OGH vom 23.11.2006, 8ObA55/06f
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Dr. Vera Moczarski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herta E*****, vertreten durch Dr. Friedrich Lorenz, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei E*****, vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte Partnerschaft in Wien, wegen EUR 19.782,23 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse EUR 11.869,34 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 9 Ra 181/05m-18, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 6 Cga 30/05y-14, bestätigt wurde, in nicht öffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die im übrigen als Teilurteile unberührt bleiben, werden in ihrem angefochtenen klagsabweisenden Umfang von EUR 11.869,34 brutto sA sowie in den Kostenentscheidungen aufgehoben und die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Im Revisionsverfahren unstrittig ist, dass die Klägerin von der beklagten Versicherungsgesellschaft am unberechtigt entlassen wurde. Mit rechtskräftigem Teilurteil wurde ihr auch bereits die gesetzliche Abfertigung zugesprochen. Sie war ab 1992 bei der Beklagten als Bedienerin im Arbeiterverhältnis beschäftigt, hat aber daneben - wie bereits davor ab 1989 - bestimmte An- und Abmeldetätigkeiten für Außendienstmitarbeiter der Beklagten gegen einen fixen Betrag von S 50 pro Auftrag verrichtet. 1999 war sie dann in ein Angestelltenverhältnis bei der Beklagten als Büroangestellte übernommen worden.
Die Klägerin begehrt über die bereits zugesprochene gesetzliche Abfertigung hinaus EUR 11.869,34 sA. Sie stützte dies in ihrer am eingebrachten Klage auf § 29 Abs 7 des hier ebenfalls unstrittig anzuwendenden Kollektivvertrags für Angestellte in Versicherungsunternehmen im Innendienst (KVI). In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom stützte sie dieses Begehren schließlich für dann Fall, dass sie die Voraussetzungen des § 29 Abs 7 KVI nicht erfülle, auch auf ihren Anspruch auf gesetzliche Kündigungsentschädigung.
Die Beklagte wendete die - im Revisionsverfahren ebenfalls unstrittige - mangelnde Anwendbarkeit des § 29 Abs 7 KVI wegen der fehlenden Eignung der „Vordienstzeiten" zur Erfüllung der Anwendungsvoraussetzungen und hinsichtlich der Kündigungsentschädigung die verfristete Geltendmachung ein. Das Erstgericht gab zwar dem Klagebegehren hinsichtlich der gesetzlichen Abfertigung unbekämpft Folge, wies jedoch das Mehrbegehren ab. Letzeres stützte es rechtlich im Wesentlichen darauf, dass § 29 Abs 7 KVI nicht anzuwenden sei. Diese Bestimmung sei für den Angestellten günstiger als die Regelungen des § 29 AngG über die Kündigungsentschädigung (Anrechnungspflicht etc). Dem Angestellten stehe es offen, welchen Anspruch er wähle. Damit sei aber sein Wahlrecht konsumiert. Für eine weitere Kündigungsentschädigung bleibe kein Raum.
Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsabweisenden Teil dieses Urteils erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge. Zwar könne der Klägerin nicht entgegengehalten werden, dass sie ein ihr mangels Anwendbarkeit gar nicht zustehendes Wahlrecht in hinsichtlich der Kündiungsentschädigung in bestimmter Weise ausgeübt habe, jedoch sei die Geltendmachung der Kündigungsentschädigung nach § 34 AngG verfristet erfolgt.
Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu. Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des klagsabweisenden Teiles der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt. Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage, inwieweit mit der fristgerechten Geltendmachung der Ansprüche nach § 29 Abs 7 KVI auch die Frist für die Geltendmachung der Kündigungsenschädigung nach § 29 AngG gewahrt ist, liegt nicht vor.
Rechtliche Beurteilung
Die maßgeblichen Bestimmungen des § 29 KVI lauten wie folgt:
„§ 29 Auflösung des Dienstverhältnisses ...
(2) Angestellte ab dem vollendeten 24. Lebensjahr, die das 5. Dienstjahr (§ 27 Abs 2) vollendet haben, können nur gekündigt werden,
...
.....
