VfGH vom 23.11.1984, B488/78
Sammlungsnummer
10233
Leitsatz
Stmk. Landesstraßenverwaltungsgesetz; Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Abschrankung eines Weges; mangelhafte Klärung der Vorfrage der Öffentlichkeit dieses Weges; Verletzung des Eigentumsrechtes durch diesen der Gesetzlosigkeit gleichzuhaltenden Verfahrensfehler
Spruch
Der Bescheid wird aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Das Gendarmeriepostenkommando Schwanberg erstattete gegen den Bf., einen in der Gemeinde G (Bezirk D) ansässigen Landwirt, die Anzeige, daß er Ende Mai 1977 den von seinem Gehöft bis zum Gemeindeweg "P-Weg" führenden (von ihm selbst errichteten) Fahrweg durch das Anbringen einer Holzschranke abgesperrt habe. Gegen die auf Bestimmungen des Stmk. Landesstraßenverwaltungsgesetzes 1964, LGBl. 154, (geltend idF der Nov. LGBl. 195/1969 und 133/1974 - im folgenden: LStVG 1964) gestützte Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg erhob der Bf. Einspruch, in dem er insbesondere darlegte, daß der von ihm im Jahr 1962 von seinem Anwesen bis "PS" errichtete Weg über seinen Privatgrund verlaufe und nur mit seiner Zustimmung benützt werden dürfe; der eigentliche Gemeindeweg verlaufe von seinem Anwesen etwas oberhalb des von ihm ausgebauten Weges. Die Gemeinde habe sein Angebot über die Öffentlicherklärung des Weges vom mit der Begründung abgelehnt, daß an der Übernahme bzw. dem Ausbau des Interessentenweges kein öffentliches Interesse vorhanden sei.
Die Bezirkshauptmannschaft leitete daraufhin das ordentliche Verfahren ein und vernahm den Bürgermeister der Gemeinde G und fünf im näheren örtlichen Bereich ansässige Landwirte als Zeugen sowie den Bf. als Beschuldigten über die Situierung, Herstellung und Verkehrsbenutzung des Weges. Sie erkannte den Bf. sodann mit Straferk. vom wegen der Zuwiderhandlung gegen § 5 LStVG 1964 einer Verwaltungsübertretung nach § 56 Abs 1 dieses Gesetzes schuldig und verhängte über ihn eine Geldstrafe sowie eine Ersatzarreststrafe. In der Begründung wurde zum Sachverhalt im wesentlichen ausgeführt, daß im betreffenden Bereich die Gemeindestraße "PL-PS" verlaufe, die als öffentliches Gut ausgewiesen sei. Da der Zustand dieser Gemeindestraße nicht optimal gewesen sei, habe der Bf. im Jahr 1962 eigenmächtig eine teilweise Neutrassierung vorgenommen. Seither werde die Straße allgemein und unabhängig vom Willen des Bf. benutzt, lediglich der Zeuge B habe dem Bf. aus dem Titel der Nachbarschaftshilfe 500 S bezahlt und für den Ausbau des Weges Grund abgetreten. Eine ausdrückliche Widmung der Gemeinde hinsichtlich dieses eigenmächtig ausgebauten Teilstückes liege nicht vor. Es sei jedermann klar und erkenntlich, daß, wenn der Beginn und das Ende einer Straße öffentlich sind, auch das Zwischenstück (von unwesentlicher Länge) öffentlich sein müsse. Durch die langjährige Übung ohne Einschränkung - unabhängig vom Willen des Bf. - sei naturgemäß auch das ausgebaute Teilstück für ein dringendes Verkehrsbedürfnis benutzt worden. In rechtlicher Hinsicht nahm die Bezirkshauptmannschaft den Standpunkt ein, daß zweifellos eine öffentliche Straße, nämlich eine Gemeindestraße, vorliege, weshalb keine Anregung nach § 3 LStVG 1964 (auf Erlassung eines Feststellungsbescheides über den Gemeingebrauch) an die Gemeinde zu richten gewesen sei.
2. Der Bf. erhob gegen das Straferk. Berufung, in welcher er sich insbesondere gegen die Annahme wendete, daß das Wegstück bereits seit dem Jahr 1962 dem öffentlichen Verkehr diene. Bis etwa zum Jahr 1972 habe es sich nämlich um einen Zufahrtsweg gehandelt, der eine Sackgasse gebildet habe. Erst dann sei durch den Ausbau des Verbindungsweges von seinem Anwesen zum sogenannten Koglerweg der Sackgassencharakter des Wegstücks weggefallen.
