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OGH vom 29.01.2014, 9ObA4/14z

OGH vom 29.01.2014, 9ObA4/14z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Mörk und Mag. Schneller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** A*****, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Christoph Mohr, Rechtsanwalt in Linz, wegen 29.500 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 2.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 69/13s 11, mit der der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 15 Cga 72/13t 7, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.751,04 EUR (darin 291,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bei der beklagten Gesellschaft mbH beschäftigte Kläger wurde am bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle dadurch verletzt, dass er aus mehreren Metern Höhe ungesichert abstürzte.

Der Kläger begehrte von der Beklagten den Klagsbetrag als Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für Spät und Folgeschäden. Obwohl die nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften notwendigen Sicherheitsnetze nicht gespannt gewesen seien, habe der Vorarbeiter des Arbeitstrupps die Durchführung der Arbeiten angeordnet. Der Kläger habe ursprünglich ein Sicherheitsseil benützt. Da es ihn in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt habe, habe der Vorarbeiter angeordnet, das Seil auszuhängen, weshalb der Kläger abgestürzt und schwer verletzt worden sei. Das Fehlverhalten des Vorarbeiters sei als zumindest grob fahrlässig einzuordnen und der Beklagten zuzurechnen. In der Folge brachte der Kläger vor, der Vorarbeiter habe in Bezug auf die Körperverletzung vorsätzlich gehandelt.

Die Beklagte bestritt ein insbesondere vorsätzliches Fehlverhalten (auch) des Vorarbeiters, beantragte unter Hinweis auf das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 ASVG Klagsabweisung und wandte ein erhebliches Mitverschulden des Klägers ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Selbst ein vorsätzliches Handeln des Vorarbeiters, der nicht Mitglied des geschäftsführenden Organs sei, könne eine Haftung des Dienstgebers nicht begründen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Die Sonderregelung des § 333 ASVG schließe zwar für ihren Geltungsbereich in Bezug auf Personenschäden aus Arbeitsunfällen die Anwendung aller anderen ersatzrechtlichen Rechtsnormen aus. Es sei aber nicht geklärt, wessen Vorsatz dem Dienstgeber im Rahmen des § 333 Abs 1 ASVG zuzurechnen sei. Als Einschränkung allgemeiner Schadenersatzregeln könnte § 333 Abs 1 ASVG restriktiv auszulegen sein, sodass im Rahmen der Vorsatzhaftung auch eine Zurechnung fremden (Gehilfen )Verhaltens als Haftungsgrundlage denkbar bliebe. Zwar sollten im Anwendungsbereich des Haftungsprivilegs alle anderen Haftungsgrundlagen ausgeschlossen sein. Die Frage der Zurechenbarkeit fremden vorsätzlichen Handelns berühre aber gerade den Anwendungsbereich des Haftungsausschlusses: Sei dem Dienstgeber fremde vorsätzliche Schadenszufügung eines Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ASVG wie sein eigenes Verschulden zurechenbar, so finde der Haftungsausschluss des § 333 Abs 1 ASVG gerade keine Anwendung. Für § 334 ASVG werde vertreten, dass der Arbeitgeber den Schaden selbst verursacht haben müsse. Eine Stütze finde dies in § 335 Abs 1 ASVG, der für die Haftung juristischer Personen auf das Verschulden eines Mitglieds des geschäftsführenden Organs der juristischen Person oder eines unbeschränkt haftenden Gesellschafters einer Personengesellschaft abstelle. Hafte der Dienstgeber aber gegenüber dem Sozialversicherungsträger nur für eigenes grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten, so scheide die Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens eines Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB schon aufgrund des parallel zu sehenden Wortlauts von § 333 Abs 1 und § 334 Abs 1 ASVG sowie der dahinterstehenden gleichen Wertungen aus. Die Revision sei mangels Rechtsprechung zur Frage zulässig, ob das Dienstgeberhaftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG die Zurechnung vorsätzlicher Schadenszufügung durch den Erfüllungsgehilfen zum Dienstgeber ausschließe oder aber der Vorsatz des Erfüllungsgehilfen bei Verletzung ihm vom Dienstgeber übertragener dienstvertraglicher Fürsorgepflichten des Dienstgebers die Anwendung des Dienstgeberhaftungsprivilegs ausschließe.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig , jedoch nicht berechtigt .

