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OGH vom 18.08.2010, 8Ob4/10m

OGH vom 18.08.2010, 8Ob4/10m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der T***** P*****, vertreten durch Dr. Johannes Jaksch, Dr. Alexander Schoeller und Dr. Stephan Riel, Rechtsanwälte in Wien, Masseverwalterin Dr. Katharina Widhalm-Budak, Rechtsanwältin in Wien, über den Revisionsrekurs der Schuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 47 R 505/09a 39, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 66 S 17/09d-24 abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der Beschluss des Rekursgerichts, soweit damit über den Rekurs der Masseverwalterin entschieden wurde, wird als nichtig aufgehoben und der Rekurs als verspätet zurückgewiesen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Das Erstgericht bewilligte mit Beschluss vom gemäß § 119 Abs 5 KO den Antrag der damals noch zur Eigenverwaltung berechtigten Schuldnerin auf Ausscheidung ihres 1/6 Anteils einer Liegenschaft in 1190 Wien. Dieser Vermögensbestandteil sei zu Gunsten des Großvaters der Schuldnerin mit einem bücherlichen Belastungs und Veräußerungsverbot sowie einem Fruchtgenussrecht belastet und dadurch praktisch unverwertbar.

Dieser Beschluss wurde den Vertretern der Schuldnerin am zugestellt. Aus Anlass des gegen die Bewilligung der Ausscheidung erhobenen Rekurses einer Gläubigerin entzog das Erstgericht der Schuldnerin mit Beschluss vom die Eigenverwaltung. Es bestellte „zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der Konkursgläubiger im Ausscheidungsverfahren“ eine Masseverwalterin, welche daraufhin gleichfalls Rekurs gegen den Ausscheidungsbeschluss vom erhob.

Das Rekursgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss den Rekurs der Gläubigerin als unzulässig zurück, gab jedoch dem für rechtzeitig erachteten Rekurs der Masseverwalterin statt und änderte den erstinstanzlichen Beschluss dahin ab, dass der Antrag auf Ausscheidung des Liegenschaftsanteils abgewiesen werde. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage für nicht zulässig.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs begehrt die Schuldnerin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in seinem abändernden Teil. Der angefochtene Beschluss sei mangels rechtzeitiger Erhebung eines Rekurses durch einen dazu legitimierten Verfahrensbeteiligten zum Zeitpunkt der Bestellung der Masseverwalterin bereits rechtskräftig gewesen.

Die Masseverwalterin hat von der ihr mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom freigestellten Beantwortung des Revisionsrekurses nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs zulässig, weil zur Frage der Anfechtbarkeit bereits formal rechtskräftiger Ausscheidungsbeschlüsse im Schuldenregulierungsverfahren durch einen erst nachträglich bestellten Masseverwalter noch keine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs besteht. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

1. Gemäß § 186 Abs 2 KO (seit : § 186 Abs 2 IO) hat das Gericht dem Schuldner die Eigenverwaltung zu entziehen und einen Masseverwalter zu bestellen, wenn die Vermögensverhältnisse des Schuldners nicht überschaubar sind, insbesondere wegen der Zahl der Gläubiger und der Höhe der Verbindlichkeiten, wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, oder wenn der Schuldner nicht ein genaues Vermögensverzeichnis vorlegt.

Der Oberste Gerichtshof hat in den beiden vom Rekursgericht zitierten, in sachlich zusammenhängenden Verfahren ergangenen Entscheidungen 8 Ob 332/98a und 8 Ob 333/98y ausgesprochen, dass die Wirkungen einer verspäteten Bestellung des Masseverwalters im Zusammenhang mit der Fassung eines Ausscheidungsbeschlusses unter den Voraussetzungen des § 186 Abs 2 KO auf jenen Zeitpunkt rückzubeziehen sind, zu dem objektiv betrachtet das Erfordernis der Bestellung gegeben war, weil anderenfalls der vom Gesetz bezweckte Schutz der Gläubiger nicht gewährleistet wäre.

Diese vereinzelt gebliebenen Entscheidungen stehen unzweifelhaft in einem Spannungsverhältnis zur ständigen Rechtsprechung desselben Senats, die grundsätzlich eine rückwirkende Aufhebung von im Insolvenzverfahren ergangenen Beschlüssen wegen der Besonderheit des Mehrparteienverfahrens ablehnt (RIS Justiz RS0081633). Sie sind aus diesem Grund, insbesondere aber auch aus Verkehrsschutzüberlegungen, in der Literatur praktisch einhellig auf Kritik gestoßen ( Mohr , Privatkonkurs², 34; Riel , wobl 1999, 248 f; Konecny/Riel , Entlohnung im Insolvenzverfahren 172 FN 755; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger , KO § 119 Rz 216). Niemand werde mehr bereit sein, mit dem Gemeinschuldner Rechtsgeschäfte abzuschließen, weil stets die Gefahr drohe, dass sie unwirksam würden, wenn bereits objektiv die Voraussetzungen des § 186 Abs 2 KO vorlagen (Riel , wobl 1999, 127 f).

2. Zumindest für den Bereich des ordentlichen Konkursverfahrens (vgl § 181 KO) entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass ein gemäß § 119 Abs 5 KO gefasster Ausscheidungsbeschluss für den einzelnen Konkursgläubiger auch dann nicht bekämpfbar ist, wenn kein Gläubigerausschuss besteht und daher das Konkursgericht allein über die Bewilligung einer Ausscheidung zu entscheiden hat (8 Ob 332/98a, 8 Ob 333/98y ua). Der Rechtsmittelausschluss wird mit einer Hintanhaltung unabsehbarer Verfahrensverzögerungen durch die Verfolgung von Partikularinteressen der Gläubiger begründet (8 Ob 332/98a; SZ 69/124).

