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OGH 15.05.2012, 14Os172/11t

OGH 15.05.2012, 14Os172/11t

Entscheidungsart: Verstärkter Senat

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schöfmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sasa M***** wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 38 Hv 141/11v-26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die bei Beschlussfassung über die Nichtigkeitsbeschwerde zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine einzige Erfolgsqualifikation (hier eine schwere Körperverletzung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung mit länger als vierundzwanzig Tage dauernder Gesundheitsschädigung) auch im Fall ungleichartiger Realkonkurrenz nur bei einer der als mitursächlich feststehenden Taten angelastet werden darf, ist in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantwortet worden.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sasa M***** mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1), des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger Personen nach § 92 Abs 1 StGB (2) sowie mehrerer Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und Abs 2, 84 Abs 1 erster Fall StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit hier wesentlich - von Ende 2006/Jänner 2007 bis Mai 2009 in G***** und anderen Orten Österreichs Biljana Mi*****

(1) mit Gewalt wiederholt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie jeweils an den Haaren erfasste, sie zu Boden warf und an den Schultern und den Oberarmen packte, sie gegen die Wand drückte, ihre Hose herunterriss, sie fest an der Scheide berührte, sie auf das Bett warf und gewaltsam entkleidete, wobei er ihre Hände festhielt, ihr in einem Fall den Mund zuhielt und dann gegen ihren Willen heftig mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang, wobei „die Taten“ eine schwere Körperverletzung im Sinn einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatten;

(3) wiederholt durch Versetzen von Schlägen und in einem Fall, indem er auf ihren Bauch stieg, am Körper verletzt, wobei „die Taten“ Hämatome und eine schwere Körperverletzung im Sinn einer länger als vierundzwanzig Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung zur Folge hatten.

Dazu stellte das Erstgericht - soweit hier wesentlich - fest, dass das Tatopfer Biljana Mi***** eine mit länger als vierundzwanzig Tage dauernder Gesundheitsschädigung verbundene schwere posttraumatische Belastungsstörung erlitt, für die „die Übergriffe sexueller Natur, der Psychoterror und die körperliche Gewalt“ kausal waren (US 6).

Die rechtliche Beurteilung der den Schuldsprüchen 1 und 3 zugrunde liegenden Taten als mehrere Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1) und mehrere Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1 und Abs 2, 84 Abs 1 erster Fall StGB blieb aus Z 10 des § 281 Abs 1 StPO unangefochten.

Rechtliche Beurteilung

Bei Entscheidung über ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO ist die Rechtsfrage zu lösen, ob eine einzige Erfolgsqualifikation (hier eine schwere Körperverletzung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung mit länger als vierundzwanzig Tage dauernder Gesundheitsschädigung) auch im Fall ungleichartiger Realkonkurrenz nur bei einer Tat angelastet werden darf, wenn feststeht, dass mehrere Taten mitursächlich für den Taterfolg waren.

Dies wurde in der zu AZ 13 Os 114/11f ergangenen Entscheidung - wenn auch nur der Vollständigkeit halber - ausdrücklich bejaht, während der Oberste Gerichtshof zum AZ 15 Os 102/11f im Gegensatz dazu entschieden hat, dass „ungeachtet des Gebots, eine doppelte Anlastung ein und desselben Taterfolgs so weit wie möglich zu vermeiden, der Unwertgehalt von real konkurrierendem Beischlaf mit Unmündigen einerseits (§ 206 Abs 1 StGB) und Vergewaltigung andererseits (§ 201 Abs 1 StGB), die jeweils mitkausal für ein und dieselbe schwere Körperverletzung waren, erst durch die Unterstellung jeweils einer der ungleichartigen strafbaren Handlungen auch unter den entsprechenden Qualifikationstatbestand (§ 206 Abs 3 erster Fall, § 201 Abs 2 erster Fall StGB) in seinem vollen Umfang erfasst wird“; ein Fall von Scheinkonkurrenz aber auch von Exklusivität liege in dieser Konstellation nicht vor.

