VfGH vom 11.03.1986, B495/85
Sammlungsnummer
10816
Leitsatz
GrStG; Abweisung eines Antrages auf Zerlegung des festgestellten Einheitswertes gemäß § 13; unter "Gemeinden" in § 13 Abs 1 erster Satz sind Ortsgemeinden iS der Art 115 ff. B-VG, nicht Katastralgemeinden zu verstehen; Gemeinde Pottenbrunn seit 1972 mit St. Pölten vereinigt - Lage der Grundstücke innerhalb eines Gemeindegebietes
Art140 Abs 1 B-VG; zur Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität bei der amtswegigen Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens; in einem steuerrechtlichen Verfahren haben die Verwaltungsbehörden nicht (auch) jene Vorschriften anzuwenden, die die Gemeindegrenzen festlegen
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bf. sind Hälfte-Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebes, der in den Katastralgemeinden Pottenbrunn, Zwerndorf, Unterzwischenbrunn, Wasserburg und Oberradlberg liegt.
Mit Bescheid des Finanzamtes St. Pölten vom wurde der seinerzeit festgestellte Einheitswert für diesen Betrieb zum erhöht und der Grundsteuermeßbetrag auf den neu festgesetzt.
Am beantragten die Bf. beim Finanzamt St. Pölten, den zum festgestellten Einheitswert gemäß §§13 und 14 des Grundsteuergesetzes (GrStG) iVm. §§196 und 197 BAO auf die Gemeinden St. Pölten und Pottenbrunn zu zerlegen, da sich ihr landwirtschaftlicher Betrieb auf mehrere Katastralgemeinden erstrecke.
Die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (FLD) wies mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom diesen Antrag mit der Begründung ab, daß alle zum landwirtschaftlichen Betrieb der Bf. gehörenden Grundstücke zu ein und derselben Gemeinde (St. Pölten) gehörten; eine Zerlegung komme gemäß § 13 GrStG nur in Betracht, wenn eine wirtschaftliche Einheit in mehr als einer Gemeinde liege, wobei "im Sinne des Gesetzes mit Gemeinde der politische Begriff und nicht eine einzelne Katastralgemeinde" gemeint sei.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Landesgesetzes (nämlich der die Gemeindeglied Vorschriften) und die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. a) Die FLD als bel. Beh. erstattete eine Gegenschrift, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
b) Die Nö. Landesregierung gab eine Stellungnahme ab, in der sie die Meinung vertritt, daß die die Gemeindegliederung betreffenden Rechtsvorschriften hier nicht präjudiziell seien.
Darauf replizierten die Bf.; sie vertreten weiterhin die gegenteilige Ansicht.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) § 13 Abs 1 erster Satz GrStG bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Einheitswerte (für die Berechnung der Grundstücke) zu zerlegen sind:
"Erstreckt sich der Steuergegenstand über mehrere Gemeinden, so ist der auf die einzelne Gemeinde entfallende Teilbetrag des Einheitswertes durch Zerlegung zu ermitteln (Zerlegungsanteil)."
Unstrittig ist, daß im gegebenen Zusammenhang unter "Gemeinden" die Ortsgemeinden iS des Art 115 ff. B-VG, nicht aber die Katastralgemeinden iS des Grundbuchsrechtes zu verstehen sind. Unstrittig ist ferner, daß nach der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (und auch derzeit) geltenden Rechtslage sämtliche zum landwirtschaftlichen Betrieb der Bf. gehörenden Grundstücke im Bereich der Stadtgemeinde St. Pölten liegen.
Die Bf. meinen nun aber, daß diese Rechtslage verfassungswidrig sei. Nach der früher geltenden - verfassungsrechtlich einwandfreien - Rechtslage hätten die Grundstücke zum Teil zur Stadtgemeinde St. Pölten, zum anderen Teil jedoch zur Gemeinde Pottenbrunn gehört. Die maßgebenden gemeindeorganisatorischen Vorschriften seien im Beschwerdeverfahren präjudiziell.
Die Bf. legen ausführlich ihre Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der ihrer Ansicht in Betracht zu ziehenden landesgesetzlichen Bestimmungen dar. Die im Jahre 1971 durch das Nö. Kommunalstrukturverbesserungsgesetz, LGBl. 264/1971, verfügte (und seither durch mehrere gesetzliche Maßnahmen perpetuierte) Zusammenlegung der Gemeinde Pottenbrunn mit der Stadtgemeinde St. Pölten verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
b) Tatsächlich bestanden bis zum eigene Gemeinden St. Pölten und Pottenbrunn. § 3 Abs 17 KStrVG verfügte:
"Die im politischen Bezirk St. Pölten gelegene Marktgemeinde Pottenbrunn und die Gemeinden Zwerndorf, Unterzwischenbrunn, Wasserburg und Oberradlberg werden mit der Stadt mit eigenem Statut St. Pölten vereinigt."
