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OGH vom 27.05.2008, 8Ob38/08h

OGH vom 27.05.2008, 8Ob38/08h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin Dr. Ingeborg S*****, vertreten durch Dr. Erich Hirt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin Verlassenschaft nach dem ***** Dr. Herbert O***** S*****, vertreten durch die erbserklärte Erbin Geraldine D*****, diese vertreten durch Prof. Dr. Herbert Schachter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Eröffnung des Konkursverfahrens, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 28 R 251/07y-8, womit infolge Rekurses der Gemeinschuldnerin (Antragsgegnerin) der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom , GZ 28 S 127/07s-1, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Am stellte die geschiedene Ehegattin des Verstorbenen den Antrag, über das Vermögen der Verlassenschaft nach Dr. Herbert O***** S***** den Konkurs zu eröffnen. Der Verstorbene sei aufgrund eines vollstreckbaren Vergleichs zu Unterhaltszahlungen und aufgrund einer weiteren Vereinbarung zur Zahlung einer Zusatzkrankenversicherung für die Antragstellerin verpflichtet gewesen. Diese wertgesicherten Verpflichtungen hätten zuletzt monatlich 2.344 EUR (Unterhalt) und 260 EUR (Zusatzkrankenversicherung) betragen. Hieraus errechne sich ein kapitalisierter Anspruch gegenüber der Verlassenschaft von 335.495,70 EUR. Im Verlassenschaftsverfahren sei ein vorläufiges Inventar errichtet worden, wonach der reine Nachlass 125.755,60 EUR betrage. Die Verlassenschaft sei somit überschuldet.

Die Verlassenschaft bestritt die Forderung der Antragstellerin sowie die Konkursvoraussetzungen. Erbserklärte Erbin sei die Tochter des Verstorbenen aus zweiter Ehe, die eine bedingte Erbserklärung zum Nachlass abgegeben habe und der die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses übertragen worden sei. Pflichtteilsberechtigt seien die Witwe und die Kinder aus erster Ehe. Die Aktiva im Verlassenschaftsverfahren würden 129.221,13 EUR betragen. Hingegen werde die Höhe der kapitalisierten Forderung der Antragstellerin bestritten und würden dagegen Einwendungen gemäß § 796 ABGB und § 78 Abs 1 EheG erhoben. Der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin gehe den Ansprüchen der Pflichtteilsberechtigten nach. Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs seien allfällige Ansprüche von Nachlassgläubigern und Pflichtteilsberechtigten sowie die Erbfallschulden, das eigene Einkommen und das Vermögen der Antragstellerin abzuziehen. Die Haftung für allfällige Forderungen der Antragstellerin sei mit der tatsächlichen Höhe des reinen Nachlasses limitiert. Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens lägen daher nicht vor.

Das Erstgericht eröffnete den Konkurs über das Vermögen der Verlassenschaft und bestellte Dr. Katharina W***** zur Masseverwalterin. Anfragen des Erstgerichts an das zuständige Finanzamt, die Wiener Gebietskrankenkasse, Bauarbeiterurlaubs- und Abfertigungskasse und an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ergaben keine Zahlungsrückstände der Verlassenschaft. Ebenso wenig sind Exekutionsverfahren gegen den Verstorbenen oder die Verlassenschaft, ein Vermögensverzeichnis oder ein Pfändungsprotokoll bekannt.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Forderung der Antragstellerin durch einen vollstreckbaren Vergleich ausgewiesen sei. Der Verstorbene sei zu Unterhaltszahlungen von (gemeint: kapitalisiert) 301.997,67 EUR verpflichtet gewesen. Dagegen betrage der reine Nachlass nur 125.755,60 EUR.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Verlassenschaft Folge, wies den Antrag der Antragstellerin auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Verlassenschaft ab und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Antragstellerin mache als geschiedene Ehefrau des Verstorbenen eine Unterhaltsforderung geltend, die gemäß § 78 EheG mit dem Tod des Verpflichteten auf die Erben übergehe. § 78 Abs 2 leg cit sehe einen Herabsetzungsanspruch des Erben unter bestimmten Voraussetzungen vor.

