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OGH vom 11.02.2003, 14Os17/03

OGH vom 11.02.2003, 14Os17/03

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zucker als Schriftführer, in der Maßnahmenvollzugssache der Maria P***** wegen bedingter Entlassung aus einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB, AZ 830 BE 67/02m des Landesgerichtes Korneuburg, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom , GZ 21 Bs 349/02 (= ON 19), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, und der Sachwalterin Dr. Reuterer, jedoch in Abwesenheit der Betroffenen, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Maßnahmenvollzugssache der Maria P*****, AZ 830 BE 67/02m des Landesgerichtes Korneuburg, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bs 349/02 (= ON 19), § 17 Abs 4 StVG iVm § 163 StVG. Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Wien aufgetragen, inhaltlich über die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom , GZ 830 BE 67/02m-15, zu entscheiden.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , AZ 2 b Vr 3281/01-160, wurde Maria P***** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil sie unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes Taten begangen hatte, die ihr, wäre sie zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen des teils vollendeten, teils versuchten (§ 15 StGB) schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3 StGB sowie der Geldfälschung nach § 232 Abs 1 StGB zuzurechnen gewesen wären. Diese Maßnahme wird seit in der NÖ Landesnervenklinik Gugging vollzogen. Mit Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg vom , GZ 830 BE 67/02m-15, wurde die von Maria P***** beantragte bedingte Entlassung aus der genannten Anstalt mit der Begründung abgelehnt, dass bei ihr die einweisungsrelevante Gefährlichkeit nach wie vor bestehe.

Die dagegen von der Untergebrachten persönlich und rechtzeitig erhobene Beschwerde (ON 16) wies das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss mit dem Hinweis darauf zurück, dass die (mit Beschluss des Bezirksgerichtes Josefstadt vom , GZ 2 P 50/96i-190) für Maria P***** zur Besorgung aller Angelegenheiten gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB bestellte Sachwalterin das Rechtsmittel - auf Anfrage ausdrücklich - nicht genehmigt habe.

In seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt der Generalprokurator aus:

Gemäß § 162 Abs 2 Z 1 StVG hat das Vollzugsgericht (§ 16 StVG) auch über die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher und über die bedingte Entlassung aus einer solchen Anstalt zu entscheiden. Dabei gelten die Bestimmungen der §§ 11 bis 15 und 17 bis 19 StVG dem Sinne nach (§ 163 StVG). Demzufolge steht dem Untergebrachten gegen die Ablehnung einer bedingten Entlassung aus der Maßnahme die Beschwerde offen (§ 17 Abs 4 StVG). Diese Befugnis ist durch die Bestellung eines Sachwalters für die Besorgung aller Angelegenheiten gemäß § 273 Abs 3 Z 3 ABGB nicht eingeschränkt.

Denn die autonome, vom Gesetz eingeräumte Rechtsmittelbefugnis jener Parteien, die im Strafverfahren mit dem Vorwurf der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung verfolgt werden, wozu im weiteren Sinn auch die Strafgefangenen und Untergebrachten zu zählen sind, beruht auf deren Prozessfähigkeit.

Die strafrechtliche Prozessfähigkeit stellt aber nicht primär auf die zivilrechtliche Vepflichtungsfähigkeit, sondern ganz allgemein darauf ab, ob die Partei im Stande ist, dem Verfahren mit Verständnis zu folgen, seine Tragweite zu erkennen, sich verständlich und sachbezogen zu äußern und ihre Rechte sinnvoll wahrzunehmen. Diese Fähigkeit muss keineswegs deckungsgleich mit der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit sein und darf im Falle einer bestehenden Geisteskrankheit, mag diese auch zur Bestellung eines Sachwalters geführt haben, nicht von vornherhein verneint werden (vgl Mayerhofer StPO4 § 1 E 83 ff).

