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VfGH vom 02.11.2005, B480/05

VfGH vom 02.11.2005, B480/05

Sammlungsnummer

17693

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen gerichtlicher Geltendmachung einer Honorarforderung für eine ohne Auftrag der Klientin eingebrachte Klage; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Zusammensetzung der OBDK mangels Begründung der Ablehnung eines ihrer Mitglieder; keine Verletzung der Verfahrensgarantien der EMRK

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom wurde er schuldig erkannt:

"er hat für eine von ihm im eigenen Namen ohne Auftrag seiner

ehemaligen Klientin H D im Verfahren ... des Landesgerichtes für ZRS

Wien im Februar 2000 eingebrachte Berufung und eine im September 2000

eingebrachte [Revisions]Rekursbeantwortung Kosten von ATS 59.780,60

(= EUR 4.344,43) geltend gemacht und (erfolglos) zu ... des

Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien am eingeklagt."

Er habe dadurch das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wurde hiefür gemäß § 16 Abs 1 Z 1 Disziplinarstatut 1190 (im Folgenden: DSt 1990) zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises und zum anteiligen Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt. Von einem weiteren gegen ihn erhobenen Vorwurf wurde er freigesprochen.

2. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (in der Folge: OBDK) gab der dagegen erhobenen Berufung mit Erkenntnis vom keine Folge.

2.1. Die OBDK stützte sich auf folgenden, als erwiesen angenommenen Sachverhalt:

"Nach den unbedenklichen und auch nicht deutlich und

bestimmt bekämpften Feststellungen des Disziplinarerkenntnisses hat

der Disziplinarbeschuldigte im Verfahren ... des Landesgerichtes für

ZRS Wien im eigenen Namen und jedenfalls überwiegend im eigenen

Interesse, ..., ohne Einvernehmen mit seiner ehemaligen Klientin H D,

die ihm die Vollmacht aufgekündigt und eine andere rechtsfreundliche

Vertretung ... bevollmächtigt hatte, in der Rechtsposition eines

Nebenintervenienten im Februar 2000 eine Berufung erhoben und im September des selben Jahres eine Rekursbeantwortung erstattet. Für diese Rechtsmittelschriften hat der Disziplinarbeschuldigte in dem zitierten Verfahren Kosten von ATS 59.780,60 verzeichnet, die er nach negativem Verfahrensausgang am ... beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien gegen H D (erfolglos) eingeklagt hat."

2.2. Ihre Entscheidung begründete die OBDK im Wesentlichen wie folgt:

"Der Disziplinarbeschuldigte verkennt den Kern der gegen ihn erhobenen Vorwürfe im angefochtenen Erkenntnis. Nicht sein Auftreten als Nebenintervenient ohne Abstimmung mit seiner ehemaligen Klientin bzw. deren späterer Rechtsvertreter[in] wurde ihm zum Vorwurf gemacht, sondern der Verstoß gegen Ehre und Ansehen des Standes dadurch, dass er die von ihm tarifmäßig verzeichneten Kosten ... gegen seine ehemalige Klientin klageweise geltend gemacht und dies in zwei Instanzen durchzusetzen versucht hat.

...

Zutreffend ist daher der Disziplinarrat davon ausgegangen, dass dem Disziplinarbeschuldigten für die Tätigkeit im eigenen Interesse - und nur darum ging es ihm, was im angefochtenen Erkenntnis überzeugend dargelegt wird und wogegen keine Bedenken erweckt werden - gegen seine ehemalige Mandantin H D kein Honoraranspruch zustand, und bereits die Geltendmachung des ohne Rechtsgrundlage erhobenen Honoraranspruchs als disziplinäre Verfehlung vorzuwerfen ist, in noch höherem Maße die hartnäckige gerichtliche Verfolgung des unberechtigten Anspruches.

... in rechtlicher Hinsicht [ist] ... klarzustellen und festzuhalten, dass der Beschuldigte durch sein Verhalten und Vorgehen gegen seine ehemalige Klientin sowohl Redlichkeit wie Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen und Verhalten grob missachtet und damit das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu verantworten hat."

