VfGH vom 12.03.2003, B482/01
Sammlungsnummer
16827
Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch die Betrauung eines stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Erstattung eines Gutachtens in einem - zivilrechtliche Ansprüche betreffenden - Sonderteilungsverfahren bezüglich Ausscheidung eines Gutes aus einer Agrargemeinschaft; Erweckung von Zweifeln an Unbefangenheit und Neutralität der Mitglieder der belangten Behörde
Spruch
Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteilichen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Salzburg ist verpflichtet, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 1.489,79 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Erkenntnis des Landesagrarsenates Salzburg wurde über Berufung der Beschwerdeführer im zweiten Rechtsgang deren Antrag auf Einleitung des Sonderteilungsverfahrens bezüglich der Ausscheidung ihres Gutes aus der Agrargemeinschaft J stattgegeben. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis von der Agrargemeinschaft und anderen Mitgliedern erhobenen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde abgelehnt und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten, welcher sie teils zurück-, teils abwies.
Über Devolutionsantrag der Beschwerdeführer ging die Zuständigkeit zur neuerlichen Entscheidung von der Agrarbehörde Salzburg an den Landesagrarsenat über, der mit Erkenntnis vom den Antrag auf Einleitung des Sonderteilungsverfahrens abwies. Dies nach Prüfung mehrerer Teilungsvarianten mit der Begründung, daß für die Beschwerdeführer kein wesentlicher wirtschaftlicher Vorteil bei der Nutzung der Ausscheidungsflächen erkennbar sei, demgegenüber aber erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die verbleibende Agrargemeinschaft bestünden. Die ausgesprochene Einleitung des Sonderteilungsverfahrens sei daher zu revidieren gewesen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Unverletzlichkeit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
In ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter erachten sich die Beschwerdeführer verletzt, da dem erkennenden Senat Personen angehört hätten, die als Sachverständige fungiert hätten oder jedenfalls teilweise eine Sachverständigenfunktion im Verfahren innegehabt hätten. So sei von Mitgliedern des Senates eine Stellungnahme an den Landesagrarsenat abgegeben und auch ein gemeinsames Gutachten erstattet worden, das im angefochtenen Erkenntnis zitiert sei.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Zum Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter bringt die belangte Behörde vor:
"Wie bekannt, ist im Rahmen der Bodenreform, sowohl beim Landesagrarsenat, als auch am Obersten Agrarsenat ein Kollegium mit sachverständigen Mitgliedern als Entscheidungsorgan tätig. Dies stellt eine Besonderheit der Bodenreform dar, und soll gewährleisten, dass die fachkundige Meinung in den Entscheidungen der angesprochenen Senate berücksichtigt wird, wobei aber festzuhalten ist, dass die Sachverständigen eine Minderheit darstellen.
Die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Rechtsfrage wurde schon öfters von den Höchstgerichten entschieden, und wurde diesbezüglich keine Verfassungswidrigkeit festgestellt. Es erübrigt sich daher, auf diesen Punkt weiter einzugehen."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Gemäß Art 12 Abs 2 B-VG steht in den Angelegenheiten der Bodenreform die Entscheidung in oberster Instanz und in der Landesinstanz Senaten zu, "die aus dem Vorsitzenden und aus Richtern, Verwaltungsbeamten und Sachverständigen als Mitgliedern bestehen".
Gemäß § 5 Abs 2 Agrarbehördengesetz 1950 idF BGBl. I 191/1999 gehören den Landesagrarsenaten als stimmberechtigte Mitglieder an:
"1. ein rechtskundiger Landesbeamter als Vorsitzender,
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2. | drei Richter, | |||||||||
3. | ein in der Angelegenheit der Bodenreform erfahrener rechtskundiger Landesbeamter als Berichterstatter, | |||||||||
4. | ein in agrartechnischen Angelegenheiten erfahrener Landesbeamter des höheren Dienstes, | |||||||||
5. | ein in forstlichen Angelegenheiten erfahrener Landesbeamter des höheren Dienstes, | |||||||||
6. | ein landwirtschaftlicher Sachverständiger im Sinne des § 52 AVG 1950." |
Art 12 Abs 2 B-VG sieht die Mitwirkung von "Sachverständigen" als stimmberechtigte Mitglieder der Agrarsenate ausdrücklich vor. Durch die Bestellung von sachkundigen, als "Sachverständige" bezeichneten Personen als Mitglieder eines Kollegialorgans wird jedoch nicht bewirkt, daß sie dadurch im Kollegialorgan als Sachverständige im Sinne des § 52 AVG tätig werden. Die Sachverständigenqualität bildet zwar eine Voraussetzung für die Mitgliedschaft zum Landesagrarsenat; damit ist aber nicht die Stellung als Amtssachverständiger verbunden, sodaß sich die Annahme einer "Doppelfunktion" verbietet. Die Heranziehung von "Sachverständigen" als stimmberechtigte Mitglieder von Landesagrarsenaten ist daher verfassungsrechtlich nicht nur unbedenklich, sondern geradezu geboten (s. VfSlg. 8544/1979; vgl. VfSlg. 8796/1980, 9120/1981).