1. Gemäß § 333 Abs 1 ASVG ist der Dienstgeber dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper in Folge eines Arbeitsunfalls entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich verursacht hat. Gemäß § 333 Abs 4 ASVG gilt dies auch für Ersatzansprüche Versicherter gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betrieb.

Gemäß § 334 Abs 1 ASVG hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß § 333 Abs 4 ASVG Gleichgestellter dann, wenn er den Arbeitsunfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht hat, den Trägern der Sozialversicherung alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen.

Gemäß § 335 Abs 1 ASVG sind die Bestimmungen der §§ 333 und 334 ASVG auch anzuwenden, wenn der Dienstgeber eine juristische Person, eine offene Gesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft ist und der Arbeitsunfall vorsätzlich bei der Anwendung des § 334 ASVG auch grob fahrlässig durch ein Mitglied des geschäftsführenden Organs der juristischen Person oder durch einen unbeschränkt haftenden Gesellschafter einer offenen Gesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft verursacht worden ist. Gemäß § 335 Abs 2 ASVG haften in diesem Fall mit der juristischen Person als Dienstgeber die Mitglieder des geschäftsführenden Organs oder die zur Geschäftsführung berechtigten Personen zur ungeteilten Hand, sofern die betreffenden Mitglieder den Arbeitsunfall vorsätzlich oder im Falle des § 334 ASVG auch grob fahrlässig verursacht haben.

2. Zum Ausschluss der Haftungsbefreiung des Dienstgebers bei vorsätzlicher Schadenszufügung ist festzuhalten, dass Vorsatz iSd § 333 ASVG gleichbedeutend mit „böser Absicht“ ist, die nach § 1294 ABGB nur gegeben ist, wenn der Schaden widerrechtlich mit Wissen und Willen des Schädigers verursacht worden ist (RIS Justiz RS0085680). Der Vorsatz muss Eintritt und Umfang des Schadens umfassen, wobei bedingter Vorsatz genügt. Es reicht jedoch nicht aus, wenn zB vorsätzlich Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht eingehalten werden, solange nicht auch der Schadenseintritt vom Vorsatz umfasst ist. Selbst gröblichste Fahrlässigkeit ist dem Vorsatz nicht gleichzuhalten (vgl RIS Justiz RS0085680 [T1, T 2, T 3]; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB VII 3 § 333 ASVG Rz 54).

Der Kläger hat zwar vorgebracht, dass der Vorarbeiter „vorsätzlich in Bezug auf eine Körperverletzung des Klägers gehandelt“ habe. Nähere Tatsachen, aus denen sich nicht nur der Vorsatz des Vorarbeiters zur Nichteinhaltung der Arbeitnehmervorschriften, sondern auch ein zumindest billigendes Inkaufnehmen der Verletzungen des Klägers ergeben könnten, wurden allerdings nicht behauptet. Auf einen auf die Körperverletzung bezogenen Vorsatz des Vorarbeiters kommt der Kläger in der Revision auch nicht mehr zurück.

Selbst wenn man aber das Vorbringen zu einer vorsätzlichen Schädigung des Vorarbeiters für ausreichend erachtet, wäre für den Kläger nichts gewonnen.

3. Festzuhalten ist zunächst, dass die Frage der Zurechnung eines vorsätzlichen Verhaltens von Erfüllungshilfen an den Dienstgeber durch die Regelung des § 333 Abs 4 ASVG nicht berührt wird, weil diese Bestimmung nur die unmittelbare Haftung der dort genannten Personen gegenüber dem Geschädigten reduziert.

Auch muss der für juristische Personen geltenden Bestimmung des § 335 Abs 1 ASVG für die Zurechnung fremden Verhaltens kein abschließender Regelungsgehalt beigemessen werden, weil damit nur im Sinne der allgemeinen Regeln klargestellt wird, dass bei juristischen Personen mangels eigener Handlungsfähigkeit auf den Vorsatz ihrer Organe abzustellen ist ( Neumayr in Schwimann/Kodek aaO § 335 ASVG Rz 1; Mayer in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Kommentar § 335 ASVG Rz 4; Atria in Sonntag, ASVG 4 § 335 Rz 28). Ob die Bestimmung im Wege der Analogie auch „Repräsentanten“ der juristischen Person erfasst, kann dabei dahingestellt bleiben, weil keine Tatsachen für eine entsprechende Stellung des Vorarbeiters der Beklagten behauptet wurden.

