OGH vom 28.07.2022, 11Os46/22g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ristic, BA, als Schriftführerin in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom , GZ 37 Hv 94/21f99, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Schneider LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Arthofer zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch des S* (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
S* wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG, die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und dritter Fall SMG und die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG nach § 28a Abs 4 SMG unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Landesgerichts Linz vom , AZ 27 Hv 35/21f, unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 39 Abs 1a StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.
Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil – das auch Entscheidungen zum Mitangeklagten * C* enthält – wurde * S* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (B./II./), der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und dritter Fall SMG (D./) sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (E./) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in L* und andernorts teils als Mitglied einer aus zumindest ihm, * C* und dem unbekannten Mittäter „V*“ bestehenden kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift
A./ ...
B./ in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge gewinnbringend an teils bekannte sowie darüber hinaus an zahlreiche unbekannte Abnehmer überlassen, nämlich
I./ ...
II./ im Zeitraum Sommer 2016 bis in im Urteil näher bezeichneten Fällen (B./II./1./ bis B./II./11./) eine insgesamt unbekannte Menge, zumindest aber 4.538 Gramm Kokain (davon 200 Gramm enthaltend 40 % Cocain, 1.995 Gramm enthaltend 31,6 % Cocain und 2.343 Gramm enthaltend durchschnittlich 23,2 % Cocain), 35 Gramm Cannabiskraut (enthaltend rund 8,63 % THCA und 0,66 % Delta-9-THC) und eine unbekannte Menge Crack (Wirkstoff Cocain);
C./ ...
D./ ab zumindest Jänner 2021 bis zur Festnahme am im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit der abgesondert verfolgten * Sa* erworben, besessen und erzeugt, indem sie zumindest wöchentlich durch die Vermengung von Kokain mit Backpulver und das darauffolgende Aufkochen, somit durch Zubereitung und Umwandlung eines Suchtgifts, in wiederkehrenden Angriffen eine insgesamt unbekannte Menge Crack (Wirkstoff Cocain) herstellten;
E./ teils ausschließlich zum persönlichen Gebrauch, teils zum Weiterverkauf erworben und bis zum Eigenkonsum bzw zur Sicherstellung besessen, indem er im Zeitraum von Mai 2020 bis zur Festnahme am regelmäßig Kokain (Wirkstoff Cocain) und Crack (Wirkstoff Cocain) sowie teilweise MDMA und Crystal Meth (Wirkstoff Methamphetamin) konsumierte und am – für den Weiterverkauf – 5,2 Gramm Cannabiskraut (Wirkstoff THCA und Delta-9-THC) und 9,4 Gramm Kokain (Wirkstoff Cocain) mit sich führte.
[3] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten C* wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom heutigen Tag zu GZ 11 Os 46/22g7 zurückgewiesen. Dabei wurde die Entscheidung über die von der Anklagebehörde zum Nachteil des S* erhobenen Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung dem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung vorbehalten.
Rechtliche Beurteilung
[4] Gegen den S* betreffenden Strafausspruch richtet sich die zu dessen Nachteil ausgeführte, auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
[5] Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten S* unter Bedachtnahme (§§ 31, 40 StGB) auf ein Vor-Urteil zu einer Freiheitsstrafe (US 6). Die Anwendung des § 39 Abs 1a StGB lehnte es ausdrücklich ab (US 23).
[6] Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen zum Vorleben des Angeklagten weist die ihn betreffende Strafregisterauskunft (ON 93) folgende (immer gleich rechtskräftige) Verurteilungen auf: Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom zu AZ 27 Hv 76/11w wurde S* wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt, wobei die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit weiterem Urteil des Landesgerichts Linz zu AZ 21 Hv 16/12d vom wurde er wegen § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, Abs 2 SMG; § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit Urteil vom wurde S* zu AZ 26 Hv 117/15y wegen § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG; §§ 15, 269 Abs 1 StGB; § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten verurteilt, wovon elf Monate unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Zuletzt wurde er mit Urteil des Landesgerichts Linz vom zu AZ 27 Hv 35/21f wegen §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2; 269 Abs 1, 15 StGB zu einer zwölfmonatigen teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt, wobei er den unbedingten Strafteil von zwei Monaten bereits verbüßt hat (ON 30). Auf dieses Urteil wurde gemäß §§ 31, 40 StGB Bedacht genommen.
[7] Die Anklagebehörde rügt, dass das Schöffengericht seine Strafbefugnis überschritten habe (Z 11 erster Fall), indem es nicht von einem gemäß § 39 Abs 1a StGB um die Hälfte erhöhten Strafrahmen ausgegangen ist.
Die Generalprokuratur nahm dazu Stellung wie folgt:
Soweit im StGB (§§ 23 Abs 1 Z 1, 52a Abs 1 Z 2, 58 Abs 3 Z 3 StGB, 220b Abs 1) oder im JGG (§ 19 Abs 4 Z 1) auf die Begehung „strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben“ abgestellt wird, sind damit durchgängig (nur) die im (so überschriebenen) ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB eingeordneten Delikte gemeint (vgl [zu § 23 Abs 1 Z 1 StGB] Ratz in WK2 StGB § 23 Rz 5, 8; Nimmervoll, SbgK § 23 Rz 11; [zu § 52a Abs 1 Z 2 StGB] Schroll in WK2 StGB § 52a Rz 3; [zu § 220b Abs 1 StGB] Philipp in WK2 StGB § 220b Rz 3; [zu § 19 Abs 4 Z 1 JGG] Schroll in WK2 JGG § 19 Rz 3/4 f; Einführungserlass des BMVRDJ vom zu den strafrechtlichen Bestimmungen des Gewaltschutzgesetzes 2019, BMVRDJS318.040/0016IV 1/2019 [S 20]; eine rechtsgüterbezogene Anknüpfung in § 19 Abs 4 Z 1 JGG jeweils implizit verneinend 12 Os 17/22z [betreffend Suchtgifthandel] und 15 Os 122/21m [betreffend Raub unter Anwendung von Gewalt]).