Die hier erforderliche Lösung dieser Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die nach dem Vorgesagten in der Rechtssprechung des Obersten Gerichtshofs nicht einheitlich beantwortet worden ist, bleibt nach § 8 Abs 1 Z 2 OGHG einem verstärkten Senat vorbehalten.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner, Dr. Danek und Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Dr. Lässig, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lindenbauer als Schriftführer in der Strafsache gegen Sasa M* wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom , GZ 38 Hv 141/11v-26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Erste Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung aller zu (1) genannten Taten auch unter § 201 Abs 2 erster Fall StGB und der zu (3) genannten Taten unter § 84 Abs 1 erster Fall StGB sowie demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Sasa M* hat durch die ihm zu (1) zur Last liegenden Taten in einem Fall das Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und in einer unbestimmten Anzahl weiterer Fälle die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB begangen.

Er wird hiefür sowie für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch weiterhin zur Last liegenden Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (2) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und Abs 2 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 2 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.

Mit seiner Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Seiner Berufung gegen den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sasa M* mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1), des Vergehens des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (2) sowie mehrerer Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und Abs 2, § 84 Abs 1 erster Fall StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er von Ende 2006/Jänner 2007 bis Mai 2009 in G* und anderen Orten Österreichs

(1) Biljana Mi* mit Gewalt wiederholt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie jeweils an den Haaren erfasste, sie zu Boden warf und an den Schultern und den Oberarmen packte, sie gegen die Wand drückte, ihre Hose herunterriss, sie fest an der Scheide berührte, sie auf das Bett warf und gewaltsam entkleidete, wobei er ihre Hände festhielt, ihr in einem Fall den Mund zuhielt und dann gegen ihren Willen heftig mit seinem Penis in ihre Vagina eindrang, wobei „die Taten“ eine schwere Körperverletzung im Sinn einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatten;

(2) seinem am geborenen Sohn Marko M*, welcher seiner väterlichen Fürsorge und Obhut unterstand, wiederholt körperliche und seelische Qualen zugefügt, indem er ihm Schläge versetzte, die teilweise so heftig waren, dass er dadurch zu Sturz kam, ihn schmerzhaft an den Haaren zog, ihn an der Jacke erfasste und hochhob, sein Selbstwertgefühl durch Äußerungen wie, er sei „genauso schlecht wie seine Mutter“ herabsetzte, durch die Androhung, die Familie zu verlassen, Verlustängste bei ihm schürte und durch wiederholte Schläge solche Angstgefühle bei ihm hervorrief, dass er sich aus Angst, mit seinem Vater alleine zu sein, mit seiner Mutter in einem Zimmer einsperrte;

(3) Biljana Mi* wiederholt durch Versetzen von Schlägen und in einem Fall, indem er auf ihren Bauch stieg, am Körper verletzt, wobei „die Taten“ Hämatome und eine schwere Körperverletzung im Sinn einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung, zur Folge hatten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die auf angeblich unangemessenes Verhalten des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts (der den Beschwerdeführer während der Vorführung der Aufzeichnung über die kontradiktorische Vernehmung der beiden Tatopfer „kritisch bzw vorwurfsvoll“ angesehen haben soll) und einer Schöffin (die während dieser Beweisaufnahme „geweint bzw Tränen vergossen“ haben soll) verweisende Besetzungsrüge (Z 1) scheitert bereits an der Tatsache, dass die relevierten Umstände nicht sofort vom Angeklagten oder seinem Verteidiger, welche beide anwesend waren, gerügt wurden (Z 1). Zwar trifft die Rügeobliegenheit den Angeklagten selbst trotz sinnlicher Wahrnehmung eines Nichtigkeit begründenden Vorgangs nur dann, wenn er über dessen rechtliche Implikationen wenigstens so weit Bescheid weiß, dass er, auch ohne juristische Fachkenntnis zu besitzen, den rechtlichen Sinnzusammenhang nach Art eines Aha-Erlebnisses versteht. Ein rechtskundiger Verteidiger aber kann sich auf mangelnde Rechtskenntnisse nicht berufen, sodass das, was sich - wie hier - während der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers ereignet, jedenfalls in dessen Kenntnis gelangt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 138 f; RIS-Justiz RS0120890).