Im Berufungsverfahren richtete das Amt der Stmk. Landesregierung an die Gemeinde G die Anfrage, ob "das Weggrundstück Nr. 1595 KG G ... eine Gemeindestraße, ein öffentlicher Interessentenweg oder aber ein Privatweg bzw. ein privates Grundstück ist. Die Gemeinde wird daher ersucht, der ha. Rechtsabteilung mitzuteilen, um welche Kategorie von Straße es sich im gegenständlichen Fall handelt und allenfalls eine entsprechende Verordnung vorzulegen."
Diese Anfrage beantwortete der Bürgermeister namens des Gemeinderates mit Schreiben vom (das in seinem wesentlichen Teil unten wörtlich wiedergegeben wird).
Mit Bescheid vom wies die Stmk. Landesregierung die Berufung ab. Sie begründete ihre Entscheidung nach einem Hinweis auf den Spruch des Straferk. wie folgt:
"Dagegen hat Herr J M rechtzeitig Berufung erhoben, in der er im wesentlichen ausführte, daß es sich bis zum Jahr 1972 bei diesem genannten Weg ausschließlich um einen Zufahrtsweg gehandelt habe, daß die Gemeinde erklärt habe, daß an dem Weg kein öffentliches Interesse bestünde und daß der Weg niemals dem öffentlichen Verkehr zur Verfügung stand.
Im Zuge der ha. gepflogenen Erhebungen nahm die Gemeinde wie folgt Stellung:
'Das gegenständliche Wegstück wurde im Jahre 1962 ohne Zustimmung des Gemeinderates durch Herrn J M, G..., verlegt.
Es wurde festgestellt, daß es sich bei diesem Wegstück um einen Gemeindeweg handelt. Bis zur Abschrankung dieses Weges durch Herrn H M am , wurde er immer von Anrainern, wie auch von Privatpersonen befahren.'
Gemäß § 5 des Stmk. Landesstraßenverwaltungsgesetzes 1964, LGBl. Nr. 154, idgF ist die bestimmungsgemäße Benützung einer öffentlichen Straße zum Verkehr jedermann gestattet und darf von niemandem eigenmächtig behindert werden. Öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes sind gem. § 2 Abs 1 leg. cit. alle Straßen, die entweder von den zuständigen Stellen bestimmungsgemäß dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden sind, oder die in langjähriger Übung allgemein, ohne Einschränkung und unabhängig vom Willen des Grundeigentümers und dritter Personen für ein dringendes Verkehrsbedürfnis benützt werden.
Gemäß § 56 leg. cit. sind Übertretungen des § 5 leg. cit. als Verwaltungsübertretungen von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe bis zu 30000 S (Ersatzfreiheitsstrafe bis zu 6 Wochen) zu bestrafen.
Aufgrund der durchgeführten Erhebungen und der Gesetzeslage war spruchgemäß zu entscheiden."
3. Gegen den Berufungsbescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in welcher der Bf. eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung dieses Bescheides begehrt.
II. Der VfGH hat über die Beschwerde erwogen:
1. Bei der aus der Sicht dieser Beschwerdesache gegebenen verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides könnte gemäß der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 9047/1981) eine Verletzung des vom Bf. geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums nur stattgefunden haben, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre. Ein so zu beurteilender Fehler kann aber nicht allein im Bereich der Anwendung materiell-rechtlicher Vorschriften unterlaufen, sondern (wie der Gerichtshof ebenfalls schon ausgesprochen hat - s. zB VfSlg. 6327/1970) auch bei der Handhabung von Verfahrensvorschriften, etwa wenn in Wahrheit ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren überhaupt nicht stattgefunden hat.
Aus dem Blickwinkel dieser Judikatur hat der VfGH hier nicht zu prüfen, ob die von der Behörde erster Instanz angewendete Methode richtig ist, die Frage nach der Öffentlichkeit des strittigen Wegstückes aufgrund erhobener Beweise als Vorfrage selbst zu beantworten und die gewonnene eigenständige Beurteilung der Entscheidung in der Verwaltungsstrafsache zugrunde zu legen; er hält diese Vorgangsweise aus verfahrensrechtlicher Sicht (§38 erster Satz AVG iVm. § 24 VStG) jedenfalls für nicht derart verfehlt, als daß von einer denkunmöglichen Gesetzeshandhabung gesprochen werden könnte.
