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OGH vom 26.05.2014, 8ObA55/13s

OGH vom 26.05.2014, 8ObA55/13s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei J***** W*****, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, 1082 Wien, Rathaus, vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: 21.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 1/13w 55, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 13 Cga 142/08h 51, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Arbeitsrechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war seit bis zu ihrer Kündigung mit Vertragsbedienstete der Beklagten. Auf das Dienstverhältnis ist das Gesetz über das Dienstrecht der Vertragsbediensteten der Gemeinde Wien, LGBl 1995/50 (in weiterer Folge: VBO 1995), anwendbar.

Die Klägerin war der Wiener Linien GmbH Co KG zur Dienstleistung zugewiesen und als Autobuslenkerin beschäftigt. Zwischen ihr und ihrem seit an ihrer Dienststelle tätigen Vorgesetzten bestanden nur gelegentliche und meist oberflächliche Kontakte. Am hatte die Klägerin mit dem Bus einen Unfall, weshalb sie nach einer am selben Tag in einem Krankenhaus durchgeführten Schockbehandlung in die Dienststelle kam, um ihrem Vorgesetzten den Vorfall zu melden.

Die Klägerin behauptet, bei dieser Vorsprache von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein.

Am zeigte sie den Vorgesetzten nach § 7 des Gesetzes über die Gleichbehandlung von Frauen und Männern und die Förderung von Frauen als Bedienstete der Gemeinde Wien (W GlBG, LGBl 1996/18) bei ihrem Dienstgeber wegen Diskriminierung durch sexuelle Belästigung an. In dieser Anzeige brachte sie vor, wiederholt von ihrem Vorgesetzten durch sexuelle Anspielungen und Bemerkungen belästigt worden zu sein. Am habe er ihr mit beiden Händen an ihre Brüste gegriffen und gefragt, ob diese echt seien.

Die Beklagte leitete aufgrund dieser Anzeige ein Disziplinarverfahren gegen den Vorgesetzten ein, welches am eingestellt wurde. Am wurde die Klägerin dienstfrei gestellt.

Nachdem der Zentralausschuss der Personalvertretung der Gemeinde Wien eine Zustimmung zur Kündigung der Klägerin (die Mitglied des Dienststellenausschusses war) nicht erteilte, wurde von der Magistratsdirektion der Stadt Wien am die gemeinderätliche Personalkommission befasst.

Die Klägerin hatte ihrerseits am die Wiener Gleichbehandlungskommission (unter anderem) um Feststellung ersucht, dass das Wiener Gleichbehandlungsgesetz dadurch verletzt worden sei, dass sie von ihrem Vorgesetzten verbal und physisch sexuell belästigt worden wäre. Am stellte die Wiener Gleichbehandlungskommission fest, dass eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots nicht vorliege.

