OGH vom 18.03.1993, 10ObS295/92

OGH vom 18.03.1993, 10ObS295/92

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag.Karl Dirschmied (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christian S*****, Student, ***** vertreten durch Dr.Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Rs 97/92-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 42 Cgs 27/92-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am geborene Kläger bezieht seit die Waisenpension nach seiner an diesem Tag verstorbenen Mutter. Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom wurde dem Kläger für die Dauer seiner Ausbildung, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, die Waisenpension bis längstens weitergewährt. Mit Bescheid der Beklagten vom wurde diese Waisenpension mit Ablauf des Monats Mai 1991 entzogen. In diesem Bescheid wurde weiters ausgesprochen, daß dadurch eine Überzahlung entstanden und der Kläger verpflichtet sei, den Betrag von S 5.828,80 zurückzuzahlen. Die Entziehung wurde damit begründet, daß keine Schul- oder Berufsausbildung mehr vorliege, die die Arbeitskraft überwiegend beanspruche. Die Rückforderung der Überzahlung (wegen Verletzung der Meldepflicht) wurde auf die §§ 107 und 40 ASVG gegründet. Die Beklagte hatte dem Kläger bereits mit Schreiben vom mitgeteilt, daß sie aufgrund der vorliegenden Unterlagen ab die Waisenpension vorläufig einstelle, damit keine Überzahlung entstehen oder anwachsen könne. Bereits am ersuchte der Kläger um Weitergewährung der Waisenpension mit der Ankündigung, eine Inskriptionsbestätigung nachzureichen. Daraufhin sprach die Beklagte mit Bescheid vom aus, daß dem Kläger die Waisenpension ab weiter gebühre, und zwar für die Dauer der Ausbildung, die seine Arbeitskraft überwiegend beanspruche, längstens bis Februar 1993.

Gegen den zuletzt genannten Bescheid vom richtet sich die vorliegende Klage mit dem (bei der Tagsatzung vom eingeschränkten) Begehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger die Waisenpension auch in der Zeit vom 1.6. bis in der gesetzlichen Höhe zu gewähren. In dieser Klage wird vorgebracht, der Kläger sei Student der Studienrichtung Bodenkultur und sowohl im Sommermester 1991 als auch im Wintersemester 1991/92 laufend inskribiert gewesen. Die Aufnahme einer Beschäftigung ab Mai 1991 sei in engem Zusammenhang mit dem Studium gestanden und habe die Kindeseigenschaft des Klägers nicht beseitigt.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger sei während seiner Tätigkeit als Ferialpraktikant selbsterhaltungsfähig gewesen. Vom 11.5. bis habe er eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden und einem monatlichen Bruttogehalt von S 14.075 ausgeübt. Frühestmöglich zum sei die Zahlung der Waisenpension vorsorglich eingestellt worden. Erst wieder mit Beginn des Wintersemesters 1991/92 habe der Kläger seine Arbeitskraft überwiegend für die Studienausbildung verwendet, weshalb die Waisenpension erst ab Semesterbeginn gebühre. Für den Fall, daß der Kläger im Rahmen einer Klagsänderung auch noch den Bescheid vom in Streit ziehen wolle, beantrage die Beklagte die Zurückweisung der Klage wegen Rechtskraft, weil dieser Bescheid nicht innerhalb der Frist von drei Monaten angefochten worden sei.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger die Waisenpension in gesetzlicher Höhe auch in der Zeit vom 1.7. bis zu gewähren; das darüber hinausgehende Mehrbegehren wies es ab. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