Nach § 796 ABGB habe ein Ehegatte (außer in den Fällen der §§ 759 und 795 ABGB), solange er sich nicht wieder vereheliche, gegen die Erben bis zum Wert der Verlassenschaft einen Anspruch auf Unterhalt wie bei bestehender Ehe (§ 94 ABGB). Satz 2 dieser Bestimmung, der die Einrechnung von bestimmten Positionen in den Unterhaltsanspruch anordne, sei auf den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten gegen den Erben des Unterhaltsverpflichteten (§ 78 EheG) analog anzuwenden (SZ 55/54). Der Erbe schulde aber keinesfalls, auch nicht einem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten gegenüber, mehr als den Reinnachlass. Die Haftungsobergrenze sei somit der Wert der Verlassenschaft, und zwar auch bei einer unbedingten Erbserklärung. Daher hafte der Erbe dem Unterhaltsberechtigten immer nur wie ein Vorbehaltserbe, also wie ein bedingt erbserklärter Erbe.

Unter dem „Wert der Verlassenschaft" werde der Wert des Reinnachlasses verstanden, also jenes Vermögen, das sich nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten (Erblasserschulden und Erbfallsschulden) ergebe, wobei auch die Ertragsfähigkeit des Nachlasses zu berücksichtigen sei (RIS-Justiz RS0047842). Bei einem überschuldeten Nachlass könne es deshalb zu keinem Übergang der Unterhaltsverpflichtung auf die Erben kommen (SZ 54/107; SZ 60/246; SZ 73/191). Die Unterhaltsschuld nach § 78 EheG sei eine Erbgangsschuld, weil sie nicht als familienrechtliche Verpflichtung übergehe, sondern als Erbenschuld neu entstehe (SZ 73/191 zum Unterhaltsanspruch eines Kindes).

Im vorliegenden Fall betrage nach dem Vorbringen der Antragstellerin der reine Nachlass 125.755,60 EUR. Da der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin mit dem Reinnachlass begrenzt sei, könne ihre Forderung keine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Verlassenschaft begründen. Nach überwiegender Meinung käme Pflichtteilsansprüchen Vorrang gegenüber Unterhaltsansprüchen zu. Auch das führe zu keiner Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Antragsgegnerin, sondern nur zu einer entsprechenden Kürzung des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin, weil dann die Verlassenschaft (nach Einantwortung die Erben) bloß bis zur Höhe des um den Wert der Pflichtteilsansprüche geminderten reinen Nachlasses hafte (Welser in Rummel, ABGB³§ 796 Rz 12).

Es fehle daher an der Konkursvoraussetzung der Zahlungsunfähigkeit (§ 70 KO) oder der Überschuldung (§ 67 Abs 1 KO), sodass schon deshalb der Konkursantrag abzuweisen sei. Damit sei eine exakte Ermittlung der Höhe des von der Antragstellerin behaupteten Unterhaltsanspruchs entbehrlich.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, da oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Begrenzung der Haftung des Erben des Unterhaltspflichtigen für Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten mit dem Wert der Verlassenschaft fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der Antragstellerin mit dem Antrag, in Stattgebung ihres Rechtsmittels die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegnerin hat eine Revisionsrekursbeantwortung erstattet, in welcher beantragt wird, dem gegnerischen Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Das Rekursgericht hat die wesentliche hier zur Beurteilung anstehende Frage, dass der Unterhaltsanspruch der Antragstellerin mit dem Wert der Verlassenschaft begrenzt ist, zutreffend bejaht. Es kann daher auf die diesbezügliche rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts verwiesen werden (§§ 528a, 510 Abs 3 Satz 2 ZPO iVm § 171 KO).

Ergänzend ist den Rechtsmittelausführungen der Antragstellerin Folgendes entgegenzuhalten:

Die herrschende Lehre steht einmütig auf dem Standpunkt, dass der Erbe auch dem geschiedenen Ehegatten des Verstorbenen nach § 78 EheG keineswegs mehr schuldet, als der Reinnachlass ausmacht, selbst bei Abgabe einer unbedingten Erbserklärung (Stabentheiner in Rummel, ABGB³ § 78 EheG Rz 1; Zankl in Schwimann, ABGB³ § 78 EheG Rz 5; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, EheG § 78 Rz 8; Hopf/Kathrein, Erbrecht² § 796 ABGB Anm 7; Weiß/Ferrari in Ferrari/Likar-Peer, Eherecht 36; Koch in KBB², § 78 EheG Rz 1; Schwind, Komm zum österr Eherecht², 298 Anm 2.1; ders in Klang² I/1, 903; Feil/Marent, Familienrecht Kommentar § 78 EheG Rz 1; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 216; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht³ 175). In diesem Zusammenhang weist Schwind (Eherecht, aaO) darauf hin, dass „keinerlei rechtspolitische Begründung dazu führen könne, den Erben aus seinem eigenen Vermögen Unterhaltsleistungen erbringen zu lassen".