Davon abgesehen soll die der Sache nach angesprochene Bestimmung des § 43 Abs 1 Z 3 StPO als innerstaatliche Ausgestaltung des grundrechtlichen Anspruchs auf Entscheidung durch ein unparteiisches Gericht als Teilaspekt des fairen Verfahrens nach Art 6 Abs 1 MRK der begründet erscheinenden Annahme des Tätigwerdens eines voreingenommenen Richters, der ungeachtet der Verfahrensergebnisse seine Meinung nicht zu ändern bereit ist, entgegenwirken (vgl Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12; RIS-Justiz RS0096733 [T4]). Einen solchen Fall spricht die Beschwerde mit dem Hinweis auf aus ihrer Sicht unangebrachte Reaktionen zweier Mitglieder des Schöffengerichts auf Zeugenaussagen in der Hauptverhandlung nicht an (Lässig, WK-StPO § 43 Rz 12, 15; vgl auch 11 Os 98/91, 11 Os 100/91).

Soweit mit dem (verfehlt auf Z 5 zweiter Fall gestützten; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421) Einwand zum Schuldspruch (1), die dazu getroffenen „vagen Feststellungen“ ließen offen, „zu welchen Zeitpunkten, wie oft und wie die sexuellen Übergriffe … stattgefunden haben“, Undeutlichkeit (zur Undeutlichkeit als Gegenstand der Z 5 erster Fall und Z 9 lit a: vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 570 f) geltend gemacht werden soll, releviert die Rüge in Betreff der Häufigkeit der Angriffe keine entscheidende Tatsache, weil der Schuldspruch insoweit eine gleichartige Verbrechensmenge pauschal individualisierter Taten erfasst, womit der Wegfall der Täterschaft hinsichtlich einzelner davon weder den Schuldspruch noch die Subsumtion einer begangenen Tat in Frage stellt (RIS-Justiz RS0116736; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 33; zur Unbedenklichkeit aus Z 3 vgl im Übrigen Lendl, WK-StPO § 260 Rz 24; RIS-Justiz RS0119552, RS0098795; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 291). Aus welchem Grund insbesondere der genaue Zeitpunkt der Begehung einzelner Taten im angegebenen Zeitraum von entscheidender Bedeutung (siehe dazu RIS-Justiz RS0098557) sein sollte, geht aus dem Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht hervor. Den Vorwurf undeutlicher Feststellungen zu den jeweiligen Tathandlungen leitet die Rüge bloß aus einer einzelnen Urteilspassage ab, nimmt solcherart nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt damit den gerade darin gelegenen Bezugspunkt sowohl der Mängelrüge als auch materieller Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 419; RIS-Justiz RS0116504, RS0119370; RS0099810, RS0099671). Welche über die entsprechenden - unmissverständlichen - Urteilsannahmen (US 5 f) hinausgehenden Konstatierungen zur rechtsrichtigen Subsumtion erforderlich gewesen wären, legt die Beschwerde unter dem Aspekt materieller Nichtigkeit (Z 9 lit a) nicht dar.

Die Feststellungen, wonach sich Biljana Mi* bereits im Februar 2007 wegen „Angstzuständen“ in psychiatrischer Behandlung befand (US 5), stehen nicht im Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zu den weiteren - auf das für schlüssig und nachvollziehbar erachtete Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. K* (ON 16 iVm ON 25 S 24 ff) gestützten (US 19) - Konstatierungen, nach denen die - erst Mitte 2007 begonnenen (US 5) - „Übergriffe sexueller Natur“ sowie „der Psychoterror und die körperliche Gewalt“ kausal für die konstatierte schwere Körperverletzung (im Sinn einer mit länger als 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung verbundenen schweren posttraumatische Belastungsstörung) waren (US 6; vgl dazu im Übrigen Burgstaller in WK² § 80 Rz 68).

Indem sich die Rüge (aus Z 5 vierter Fall) gegen den vom Erstgericht gewonnenen Eindruck der Glaubwürdigkeit der Zeugin Biljana Mi* und der Unglaubwürdigkeit des Angeklagten wendet, spricht sie erneut keine entscheidende Tatsache an. Es handelt sich vielmehr um beweiswürdigende Erwägungen, die - wenn wie hier nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) - nur Gegenstand einer gegen kollegialgerichtliche Entscheidungen unzulässigen Schuldberufung sein könnten (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431; RIS-Justiz RS0106588). Davon abgesehen findet sich die vermisste (ausführliche) Begründung auf US 11 ff.

Prozessordnungskonforme Darstellung der Tatsachenrüge (Z 5a) verlangt grundsätzlich die Ableitung erheblicher Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) aus konkret zu benennenden Verfahrensergebnissen (RIS-Justiz RS0117961, RS0119583; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 481).