Nach Vorliegen dieses Gutachtens fasste die gemeinderätliche Personalkommission am den Beschluss, dem Antrag auf Kündigung der Klägerin stattzugeben. Mit Schreiben vom sprach die Beklagte die Kündigung der Klägerin aus. Sie begründete die Kündigung mit dem Vorwurf, die Klägerin hätte wahrheitswidrig behauptet, Opfer einer sexuellen Belästigung geworden zu sein. Von einer Entlassung gemäß § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 werde zwar abgesehen, die Klägerin habe jedoch gegen die allgemeinen Verhaltenspflichten eines Vertragsbediensteten gemäß § 4 VBO 1995 und gegen die Interessen des Dienstes verstoßen. Deshalb seien die Kündigungsgründe des § 45 Abs 2 Z 1 und Z 5 VBO 1995 verwirklicht.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Dienstverhältnis über den hinaus aufrecht fortbestehe. Hilfsweise begehrt sie, die Kündigung vom für rechtsunwirksam zu erklären; eventualiter begehrt sie die Zahlung von 12.215,10 EUR brutto sA. Ihre Behauptung, sie sei von ihrem Vorgesetzten an der Dienststelle sexuell belästigt worden, sei wahr. Dieser habe vom ersten Kontakt an der Klägerin Komplimente und sexuelle Andeutungen gemacht. Als sie nach einem Vorfall auf einer Buslinie eine Stellungnahme zu verfassen hatte, habe er ihr seine Hilfe unter der Voraussetzung angeboten, dass sie sich mit ihm privat treffe. Im Mai 2007, nach der Hochzeit der Klägerin, habe sie der Vorgesetzte gefragt, was sie eigentlich an ihrem Mann (ebenfalls ein Bediensteter an der Dienststelle der Klägerin) fände, sie habe sich „etwas Besseres im Bett“ verdient. Wenn die Klägerin müde wirkte, habe er sie gefragt, ob sie etwa „daheim im Bett so hergenommen“ werde. Wenn niemand in der Nähe war, habe der Vorgesetzte einen Kuss angedeutet, der Klägerin zugezwinkert oder nachgepfiffen und sie mit „lüsternen Blicken“ angeblickt. Im Sommer 2007 seien die Belästigungen stärker geworden. Der Vorgesetzte habe eindeutige Bemerkungen (etwa, dass die Klägerin „gut gebaut“ sei) gemacht und immer wieder ihre Brüste angestarrt. Gipfel der Belästigungen sei ein Vorfall am gewesen, als ihr der Vorgesetzte mit beiden Händen an die Brüste gegriffen und gefragt habe, ob diese echt seien. Die behaupteten Kündigungsgründe lägen daher nicht vor. Für den Fall, dass von einer rechtswirksamen Kündigung auszugehen sei, stehe der Klägerin gemäß § 48 Abs 6 VBO 1995 eine Abfertigung zu.

Die Beklagte wandte dagegen die Berechtigung der Kündigung ein. Die von der Klägerin gegen ihre Vorgesetzten erhobenen Vorwürfe hätten sich im Zug eines von der Beklagten gegen den Vorgesetzten eingeleiteten Disziplinarverfahrens als unrichtig herausgestellt. Die Wiener Gleichbehandlungskommission sei zum Ergebnis gelangt, dass es der Klägerin nicht einmal gelungen sei, ihre Anschuldigungen glaubhaft zu machen. Die Klägerin habe ihren Vorgesetzten durch den unwahren Vorwurf, er habe sie im Dienst über längere Zeit hinweg sexuell belästigt, der Gefahr dienstrechtlicher Konsequenzen ausgesetzt und bewusst in Kauf genommen, dass sein Ansehen bei Mitarbeitern und Vorgesetzten geschädigt werde. Durch diesen Verstoß gegen § 4 Abs 4 VBO 1995 habe die Klägerin den Entlassungsgrund des § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 und daher auch die geltend gemachten Kündigungsgründe verwirklicht. An der Kündigung treffe die Klägerin ein Verschulden, sodass ihr gemäß § 48 Abs 2 Z 5 VBO 1995 keine Abfertigung zustehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren und die Eventualbegehren ab.

Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und traf zur Behauptung der Klägerin, sexuell belästigt worden zu sein, folgende Feststellung:

„Es ist nicht feststellbar, dass die Klägerin aus Anlass ihrer Vorsprache am von [ ihrem Vorgesetzten ] sexuell belästigt, unsittlich berührt oder an den Brüsten abgegriffen wurde.“