Stichhältig kann dieses Argument allerdings nur dort sein, wo wenigstens eine nachprüfende Kontrolle des Gerichtsbeschlusses durch ein Rekursrecht des Masseverwalters erhalten bleibt. Im Verfahren gemäß §§ 181 ff KO führt die Verneinung der Rekurslegitimation der einzelnen Gläubiger dann zu einem Rechtsschutzdefizit, wenn das Gericht einen Ausscheidungsantrag des zur Eigenverwaltung berechtigten Schuldners zur Gänze bewilligt, weil hier trotz möglicherweise erheblicher Auswirkungen auf die Masse überhaupt kein zur Erhebung eines Rechtsmittels legitimierter Verfahrensbeteiligter vorhanden ist. Dies ist umso bedenklicher, als die Möglichkeiten amtswegiger Nachforschung für das Gericht in der Praxis begrenzt sind (vgl 8 Ob 332/98a, 8 Ob 333/98y) und ihm für die Entscheidung über einen Ausscheidungsantrag des Schuldners im Wesentlichen nur jene Informationen zur Verfügung stehen, die der Antragsteller selbst preisgibt.

Nun ist die Unanfechtbarkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung für sich allein noch nicht unzulässig; auch Art 6 MRK gewährt nach herrschender Auffassung kein Recht auf einen Instanzenzug (RIS Justiz RS0074613). Gerade das Insolvenzverfahren kennt eine Reihe von Beschlüssen, gegen die ein Rekurs ex lege ausgeschlossen ist (§§ 84 Abs 3; 93 Abs 4; 114b Abs 2; 120 Abs 2 und 3 KO [nunmehr jeweils: IO]; 169 Abs 4 KO). Diesen Fällen des gesetzlichen Rechtsmittelausschlusses ist aber gemeinsam, dass die unanfechtbaren erstinstanzlichen Beschlüsse entweder jederzeit abänderbar sind (§§ 93 Abs 4, 169 Abs 4 KO) oder den Betroffenen vor der Entscheidung rechtliches Gehör eingeräumt werden muss (§§ 84 Abs 3, 114b Abs 2, 120 Abs 2 und 3 KO).

Beide Voraussetzungen fehlen aber, wenn dem Ausscheidungsantrag des eigenverwaltungsberechtigten Schuldners vom Gericht ohne Anhörung der Gläubiger stattgegeben wird. Weder kann der einmal ausgeschiedene Vermögensbestandteil neuerlich in die Masse einbezogen werden (vgl ua Riel in Konecny/Schubert InsG § 119 Rz 56 mwN), noch ist eine Äußerung der einzelnen Gläubiger vor der Entscheidung verpflichtend vorgesehen. Die Diskrepanz dieser Rechtslage im Schuldenregulierungsverfahren zu jener im Insolvenzverfahren von Unternehmen, wo mit der Zuweisung der Entscheidung über eine Ausscheidung an den Gläubigerausschuss sowie der Rekurslegitimation seiner Mitglieder und des Masseverwalters gegen den Gerichtsbeschluss eine mehrfache Kontrolle gewährleistet wird, ist ebenso augenscheinlich wie sachlich nicht zu rechtfertigen.

Eine Möglichkeit der Lösung des prozessualen Problems könnte in der Anerkennung eines subsidiären Rekursrechts der einzelnen Gläubiger gegen den Ausscheidungsbeschluss im Fall einer Eigenverwaltung des Schuldners bestehen (dafür: Kodek aaO § 119 Rz 216; in 8 Ob 332/98a, 8 Ob 333/98y ausdrücklich offen gelassen), zumal im Konkursverfahren grundsätzlich jeder zum Rekurs befugt ist, der sich in seinem Recht gekränkt erachtet, soweit es sich nicht um bloß wirtschaftliche Interessen handelt. Die Gefahr einer unzumutbaren Verfahrensverzögerung durch eine Vielzahl von Rekursberechtigten wirkt im Schuldenregulierungsverfahren mit Eigenverwaltung gerade im Hinblick auf § 186 Abs 2 Z 1 KO (IO) eher vernachlässigbar.

Im vorliegenden Verfahren hat die am Rekursverfahren beteiligte Gläubigerin die Zurückweisung ihres Rechtsmittels aber unbekämpft gelassen, weshalb es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, diese Entscheidung einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen.

3. Hinsichtlich der Rückwirkung der Bestellung des Masseverwalters im Schuldenregulierungsverfahren schließt sich der Senat den in der Literatur und im Revisionsrekurs geäußerten Bedenken an und hält die in den Entscheidungen 8 Ob 332/98a, 8 Ob 333/98y vertretene Ansicht, dem nachträglich bestellten Masseverwalter komme ein Rekursrecht gegen bereits formell rechtskräftige Beschlüsse zu, nicht aufrecht. Ob die Voraussetzungen des § 186 Abs 2 KO (IO) für eine Entziehung der Eigenverwaltung im vorliegenden Fall ursprünglich überhaupt vorlagen, wird im Revisionsrekurs nicht releviert und war daher nicht mehr aufzugreifen.

Der angefochtene Beschluss wurde der eigenverwaltungsberechtigten Schuldnerin bereits am wirksam zugestellt und war bei Erhebung des Rechtsmittels der Masseverwalterin bereits rechtskräftig. Die daraus folgende Verspätung des Rekurses der Masseverwalterin war in Stattgebung des zulässigen Revisionsrekurses der Schuldnerin wahrzunehmen.