OGH vom 25.01.2006, 9ObA170/05y

OGH vom 25.01.2006, 9ObA170/05y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Carl Hennrich und ADir. Reg.Rat Winfried Kmenta als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Martin F*****, gegen die beklagte Partei H*****GmbH, *****, vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer und Dr. Josef Klaunzer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen EUR 651,56 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 68/05w-18, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 46 Cga 20/05z-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Revisionswerberin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Nach der seit in Geltung befindlichen Fassung des § 18 Abs 1 Berufsausbildungsgesetz (BAG) ist der Lehrberechtigte verpflichtet, den Lehrling, dessen Lehrverhältnis mit ihm gemäß § 14 Abs 1 oder § 14 Abs 2 lit e endet, im Betrieb drei Monate im erlernten Beruf weiterzuverwenden. Hat der Lehrling beim Lehrberechtigten die für den Lehrberuf festgesetzte Lehrzeit bis zur Hälfte zurückgelegt, so trifft diesen Lehrberechtigten nach § 18 Abs 2 BAG die im Abs 1 festgelegte Verpflichtung nur im halben Ausmaß. Darüber hinaus trifft den Lehrberechtigten diese Verpflichtung in vollem Ausmaß.

In der vorher geltenden Fassung des § 18 BAG betrug die in Abs 1 normierte Weiterverwendungszeit vier Monate. Davon abgesehen blieben § 18 Abs 1 und 2 BAG durch die mit in Kraft getretene Änderung unverändert.

Der hier anwendbare Kollektivvertrag für Handelsangestellte regelt die Dauer der Weiterverwendungszeit in seinem Punkt XVII. Z 2 - so wie schon vor der Änderung des § 18 BAG - wie folgt:

„2. Hinsichtlich der Weiterverwendung eines ausgelernten Lehrlings gilt § 18 Berufsausbildungsgesetz. An die Zeit der Weiterverwendung gemäß § 18 BAG schließt sich eine Weiterverwendungszeit im Ausmaß von zwei Monaten an.

Ist die Weiterverwendungszeit gemäß § 18 BAG kürzer als vier Monate, schließt sich eine Weiterverwendungszeit im Ausmaß von einem Monat an. Endet die Zeit der Weiterverwendung nicht mit dem Letzten eines Kalendermonats, ist sie auf diesen zu erstrecken."

Zwischen den Parteien ist strittig, ob im Fall des Klägers, der vom bis zum bei der Beklagten eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann absolviert hat, die Weiterverwendungszeit insgesamt fünf oder vier Monate betragen hat.

Der Kläger vertritt den Standpunkt, dass die unveränderte Fortschreibung der kollektivvertraglichen Regelung, die seit der Änderung des § 18 BAG in sich widersprüchlich sei, ein offenkundiges Redaktionsversehen sei. Sie gehe sichtlich von der früher geltenden Weiterverwendungszeit von vier Monaten aus und müsse daher dahin ausgelegt werden, dass die Ausnahmeregelung des Punkt XVII. Z 2 Abs 2 auch weiterhin nur im Fall des § 18 Abs 2 BAG zum Tragen komme. Andernfalls habe die in XVII. Z 2 Abs 1 normierte Grundregel keinen Anwendungsbereich.

Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der Wortlaut des Abs 2 der kollektivvertraglichen Norm eindeutig sei und keine davon abweichende Auslegung zulasse.

Das Berufungsgericht folgte mit der angefochtenen Entscheidung dem Standpunkt des Klägers und vertrat die Rechtsauffassung, dass der Kläger fünf Monate hätte weiterverwendet werden müssen. Da es nach der derzeitigen Fassung des § 18 BAG immer nur eine kürzere Weiterverwendungszeit als vier Monate geben könne, wäre Punkt XVII. Z 2 Abs 1 bei der von der Beklagten vertretenen Auslegung überflüssig. Den Kollektivvertragsparteien könne aber nicht unterstellt werden, sie hätten eine überflüssige Norm schaffen wollen. Zudem sei das aus § 18 BAG abzuleitende System der Regelung der Weiterverwendungszeit zu berücksichtigen: Der Gesetzgeber unterscheide, ob ein Lehrberechtigter den Lehrling die volle Lehrzeit ausgebildet habe oder nicht. Je nach dem mute er dem Lehrberechtigten eine kürzere oder eine längere Weiterverwendungszeit zu. Dieser Grundgedanke liege auch der kollektivvertraglichen Regelung zu Grunde, die daher korrigierend im Sinne des Standpunkts des Klägers ausgelegt werden müsse. Nur auf diese Weise komme es zu einer Gleichbehandlung der Lehrberechtigten. Andernfalls würde die kollektivvertragliche Regelung alle Lehrberechtigten gleich stellen, gleichgültig, ob die gesetzliche Weiterverwendungszeit des § 18 Abs 1 BAG oder eine kürzere zum Tragen komme.

Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es ausreicht, auf die Richtigkeit der Ausführungen des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Revisionsausführungen entgegenzuhalten:

Der Einwand, der Wortlaut der kollektivvertraglichen Regelung sei völlig eindeutig und schließe eine „Uminterpretation" aus, übersieht den offenkundigen Widerspruch der Absätze 1 und 2 der Norm. Abs 1 normiert als Grundregel eine Verlängerung der Weiterverwendungszeit um zwei Monate. Abs 2 normiert nach der Systematik der Bestimmung eine Ausnahme von der Grundregel. Stellt man aber - wie die Revisionswerberin - ausschließlich auf Abs 2 ab, würde dies bedeuten, dass die Grundregel nie zur Anwendung kommen könnte. Dies ist ein Ergebnis, das den Kollektivvertragsparteien nicht als bewusste Anordnung zugesonnen werden kann.

Die Überlegungen, mit denen die Revisionswerberin ihren Standpunkt begründet, die Regelung beruhe auf einer bewussten Anordnung der Kollektivvertragsparteien, überzeugen nicht: Zwar trifft es zu, dass schon vor der Neufassung des § 18 BAG die kollektivvertragliche Verlängerung einer weniger als vier Monate betragenden Weiterverwendungszeit nur einen Monat betragen hat. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, die in Rede stehende Norm sei das Ergebnis einer bewussten Anordnung der Kollektivvertragsparteien, weil - hätten sie die von der Revisionswerberin betonte Relation bewusst beibehalten wollen - das Fortschreiben der dann ja völlig überflüssigen Grundregel des Abs 1 der kollektivvertraglichen Norm nicht erklärbar wäre. Gerade die Beibehaltung der Zweistufigkeit der kollektivvertraglichen Regelung spricht aus den vom Berufungsgericht überzeugend dargelegten Gründen für die Annahme, dass die Kollektivvertragsparteien das auch der gesetzlichen Regelung zu Grunde liegende Prinzip beibehalten wollten, nach dem die Dauer der Weiterverwendungszeit von der Dauer der beim Lehrberechtigten absolvierten Lehrzeit abhängig sein soll. Damit ist es aber geboten, den Wortlaut der kollektivvertraglichen Bestimmung im Sinne der Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes korrigierend zu interpretieren.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.