In seiner rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts ging das Erstgericht davon aus, dass es der Klägerin nicht gelungen sei, die von ihr gegen ihren Vorgesetzten erhobenen Vorwürfe zu beweisen. Durch die unbewiesenen Vorwürfe habe sie diesen der Gefahr einer disziplinären Verurteilung, allenfalls sogar des Verlusts des Arbeitsplatzes ausgesetzt und bewusst in Kauf genommen, dass der Vorgesetzte in seinem Ansehen und in der Wertschätzung der Mitarbeiter herabgesetzt und damit auch sein berufliches Fortkommen beeinträchtigt werde. Durch diese Ehrverletzung habe die Klägerin die Kündigungsgründe des § 42 Abs 2 Z 1 und 5 VBO 1995 verwirklicht. Gemäß § 48 Abs 2 Z 5 VBO 1995 entfalle der Abfertigungsanspruch.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren stattgab. Die Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe treffe die Beklagte. Es bestehe kein Zweifel, dass die wissentlich wahrheitswidrige Behauptung, von einem Vorgesetzten sexuell belästigt zu werden, jedenfalls einen Kündigungsgrund gemäß § 42 Abs 2 Z 1 und 5 VBO 1995 darstelle. Hier habe das Erstgericht aber, wie aus einer Gesamtbetrachtung seiner Urteilsbegründung hervorgehe, nur eine negative Feststellung getroffen. Diese besage nicht, dass sich der Vorfall nicht ereignet habe, sondern lediglich, dass er nicht festgestellt werden könne. Die Klägerin habe daher keinen Kündigungsgrund verwirklicht, weil andernfalls jeder Dienstnehmer, der eine (in der Regel schwer beweisbare, weil meistens unter vier Augen erfolgende) sexuelle Belästigung behaupte und Abhilfe beim Arbeitgeber suche, im Fall der fehlenden Beweisbarkeit seiner Anschuldigung den Kündigungsschutz verlöre. Dass Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Der behauptete Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 462 Abs 1 ZPO liegt nicht vor. Die Beklagte zeigt mit der Behauptung, dass die Klägerin kein Vorbringen erstattet habe, dass sie in „Ausübung ihres Rechts“ gehandelt habe, um Übergriffen gegen ihre Person entgegenzuwirken, kein Abweichen der Rechtsrüge vom festgestellten Sachverhalt auf.

2. Behauptete Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, deren Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat, können im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden (RIS Justiz RS0043061; RS0106371 [T6; T 7; T 8]). Dieser Grundsatz kann auch nicht mit der Behauptung umgangen werden, das Berufungsverfahren sei deshalb mangelhaft geblieben, weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei (RIS Justiz RS0042963 [T58]; RS0043061 [T18]).

3.1 Gemäß § 45 Abs 2 Z 2 VBO 1995 ist die Gemeinde zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses berechtigt, wenn der Vertragsbedienstete sich einer besonders schweren Verletzung der Dienstpflichten oder einer Handlung oder einer Unterlassung schuldig macht, die ihn des Vertrauens der Gemeinde unwürdig erscheinen lässt, insbesondere wenn er sich Tätlichkeiten oder erhebliche Ehrverletzungen gegen Vorgesetzte, Mitarbeiter, Parteien oder Kunden zuschulden kommen lässt. Eine gröbliche Verletzung von Dienstpflichten kann auch den Kündigungsgrund des § 42 Abs 2 Z 1 VBO 1995 verwirklichen, wenn das beanstandete Verhalten des Dienstnehmers diesem vorwerfbar ist (RIS Justiz RS0114667) und über bloße Ordnungswidrigkeiten hinausgeht (8 ObA 6/03w mwH). Unabhängig von einem Verschulden des Vertragsbediensteten (RIS Justiz RS0081887) ist die Gemeinde zur Kündigung des Dienstverhältnisses gemäß § 42 Abs 2 Z 5 VBO 1995 berechtigt, wenn sich erweist, dass das gegenwärtige oder frühere Verhalten des Vertragsbediensteten mit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstes unter Anlegung eines objektiven Maßstabs (RIS Justiz RS0081891) unvereinbar ist, sofern nicht die Entlassung in Frage kommt.

3.2 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die wissentliche wahrheitswidrige Behauptung, von einem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein, den genannten Kündigungsgrund verwirklicht, steht mit der Rechtsprechung im Einklang (vgl RIS Justiz RS0060912) und wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob der Kündigungsgrund auch dann verwirklicht ist, wenn die Richtigkeit der Behauptung, sexuell belästigt worden zu sein, nicht geklärt werden kann.