Richtig meint der Kläger daher, dass die Frage der Zurechnung des vorsätzlichen Verhaltens anderer Personen an den Dienstgeber unabhängig davon zu beantworten ist, ob der Dienstgeber eine natürliche oder eine juristische Person ist.

4. Selbst wenn nach allgemeinen Regeln die Zurechnung des vorsätzlichen Verhaltens von Erfüllungsgehilfen iSd § 1313a ABGB denkbar wäre, so ist nicht zu übersehen, dass der Zweck des § 1313a ABGB darin liegt, dass der Vertragspartner durch die Einschaltung von allenfalls weniger finanzstarken oder bloß deliktisch haftenden Gehilfen in seiner Rechtsposition nicht schlechter gestellt werden soll (s RIS Justiz RS0028495; Karner in KBB 3 § 1313a Rz 1; Harrer in Schwimann/Kodek VI 3 § 1313a ABGB Rz 1; Schacherreiter in Kletečka/Schauer ABGB ON 1.01 § 1313a Rz 1f).

5. Die § 333 ASVG zugrunde liegende Interessenlage stellt sich anders dar: In Hinblick auf die Sonderregel des § 333 ASVG ist es hL und ständige Rechtsprechung, dass damit alle anderen Haftungsgründe, insbesondere auch jene nach dem ABGB, dem EKHG oder anderen Haftpflichtvorschriften, wie auch jede Haftung für fremdes Verschulden ausgeschlossen sind (RIS Justiz RS0028584 [T4]; Neumayr in Schwimann/Kodek aaO § 333 ASVG Rz 6 mwN). Dieses Dienstgeberhaftungsprivileg basiert darauf, dass die von den Dienstgebern finanzierte gesetzliche Unfallversicherung nach ihrer historischen Wurzel als Ablöse der Haftpflicht des einzelnen Unternehmers gedacht ist und zivilrechtliche Ansprüche mit verschuldens- und mitverschuldensunabhängigen Leistungen aus der Sozialversicherung abgetauscht werden ( Neumayr in Schwimann/Kodek aaO § 333 ASVG Rz 2). Während also die gesetzgeberische Zielsetzung des § 1313a ABGB in einer Ausweitung des dem Geschädigten haftenden Personenkreises liegt, muss sie bei § 333 Abs 1 ASVG in einer weitgehenden Einschränkung der Dienstgeberhaftung gesehen werden, weil der Geschädigte für seine (kongruenten) Ansprüche den Sozialversicherungsträger in Anspruch nehmen kann. Diese Zielsetzung führt aber zu einem Verständnis der Regelung des § 333 Abs 1 ASVG dahin, dass sie die Haftungsbefreiung nur bei eigenem vorsätzlichen Verhalten des Dienstgebers ausschließt. Eine Haftung für das vorsätzliche Verhalten eines Erfüllungsgehilfen im Wege der Zurechnung nach § 1313a ABGB kommt daneben nicht in Betracht.

6. Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem von der Rechtsprechung und der Literatur zu § 334 ASVG entwickelten Verständnis, dass der Arbeitgeber den Schaden selbst verursacht haben muss und daher eine Haftung für fremdes Verschulden nicht eintritt. Der für Fälle der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Schädigung vorgesehene Rückersatz des Sozialversicherungsträgers wird daher nur bei eigenem Verschulden des Arbeitgebers selbst, nicht aber auch bei wenn auch grobem Verschulden anderer Personen bejaht (vgl RIS Justiz RS0085276; RS0085245; Neumayr in Schwimann/Kodek aaO, § 334 ASVG Rz 30; Teschner-Widlar-Pöltner , ASVG § 334 Rn 5).

7. Danach sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass auch eine Haftung der Beklagten, die nach allgemeinem Zivilrecht auf der Zurechnung eines allfälligen Vorsatzes des Vorarbeiters der Beklagten iSd § 1313a ABGB beruhen könnte, von § 333 ASVG ausgeschlossen wird. Da eine Haftung der Beklagten daher schon aus dem Tatsachenvorbringen des Klägers nicht ableitbar ist, ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:009OBA00004.14Z.0129.000