3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden.

2.1.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich zunächst im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) verletzt. Begründend führt er aus, er habe der OBDK mit Schreiben vom bekannt gegeben, dass er eine Anwaltsrichterin gemäß § 33 Abs 2 DSt 1990 ablehne. Mit Beschluss der OBDK vom sei seine Erklärung als nicht gerechtfertigt beurteilt worden, weil die Ablehnung von Mitgliedern der OBDK in § 64 Abs 2 DSt 1990 geregelt und an die Angabe bestimmter Gründe gebunden sei. Nach Auffassung des Beschwerdeführers führe jedoch eine verfassungskonforme Interpretation der §§33 und 64 DSt 1990 dazu, dass das "unbegründete Ablehnungsrecht für Anwaltsrichter" auch in den Verfahren vor der OBDK gelte. Könnten Anwaltsrichter nur in erster Instanz abgelehnt werden, würde dies zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung führen.

2.1.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000 und 16.572/2002).

Gemäß § 63 Abs 1 DSt 1990 verhandelt und entscheidet die OBDK in Senaten, die aus zwei Richtern und zwei Anwaltsrichtern bestehen.

§64 Abs 2 DSt 1990 sieht vor, dass auf die Mitglieder der OBDK die Ausschließungsgründe des § 26 leg.cit. anzuwenden sind. Ausgeschlossen ist ferner, wer an der angefochtenen Entscheidung teilgenommen oder am vorangegangenen Verfahren als Kammeranwalt, Verteidiger des Beschuldigten oder Vertreter eines sonst Beteiligten mitgewirkt hat. Nach § 64 Abs 3 DSt 1990 sind die Generalprokuratur, der Kammeranwalt und der Beschuldigte darüber hinaus berechtigt, einzelne Mitglieder der OBDK unter Angabe bestimmter Gründe wegen Befangenheit abzulehnen. Dem Beschuldigten sind aus diesem Grund die Mitglieder der OBDK, zumindest aber die Mitglieder des erkennenden Senates bekannt zu geben (Schuppich/Tades, RAO7 [2002] 109).

Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass der erkennende Senat dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war und seine Mitglieder dem Beschwerdeführer bekannt gegeben wurden. Der Auffassung der belangten Behörde, wonach die Ablehnung von Mitgliedern der OBDK in § 64 Abs 2 DSt 1990 geregelt und gemäß Abs 3 leg.cit. - im Gegensatz zu § 33 Abs 2 DSt 1990 - an die Angabe bestimmter Gründe gebunden ist, kann nicht entgegengetreten werden. Die vom Beschwerdeführer vertretene Ansicht, wonach das Erfordernis der Angabe bestimmter Gründe zur Ablehnung wegen Befangenheit einzelner Mitglieder der OBDK nur auf Berufsrichter des zuständigen Senates zu beziehen sei, findet im Wortlaut der betreffenden Gesetzesbestimmungen keine Deckung. Die Ablehnung eines Mitgliedes der OBDK hätte somit auch hinsichtlich einer/s Anwaltsrichterin/s einer Begründung bedurft.

Der Beschwerdeführer wurde nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

2.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz. Er führt zunächst aus, dass die belangte Behörde § 64 iVm. § 33 DSt 1990 einen unrichtigen Inhalt unterstellt und Willkür geübt habe. Außerdem wirft er der belangten Behörde die Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens vor. Sie sei von den Feststellungen des erstinstanzlichen Verfahrens, ohne Ermittlungen hiezu angestellt zu haben, abgegangen, worin ein willkürliches Verhalten zu sehen sei.

2.2.2. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlage (siehe dazu Punkt II.1.) käme eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur in Frage, wenn der Behörde eine willkürliche Rechtsanwendung anzulasten wäre.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001 16.640/2002).