4. Die Revisionswerberin bestreitet in ihrem Rechtsmittel, dass es sich bei der (oben wörtlich wiedergegebenen) Feststellung des Erstgerichts zum behaupteten Vorfall vom um eine Negativfeststellung handle. In Wahrheit sei nämlich das Erstgericht wie Ausführungen in seiner Beweiswürdigung zeigten davon ausgegangen, dass sich der von der Klägerin behauptete Vorfall nicht ereignet habe.

Dem ist allerdings nicht zu folgen: Das Erstgericht hat seine Feststellung zum von der Klägerin behaupteten Vorfall vom eindeutig und unmissverständlich als „negative Feststellung“ formuliert. Dass es im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Aussage der Klägerin kritisch würdigte und ausführlich begründet, warum es den behaupteten Vorfall nicht als erwiesen annimmt, trifft zu, bedeutet aber keineswegs, dass das Erstgericht die Unwahrheit der Anschuldigung als erwiesen annahm. Dagegen spricht vor allem der eindeutige Wortlaut seiner (negativen) Feststellung und überdies auch die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, in der die Behauptung der Klägerin als unbewiesen, nicht aber als widerlegt gewertet wird.

Es ist daher davon auszugehen, dass nach den Feststellungen die Frage, ob die Behauptungen der Klägerin über den Vorfall vom zutreffen oder ob es sich dabei um eine Falschbehauptung handelt, nicht geklärt ist.

Damit stellt sich die Frage nach der Beweislast der Parteien.

5.1 Grundsätzlich trifft den Arbeitgeber die Beweislast für die geltend gemachten Entlassungs bzw Kündigungsgründe (RIS Justiz RS0081882; RS0125343; RS0029127). Nach diesem Grundsatz hätte die Beklagte als Arbeitgeberin auch zu beweisen, dass die Klägerin wissentlich unwahre Anschuldigungen erhoben hat.

5.2 Die Revisionswerberin macht aber an sich zutreffend geltend, dass zu den Entlassungsgründen der erheblichen Ehrverletzung (§ 27 Z 6 AngG) bzw der groben Ehrenbeleidigung (§ 82 Abs 1 lit g GewO 1859) wiederholt dem Arbeitgeber lediglich die Beweislast für die ehrverletzende Behauptung zugewiesen wurde; sofern diese ihrer Natur nach einem Wahrheitsbeweis zugänglich sei, treffe hingegen den Arbeitnehmer die Beweislast für die Wahrheit der erhobenen Beschuldigung bzw dafür, dass er hinreichende Gründe hatte, sie für wahr zu halten (9 ObA 186/89; RIS Justiz RS0029754, zuletzt 8 ObA 90/11k; Kuderna , Entlassungsrecht² 124 f). In einem Fall, in dem die gekündigte Dienstnehmerin wie hier selbst das angebliche Opfer einer behaupteten sexuellen Belästigung war, scheide der Beweis des guten Glaubens im Allgemeinen aus (9 ObA 186/89).

Daraus leitet die Revisionswerberin die Beweislast der Klägerin für die Richtigkeit ihrer Anschuldigungen ab. Dieser Beweis sei ihr aber nicht gelungen.

6. Der Oberste Gerichtshof ist allerdings der Ansicht, dass diese Rechtsprechung für den hier zu beurteilenden Fall der Behauptung, Opfer einer sexuellen Belästigung geworden zu sein, nicht zum Tragen kommen kann.

6.1 Die Rechtsentwicklung der letzten Jahre auf europäischer und auf nationaler Ebene ist von der klaren Tendenz getragen, sexuelle Belästigung im Arbeitsverhältnis zu bekämpfen und den Opfern derartiger Belästigung die Durchsetzung ihrer Rechte so weit wie möglich zu erleichtern.