Der VwGH nimmt in seiner Judikatur (Z 1376/77 vom ) den Standpunkt ein, daß der Verwaltungsstrafbehörde eine solche Vorfragenbeurteilung im Bereich des LStVG 1964 verwehrt ist, und begründet dies folgendermaßen:
"Nach § 2 LStVG sind öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes alle Straßen, die 1. entweder von den zuständigen Stellen (nämlich durch die nach § 8 LStVG vorgesehenen Organe) bestimmungsgemäß dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden sind oder 2. in langjähriger Übung allgemein, ohne Einschränkung und unabhängig vom Willen des Grundeigentümers und dritter Personen für ein dringendes Verkehrsbedürfnis benützt werden. Zu dieser zweiten Gruppe normiert § 3 LStVG in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 195/1969:
'Bestehen Zweifel, ob eine Straße als öffentlich anzusehen ist oder in welchem Umfang sie zur allgemeinen Benützung freisteht (Gemeingebrauch), entscheidet die Gemeinde auf Antrag oder von Amts wegen.'
§4 regelt das Verfahren für eine derartige 'Entscheidung'; § 5 verbietet die eigenmächtige Behinderung der bestimmungsmäßigen Benützung einer öffentlichen Straße zum Verkehr. Nach § 56 leg. cit. ist die Übertretung des § 5 mit Verwaltungsstrafe bedroht; damit handelt es sich insoweit um eine Blankettstrafnorm.
Gemäß § 1 Abs 1 VStG 1950 kann als Verwaltungsübertretung eine Tat nur bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Nach dem sich daraus ergebenden Grundsatz 'nulla poena sine lege' muß gerade bei Blankettstrafnormen die Abgrenzung des erlaubten vom unerlaubten Verhalten so eindeutig erkennbar sein, daß jeder berechtigte Zweifel des Normunterworfenen über den Inhalt seines pflichtgemäßen Verhaltens ausgeschlossen ist. Nach dem vorliegenden Sachverhalt ... sind Zweifel an der Öffentlichkeit der Straße zumindest nicht auszuschließen. Der Gesetzgeber hat dem Umstand, daß sich an der Qualifikation einer Straße als öffentliche ohne bescheidmäßige Widmung, nur aufgrund langjährigen Gemeingebrauches, leicht Zweifel ergeben können, die zu Streitigkeiten führen, dadurch Rechnung getragen, daß er in den §§2 f LStVG ein eigenes Verfahren vor der Gemeinde vorsah, in dem mit Rechtskraftwirkung über die Öffentlichkeit der Straße abgesprochen und dadurch jeglicher Zweifel beseitigt wird. Für den Bereich des Verwaltungsstrafrechtes ergibt sich daraus, daß, solange ein solches Verfahren nicht abgeschlossen und damit jeder Zweifel ausgeschlossen ist, der Vorwurf der Rechtswidrigkeit des Verhaltens wegen Verstoßes gegen die Blankettstrafnorm Rechtens nicht erhoben werden kann."
Aus den dargelegten Erwägungen folgt für den vorliegenden Beschwerdefall, daß es der bel. Beh. (wie nochmals betont sei: vom Blickpunkt des in Rede stehenden Grundrechtes aus) grundsätzlich freigestanden wäre, das (zweifellos umstrittene) Vorliegen einer öffentlichen Straße entweder als Vorfrage zu beurteilen oder ein Verfahren nach § 3 LStVG 1964 zu veranlassen und sodann das jeweilige Ergebnis ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Im ersteren Fall hätte die Berufungsbehörde zumindest die von der Behörde erster Instanz aufgenommenen Beweise im Hinblick auf das Berufungsvorbringen zu ergänzen gehabt, daß der vom Bf. hergestellte Wegteil erst seit 1972 durchgehend befahrbar ist. Die bel. Beh. machte nun von keiner dieser beiden Möglichkeiten Gebrauch, sondern übernahm unkritisch die außerhalb eines Verfahrens nach § 3 LStVG 1964 gebildete, offenkundig unzureichend begründete Meinung des Gemeinderates über die Öffentlichkeit des Weges. Eine solche Vorgangsweise kann verfahrensrechtlich überhaupt nicht begründet werden; sie weicht von der Gesetzeslage derart weit ab, daß bereits von Gesetzlosigkeit im eingangs dargelegten Sinn gesprochen werden muß.
Der angefochtene Bescheid verletzt den Bf. sohin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, was zur Bescheidaufhebung führt.
2. Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.