2. Die Beschwerdeführer rügen, daß sachkundige Mitglieder des Agrarsenates im Verfahren einerseits als Stimmführer, andererseits als Gutachter aufgetreten sind.
Wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt, haben im Auftrag des Vorsitzenden des Landesagrarsenates fachkundige Mitglieder des Senats als Sachverständige (iSd § 52 AVG) Gutachten erstellt. Hiebei handelt es sich um Gutachten im technischen Sinn und nicht nur um fachkundige, schriftlich niedergelegte Meinungen. So hat der landwirtschaftliche Sachverständige auf Basis der Stellungnahme von Rechtsanwälten, die im Verfahren einschritten, nach Aktenstudium und Lokalaugenschein eine Bewertung sämtlicher Flächen der Agrargemeinschaft vorgenommen und darüber eine schriftliche "Stellungnahme" abgegeben. Zu den Abfindungsvarianten erging ein gemeinsames Gutachten des landwirtschaftlichen und des agrartechnischen Sachverständigen (in welches die Bewertung der Flächen eingeflossen ist) zur Beurteilung der Auswirkung der Sonderteilung. Der forstfachliche Sachverständige hat ein Gutachten über den forstlichen Ertrag aus dem Eigentumsstand der Agrargemeinschaft erstellt. Das angefochtene Erkenntnis stützt sich in seiner Begründung auf die Schlüssigkeit dieser Gutachten. Lediglich das jagdwirtschaftliche Gutachten wurde von einem jagdfachlichen Amtssachverständigen erstellt, der nicht dem erkennenden Senat angehörte.
3. Sinn und Zweck einer Sonderteilung ist, daß bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einzelne Mitglieder der Agrargemeinschaft über ihren Antrag, unter Aufrechterhaltung der Gemeinschaft zwischen den übrigen Mitgliedern, aus der Agrargemeinschaft ausscheiden und diesen (ausscheidenden) Teilgenossen hiefür - durch Teilung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke - Teilflächen ins Eigentum übergeben werden.
Das Verfahren über die Einleitung und Durchführung eines Sonderteilungsverfahrens betrifft sohin zivilrechtliche Ansprüche der Teilgenossen.
Art 6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 15507/1999, 15668/1999, beide mwH).
Die Betrauung eines sachkundigen stimmführenden Mitgliedes des Agrarsenates mit der Aufgabe, im Verfahren ein Gutachten in seiner Eigenschaft als Sachverständiger (iSd AVG) zu erstatten, ist jedenfalls geeignet, einerseits an der Neutralität dieses Mitgliedes als Sachverständiger (vgl. VfSlg. 10701/1985, 16029/2000), andererseits an seiner Unbefangenheit als Entscheidungsträger - zu dessen Aufgaben es unter anderem gehört, die Schlüssigkeit der eingeholten Sachverständigengutachten zu beurteilen - Zweifel aufkommen zu lassen, aber auch an der Unbefangenheit der übrigen Mitglieder des Landesagrarsenates, die ihre Entscheidung auf Gutachten von Mitgliedern ihres Senates gestützt haben.
Angesichts dieser Umstände konnten - insbesondere auf Grund der Doppelfunktion von Mitgliedern des erkennenden Landesagrarsenats sowohl als Gutachter als auch als Entscheidungsträger in ein und demselben Verfahren - zumindest nach dem äußeren Anschein Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Landesagrarsenats als Tribunal im Sinne des Art 6 EMRK entstehen. Bereits der äußere Anschein reicht aus, um eine Verletzung des Art 6 EMRK zu bewirken.
Die Beschwerdeführer wurden durch den angefochtenen Bescheid in ihrem aus Art 6 EMRK abzuleitenden Recht auf ein faires Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt; der Bescheid war daher aufzuheben, ohne daß zu prüfen war, ob dieser auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 218,02 sowie Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in der Höhe von € 181,68 enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.