Die Beschwerde erschöpft sich zunächst in einer Wiederholung des Vorbringens der Mängelrüge zu einer möglicherweise bereits vor Beginn der sexuellen Übergriffe bestehenden „psychischen Störung“ der Biljana Mi*. Weiters werden aus Verfahrensergebnissen (insbesonders der leugnenden Verantwortung des Beschwerdeführers, den Angaben der Tatopfer sowie der Zeugen Biserka Mi* und Slobodan Mi*) auf Basis eigener Beweiswerterwägungen, ohne Aktenbezug angestellter allgemeiner Überlegungen und (urteilskonträrer) Einschätzung der Glaubwürdigkeit der vernommenen Personen für den Rechtsmittelstandpunkt günstigere Schlüsse als jene des Erstgerichts gezogen. Solcherart bekämpft die Rüge - außerhalb der oben dargestellten Grenzen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes - die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (RIS-Justiz RS0118780, RS0099674).

Mit dem eine einzelne der dem Schuldspruch (3) wegen einer gleichartigen Verbrechensmenge pauschal individualisierter Taten zugrunde liegenden Körperverletzungen betreffenden Hinweis auf einen - zudem irrelevanten - angeblichen Widerspruch in der Aussage des Zeugen Slobodan Mi* spricht die Beschwerde aus den oben angeführten Gründen keine entscheidende Tatsache an.

Indem sie einen - aus dem Zusammenhang gerissen zitierten - Satz aus den Angaben der Biljana Mi* (dass der Angeklagte nach ihrer subjektiven Einschätzung der Meinung war, die Gewaltanwendung beim Beischlaf würde ihr gefallen) hervorhebt, werden erhebliche Bedenken gegen die Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht geweckt.

Mit der Behauptung, die in der Hauptverhandlung anwesende Dolmetscherin habe dem - der deutschen Sprache nicht mächtigen - Beschwerdeführer „offensichtlich“ nicht alles und auch dem Gericht dessen Angaben nur unvollständig übersetzt (vgl dagegen aber US 11, ON 25 S 26 f), wird Nichtigkeit nicht geltend gemacht (vgl dazu RIS-Justiz RS0110266 [T2 und T3], RS0075090). Dem Angeklagten (oder seinem Verteidiger) wäre es jedoch freigestanden, bei Zweifeln an der Erfüllung der Dolmetscherpflichten (§ 127 Abs 4 StPO) entsprechende Anträge in der Hauptverhandlung zu stellen und auf eine ihm notwendig erscheinende ergänzende Information hinzuwirken (vgl dazu Hinterhofer, WK-StPO § 126 Rz 80 sowie - in Bezug auf in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführte Vernehmungen - Kirchbacher, WK-StPO § 250 Rz 9 mwN), womit ihm zur Geltendmachung zu Unrecht erfolgter Abweisung derartiger Begehren die Verfahrensrüge (Z 4) zur Verfügung gestanden wäre.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Anzumerken bleibt zunächst, dass die Subsumtion einzelner der vom Schuldspruch (3) umfassten Angriffe auch unter § 83 Abs 2 StGB trotz konstatierten Verletzungsvorsatzes (US 3 und 8 f) dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereicht (zur Gleichwertigkeit der beiden Varianten des § 83 StGB vgl Burgstaller/Fabrizy in WK² § 83 Rz 22 und § 84 Rz 3; RIS-Justiz RS0092758, RS0092547), weshalb amtswegiges Vorgehen nicht in Betracht kam (vgl Ratz, WK-StPO § 290 Rz 21).

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch auch von nicht geltend gemachter unrichtiger Anwendung des materiellen Strafrechts (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) zum Nachteil des Angeklagten überzeugt, die von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Bezugnehmend auf die Schuldsprüche wegen einer unbestimmten Anzahl von Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1) und von Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und Abs 2, § 84 Abs 1 erster Fall StGB (3) stellte das Erstgericht - soweit hier wesentlich - fest, dass das Tatopfer Biljana Mi* eine mit länger als 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung verbundene schwere posttraumatische Belastungsstörung erlitt, für die „die Übergriffe sexueller Natur, der Psychoterror und die körperliche Gewalt“ kausal waren (US 6), womit nach der Überzeugung der Tatrichter jede der - nicht im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl dazu Ratz in WK² Vor §§ 28-31 Rz 89) begangenen - Taten (mit-)ursächlich (vgl erneut Burgstaller in WK2 § 80 Rz 68) für die schwere Körperverletzung war.

