OGH vom 13.09.2012, 8Ob37/12t

OGH vom 13.09.2012, 8Ob37/12t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** J***** G*****, vertreten durch Rechtsanwälte Birnbaum-Toperczer-Pfannhauser in Wien, gegen die beklagte Partei A***** G*****, vertreten durch Köck Heck Rechtsanwälte GbR in Wien, wegen Ehescheidung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 48 R 250/11m 99, womit das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom , GZ 16 C 15/09k-93, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden hinsichtlich des Verschuldensausspruchs und der Kostenentscheidung dahin abgeändert, dass das Urteil insoweit lautet:

Das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft den Kläger (§ 61 Abs 3 EheG).

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 6.291,92 EUR (darin enthalten 1.041,32 EUR an USt und 44 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen nach etwa fünfjähriger Beziehung die Ehe. Die aus Ungarn stammende und dort vor der Ehe auch berufstätige Beklagte hielt sich sowohl während der Lebensgemeinschaft als auch nach der Eheschließung teils allein, teils gemeinsam mit dem Kläger häufig in ihrem Heimatland auf, wo auch ihre Eltern wohnten und sie ein Sommerhaus besitzt.

Dem Kläger waren die wiederholten Aufenthalte der Klägerin in Ungarn unangenehm, er fügte sich schließlich aber ihrem Wunsch. Er befürwortete, dass das 1997 geborene gemeinsame Kind sich im Sommer in Ungarn in einem Garten aufhalten konnte und besuchte die Familie dann jeweils an den Wochenenden. Gemeinsame längere Urlaube wurden teils im ungarischen Haus, teils anderswo im Ausland verbracht.

Der Kläger selbst lebte von 1971 bis 1979 in den USA, Teile seiner Familie wohnen dort. Er besitzt eine Green Card, für den gemeinsamen Sohn der Streitteile wurde 2003 ein Visum mit 10-jähriger Befristung erteilt. Die Beklagte hatte jeweils ein Visum mit nur 6-monatiger Laufzeit.

Anfang 2001 kauften die Streitteile in Florida ein Grundstück und ließen in den Jahren 2002/2003 darauf ein Haus mit einer Wohnfläche von rund 270m² und gehobener Ausstattung errichten. Dieses Haus sollte zunächst in erster Linie als Feriendomizil, langfristig aber als Familiendomizil der Ehegatten, zumindest für die Wintermonate, dienen.

Im Oktober 2003, nachdem das Haus fertiggestellt war, flogen die Streitteile mit dem Kind nach Florida. Geplant war, dass der kleine Sohn Englisch lernen und die Vorschule in Florida besuchen sollte, zu der er auch angemeldet wurde. Die Streitteile kauften ein Auto und die Beklagte erwarb den US-amerikanischen Führerschein. Der Kläger selbst flog etwa einen Monat nach der Ankunft nach Österreich zurück. Im Winter 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie nach Ablauf des Visums weiter in den USA bleiben wolle. Dies war dem Kläger nicht recht, nichtsdestoweniger unterschrieb er aber den Antrag auf Verlängerung des Visums. Für den Kläger bedeutete die Weigerung der Beklagten, mit Ablauf des Visums nach Österreich zurückzukehren, einen starken Knick in der Beziehung. Bereits im Jänner 2004 nahm er eine außereheliche Beziehung zu seiner Sekretärin auf.

Ebenfalls im Jänner 2004 erklärte der Kläger gegenüber den amerikanischen Behörden, dauerhaft in Florida wohnhaft zu sein und dort seinen Hauptwohnsitz zu haben. Er gründete in der Folge in den USA eine Tochterfirma seines österreichischen Handelsunternehmens, dies mit dem Zweck, der Beklagten über diesen Umweg ein Investor-Visum zu verschaffen.

In der Folge pendelte der Kläger zwischen den beiden Wohnsitzen und hielt sich jeweils ungefähr zwei Monate in Österreich und einen Monat in den USA auf. Die Beklagte blieb letztlich bis Mai 2005 in Florida. Ab Herbst dieses Jahres ging der Sohn der Streitteile in Österreich zur Schule, vorher flog die ganze Familie noch einmal gemeinsam in die USA, wobei die Klägerin wiederum länger blieb, um eine begonnene Ausbildung als Maklerin zu beenden.

Nach ihrer Rückkehr nach Österreich im Dezember 2005 gestand der Kläger der Beklagten schließlich seine außereheliche Beziehung zur Sekretärin, danach war die Ehe für ihn endgültig beendet.

Das Erstgericht sprach die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 2 EheG aus, ohne den von der Beklagten beantragten Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG zu treffen. Zwar wiege die außereheliche Beziehung des Klägers als Verfehlung schwer, die Ehe sei aber bereits bei Aufnahme dieser Beziehung wegen der wiederholten Trennungen und diesbezüglichen Diskussionen nicht mehr intakt gewesen.

Das Berufungsgericht gab der auf Ergänzung des Urteils durch Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG gerichteten Berufung der Beklagten keine Folge. Es vertrat die Ansicht, das festgestellte und vom Kläger nicht tolerierte jahrelange Verhalten der Beklagten, sich im Ausland aufzuhalten, habe letztlich zur Entfremdung und zum Ehebruch des Klägers geführt. Ein augenscheinlicher gradueller Unterschied der Verschuldensanteile der Ehegatten liege bei dieser Sachlage nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die gemäß § 508a Abs 2 ZPO vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten ist iSd § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil die Entscheidungen der Vorinstanzen einer Korrektur bedürfen. Sie ist dementsprechend auch berechtigt.

