OGH vom 26.02.2014, 9ObA164/13b

OGH vom 26.02.2014, 9ObA164/13b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** K*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Mayer Herrmann, Rechtsanwälte in Wien, wegen 654,28 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 34/13y 17, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 34 Cga 100/12t 10, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 185,86 EUR (darin 30,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist bei der Beklagten seit beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterliegt dem Kollektivvertrag für das graphische Gewerbe Mantelvertrag für Arbeiter (KV Graphisches Gewerbe).

Der Kläger befand sich vom bis mit zwei Unterbrechungen wegen Urlaubs vom bis und vom bis im Krankenstand. Nach Ende des Entgeltfortzahlungsanspruchs am bezog der Kläger Krankengeld von der Wiener Gebietskrankenkasse. Für den Zeitraum vom bis erhielt er 2.334,79 EUR brutto. Die Beklagte leistete an den Kläger am einen Urlaubszuschuss von 3.417,50 EUR brutto und am einen Weihnachtszuschuss von 2.763,31 EUR brutto.

Der Kläger begehrt 654,28 EUR an restlicher Weihnachtsremuneration.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass der Kläger für den Zeitraum seines Krankenstands Entgeltersatz (einschließlich Sonderzahlungen) erhalten habe. Nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen stehe ihm daher kein weiterer Sonderzahlungsanspruch zu.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 369,39 EUR brutto sA statt und wies das Mehrbegehren von 284,88 EUR brutto sA ab. Der Kläger habe für den Zeitraum des Krankengeldbezugs bereits Sonderzahlungen erhalten. Sein Sonderzahlungsanspruch vermindere sich daher vereinfacht um ein Monat. Auf die dem Kläger somit zustehende Weihnachtsremuneration von 3.132,70 EUR brutto habe die Beklagte aber nur 2.763,31 EUR brutto geleistet.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsabweisenden Teil der Entscheidung gerichteten Berufung des Klägers Folge und dem gesamten der Höhe nach von der Beklagten außer Streit gestellten Klagebegehren statt. § 19 Abs 5 letzter Satz KV sei schon nach dem Wortsinn so zu verstehen, dass dem Dienstnehmer auch im Krankheitsfall das volle Entgelt einschließlich der Sonderzahlungen in voller Höhe zustehen solle.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Kollektivvertrags für das graphische Gewerbe Mantelvertrag für Arbeiter (KV Graphisches Gewerbe) in der hier anzuwendenden Fassung lauten wie folgt:

„ § 19 Urlaubszuschuss

5. Zeiten des Dienstverhältnisses ohne Entgeltanspruch vermindern nicht den Anspruch auf den Urlaubszuschuss, ausgenommen in den gesetzlich ausdrücklich angeführten Fällen (zB §§ 14 Abs 4 und 15 Abs 2 MSchG, 10 ArbPlSG, 119 Abs 3 ArbVG). Für Zeiten des ungerechtfertigten Fernbleibens von der Arbeit stehen keine Sonderzahlungen zu. Für Zeiten des freiwillig vereinbarten Entfalls der Dienstleistung ohne Entgelt kann der Entfall der Sonderzahlungen vereinbart werden (ausgenommen für unbezahlten Urlaub für Schulungs- und Bildungsveranstaltungen im Sinne des § 118 ArbVG über die dort vorgesehene Dauer). Erhält der Dienstnehmer aufgrund öffentlich rechtlicher Vorschriften vollen Entgeltersatz (einschließlich Sonderzahlungen), entfällt insoweit der Anspruch gegen den Dienstgeber.

§ 20 Weihnachtszuschuss

5. § 19 Punkt 5 MV gilt auch für den Weihnachtszuschuss. “

2. Die Beklagte ist auch im Revisionsverfahren der Ansicht, der Anspruch des Dienstnehmers gegenüber dem Dienstgeber auf Sonderzahlungen entfalle für die Zeit, in der dem Dienstnehmer ein laufendes Entgelt (einschließlich anteiliger Sonderzahlungen) bezahlt werde. Eine andere Auslegung widerspreche nicht nur der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und der herrschenden Lehre, wonach für die Dauer des Krankengeldbezugs keine Sonderzahlungen gegenüber dem Dienstgeber gebührten, sondern auch jeglicher Lebenserfahrung und würde zudem auch zu einem unbilligen Ergebnis, nämlich einer doppelten Sonderzahlung führen.