Der Kläger nahm im Wintersemester 1987/88 an der Universität für Bodenkultur in Wien das Studium Kulturtechnik und Wasserwirtschaft auf. Vom 11.5. bis arbeitete er im Rahmen eines Bauprojektes in Kamerun; er hat dabei Bodenarbeiten durchgeführt bzw geleitet, insbesondere Boden- und Wasserproben entnommen und analysiert. Diese Tätigkeit stand im engen Zusammenhang mit seinem Studium, weil er damit die theoretischen Kenntnisse in die Praxis umsetzen konnte. Seitens der Universität wurde ihm erlaubt, sein Studium 1 1/2 Monate früher zu unterbrechen und in dieser Zeit keine Prüfungen abzulegen. Das monatliche Bruttogehalt betrug 14.075 S bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 56 Stunden. Im September 1991 ging der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nach. Im Wintersemester 1991/92 setzte er sein Studium fort.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht davon aus, daß sich der Antrag des Klägers vom auf Weitergewährung der Waisenpension auf die fortlaufende Weitergewährung, also auch auf die Auszahlung in den Sommermonaten 1991, bezogen habe. Insoweit die Beklagte mit Bescheid vom ausgesprochen habe, daß die Waisenpension erst wieder ab weitergebühre und daher für Monate Juni bis September 1991 keine Waisenpensin zuerkannt worden sei, sei der Kläger durch den angefochtenen Bescheid beschwert und die Klagsführung zu Recht erfolgt. Im übrigen meinte das Erstgericht, daß die Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG während der Ferien aufrecht geblieben sei. Soweit die Tätigkeit des Klägers während der "üblichen" Ferienmonate Juli bis September ausgeübt worden sei, könne sie als Ferialarbeit die Kindeseigenschaft nicht unterbrechen. Das Klagebegehren sei daher in diesem Umfang gerechtfertigt. Hingegen gebühre für Juni 1991 keine Waisenpension, da in diesem Monat noch der ordentliche Studienbetrieb stattgefunden habe, während der Kläger in diesem Monat eine die Arbeitskraft überwiegend beanspruchende Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Im übrigen wäre bei dem am gestellten Antrag auf Weitergewährung der Waisenpension in Entsprechung des § 97 Abs 2 ASVG der der frühestmögliche Zeitpunkt einer allfälligen Weitergewährung gewesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger die Waisenpension von S 1.457,20 ab (ebenso wie der angefochtene Bescheid) zusprach, während es das gesamte Mehrbegehren für den Zeitraum 1.6. bis abwies. Es sei wohl richtig, daß eine ordnungsgemäße Schul- oder Berufsausbildung und somit der Fortbestand der Kindeseigenschaft durch die Ferienzeit nicht unterbrochen werde, womit Kindeseigenschaft auch während dieses Zeitraumes vorliege, wenn unmittelbar nach dem Ende der Ferien das Studium oder die Ausbildung aufgenommen oder fortgesetzt werde. Diese Grundsätze könnten jedoch hier nicht angewendet werden. Da der Kläger noch während des laufenden Sommersemesters 1991 mit Beginn ein Dienstverhältnis eingegangen sei, das bis dauerte, habe gemäß § 99 Abs 3 Z 4 ASVG mit Ablauf des Monats Mai 1991 kein Anspruch mehr auf Gewährung der Waisenpension bestanden. Insoweit die Beschäftigung des Klägers nämlich in den Monaten Mai und Juni ausgeübt wurde, könne sie nicht als Ferialarbeit gewertet werden. Die Kindeseigenschaft habe daher über die Ferienmonate nicht fortbestanden, sondern sei erst mit Beginn des Wintersemesters wieder aufgelebt. Das Klagebegehren sei daher zur Gänze unberechtigt. Da der angefochtene Bescheid gemäß § 71 Abs 1 ASGG durch die Klage außer Kraft getreten sei, habe er, soweit inhaltlich nicht bekämpft, wiederholt werden müssen.