Eine überzeugende Begründung für ihren abweichenden Standpunkt vermag die Rechtsmittelwerberin nicht aufzuzeigen. Sie argumentiert lediglich damit, dass sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebe, dass eine Beschränkung des vertraglich festgesetzten Unterhalts eines geschiedenen Ehegatten auf den Wert der Verlassenschaft gemäß § 796 ABGB nicht in Frage komme, weil der Gesetzgeber in § 78 EheG eine andere („spezielle") gesetzliche Regelung vorgesehen habe, welche den Bestimmungen des ABGB, die den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Gatten nicht regeln, vorausgehe. Der Oberste Gerichtshof habe zwar die Einrechnungsverpflichtung gemäß Satz 2 des § 796 ABGB auch auf den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten analog angewendet, doch bedeute dies nicht, dass damit auch eine Haftungsbeschränkung bis zum Wert der Verlassenschaft zwingend angenommen werden müsse.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner von der Rechtsmittelwerberin angesprochenen Entscheidung 1 Ob 592/82 (SZ 55/54) ausdrücklich ausgeführt, dass § 796 ABGB zwar nur den Übergang des Unterhaltsanspruchs des Ehegatten aus aufrechter Ehe auf die Erben regle, während für den Übergang des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten weiterhin § 78 Abs 1 EheG gelte; die gleichartige Gestaltung der Einrechnungsvorschriften für die erbrechtlichen Unterhaltsansprüche von Kindern und Ehegatten lasse aber in Verbindung mit der aus den Materialien hervorgehenden Absicht der Gesetzesverfasser nur den Schluss zu, dass für alle erbrechtlichen Unterhaltsansprüche einheitliche Einrechnungsvorschriften geschaffen werden sollten. Die Vorschrift, dass sich der Ehegatte gegenüber den Erben des Unterhaltspflichtigen einrechnen lassen müsse, was er durch öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Leistung erhalte, sei daher auf den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten analog anzuwenden. Der Ehegatte aus der geschiedenen Ehe wäre sonst gegenüber den Erben des Unterhaltspflichtigen besser gestellt als der Ehegatte aus aufrechter Ehe.

Auch im hier zu beurteilenden Fall würde es eine dieser nach wie vor aufrechten (und wie gezeigt vom Schrifttum einhellig gebilligten) gesetzgeberischen Intention nicht entsprechende Besserstellung des geschiedenen Ehegatten darstellen, wollte man seinen nach § 78 EheG auf die Erben übergegangenen Unterhaltsanspruch nicht mit dem Wert des Reinnachlasses limitieren. In diesem Zusammenhang weist die Antragsgegnerin in ihrer Rechtsmittelbeantwortung zutreffend darauf hin, dass der gesetzlich geregelte Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf einer Fortwirkung der ehelichen Unterhaltspflicht beruht (vgl Zankl in Schwimann, ABGB³ I § 66 EheG Rz 1). Eine Besserstellung des geschiedenen Ehegatten gegenüber dem bei Tod des Unterhaltsverpflichteten in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten (§ 796 Satz 1 ABGB: „bis zum Wert der Verlassenschaft"; vgl auch Welser in Rummel, ABGB³ § 796 Rz 7) lässt sich daher nicht begründen. Der Umstand, dass die Erben nach § 78 Abs 2 EheG ohne die Beschränkung des § 67 EheG haften, kann eine abweichende Rechtsansicht schon deshalb nicht rechtfertigen, weil sich der Berechtigte nach dem Wortlaut dieser Bestimmung die Herabsetzung der Rente auf einen Betrag gefallen lassen muss, der „bei Berücksichtigung der Verhältnisse des Erben und der Ertragsfähigkeit des Nachlasses der Billigkeit entspricht".

Die von der herrschenden Lehre, welcher der erkennende Senat folgt, vertretene Auffassung steht damit mit dem Gesetz im Einklang. Die Entscheidung des Rekursgerichts war damit zu bestätigen.