Dass bei gleichartiger Realkonkurrenz ein und derselbe Erfolg die darauf bezogene Qualifikation nur bei einer der zusammentreffenden Taten begründet, entspricht ständiger Rechtsprechung; begründet wird danach diejenige mit dem strengsten Strafsatz. Letzteres gilt auch bei ungleichartiger Idealkonkurrenz (vgl dazu Burgstaller in WK2 § 7 Rz 33; Philipp in WK2 § 201 Rz 30; RIS-Justiz RS0120828, RS0115550). Zum Begriff Strafsatz ist in diesem Zusammenhang auf die von RIS-Justiz RS0125243, RS0125921 vorgenommene grundlegende Klarstellung zu verweisen, der sich der verstärkte Senat ausdrücklich anschließt. Danach versteht die StPO unter Strafsatz nur die Subsumtion. Mit der Strafbefugnis wird hingegen der für die Strafbemessung zur Verfügung stehende Strafrahmen angesprochen, wobei aus Z 11 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO nur jene die Strafbefugnis bestimmenden Umstände relevant sind, welche nicht bereits Gegenstand zulässiger Anfechtung des Schuldspruchs (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) sind (eingehend: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 666 ff; 13 Os 44/09h, EvBl 2009/144, 965 = JBl 2011, 262 mit kritischer Anmerkung von Birklbauer; 13 Os 26/10p, EvBl-LS 2010/138 = JBl 2011, 266 mit kritischer Anmerkung von Tipold).

Zur hier vorliegenden Frage, ob Entsprechendes (generell) auch im Verhältnis ungleichartiger Realkonkurrenz erfolgsqualifizierter strafbarer Handlungen (hier: zwischen § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB einerseits und § 83 Abs 1 und Abs 2, § 84 Abs 1 StGB anderseits) gilt, deren Lösung zufolge ihrer grundsätzlichen Bedeutung und nicht einheitlicher Beantwortung in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (nämlich einerseits 13 Os 114/11f und andererseits 15 Os 102/11f) nach § 8 Abs 1 Z 2 OGHG einem verstärkten Senat vorbehalten blieb, hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die oben angesprochene höchstgerichtliche Judikatur basiert auf dem Grundsatz, eine doppelte Anlastung ein und desselben Erfolgs so weit wie möglich zu vermeiden (Burgstaller in WK2 § 7 Rz 33; E. Steininger, SbgK § 7 Rz 55).

Für eine insoweit differenzierte Betrachtung von Fällen gleichartiger und ungleichartiger Realkonkurrenz bietet § 28 StGB (als Ausgangspunkt der [Schein-]Konkurrenzlehre) keine Grundlage:

Voneinander in tatsächlicher Hinsicht getrennte, jeweils qualifiziert schwere Eingriffe (so 15 Os 102/11f) liegen in beiden Fällen vor. In unterschiedlichem Rechtsgüterschutz (den 15 Os 102/11f unter Berufung auf Philipp in WK² § 201 Rz 5 und § 206 Rz 1 auch im Verhältnis der Bestimmungen der §§ 201 f und §§ 206 f StGB ausmacht) könnte allerdings ein Grund dafür zu erblicken sein, dass diese Wertung nur im Verhältnis der strafbaren Handlungen des Zehnten Abschnitts des Strafgesetzbuchs, nicht aber auch im Verhältnis der strafbaren Handlungen dieses Hauptstücks zu § 84 Abs 1, § 94 Abs 2 erster Fall, § 143 dritter Fall und § 312 Abs 3 erster Fall StGB sowie im Verhältnis dieser strafbaren Handlungen untereinander zum Tragen kommt.

Ein Blick auf die angesprochenen rechtlichen Kategorien zeigt jedoch, dass durch die letztangeführten Erfolgsqualifikationen stets nur die körperliche und seelische Unversehrtheit geschützt wird, unterschiedlicher Rechtsschutz demgegenüber nur in den Grundtatbeständen zum Ausdruck kommt.