(7) Das nach den gesetzlichen Bestimmungen bestehende Recht zur Entlassung bleibt durch vorstehende Kündigungsschutzbestimmungen unberührt. Soweit auf Angestellte der Abs 2 anzuwenden ist, sind diese bei ungerechtfertigter Entlassung berechtigt, anstelle der gesetzlichen Abfertigung und Kündigungsentschädigung die zweieinhalbfache gesetzliche Abfertigung zu verlangen, sofern sie die Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Tag der ungerechtfertigten Entlassung anerkennen."
(Hervorhebung nicht im Originaltext)
§ 29 KVI befindet sich allerdings im Bereich „B Besondere Bestimmungen", der zufolge der einleitenden Bestimmung des § 25 KVI nur auf jene dort genannten Arbeitnehmer anzuwenden ist, die bereits vor 1997 beschäftigt waren und dem bis geltenden KVI unterlegen sind, was bei der Klägerin unstrittig nicht der Fall war.
§ 34 AngG sieht vor, dass ua „Ersatzansprüche" wegen vorzeitiger Entlassung (Kündigungsentschädigung) binnen 6 Monaten nach der Entlassung gerichtlich geltend gemacht werden müssen. Es stellt sich vorweg die Frage, ob auch die Ansprüche nach § 29 Abs 7 KVI als derartige „Ersatzansprüche" zu werten sind. Dies releviert die Frage nach dem Anwendungsbereich der Frist des § 34 AngG. In diesem Zusammenhang kann darauf zurückgegriffen werden, dass etwa auch auf den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei ungerechtfertigter Entlassung nach § 5 EFZG § 34 bzw § 1162d ABGB angewendet wird (OGH 9 ObA 396/97v, DRdA 1998/63, 433 [Kallab]). Dies gründet sich darauf, dass es dabei eben nicht mehr primär um den eigentlichen Entgeltanspruch geht, sondern darum, dass die Abwicklung des Arbeitsverhältnisses nur mehr „fingiert" wird. Dies spricht aber dafür die Frist des § 34 AngG auch auf solche Ansprüche anzuwenden, die nach der dargestellten Kollektivvertragsbestimmung über Verlangen des Angestellten an die Stelle der Kündigungsenschädigung treten sollen. Der zwingende Charakter des Anspruches auf Kündigungsentschädigung nach § 29 AngG steht einer Wahlmöglichkeit für den Angestellten zum Umstieg auf einen offensichtlich günstiger berechneten Anspruch auf eine die Kündigungsentschädigung ersetzende "Abfertigung" nicht entgegen, ändert aber auch nichts daran, dass diese als „Ersatzanspruch" unter die Frist des § 34 AngG fällt. Hat der Angestellte aber ohnehin einen unter die Frist des § 34 AngG fallenden „Ersatz" für den „Ersatzanspruch" nach § 29 AngG geltend gemacht - der eine gleichzeitige Geltendmachung des Ersatzanspruches nach § 29 AngG ja ausschließt -, so unterbricht dies auch die Frist des § 34 AngG für den eigentlichen Ersatzanspruch nach § 29 AngG. So wurde auch die Unterbrechungswirkung einer Anfechtung der Entlassung nach § 106 ArbVG im Wesentlichen mit dem Argument bejaht, dass ja sonst der Angestellte gezwungen wäre einerseits nach § 106 ArbVG die Wiederherstellung der aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses, aber andererseits im Widerspruch dazu auch die Kündigungsentschädigung und die anderen Ansprüche aus der Beendigung geltend zu machen (OGH 9 ObA 102/94, ARD 4647/21/95). Im Ergebnis ähnlich hat der Oberster Gerichtshof in der Vorentscheidung zu 9 ObA 99/05g die Frage, ob mit der Berufung auf eine höhere KV-Abfertigung nach § 29 Abs 7 KVI auch die geringere gesetzliche Abfertigung gleichzeitig geltend gemacht werde, bejaht. Damit kommt aber dem Einwand der Beklagten zu einer Verfristung der Geltendmachung des Anspruches der Klägerin auf die gesetzliche Kündigungsentschädigung nach § 29 AngG keine Berechtigung zu. Im fortgesetzten Verfahren werden daher die Grundlagen für den gelten gemachten Anspruch zu erörtern und festzustellen sein. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.