Für die Beurteilung, ob ein Ausspruch nach § 61 Abs 3 EheG zu fassen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Kläger einen Scheidungstatbestand verwirklicht hat. Entscheidend ist nur, ob ihm eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist und ob, falls beiden Eheleuten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen ist, seine Schuld deutlich überwiegt (RIS-Justiz RS0057256). Für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs 3 EheG genügt also das wesentlich geringgradigere Zerrüttungsverschulden (RIS Justiz RS0057262), wobei das Gesamtverhalten der Ehegatten während der Ehedauer zu berücksichtigen ist (RIS Justiz RS0057268).

Auch bei Aussprüchen nach § 61 Abs 3 EheG ist ein überwiegendes Verschulden nur dort anzunehmen und auszusprechen, wo der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt (RIS-Justiz RS0057251). Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verschulden eines Teils überwiegt, ist aber insbesondere auch zu berücksichtigen, wer entscheidend und schuldhaft dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde (RIS-Justiz RS0056755).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann der Senat der Gewichtung der Verschuldensanteile durch die Vorinstanzen im vorliegenden Fall nicht beitreten.

Nach der sich aus den Feststellungen ergebenden Chronologie der Ereignisse kann zunächst nicht davon die Rede sein, dass sich die Beklagte „ entgegen dem Willen des Klägers schon seit Beginn der Ehe immer wieder für längere Zeit zunächst in Ungarn und danach in den USA aufhielt, was zu einer Entfremdung der Ehegatten und schlussendlich dazu führte, dass der Kläger eine außereheliche Beziehung einging".

Aus dem von den Vorinstanzen bindend festgestellten Sachverhalt ist vielmehr nur abzuleiten, dass sich der Kläger dem Wunsch der Beklagten, insbesondere in den Sommermonaten längere Zeit in Ungarn zu wohnen, trotz anderer Präferenzen letztlich durch Nachgeben gefügt hat und solche Aufenthalte insofern auch für sinnvoll erachtete, als es um den Sohn ging. Auch wenn es wiederholte Diskussionen gegeben hat und sich die Beklagte dabei mit ihren Wünschen häufiger durchgesetzt haben mag als der Kläger, wurde doch letztlich immer wieder Einigung hergestellt. Eine einvernehmliche Gestaltung der Lebensführung kann aber selbst dann, wenn sie ungewöhnlich sein mag und im Ergebnis eine Entfremdung fördert, deswegen noch nicht einem Teil als Zerrüttungsverschulden angerechnet werden (vgl auch RIS Justiz RS0107131).

Die ab Anfang des Jahres 2004 durch den verlängerten USA-Aufenthalt der Beklagten intensivierte Trennung kann entgegen der Ansicht der Vorinstanzen nicht einfach als ursächlich für die außereheliche Beziehung des Klägers zu seiner Sekretärin gewertet werden, hat er dieses Verhältnis doch bereits unmittelbar nach seiner Rückkehr und noch vor der Verlängerung des Visums der Beklagten begonnen. In diesem Zusammenhang ist außerdem die Feststellung nicht zu übersehen, dass die Streitteile Ende 2003 den Sohn offenbar einvernehmlich in Florida in die Vorschule angemeldet hatten und wollten, dass er Englisch lernen sollte. Wie dieser Plan mit einer gemeinsamen Rückkehr nach Österreich zu Weihnachten 2003 (nach zwei Monaten) oder selbst nach Ablauf des ersten Visums der Klägerin im Frühjahr 2004 in Übereinstimmung zu bringen gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar.

Der Kläger hat den fortgesetzten Aufenthalt der Beklagten in den USA nach den Feststellungen sogar aktiv durch Gründung einer Firmenzweigstelle und Begründung eines eigenen (Schein-)Wohnsitzes unterstützt. Es wäre eher weltfremd, bei Bewertung dieses Verhaltens und bei der weiters festgestellten Abkühlung der geschlechtlichen Beziehung der Streitteile völlig auszublenden, dass der Kläger gleichzeitig in Österreich ein Doppelleben geführt hat.

Die außereheliche Beziehung des Klägers war nach den Feststellungen der Vorinstanzen vielmehr der für die endgültige Zerrüttung der Ehe entscheidende Faktor. Es war demnach der Kläger (nicht die betrogene Beklagte), der die Ehe deswegen als beendet erachtete und eine Fortsetzung für sich ausschloss, und zwar gerade zu jenem Zeitpunkt, als die Beklagte wieder auf Dauer nach Österreich zurückgekehrt war und das Problem der räumlichen Trennung eigentlich beendet gewesen wäre.

Auch wenn sich das Zusammenleben der Eheleute aufgrund ihrer verschiedenen persönlichen Charaktere und Vorstellungen schon davor problematisch gestaltet hatte, so bestand dennoch bis Ende 2005 eine regelmäßige Lebensgemeinschaft, die erst durch den Kläger und dessen Entscheidung zugunsten der außerehelichen Beziehung beendet wurde (vgl 7 Ob 284/08b). Mit Eingehen und Aufrechterhalten dieser Beziehung hat er daher den wesentlichen Beitrag zur letztlich unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet, weshalb sein überwiegendes Verschulden nach § 61 Abs 3 EheG festzustellen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 45a Abs 2 iVm 41 ZPO. Der Beklagten sind ihre Verfahrenskosten zu ersetzen, mit Ausnahme der Kosten des Schriftsatzes über die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit, mit welcher sie unterlegen ist und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich war. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte keine Kosten verzeichnet, im Revisionsverfahren hat sie keine Barauslagen geltend gemacht.