3. Diesen Ausführungen ist zu erwidern:

3.1. Die dem normativen Teil eines Kollektivvertrags angehörenden Bestimmungen sind nach den Grundsätzen der §§ 6, 7 ABGB, also nach der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und der Absicht des Normgebers auszulegen (RIS Justiz RS0008782; RS0008807 ua). Den Kollektivvertragsparteien darf dabei grundsätzlich unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, sodass bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS Justiz RS0008828; RS0008897). Maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS Justiz RS0010088).

3.2. Nach herrschender Rechtsprechung gebühren mangels abweichender Vereinbarung Sonderzahlungen nicht für Zeiten, für die keine Pflicht zur Entgeltzahlung besteht (RIS Justiz RS0030306). Sonderzahlungen als eine Form aperiodischen Entgelts gebühren daher regelmäßig nicht für Zeiten nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall der Krankheit gemäß § 2 Abs 1 EFZG (§ 8 Abs 1 AngG), allerdings nur sofern nicht ein Kollektivvertrag oder eine andere, auf das jeweilige Arbeitsverhältnis einwirkende Norm Gegenteiliges anordnet (9 ObA 151/09k = RIS Justiz RS0030306 [T15]).

3.3. Eine entsprechende Anordnung enthält aber der KV Graphisches Gewerbe (anders noch die der Entscheidung 8 ObA 2059/96v zugrunde gelegene Fassung des KV Graphisches Gewerbe). Er sieht in § 19 Abs 5 1. Satz als Grundregel explizit vor, dass Zeiten des Dienstverhältnisses ohne Entgeltanspruch, sofern es sich nicht um Zeiten des ungerechtfertigten Fernbleibens von der Arbeit handelt, den Anspruch auf den Urlaubszuschuss außer in den gesetzlich ausdrücklich anders geregelten Fällen grundsätzlich nicht vermindern. Der Sonderzahlungsanspruch gegen den Dienstgeber soll nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 19 Abs 5 4. Satz KV Graphisches Gewerbe, aber dann entfallen, wenn der Dienstnehmer aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften vollen Entgeltersatz einschließlich Sonderzahlungen erhält. Dies gilt nach § 20 Abs 5 KV Graphisches Gewerbe auch für den Weihnachtszuschuss. Mit diesem Text haben die Kollektivvertragsparteien erkennbar ihre Absicht zum Ausdruck gebracht, dass dem Dienstnehmer auch im Krankheitsfall das volle Entgelt einschließlich der Sonderzahlungen in voller Höhe zustehen soll. Der Dienstnehmer, der aufgrund öffentlich rechtlicher Vorschriften vollen Entgeltersatz einschließlich Sonderzahlungen erhält, soll aber in Bezug auf die Sonderzahlungen nicht besser gestellt sein, als etwa ein Dienstnehmer, der sich nicht oder noch während des Zeitraums, in dem der Dienstgeber zur Entgeltfortzahlung in voller Höhe verpflichtet ist, im Krankenstand befindet.

3.4. In diesem Sinne können § 19 Abs 5 4. Satz, § 20 Abs 5 KV Graphisches Gewerbe nur so verstanden werden, dass die Sonderzahlungsansprüche gegen den Dienstgeber nur dann (zur Gänze) entfallen sollen, wenn der Dienstnehmer aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften tatsächlich das gesamte ihm gebührende Entgelt samt der Sonderzahlungen in voller Höhe erhält. Ist dies nicht der Fall, bleibt der hier verfahrensgegenständliche (Rest )Anspruch auf Weihnachtszuschuss gegen den Dienstgeber bestehen.

Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00164.13B.0226.000