VfGH vom 28.09.1993, B494/93
Sammlungsnummer
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Leitsatz
Teilweise Aufhebung von Enteignungsbescheiden, teilweise Ablehnung der Beschwerden gegen Enteignungsbescheide
Spruch
I. 1. Die Beschwerdeführer zu B494/93, H und A K, sind durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als durch diesen Bescheid 1.957 m2 des Grundstücks Nr. 425, EZ 393, KG Liezen, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.
2. Die Beschwerdeführerin zu B622/93, die Gemeinde Aigen im Ennstal, ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als dadurch 920 m2 der Grundstücke Nr. 1735/2 und Nr. 1967, beide EZ 263, KG Ketten, sowie des Grundstücks Nr. 1202/2, EZ 663, KG Wörschach, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.
3. Der Beschwerdeführer zu B807/93, A K, ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums insoweit verletzt worden, als dadurch 670 m2 des Grundstücks Nr. 318, EZ 475, KG Lassing, für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen enteignet wurden.
Insoweit werden die angefochtenen Bescheide aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 16.500,- (B494/93) bzw. je S 15.000,-
(B622/93 und B807/93) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
II. Im übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt. Die Beschwerden zu B494/93 und B622/93 werden insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Bescheiden des kraft Devolution gemäß § 73 AVG zuständigen Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten wurden gemäß den §§17 bis 20 des Bundesstraßengesetzes 1971 (BStG 1971) Teile von im Eigentum der Beschwerdeführer stehenden Grundstücken für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße sowie für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen im Zuge dieser Straße enteignet.
In ihren gegen die Enteignungsbescheide gerichteten Beschwerden gemäß Art 144 B-VG machen die Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, Unverletzlichkeit des Eigentums sowie Gleichheit vor dem Gesetz geltend.
Die Beschwerdeführer begründen die behaupteten Rechtsverletzungen insbesondere mit der Unzulässigkeit einer Enteignung von Grundstücken oder Grundstücksteilen für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen im Zuge eines Straßenbaus.
2. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten beantragt in seinen Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerden und verweist hinsichtlich der Enteignung für Zwecke landschaftspflegerischer Begleitmaßnahmen auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , B930/92 ua.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die angefochtenen Bescheide greifen in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführer ein. Ein solcher Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8776/1980, 9137/1981, 10356/1985 ua.) dann verfassungswidrig, wenn der die Enteignung verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat, ein Fall, der nur dann vorliegt, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist.
Auf einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung beruht eine Enteignung insbesondere dann, wenn ein - an sich verfassungsrechtlich unbedenkliches - Enteignungsgesetz entgegen den verfassungsrechtlichen, aus Art 5 StGG und Art 1 Satz 1
1. ZPMRK abzuleitenden Anforderungen des Eigentumsschutzes ausgelegt wird.
2. Mit Erkenntnis vom , B930/92 ua., hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß Enteignungen zu Zwecken landschaftspflegerischer Begleitmaßnahmen im Zuge eines Straßenbaus nicht auf die Enteignungsbestimmungen des BStG 1971 gestützt werden dürfen: "Maßnahmen, die aus Gründen des Natur- und Landschaftsschutzes raumbeanspruchend gesetzt werden, ... fallen weder unter die Aufzählung der Bestandteile einer Bundesstraße gemäß § 3 BStG 1971 noch dürfen sie im Wege der Enteignung gemäß § 17 in Verbindung mit § 3 BStG 1971 durchgesetzt werden. Es ist schlechthin denkunmöglich, auf der Grundlage der für den Bau von Bundesstraßen ... vorgesehenen Enteignungsbestimmung des § 17 BStG 1971 über die für den Bau der verordneten Trasse erforderlichen Grundstücke hinaus weitere Grundstücke in deren Umgebung im Wege der Enteignung für sogenannte 'landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen' in Anspruch zu nehmen."
Landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen können demnach - jedenfalls in ihrer Gesamtheit - auch nicht als "Anlagen zum Schutz der Nachbarn vor Beeinträchtigungen durch den Verkehr auf der Bundesstraße" gemäß § 3 BStG 1971 verstanden werden. Denkunmöglich ist es weiters auch, naturschutzrechtliche Auflagen auf der Grundlage bundesstraßenrechtlicher Enteignungsregelungen zu verwirklichen. § 17 BStG 1971 bietet im Hinblick auf die den Ländern gemäß Art 15 Abs 1 B-VG zukommende Kompetenz auf dem Gebiet des Naturschutzes einschließlich des Landschaftsschutzes in verfassungskonformer Auslegung keine Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme von Grundstücken durch Enteignung zum Zwecke der Verwirklichung landschaftspflegerischer Begleitmaßnahmen.
Daraus folgt, daß durch die im Wege der angefochtenen Bescheide verfügten Enteignungen das BStG 1971 insoweit in denkunmöglicher Weise angewendet wurde, als durch diese Enteignungen Grundstücksteile für landschaftspflegerische Begleitmaßnahmen in Anspruch genommen wurden. Der in diesen Enteignungen liegende Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführer leidet an einem rechtlichen Mangel, der ihn einem gesetzlosen Eingriff gleichstellt (vgl. auch VfSlg. 9137/1981). In diesem Umfang waren die angefochtenen Bescheide sohin wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben.
III. Soweit mit den angefochtenen Bescheiden die Enteignung von Grundstücksteilen für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße verfügt wurde, lehnt der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der dagegen gerichteten Beschwerden ab.
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit nämlich ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs 2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Hinsichtlich der Enteignungen von Grundstücksteilen für den Ausbau der B 146 Ennstal Straße wären die von den Beschwerdeführern behaupteten Rechtsverletzungen zum erheblichen Teil nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes, insbesondere verfahrensrechtlicher Vorschriften. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
Soweit die Beschwerden aber verfassungsrechtliche Fragen sowie die Frage der Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , BGBl. 599, betreffen, lassen ihre Vorbringen vor dem Hintergrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom , V62/91 ua., die behaupteten Rechtsverletzungen, die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben. Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden im restlichen, von der Aufhebung gemäß dem I. Teil des Spruches dieses Erkenntnisses nicht betroffenen Teil abzusehen und die Beschwerden zu B494/93 und B622/93 gemäß Art 144 Abs 3 B-VG antragsgemäß insoweit dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs 3 Z 1 VerfGG).
IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 2.750,-
(B494/93) bzw. je S 2.500,- (B622/93 und B807/93) enthalten.