OGH vom 17.04.2018, 10ObS29/18i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. S*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, wegen Wochengeld, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 74/17d-11, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin war von bis zum Eintritt des Beschäftigungsverbots anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes am als Angestellte beschäftigt. Von bis bezog sie Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens gemäß § 24a KBGG in Höhe von 66 EUR täglich. Ab bis übte sie wieder ihre Angestelltentätigkeit bei ihrem bisherigen Arbeitgeber aus und verdiente bis insgesamt 1.621,03 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen. Am endete die Pflichtversicherung. Das Datum der voraussichtlichen Geburt des zweiten Kindes der Klägerin wurde mit errechnet. Tatsächlich kam ihr zweites Kind am errechneten Geburtstermin zur Welt.
Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Wiener Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin auf Gewährung eines höheren Wochengeldes als 59,38 EUR täglich anlässlich des am eingetretenen Versicherungsfalles der (neuerlichen) Mutterschaft ab.
In ihrer dagegen gerichteten Klage brachte die Klägerin – soweit für das Revisionsverfahren noch wesentlich – vor, die Höhe des ihr gebührenden Wochengeldes ergebe sich unmittelbar aus § 162 Abs 3a Z 2 bzw 3 ASVG (idF vor dem BGBl I 2016/53). Die Höhe des Wochengeldes sei demnach in „fixer“ Höhe des um 25 % erhöhten – für ihr erstes Kind bezogenen – Kinderbetreuungsgeldes zu bemessen, also in Höhe von zumindest 82,50 EUR täglich (66 EUR zuzüglich 25 %).
Demgegenüber ging die Beklagte davon aus, im Hinblick darauf, dass im maßgeblichen Beobachtungszeitraum von bis sowohl ein Arbeitsverdienst als auch ein Bezug von Kinderbetreuungsgeld gegeben sei, bestimme § 162 Abs 3a Z 2 und 3 ASVG (idF vor BGBl I 2016/53) nicht unmittelbar die Höhe des Wochengeldanspruchs, sondern nur die Bemessungsgrundlage für die Ermittlung des Wochengeldanspruchs. Diese Bemessungsgrundlage werde einerseits durch den Arbeitsverdienst und andererseits durch die Wochengeldhöhe nach § 162 Abs 3a Z 2 oder 3 ASVG gebildet („Mischberechnung“). Aus dem im Beobachtungszeitraum erzielten Arbeitsverdienst errechne sich ein tägliches Wochengeld in Höhe von 20,84 EUR, daneben seien die in den Beobachtungszeitraum fallenden 43 Tage des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld zu berücksichtigen (somit täglich 66 EUR zuzüglich 25 % = 82,50 EUR), woraus sich ein Wochengeldbetrag von 38,98 EUR ergebe. Insgesamt errechne sich die Höhe des Wochengeldes mit täglich 20,84 EUR zuzüglich 38,98 EUR = 59,83 EUR.
Das Erstgericht wies die Klage auf Zuspruch eines höheren Wochengeldes als 59,83 EUR täglich ab. Es teilte mit umfassender Begründung die Rechtsansicht der Beklagten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die Revision nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig.
1.1 Im Revisionsverfahren nicht strittig ist, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Wochengeld für das zweite Kind aus § 122 Abs 3 ASVG ableitet, weil der Versicherungsfall der zweiten Mutterschaft nach dem Ende der Pflichtversicherung eingetreten ist, der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalles (der ) aber noch im Zeitraum des Bestehens einer Pflichtversicherung lag.
1.2 Weiters ist unstrittig, dass der heranzuziehende Beobachtungszeitraum die letzten drei Kalendermonate vor dem Ende der Pflichtversicherung (des Beschäftigungsverhältnisses) umfasst, somit den Zeitraum bis .
2. Im Revisionsverfahren strittig verblieben ist die Höhe des Wochengeldanspruchs.
Dazu ist auszuführen:
2.1 Gemäß § 162 Abs 3 ASVG gebührt das Wochengeld in der Höhe des auf den Kalendertag entfallenden Teiles des durchschnittlichen in den letzten 13 Wochen bzw in den letzten drei Kalendermonaten vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes vermindert um die gesetzlichen Abzüge; die auf diesen Zeitraum entfallenden Sonderzahlungen sind nach Maßgabe des Abs 4 zu berücksichtigen.
2.2 Als Arbeitsverdienst sind grundsätzlich keine Geldleistungen nach dem KBGG zu verstehen; § 162 Abs 3 Satz 4 ASVG sieht jedoch eine Sonderregelung vor: Fallen in den für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum auch Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem Kinderbetreuungsgeldgesetz so gilt für diese Zeiten als Arbeitsverdienst jenes Wochengeld, das aufgrund des § 162 Abs 3a Z 2 ASVG (somit den Bezieherinnen von pauschalem Kinderbetreuungsgeld) gebührt hätte.