Die Gemeinde Pottenbrunn hat gemäß § 5 Abs 1 KStrVG mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes - das ist § 9 zufolge der - zu bestehen aufgehört.
Das Nö. Landesgesetz LGBl. 1030-0 (in Kraft getreten am ) über die Gliederung des Landes Niederösterreich in Gemeinden zählt im § 1 taxativ jene Gemeinden auf, in die sich das Land Niederösterreich gliedert. In dieser Aufzählung findet sich eine Gemeinde Pottenbrunn nicht, wohl aber die Stadt mit eigenem Statut St. Pölten. Daran hat sich durch die in der Folge erlassenen Novellen nichts geändert.
Mit ArtII Z 18 der Novelle zum Gliederungsgesetz, LGBl. 1030-7, wurde das KStrVG aufgehoben.
Nach dem im Zeitpunkt der Bescheiderlassung (und auch derzeit) geltenden § 3 Abs 1 Z 3 dieses Gesetzes idF der Nov. LGBl. 1030-25 besteht das Gebiet der Stadt St. Pölten ua. aus der Katastralgemeinde Pottenbrunn.
2. a) Die wesentliche Frage, die es zunächst zu lösen gilt, ist, ob der VfGH bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde diese gemeindeorganisatorischen Vorschriften iS des Art 140 Abs 1 B-VG anzuwenden hätte; nur dann käme nämlich die Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens in Betracht.
b) Der VfGH hat im Erk. VfSlg. 9751/1983 folgendes ausgeführt:
"Die Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität ist bei der amtswegigen Einleitung eines Verordnungs- und Gesetzesprüfungsverfahrens auch nach der durch die B-VG Nov. BGBl. 302/1975 geschaffenen Verfassungsrechtslage in gleicher Weise zu beurteilen wie nach der früheren Fassung der Art 139 und 140 B-VG (vgl. VfSlg. 7949/1976, S 436), wonach es darauf ankam, ob die generelle Norm 'Voraussetzung für die Entscheidung des VfGH in einer bei ihm anhängigen Rechtssache war.
Es ist offenkundig, daß die Art 139 Abs 1 und 140 Abs 1 B-VG den VfGH nicht dazu ermächtigen, jede generelle Norm von Amts wegen zu prüfen, die für seine Entscheidung auch nur irgendwie von Bedeutung sein kann; denn irgendwie bedeutsam kann letztlich jede Norm, dh. die gesamte Rechtsordnung sein. Der Sinn dieser bundesverfassungsgesetzlichen Vorschriften ist es vielmehr, den Umfang jener genereller Normen, die zu prüfen der VfGH befugt ist, einzugrenzen.
Diese Schranken lassen sich nicht allgemein umschreiben. Vielmehr hat der VfGH unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles zu entscheiden, wo die Grenze zu ziehen ist (vgl. Kelsen - Fröhlich - Merkl, Die Bundesverfassung vom , Wien und Leipzig 1922, S 254)."
Der VfGH sieht sich nicht veranlaßt, von dieser Judikatur abzurücken.
c) Es ist offenkundig, daß in einem steuerrechtlichen Verfahren, in dem die Situierung der Grundstücke innerhalb des Gemeindegebietes außer Frage steht, die Verwaltungsbehörden ihre Entscheidung nicht (auch) auf jene Vorschriften zu stützen haben, die die Gemeindegrenzen festlegen (vgl. VfSlg. 9751/1983). Im Administrativverfahren war nicht strittig, daß alle Grundstücke zur Stadt St. Pölten gehören und daß eine Gemeinde Pottenbrunn nicht existiert. Für die Entscheidung der ausschließlich steuerrechtlichen Frage war es unmaßgebend, wie und weshalb sich die Gemeindestruktur so entwickelt hatte, wie sie sich der Behörde und der Verfahrenspartei völlig unstrittig darstellte.
Unter den besonderen Umständen dieses Falles hat also auch der VfGH der Frage, weshalb die Gemeinde Pottenbrunn nun nicht mehr rechtlich existent ist, nicht weiter nachzugehen. Er hat daher die in Betracht kommenden, die Gemeindestruktur regelnden Vorschriften nicht iS des Art 140 Abs 1 B-VG "anzuwenden". Sie sind demnach in dieser, gegen den in einer abgabenrechtlichen Sache ergangenen Bescheid gerichteten Beschwerde nicht präjudiziell.
3. a) Sämtliche Beschwerdebehauptungen beruhen aber auf der gegenteiligen Ansicht. Auf diese - von einer verfehlten Prämisse ausgehenden - Vorwürfe ist daher nicht einzugehen.
b) Ansonsten hat das Verfahren keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß die Bf. in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden wären.
c) Die Beschwerde war mithin abzuweisen.