Der Kläger bekämpft dieses Urteil mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung insoweit, als sein Begehren für die Zeit vom 1.7. bis abgewiesen wurde. Er beantragt die Abänderung dahin, daß die Beklagte schuldig erkannt werde, dem Kläger die Waisenpension in der Zeit vom 1.7. bis in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 67 Abs 1 Z 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger darüber bereits mit Bescheid entschieden hat. Das Institut der sukzessiven Kompetenz der Gerichte bedeutet, daß Voraussetzung für das gerichtliche Verfahren die vorherige Durchführung eines Verwaltungsverfahrens und das Vorliegen eines über den Leistungsanspruch des Versicherten absprechenden Bescheides eines Versicherungsträgers ist. Das durch Klage des Versicherten eingeleitete gerichtliche Verfahren ist kein Rechtsmittelverfahren und hat daher keine kontrollierende Funktion, sondern das Gericht prüft selbständig den durch die Klage geltend gemachten sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch (Kuderna ASGG 357, 368). Das Ausmaß, in dem der Bescheid nach § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft tritt, ist nach herrschender Auffassung verhältnismäßig weit anzunehmen; bei Erhebung der Klage wird nur jener Teil des Bescheides rechtskräftig, der sich inhaltlich vom angefochtenen Teil trennen läßt, weil die darin behandelten Fragen auf einem anderen Rechtsgrund beruhen oder jedenfalls nicht eng zusammenhängen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist ein möglichst weitgehendes Betroffensein des Bescheides durch das Klagebegehren anzunehmen (SSV-NF 4/92 mwN). Bei Vergleich der vorliegenden Bescheide der beklagten Partei und dem gesamten Inhalt der Klage, also der Klagserzählung und dem Klagebegehren ergibt sich aber, daß der Kläger nur den in der Klage auch ausdrücklich genannten und ihr beiliegenden Bescheid vom bekämpft hat, mit dem ausgesprochen wurde, daß die Waisenpension ab weiter gebührt. Das Klagebegehren lautet ausdrücklich dahin, daß die Beklagte schuldig sei, dem Kläger die Waisenpension auch in der Zeit vom 1.6. bis zu gewähren. Nach ständiger Rechtsprechung tritt ein solcher Bescheid durch die Einbringung der Klage auch dann außer Kraft, wenn in der Klage die Leistung nur von einem früheren als von dem im Bescheid genannten Zeitpunkt an begehrt wird (SSV-NF 1/1 uva). Die formellen Klagsvoraussetzungen liegen daher in Ansehung des Bescheides vom vor.

Das auf Gewährung (Zahlung) der Waisenpension für einen bestimmten Zeitraum gerichtete Begehren ist ein Leistungsbegehren. Mit einem Leistungsbegehren begehrt der Versicherte die Verurteilung des Versicherungsträgers zu den von ihm beantragten, aber nicht zugesprochenen Leistungen (Fasching in Tomandl, SV-System 6.ErgLfg 734). Die Stattgebung einer solchen Leistungsklage setzt voraus, daß die Beklagte die Leistung bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht erbracht hat. Wird eine Leistung bis zu diesem Zeitpunkt erbracht, ist die Klage abzuweisen; die Bedeutung von später erbrachten Leistungen ist nach § 35 EO zu beurteilen. Im vorliegenden Fall wurde das Klagebegehren für die Zeit vom 1.6. bis schon deshalb im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil die Beklagte während dieses Zeitraumes die Waisenpension aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides an den Kläger auszahlte und ihm für einen neuerlichen Zuspruch dieser Geldleistungen jedes rechtliche Interesse fehlen würde. Nach den Feststellungen wurde die Auszahlung der Waisenpension erst mit (vorläufig) eingestellt, was bedeutet, daß dem Kläger bis zu diesem Zeitpunkt die Waisenpension gewährt (ausbezahlt) wurde. Der neuerliche Zuspruch einer bereits durch rechtskräftigen Bescheid gewährten und erbrachten Leistung mittels Gerichtsurteils und Schaffung eines Exekutionstitels kommt daher nicht in Betracht (vgl SSV-NF 5/86 mwN).