Vielmehr ist in Fällen, in welchen - wie hier - eine zivilrechtliche Verpflichtung oder die Übernahme eines Kostenrisikos gar nicht in Frage kommt, sondern sich die Partei gegen einen Grundrechtseingriff wehrt, die Prozessfähigkeit in Ansehung eines eigenständig eingebrachten Rechtsmittels jedenfalls zu bejahen, soferne nur ein sachbezogener Beschwerdepunkt verständlich vorgebracht wird. Für die Besorgung aller Angelegenheiten bestellte Sachwalter stehen zwar prozessual einem Vormund oder einem gesetzlichen Vertreter gleich und dürfen im Unterbringungsverfahren alle dem Betroffenen eingeräumten Rechtsmittel auch gegen dessen Willen ergreifen (§ 431 Abs 2 StPO; vgl auch Ratz WK-StPO § 282 Rz 33; SSt 61/6). Dass sie berechtigt wären, ein vom Betroffenen selbst eingebrachtes Rechtsmittel zurückzuziehen oder dessen Rechtswirksamkeit von ihrer Genehmigung abhängig wäre, ist aber dem Gesetz nicht zu entnehmen. In ihrer rechtzeitig eingebrachten Beschwerde (ON 16) hat Maria P***** die Richtigkeit des dem angefochtenen Beschluss zu Grunde liegenden Sachverständigengutachtens und mit der Beteuerung künftigen Wohlverhaltens auch die Gefährlichkeitsprognose bestritten, sowie die Einholung eines neuen Gutachtens beantragt und damit ein Vorbringen erstattet, welches einer sachbezogenen Erledigung zugänglich ist und daher nicht mit dem Hinweis auf die mangelnde Zustimmung der Sachwalterin - ohne inhaltliche Erledigung - hätte zurückgewiesen werden dürfen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Der Begriff "Prozessfähigkeit", der die Fähigkeit meint, Prozesshandlungen entweder persönlich oder durch einen selbst bestellten Vertreter wirksam vorzunehmen, ist ein zivilrechtlicher. Er ist von der strafprozessualen Verhandlungsfähigkeit, also der mit Blick auf die körperliche und geistige Verfassung zu beurteilenden Fähigkeit, dem Verlauf der Verhandlung zu folgen, sich verständlich zu äußern und seine Rechte sinnvoll wahrzunehmen, zu unterscheiden. Das Fehlen der Verhandlungsfähigkeit in der Hauptverhandlung kann einen aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO relevanten Verfahrensmangel bewirken. Gleichermaßen (nur) aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO bedeutsam sein könnte die wiederum von Verhandlungsfähigkeit und Prozessfähigkeit zu unterscheidende Beteiligungsfähigkeit des § 430 Abs 5 StPO. Mit Strafbarkeitsvoraussetzungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) haben all diese Fähigkeiten definitionsgemäß nichts zu tun (zum Ganzen: Ratz, WK-StPO § 281 Rz 378 f, 634).

Eine durch Sachwalterbestellung in ihrer Prozessfähigkeit eingeschränkte Person ist dies im Strafverfahren nur insoweit, als das Strafverfahrensrecht als lex specialis, welche allgemeinen Normen derogiert, keine besonderen Anordnungen trifft, wie etwa in Hinsicht auf die Anklageberechtigung des Privatbeteiligten nach § 48 StPO (vgl 13 Os 83/01).

Während die Rechtsprechung für einen Rechtsmittelverzicht die Prozessfähigkeit des Verzichtenden verlangt (zuletzt: 13 Os 61/02; aaO § 284 Rz 8), sieht § 282 Abs 1 erster Satz (§ 283 Abs 2 erster Satz) StPO für die Rechtsmittelbefugnis gegen Urteile im Strafverfahren ausdrücklich eine Sonderregelung vor. Demnach kann die Nichtigkeitsbeschwerde zugunsten des Angeklagten sowohl von ihm selbst als auch von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in auf- und absteigender Linie und seinem Vormund und vom Staatsanwalte (gegen seinen Willen aber nur im Falle der Minderjährigkeit von den Eltern und vom Vormund) ergriffen werden. Sachwalter (§ 273 ABGB) stehen im Rahmen ihres Wirkungsbereiches prozessual dem dort genannten "Vormund" gleich (Foregger/Fabrizy StPO8 § 282 Rz 3, SSt 61/6, aaO § 282 Rz 33).

Indem die Vorschrift des § 282 Abs 1 StPO neben dem Angeklagten zusätzlich noch anderen Personen die Rechtsmittelbefugnis zugesteht (aaO § 282 Rz 26), kann sie der Sachwalter dem Angeklagten folgerichtig nicht nehmen.

Eben jenes von § 282 Abs 1 StPO abgedeckte Schutzbedürfnis betont Markel (aaO § 1 Rz 24) mit seinem Hinweis auf die Pflicht des Strafgerichts, zum Schutz des Angeklagten gegebenenfalls eine Sachwalterbestellung anzuregen, mit der von Bertel/Venier (Strafprozessrecht7 Rz 293) plakativ hervorgehobenen Konsequenz, dass zwar der Beschuldigte weiterhin selbst Prozesshandlungen vornehmen könne, der gesetzliche Vertreter aber "Partei neben ihm" sei (das Problem widerstreitender Prozesserklärungen sprechen diese Autoren dort nicht an; vgl dazu etwa SSt 61/64 = AnwBl 1991/3975 mit Anm von Wagner).

In Hinsicht auf Beschwerden des Strafgefangenen oder Untergebrachten gegen Beschlüsse des Vollzugsgerichts nach § 17 Abs 4 erster Fall StVG kann kein anderer Maßstab gelten, sodass die Erklärung des Sachwalters der Maria P*****, deren Beschwerde nicht zu genehmigen, an der Zulässigkeit des Rechtsmittels, das demnach inhaltlich zu erledigen sein wird, nichts zu ändern vermochte.