass die Frist noch im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde offen sein muss. Auch in der Rechtsprechung finden beide dieser Standpunkte ihren Niederschlag. Der Oberste Gerichtshof hat bisher in drei Entscheidungen (5 Ob 35/18k; 5 Ob 77/18m; 5 Ob 90/18y) die aufrechte Gültigkeit des Zeugnisses bei Antragstellung für ausreichend befunden. Diese Entscheidungen betrafen jeweils Grundbuchsachen und wurden mit einer besonderen Verfahrensbestimmung des österreichischen Grundbuchsgesetzes begründet. Demgegenüber hat in Deutschland das Kammergericht Berlin (1 W 161/19) jüngst judiziert, dass die Gültigkeit des Nachlasszeugnisses auch noch im Zeitpunkt der darauf gegründeten Eintragung im Grundbuch aufrecht sein müsse. Die mit der Befristung der Abschriften des Zeugnisses intendierte Kontrollfunktion der ausstellenden Behörde gehe ins Leere, wenn auch noch nach dem Ablaufdatum Grundbuchseintragungen darauf gegründet werden könnten.
Bei dieser divergenten Ausgangslage stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das Problem des Ablaufs der Gültigkeit der beglaubigten Abschrift des Nachlasszeugnisses während eines laufenden Verfahrens unionsrechtlich autonom zu lösen ist, oder ob diese Beurteilung nach dem nationalen Recht des angerufenen Gerichts zu erfolgen hat, soweit dessen Anwendung die praktische Wirksamkeit der Verordnung nicht beeinträchtigt.
4. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00040.19V.0527.000 |
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