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Waisenpension des Klägers rückwirkend mit Ablauf des Monats Mai 1991 durch den Bescheid vom entzogen und der Kläger verpflichtet wurde, den dadurch entstandenen Überbezug in der Höhe von S 5.828,80 zurückzuzahlen. Sind die Voraussetzungen des Anspruches auf eine laufende Leistung nicht mehr vorhanden, so ist die Leistung nach § 99 Abs 1 ASVG zu entziehen, sofern nicht der Anspruch gemäß § 100 Abs 1 ASVG ohne weiteres Verfahren erlischt. Die Entziehung einer Waisenpension wird mit dem Ende des Kalendermonates wirksam, in dem der Entziehungsgrund eingetreten ist (§ 99 Abs 3 Z 4 ASVG). Daraus folgt, daß die rückwirkende Entziehung einer laufenden Pensionsleistung zwar grundsätzlich möglich ist, jedoch dann, wenn dem Versicherten die entzogenen Geldleistungen bereits ausbezahlt worden waren, für den von der Rückforderung betroffenen Zeitraum im allgemeinen nur eine Vorfrage des Rückforderungsanspruches bildet (so auch SSV-NF 5/86 unter Hinweis auf SSV-NF 3/12 und 4/37). Auch ein Bescheid, mit dem bereits ausbezahlte Geldleistungen rückwirkend nach § 99 ASVG entzogen und dem Versicherten der Rückersatz des Überbezuges vorgeschrieben wird, kann nicht erfolgreich mit einem Klagebegehren auf neuerliche Gewährung der Geldleistung bekämpft werden, sondern richtigerweise nur mit einem negativen Feststellungsbegehren (vgl SSV-NF 4/37, 5/4 jeweils mwN). Dem Kläger hätte daher ein rechtliches Interesse zugebilligt werden müssen, nicht nur den Ausspruch über die Rückzahlungsverpflichtung, sondern auch jenen über die rückwirkende Entziehung der Waisenpension mit Klage zu bekämpfen. Beide Aussprüche sind allerdings nicht mit dem angefochtenen, sondern mit dem Bescheid vom erfolgt. Wie bereits oben dargestellt, richtet sich die vorliegende Klage nicht gegen diesen Bescheid, der daher als unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist. Auch das Erstgericht nahm nicht an, daß der Kläger den Bescheid vom bekämpft habe, sondern führte vielmehr - unzutreffend - aus, daß eine gesonderte Klagsführung gegen diesen Bescheid nicht erforderlich gewesen sei. Wenn das Erstgericht nämlich meint, daß dem Kläger für die Monate Juni bis September 1991 keine Waisenpension zuerkannt wurde, berücksichtigt es nicht die Tatsache, daß er gerade in diesen Monaten die Waisenpension aufgrund eines rechtskräftigen Bescheides ausbezahlt erhalten hatte. Auch die Beklagte wies schon in ihrer Klagebeantwortung darauf hin, daß sich die vorliegende Klage nicht gegen den Bescheid vom richte und daß sie einer Klagsänderung mit Rücksicht auf den Ablauf der Klagsfrist entgegentrete. Der Kläger unternahm in der Folge auch nicht den Versuch, den Bescheid vom in das Verfahren einzubeziehen. Daraus folgt aber, daß über die Frage der Entziehung der Leistung und der Verpflichtung des Klägers zum Rückersatz des Überbezuges ein rechtskräftiger Bescheid des Versicherungsträgers vorliegt, weshalb sich auch die weitere Frage, ob das vorliegende Klagebegehren nicht etwa im Sinne einer teilweisen Stattgebung in Form eines negativen Feststellungsurteils erledigt werden könne, nicht mehr stellt. Vielmehr wurde das Leistungsbegehren vom Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Ob diese Klagsabweisung auch mit Rücksicht auf das Erlöschen der Kindeseigenschaft nach § 252 Abs 2 Z 1 ASVG gerechtfertigt wäre, braucht nicht mehr untersucht zu werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an den unterlegenen Kläger nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.