Mit Art 4 der Richtlinie 97/80/EG des Rates vom über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (Beweislast RL) verpflichteten sich die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, nach denen dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht oder einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, es dem Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. Diese Beweislastverteilungsregel (9 ObA 46/04m) findet sich nunmehr in Art 19 der RL 2006/54/EG.

Darüber hinaus wurde in Art 7 der RL 2002/73/EG (nunmehr Art 24 der RL 2006/54/EG) ein allgemeines Verbot an den Arbeitgeber normiert, einen Arbeitnehmer in Reaktion auf eine Beschwerde oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu benachteiligen (Verbot der Viktimisierung; vgl auch den 17. Erwägungsgrund der RL 2002/73/EG; 9 ObA 113/11z).

6.2 Auch auf der Ebene der Beklagten wurden diese Vorgaben zum Schutz der Bediensteten vor sexueller Belästigung im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und der dadurch bewirkten Diskriminierung aufgrund des Geschlechts (§ 7 W GlBG) durch Bestimmungen des W GlBG und der VBO 1995 (vgl insbesondere die Antidiskriminierungsnovelle WrLGBl 2004/36) umgesetzt. So hat etwa gemäß § 18 Abs 4 W GlBG die von einer sexuellen Belästigung betroffene Person zur Durchsetzung ihrer aus dem Wiener Gleichbehandlungsgesetz resultierenden Rechte den Umstand einer sexuellen Belästigung lediglich glaubhaft zu machen. Betroffene Personen dürfen keine Nachteile dadurch erleiden, dass sie eine sexuelle Belästigung geduldet, zurückgewiesen oder zur Anzeige gebracht haben (§ 4c Abs 3 Z 2 und 3 VBO 1995).

6.3 Mit diesen klaren, aus der europäischen und der nationalen Gesetzgebung abgeleiteten Vorgaben ist es unvereinbar, in Fällen wie dem hier zu beurteilenden das gerade im Falle der Behauptung sexueller Belästigung im besonderen Maß bestehende Risiko der mangelnden Beweisbarkeit einer Anschuldigung im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines Entlassungs- oder Kündigungsgrundes uneingeschränkt der die Anschuldigung erhebenden Person zuzuweisen. Dies würde das Risiko, derartige Behauptungen vorzubringen und Abhilfe zu suchen, enorm erhöhen, was der dargestellten gesetzgeberischen Tendenz klar zuwiderlaufen und dem Grundsatz widersprechen würde, dass nationale Regelungen die Durchsetzung der durch Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Grundsatz der Effektivität; vgl Art 47 GRC; Art 19 Abs 1 EUV; 4 Ob 154/09i; 8 ObA 20/13v ua).

6.4 Der aus der in der Revision zitierten Entscheidung 9 ObA 186/89 von diesem Ergebnis abweichende Standpunkt kann angesichts der seither eingetretenen Rechtsentwicklung auf europäischer und auf nationaler Ebene nicht aufrecht erhalten werden.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Beweislast dafür, dass die Klägerin gegen ihren Vorgesetzten wissentlich einen unwahren Vorwurf erhoben und damit den angezogenen Kündigungsgrund verwirklicht hat, die Beklagte trifft. Dieser Beweis ist ihr allerdings nach den bisher vorliegenden Feststellungen nicht gelungen.

7. Allerdings ist das Verfahren noch nicht spruchreif:

Die Beklagte hat sich zur Rechtfertigung ihrer Kündigung nämlich nicht nur auf die Behauptungen der Klägerin über den Vorfall vom gestützt, sondern auch darauf, dass die Klägerin den Beklagten überdies beschuldigt hat, sie seit Mai 2007 wiederholt verbal und durch Gesten sexuell belästigt zu haben.

Zu diesen für die Entscheidung ebenfalls relevanten Anschuldigungen der Klägerin, die sie im vorliegenden Verfahren wiederholt hat, fehlen überhaupt jegliche Feststellungen.

Damit erweist sich aber das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

8. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00055.13S.0526.000