2.3 Da die Klägerin Bezieherin des „einkommensabhängigen“ Kinderbetreuungsgeldes war, ist bereits an dieser Stelle die ständige Rechtsprechung wiederzugeben, nach der es sich beim Fehlen eines Verweises auch auf § 162 Abs 3a Z 3 ASVG (idF vor BGBl I 2016/53) um eine planwidrige Gesetzeslücke handelt, die dadurch zu schließen ist, dass in § 162 Abs 3 vierter Satz ASVG auch ein Verweis auf den die Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens betreffenden § 162 Abs 3a Z 3 ASVG hineinzulesen ist (RIS-Justiz RS0130645).
3.1 Nach § 162 Abs 3a Z 2 und 3 ASVG (idF vor dem Bundesgesetz BGBl I 2016/53) gilt (für Versicherungsfälle, die vor dem eingetreten sind) abweichend von Abs 3 für diese Zeiten als Arbeitsverdienst bei pauschalem Kinderbetreuungsgeld das um 80 % erhöhte pauschale Kinderbetreuungsgeld bei der längsten Bezugsvariante und bei einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld in der Höhe des jeweilige um 25 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes, das bei Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft während des Leistungsbezugs gebührt hätte.
3.2 Diese Bestimmungen sind so zu verstehen, dass das Wochengeld in der „fixen“ Höhe des § 162 Abs 3a ASVG (in der um den jeweiligen Prozentsatz angehobenen Kinderbetreuungsgeldhöhe) nur dann gebührt, wenn der zugrundeliegende Versicherungsfall noch während des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld eingetreten ist. Andernfalls richtet sich die Wochengeldhöhe nach der Berechnungsmethode des § 162 Abs 3 ASVG; dann ist das im hiefür maßgeblichen Beobachtungszeitraum bezogenes Kinderbetreuungsgeld nur Teil der heranzuziehenden Bemessungsgrundlage (Drs in SV-Kommentar [191. Lfg] § 162 ASVG Rz 74; 10 ObS 107/10y, SSV-NF 24/62; zur Entstehungsgeschichte des § 162 Abs 3 idF BGBl I 2005/71 siehe ErläutRV 944 BlgNR 22. GP 6).
4. Im vorliegenden Fall ist der neuerliche Versicherungsfall der Mutterschaft nicht während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes eingetreten, da der Kinderbetreuungsgeldbezug für das erste Kind am geendet hat, der Versicherungsfall der (neuerlichen) Mutterschaft aber erst am eintrat. Die Höhe des Wochengeldes ist daher nicht in der „fixen“ Höhe des um 80 % bzw 25 % erhöhten täglichen Kinderbetreuungsgeldes nach § 162 Abs 3a Z 2 bzw 3 ASVG (idF vor dem Bundesgesetz BGBl I 2016/53) zu bemessen, sondern in Form einer „Mischberechnung“, die dann vorzunehmen ist, wenn im Beobachtungszeitraum neben Zeiten des Bezugs von Arbeitsverdienst auch Zeiten des Bezugs einer Leistung nach dem KBGG vorliegen.
5.1 Mit dieser Rechtslage steht die Ansicht der Vorinstanzen, für den Zuspruch des von der Klägerin gewünschten höheren Wochengeldes bestehe keine Rechtsgrundlage, in Einklang.
5.2 Der ist als Zeitpunkt des Beginns der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der neuerlichen Mutterschaft für den Grund des Anspruchs auf Wochengeld relevant (§ 122 Abs 3 ASVG). Mit dem Vorbringen, zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin noch (einkommensabhängiges) Kinderbetreuungsgeld anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes bezogen, sodass ihr anlässlich der Geburt ihres zweiten Kindes ein Anspruch auf Wochengeld in „fixer“ Höhe des um 25 % erhöhten täglichen Kinderbetreuungsgeldes zustehe, ohne dass der im maßgeblichen Beobachtungszeitraum bezogene Arbeitsverdienst zu berücksichtigen wäre, wird demnach keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt. Der von der Revisionswerberin vertretene Rechtsstandpunkt lässt sich auch nicht aus der Entscheidung 10 ObS 63/16m ableiten, weil auch in dieser Entscheidung das Wochengeld nicht in „fixer“ Höhe des um 25 % erhöhten einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes bemessen wurde.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:010OBS00029.18I.0417.000 |
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