Wie bereits unter Punkt II.2.1.2. dargestellt, kann der belangten Behörde im Hinblick auf die Auslegung des § 64 DSt 1990 keine gehäufte Verkennung der Rechtslage vorgeworfen werden. Dem Vorwurf des unzureichenden Ermittlungsverfahrens ist zu erwidern, dass er allenfalls Verstöße gegen einfachgesetzliche Regelungen aufzeigt, die aber nicht geeignet sind, einen in die Verfassungssphäre reichenden Vollzugsfehler zu erweisen. Die belangte Behörde, die ihr Ermessen zur Beurteilung der Entscheidungsrelevanz der Beweisaufnahme geübt hat, ist in einem - aus verfassungsrechtlicher Sicht - nicht zu beanstandenden Verfahren zu ihren Beweisergebnissen gelangt.

Der Vorwurf der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz trifft somit nicht zu.

2.3.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich außerdem in seinen aus Art 6 EMRK erfließenden Rechten verletzt, weil es einem Rechtsanwalt nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, aufgrund einer nachvollziehbaren Rechtsansicht Klage zu erheben. Sollte ein solches Verhalten eine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit zur Folge haben, wäre ein Rechtsanwalt des jedermann zustehenden Rechts zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Ansprüche beraubt.

2.3.2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sind der belangten Behörde auch unter dem Titel des Art 6 EMRK keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler unterlaufen. Nach Auffassung der belangten Behörde sei dem Beschwerdeführer gegen seine ehemalige Klientin kein Honoraranspruch für seine Tätigkeit im eigenen Interesse zugestanden. Ihm sei "bereits die Geltendmachung des ohne Rechtsgrundlage erhobenen Honoraranspruchs als disziplinäre Verfehlung ..., in noch höherem Maße die hartnäckige gerichtliche Verfolgung des unberechtigten Anspruches" vorzuwerfen. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie in diesem Fall davon ausgeht, dass das vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten gegen Ehre und Ansehen des Rechtsanwaltsstandes, insbesondere gegen § 10 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: RL-BA), verstößt.

Eine Verletzung der Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK vermag das Beschwerdevorbringen nicht darzutun.

2.4.1. Schließlich behauptet der Beschwerdeführer in seinem gemäß Art 7 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden zu sein. Dem angefochtenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, gegen welche konkreten Pflichten er verstoßen habe und welche Standespflichten verletzt worden seien.

2.4.2. Die belangte Behörde hat das Verhalten des Beschwerdeführers - in vertretbarer Weise - als Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes gewertet und dazu ausgeführt:

"Die Vorschriften der § 1 (1) DSt, § 10 (2) RAO verpflichten jeden Rechtsanwalt grundsätzlich bei all seiner Tätigkeit Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit zu zeigen und zu wahren, wobei diese Vorschriften durch die standesrechtlichen Verhaltensregeln der RL-BA (vorliegendenfalls insbesondere § 10) jeden Rechtsanwalt verpflichten, in Konfliktsituationen zu seiner, auch ehemaligen Partei eigene Interessen zurückzustellen. Beachtet man, dass diese Legalitätsgebote jedenfalls auch Moralitätskomponenten in sich tragen, so ist in rechtlicher Hinsicht zu den Berufungsausführungen des Beschuldigten klarzustellen und festzuhalten, dass der Beschuldigten durch sein Verhalten und Vorgehen gegen seine ehemalige Klientin sowohl Redlichkeit wie Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen und Verhalten grob missachtet und damit das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zu verantworten hat."

Die behauptete Verletzung von Art 7 EMRK hat nicht stattgefunden, weil die OBDK sich nicht darauf beschränkt hat, die Verurteilung auf § 1 DSt 1990 zu stützen, sondern in vertretbarer Weise § 10 Rechtsanwaltsordnung und § 10 RL-BA herangezogen hat (vgl. zB VfSlg. 16.168/2001 und 16.482/2002). Angesichts dieses Umstandes hat sich die belangte Behörde jedenfalls im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Deutung dieser Rechtsvorschriften für den Beschwerdeführer erkennbar sein musste, nämlich dass er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (vgl. Thienel, Art 7 EMRK, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz. 17 [1999]).

3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002, 16.795/2003).

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. Angesichts der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen ist es auch ausgeschlossen, dass er in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.