OGH vom 06.03.2014, 17Os30/13k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Nagl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Michaela H***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten Cornelia K***** gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom , GZ 13 Hv 103/13k 11, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.
Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte Cornelia K***** auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden Michaela H***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (1) und Cornelia K***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 302 Abs 1, 12 zweiter Fall StGB (2) sowie des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB (3) schuldig erkannt.
Danach haben am in M*****
(1) Michaela H***** als (zu ergänzen:) mit der Führung des Melderegisters betraute Vertragsbedienstete der Stadtgemeinde M*****, sohin als Beamtin, mit dem Vorsatz, dadurch den Bund in seinem Recht auf Richtigkeit des Melderegisters „und auf dessen ordnungsgemäße Führung“ zu schädigen, ihre Befugnis, im Namen „der mit dem Meldewesen im übertragenen Wirkungsbereich zuständigen Stadtgemeinde M***** als deren Organ“ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem sie „entgegen ihrer Verpflichtung, das Melderegister ordnungsgemäß zu führen,“ die Wohnsitzmeldung des Philip G***** rückdatierte, sodass im Zentralen Melderegister als Meldedatum tatsachenwidrig der aufschien;
(2) Cornelia K***** mit dem zu 1) beschriebenen Schädigungsvorsatz Michaela H***** wissentlich zur Ausführung der zu 1) genannten strafbaren Handlung dadurch bestimmt, dass sie diese unter emotionalen und zeitlichen Druck setzte, „indem sie Michaela Roswitha H***** zur Rückdatierung der Anmeldung überredete“;
(3) Cornelia K***** ein falsches Beweismittel, nämlich eine ein unrichtiges Meldedatum enthaltende Meldebestätigung in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht, indem sie diese zur Durchsetzung von Unterhaltsnachzahlungen dem Sozialreferat der Bezirkshauptmannschaft M***** vorlegte.
Gegen dieses Urteil meldete die Angeklagte Cornelia K***** innerhalb der Frist des § 284 Abs 1 StPO Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an, ohne Nichtigkeitsgründe anzugeben (ON 12). Nach Zustellung der Urteilsausfertigung (ON 11) an die gewählte Verteidigerin am (ON 11 S 9 verso) beantragte die genannte Angeklagte am die Bewilligung von Verfahrenshilfe (ON 13). Am beschloss der Vorsitzende die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO, worauf die frühere (gewählte) Verteidigerin bestellt wurde (ON 14). Diese führte das angemeldete Rechtsmittel am aus (ON 15).
Rechtliche Beurteilung
Dadurch wurde allerdings die bereits mit Ablauf des endende Frist des § 285 Abs 1 erster Satz StPO nicht gewahrt, weil der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers die laufende Frist zur Ausführung des Rechtsmittels nicht beeinflussen konnte (RIS Justiz RS0125686 [T1 und T 2], RS0116182; 13 Os 146/08g, EvBl LS 2009/47 = SSt 2008/87). Auf die im Übrigen nicht erfolgversprechende Beschwerdeargumentation war daher keine Rücksicht zu nehmen (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO) und die (verspätete) Nichtigkeitsbeschwerde zurückzuweisen.
Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil beider Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO).
Nach der Rechtsprechung kommt die Verletzung allgemeiner staatlicher Kontroll oder Aufsichtsrechte sowie bloß interner Dienstvorschriften als Gegenstand der Rechtsschädigung nicht in Frage, wenn hierdurch kein dahinter stehender gesetzlicher Zweck in einem konkreten Fall gefährdet wird (RIS Justiz RS0096270; vgl auch RS0054644, RS0096604). Das vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staates darf nämlich nicht allein jenes sein, das den Täter verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen. Es muss weiter als jenes Recht sein, das darin besteht, die Vorschrift einzuhalten, die bereits den Missbrauch der Befugnis bildet (10 Os 117/77 [verst Senat]).
Beim vom Erstgericht als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes konstatierten Recht des Staates auf „ordnungsgemäße Führung des Melderegisters“ (US 6) handelt es sich aber in diesem Sinn um einen bloß abstrakten Anspruch gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufsausübung.
Vorliegend kommt als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes primär das Recht des Staates auf Richtigkeit des Melderegisters in Betracht (17 Os 10/12t; 13 Os 12/11f). Einen in diese Richtung weisenden Ansatz enthält das Urteil nur im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO (vgl US 2), der jedoch fehlende Konstatierungen in den Entscheidungsgründen nicht zu ersetzen vermag ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 271; RIS Justiz RS0116587).
Der aufgezeigte Rechtsfehler mangels Feststellungen erforderte daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur die Aufhebung der Schuldsprüche 1 und 2 (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO).
Ferner blieb die zum Schuldspruch 3 getroffene Konstatierung, Caroline K***** habe die von Michaela H***** erhaltene Meldebestätigung zwecks Geltendmachung von Unterhaltsforderungen in einem „verwaltungsbehördlichen Verfahren“ gebraucht (US 6), ohne Sachverhaltsbezug.
§ 293 StGB stellt allein auf den Schutz innerstaatlicher Hoheitsrechte im Zusammenhang mit der Rechtspflege im weiteren Sinn ab ( Plöchl in WK 2 StGB § 293 Rz 3). Über Unterhaltsansprüche wird aber nicht in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren, sondern vom Gericht (vgl §§ 49 Abs 2 Z 2, 114 JN) entschieden. Dem Jugendwohlfahrtsträger kam im Tatzeitpunkt bloß die rechtsgeschäftlich eingeräumte ( Weitzenböck in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 212 Rz 4) Vertretung vor Gericht nach Maßgabe des § 212 Abs 2 ABGB in der damals geltenden Fassung zu. Übergabe der Meldebestätigung an den Jugendwohlfahrtsträger bedeutet demnach nicht Gebrauch in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren.
Eine Entscheidung in der Sache war jedoch nicht zu treffen. Denn mit Blick auf eine allfällige Tatbeurteilung nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 293 Abs 2 StGB bleibt zu prüfen, ob die Vorlage der Meldebestätigung an die Sozialreferentin (US 6) mit dem Zweck der weiteren Verwendung in einem gerichtlichen Unterhaltsverfahren erfolgte (zur Bestimmungstäterschaft bei Benutzung eines schuldlosen Werkzeugs vgl Kienapfel/Höpfel/Kert , AT 14 E 4 Rz 27 f).
Mit ihrer Berufung war Cornelia K***** auf diese Entscheidung zu verweisen.
Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein, dass mit Inkrafttreten des StPRÄG 2013 (BGBl I 2013/195) am die Möglichkeit diversionellen Vorgehens auch im Fall des Missbrauchs der Amtsgewalt geschaffen wurde (§ 198 Abs 3 StPO; vgl 17 Os 25/13z). Bei Beurteilung der allgemeinen Diversionsvoraussetzung nicht schwerer Schuld (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO; zum Beurteilungsmaßstab eingehend Schroll , WK StPO § 198 Rz 13 ff) ist vorliegend insbesondere von Bedeutung, dass Michaela H***** nach dem Akteninhalt (vgl auch die dahingehenden Feststellungen im angefochtenen Urteil auf US 5 und 7) ihren Dienst schon knapp 30 Jahre lang ordnungsgemäß verrichtet hat und unter besonderem Arbeitsdruck stand.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0170OS00030.13K.0306.000