Exklusivität als Begründung für bloß einmalige Subsumtion des (vorliegend nach Maßgabe der Urteilsfeststellungen durch jede der den Schuldsprüchen (1) und (3) zugrunde gelegten Taten bewirkten) Erfolgs einer „schweren posttraumatischen Belastungsstörung“ scheidet aus, weil die strafbaren Handlungen des § 201 Abs 2 erster Fall und des § 84 Abs 1 StGB übereinstimmende, mithin gerade nicht - wie für Exklusivität erforderlich - widerstreitende Merkmale enthalten, was angesichts des auf § 84 Abs 1 StGB verweisenden Klammerausdrucks in § 201 Abs 2 erster Fall StGB geradezu in die Augen springt (und auch in Betreff anderer derart zum Ausdruck gebrachter Erfolgsqualifikationen gilt). Demnach bleibt nur Verdrängung im Wege von Scheinkonkurrenz.

Spezialität scheidet bei Realkonkurrenz aus. Vielmehr ist vom Scheinkonkurrenztypus der materiellen Subsidiarität auszugehen. Ob Subsidiarität vorliegt, bestimmt sich nämlich im Gegensatz zur Konsumtion, wo die konkreten Umstände der Tatbegehung in die Beurteilung einzubeziehen sind, nach dem abstrakten Verhältnis der strafbaren Handlungen zueinander (Ratz in WK2 Vor §§ 28-31 Rz 36, 57 mwN).

Dem zufolge Eingriffs in verschiedene Rechtsgüter gesteigerten Unwertgehalt wird demnach - anders als von 15 Os 102/11f vorausgesetzt - durch einmalige Annahme der erfolgsqualifizierten strafbaren Handlung, welche mit den jeweiligen Grundtatbeständen (echt) konkurriert, Rechnung getragen.

Dies führt im vorliegenden Fall zur Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang, sodass neben dem unberührt gebliebenen Schuldspruch (2) nach Maßgabe der aufgehobenen rechtlichen Unterstellungen Schuldsprüche zu (1) wegen eines Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer unbestimmten Anzahl von Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und zu (3) wegen einer unbestimmten Anzahl von Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und Abs 2 StGB verbleiben, ohne dass der Wegfall der angesprochenen rechtlichen Unterstellungen zu einem (bloß vom Vorwurf einer selbständigen Tat rechtlich möglichen, in Betreff bloßer Subsumtionen jedoch unzulässigen) Freispruch zu führen hat.

Bei der damit notwendigen Strafneubemessung waren das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und Vergehen und der jeweils lange Tatzeitraum als erschwerend, der zuvor ordentliche Lebenswandel des Angeklagten demgegenüber als mildernd zu werten.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen sah sich der Oberste Gerichtshof zur Verhängung der im Spruch genannten Tatgewicht und Täterschuld entsprechenden Strafe bestimmt.

Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Über die Anrechnung der Vorhaft (§ 38 StGB) hat gemäß § 400 StPO der Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden.

Das Erstgericht erkannte den Angeklagten gemäß §§ 366 Abs 2, 369 Abs 1 StPO schuldig, je 500 Euro an Schmerzengeld und Schadenersatz an die Privatbeteiligten Biljana Mi* und Marko M* zu zahlen (US 6).

Die gegen dieses Adhäsionserkenntnis gerichtete - nicht ausgeführte - Berufung schlägt fehl.

Die durch die Tathandlungen (1) und (3) bewirkte posttraumatische Belastungsstörung der Biljana Mi*, die mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung verbunden war und mehrjährige psychologische Behandlung erforderlich machte (vgl ON 16, ON 25 S 24 ff), rechtfertigt jedenfalls die vom Erstgericht vorgenommene Zuerkennung von Schmerzengeld in Höhe von 500 Euro (vgl auch Hartl, Schmerzengeldsätze in Österreich, SV 2012, 107). Mit Blick auf die konstatierten seelischen und körperlichen Schmerzen, die der zu Beginn des Tatzeitraums erst siebenjährige Marko M* über mehr als zwei Jahre durch die dem Schuldspruch (2) zugrunde liegenden wiederholten Tathandlungen erlitt (US 6 f, vgl auch ON 4 iVm ON 25 S 26), gilt Gleiches für den Zuspruch von 500 Euro an diesen Privatbeteiligten.

Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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Rechtsgebiet
Strafrecht
Schlagworte
Strafrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2012:0140OS00172.11T.0515.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
RAAAE-00980