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OGH vom 28.08.1991, 9ObA170/91

OGH vom 28.08.1991, 9ObA170/91

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Mag. Karl Dirschmied in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der G***** GesmbH, vertreten durch die Betriebsratsvorsitzende I***** R*****, ***** diese vertreten durch ***** Kammer für Arbeiter und Angestellte *****, dieser vertreten durch *****, Rechtsanwalt *****, wider die beklagte Partei G***** GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer J***** H*****, ***** vertreten durch Dr. *****, Rechtsanwalt *****, wegen Ausfolgung von Gewinn- und Verlustrechnungen, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 23/91-14, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 24 Cg 109/90-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit S 4.077,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 679,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das beklagte Unternehmen, ein keramikerzeugender Betrieb, ist ein Fabriksunternehmen iS des § 108 Abs 3 ArbVG, in dem (außerdem) dauernd mindestens 70 Arbeitnehmer (nach den Behauptungen des klagenden Betriebsrates sogar knapp 500) beschäftigt sind. Die Unternehmensleitung hat dem Betriebsrat zwar alljährlich die Bilanz, trotz mehrmaliger Aufforderung durch die Betriebsratsvorsitzende aber die Gewinn- und Verlustrechnungen für die Wirtschaftsjahre 1986/87, 1987/88 und 1988/89 nicht übermittelt. Der Geschäftsführer der Beklagten hat sich in den letzten zwei Jahren darüber beklagt ("gejammert"), daß der Umsatz des Unternehmens stark zurückgegangen sei; der Betriebsrat hatte (ohne die Ausfolgung der Gewinn- und Verlustrechnungen) keine Möglichkeit, diese Aussage zu überprüfen.

Der klagende Arbeiterbetriebsrat des beklagten Unternehmens begehrt die Ausfolgung der Gewinn- und Verlustrechnungen für die drei genannten Wirtschaftsjahre, weil diese Unterlagen trotz mehrmaliger Aufforderung nicht übermittelt worden seien, obwohl sie zur Beurteilung der Wirtschftslage des Betriebes benötigt würden.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; die klagende Partei habe keinen Anspruch auf die Gewinn- und Verlustrechnung, sondern nur auf den Gewinn- und Verlustausweis, der ohnehin Bestandteil der bereits übermittelten Steuerbilanzen sei. Die Gewinn- und Verlustrechnungen früherer Geschäftsjahre könne die klagende Partei nicht verlangen, weil diese zur Beurteilung der Wirtschaftslage des Betriebes und seiner Entwicklung nicht erforderlich seien.

Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteige.

Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß mit dem in § 108 Abs 3 ArbVG erwähnten Gewinn- und Verlustausweis die Gewinn- und Verlustrechnung gemeint sei, da dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, daß er damit nur die schon in der Bilanz enthaltene Ausweisung des Gewinnes gemeint habe. Es handle sich nur um eine aus dem Betriebsrätegesetz 1919 übernommene altertümliche Ausdrucksweise des Gesetzgebers. Auch das Schrifttum mache keinen Unterschied zwischen Gewinn- und Verlustausweis sowie Gewinn- und Verlustrechnung.

Das Herausgabebegehren sei auch für die vorangegangenen Jahre gerechtfertigt, da der Betriebsrat keine Möglichkeit gehabt habe, die Behauptung des Geschäftsführers der Beklagten, daß der Umsatz stark zurückgegangen sei, zu überprüfen. Die in den Gewinn- und Verlustrechnungen der beiden vorangegangenen Jahre enthaltenen Informationen seien daher zur Ausübung der Mitwirkungsrechte des Betriebsrates erforderlich. Dieser könne von seinem Interventionsrecht nach § 109 ArbVG nur dann sinnvoll Gebrauch machen, wenn er vorher entsprechend dem § 108 ArbVG ausreichend informiert worden sei. Dazu gehöre auch die Kenntnis der Betriebsentwicklung über mehrere Jahre.

Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Klage vollinhaltlich abgewiesen werde; hilfsweise stellt sie den Antrag, sie nur zur Übermittlung einer Abschrift der Gewinn- und Verlustrechnung für das Wirtschaftsjahr 1988/89 zu verpflichten.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 108 Abs 3 ArbVG idF vor dem erst in Kraft tretenden RLG BGBl 1990/475 (s dort Art XI) hat der Betriebsinhaber in Handelsbetrieben, Banken und Versicherungsanstalten, in denen dauernd mindestens 30 Arbeitnehmer beschäftigt sind, in sonstigen Betrieben, in denen dauernd mindestens 70 Arbeitnehmer beschäftigt sind, sowie in Fabriks- und Bergbaubetrieben dem Betriebsrat alljährlich, spätestens ein Monat nach Vorlage an die Steuerbehörde, eine Abschrift der Bilanz für das verflossene Geschäftsjahr einschließlich des Gewinn- und Verlustausweises zu übermitteln. Darunter ist nach einhelliger Ansicht der Lehre die Steuerbilanz zu verstehen. Dies wird daraus erschlossen, daß die Bilanz spätestens einen Monat nach Vorlage an die Steuerbehörde dem Betriebsrat übergeben werden muß (Strasser in Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 705; Floretta-Strasser, ArbVG2 343 FN 36; Geppert, DRdA 1982, 327 (328); Schwarz-Löschnigg, Arbeitsrecht4, 652). Die Ansicht von Strasser in Floretta-Strasser (Komm z ArbVG 705), daß sich der Betriebsrat mit der Steuerbilanz "zufriedengeben muß", ist insofern teilweise mißverständlich, als die Steuerbilanz, sofern nicht ausnahmsweise eine Einheitsbilanz erstellt wird (Geppert aaO 329; Schwarz-Löschnigg aaO 651) aus der Handelsbilanz abgeleitet wird (Geppert aaO) und das Einkommensteuergesetz für die im Firmenbuch eingetragenen Unternehmen den Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz aufgestellt hat (vgl §§ 5, 44 Abs 1 und 2 EStG 1988). Nach Geppert (aaO 331) kann allerdings der Betriebsrat eine genaue ziffernmäßige Bekanntgabe der vom Steuerrecht abweichenden handelsrechtlichen Ansätze nicht verlangen, da dies einer Einsichtnahme in die Bilanzunterlagen gleichkäme. Im Sinne dieses Verhältnisses zwischen Handels- und Steuerbilanz wurde auch ausgesprochen, daß der Betriebsinhaber seine Pflicht nach § 108 ArbVG durch die Vorlage der Handelsbilanz nicht zur Gänze erfüllt, sondern dem Betriebsrat eine Abschrift der Steuerbilanz zu übermitteln hat (Floretta-Strasser ArbVG2, 344 ENr 4; Schwarz-Löschnigg aaO 651 f). Durch Vorlage der Handelsbilanz kann aber der Betriebsinhaber seiner vorläufigen Informationspflicht nach § 108 Abs 3 Satz 3 ArbVG Genüge tun (Strasser in Floretta-Strasser, Komm z ArbVG 705).

Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß mit den Worten "einschließlich des Gewinn- und Verlustausweises" in § 108 Abs 3 ArbVG nicht ein Bestandteil der ohnehin nach dieser Gesetzesstelle ausdrücklich (in Abschrift) zu übermittelnden Bilanz, sondern die Gewinn- und Verlustrechnung - und zwar im Sinne der zusammenhängenden (§ 5 EStG 1988) einschlägigen handels- und steuerrechtlichen Vorschriften - gemeint ist, ist zuzustimmen (§ 48 ASGG). Insbesondere für Kapitalgesellschaften normieren die einschlägigen Rechnungslegungsvorschriften ( - auf die durch das RLG 1990 in Hinkunft eintretenden Änderungen (insbes auch des Aktiengesetzes 1965) ist hier noch nicht Bedacht zu nehmen - ) die gesonderte Aufstellung einer Jahresbilanz sowie einer Gewinn- und Verlustrechnung (vgl § 125 Abs 1 AktG). Die (derzeit noch geltenden) §§ 131, 132 AktG enthalten detaillierte Vorschriften über die Gliederung der Jahresbilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung, die durch die GmbHNov 1980 und das Gesellschaftsrechtsänderungsgesetz 1982 sowohl in der inhaltlichen Gestaltung als auch im Verfahren der Rechnungslegung auf alle Gesellschaften mit beschränkter Haftung - die Beklagte hat diese Gesellschaftsform - ausgedehnt wurde (Kastner-Doralt-Novotny, Gesellschaftsrecht5, 435 ff; § 22 Abs 2 und § 23 Abs 1 Z 1 GmbHG). Buchführungspflichtige Unternehmen müssen ihrer Steuererklärung gemäß § 44 Abs 1 EStG 1988 nicht nur eine Abschrift der Vermögensübersicht (Jahresabschluß, Bilanz), sondern auch der Gewinn- und Verlustrechnung beifügen.

Aus all dem folgt, daß mit der Erwähnung des Gewinn- und Verlustausweises in § 108 Abs 3 ArbVG nicht die Buchungspost nach § 131 Abs 3 AktG ("der Überschuß der Aktivposten über die Passivposten (Reingewinn) oder der Überschuß der Passivposten über die Aktivposten (Reinverlust) ist am Schlusse der Jahresbilanz gesondert auszuweisen") gemeint ist, sondern die gesamte nach § 132 AktG zu gliedernde Gewinn- und Verlustrechnung, da sonst die Erwähnung des Gewinn- und Verlustausweises überflüssig gewesen wäre. Dafür spricht aber auch die teleologische Auslegung: Die Übermittlung der Gewinn- und Verlustrechnung (also der Aufwands- und Ertragsrechnung) im Sinne des § 132 AktG ist auch erforderlich, um den Zweck des § 108 Abs 3, nämlich Aufschluß über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Betriebes zu geben, Genüge zu tun. Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, sind diese Informationen für den Betriebsrat erforderlich, um von seinem Interventionsrecht nach § 109 Abs 2 ArbVG sinnvollen Gebrauch machen zu können. Schließlich sei auch darauf verwiesen, daß dem Betriebsrat nach der künftigen Fassung des § 108 Abs 3 ArbVG eine Abschrift des Jahresabschlusses....zu übermitteln sein wird. Dieser besteht aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung (§ 193 Abs 4 HGB idF des RLG).

Die Ausfolgung von Bilanzen sowie Gewinn- und Verlustrechnungen früherer Geschäftsjahre kann der Betriebsrat verlangen, wenn eine solche Vorlage seinerzeit unterblieben ist und die Beurteilung der Wirtschaftslage des Betriebes und seiner Entwicklung auch die Kenntnis der Betriebserfolge vorangegangener Jahre erforderlich macht (zur Ausfolgung von Bilanzen VwSlg 10.280 = DRdA 1981, 327). Da der Geschäftsführer der Beklagten in den letzten zwei Jahren auf den starken Umsatzrückgang hingewiesen hat, bedarf es zur Information des Betriebsrats für die damit behauptete ungünstige Geschäftsentwicklung auch der Ausfolgung der Gewinn- und Verlustrechnungen der beiden Vorjahre. Die Belegschaftsvertreter können sich nur durch einen Vergleich der jeweiligen Umsatzziffern ein Bild über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens machen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.