Aus den Materialien (Initiativantrag 970/A BlgNR 26. GP 34) zum GewaltschutzG 2019 (BGBl I 2019/105) ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass trotz Verwendung des identen Begriffs „[vorsätzliche] strafbare Handlung gegen Leib und Leben“ in § 39 Abs 1a StGB eine insoweit abweichende, nämlich rechtsgüterbezogene Anknüpfung (vgl dazu abermals Schroll in WK2 JGG § 19 Rz 3/4 f) stattfinden soll und damit auch nicht im ersten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB dargestellte strafbare Handlungen als rückfallsbegründende Vortaten erfasst werden sollten (für eine rechtsgüterbezogene Anknüpfung Roitner, Zur Anwendung des § 39 Abs 1a StGB bei rückfälligen Suchtgifthändlern, JSt 2022, 34 [35 ff]; dagegen Maleczky, AT II21 45).
Die in § 33 Abs 2 StGB (vgl auch Abs 3 leg cit idF vor BGBl I 2019/105) gewählte Textierung („[…] nach dem ersten bis dritten oder zehnten Abschnitt des Besonderen Teils […]“) dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Überschrift des (hier miterfassten) zweiten Abschnitts des Besonderen Teils („Schwangerschaftsabbruch“) – anders als jene des ersten, dritten und zehnten Abschnitts („strafbare Handlungen gegen […]) – einer (zusammenfassenden) Aufzählung (wie etwa in § 23 Abs 1 Z 1 StGB aber auch in § 39 Abs 1a StGB) entgegen steht. Eine bewusste Differenzierung des Gesetzgebers lässt sich aus den unterschiedlichen Formulierungen – der Beschwerde zuwider – nicht ableiten.
Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:
[8] Gemäß § 39 Abs 1a StGB erweitert sich der Strafrahmen, wenn der Täter schon zweimal wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben, die Freiheit oder die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist und er nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres neuerlich eine vorsätzliche strafbare Handlung begeht.
[9] Durch die verknüpfende Wortwahl im zweiten Satzteil hat der Gesetzgeber – im Unterschied zu den von der Generalprokuratur ins Treffen geführten Normen – den Katalog der erfassten strafbaren Handlungen – anders als bei § 33 Abs 2 StGB und im Gegensatz zu § 19 Abs 4 Z 3 JGG – gerade nicht in ausdrückliche Beziehung zu bestimmten Abschnitten des Besonderen Teils des StGB gesetzt, sondern eine rechtsgutsbezogene Betrachtung vorgegeben (siehe zu dem gleichfalls mit BGBl I 2019/115 eingefügten § 19 Abs 4 Z 1 JGG [„ … eine strafbare Handlung gegen Leib und Leben …“] jüngst GZ 12 Os 140/21m4 [Rz 21]).
[10] Ein gegenteiliger Ansatz (Schroll in WK2 JGG § 19 Rz 3/4 f unter Berufung auf den Einführungserlass des BMVDRJ zum GewaltschutzG 2019, eJABl 2018/24.2.3.) kann dem Gesetz im Hinblick auf diese Differenzierung nicht entnommen werden und würde auch zu einer Reihe von Wertungswidersprüchen im Sanktionensystem führen, die den Intentionen des GewaltschutzG 2019 (vgl IA 970/A XXVI. GP, 24: „Härtere Strafen für Sexual- und Gewaltverbrecher“) diametral zuwiderliefen (im Detail dazu GZ 12 Os 140/21m4 [Rz 21] – entgegen Schroll aaO Rz 3/5 kann in den aus den Normtexten vorhersehbaren Differenzierungen keine „Willkür“ erblickt werden. Die Materialien [S 33] stellen wiederum lediglich klar, dass § 39 Abs 1a StGB das Regime des Abs 1 leg cit insofern erweitert, als die zu vergleichenden Taten nicht auf der gleichen schädlichen Neigung [§ 71 StGB] beruhen müssen, sondern die Zugehörigkeit zu [ notwendigerweise ] der zitierten Rechtsgüter als Grundlage für die Strafschärfung genügt [so auch Roitner, JSt 2022, 35 mwN unter Betonung der besonderen Bedeutung des § 39 Abs 1a StGB gerade für die Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität [34, 36 f]).
[11] Demnach weist die Staatsanwaltschaft zutreffend darauf hin, dass die im Urteil referierten (US 7) Verurteilungen (jeweils) zu Freiheitsstrafen (ua) wegen Suchtmitteldelinquenz, mithin – ebenso wie die nunmehrige Verurteilung wegen Suchtgifthandels – wegen vorsätzlicher strafbarer Handlungen erfolgten, die (auch) gegen die körperliche Integrität und damit gegen das „Leib und Leben“ gerichtet waren (RISJustiz RS0091972; Roitner, JSt 2022, 36).
[12] Die – auf Grundlage dieser Feststellungen – rechtsfehlerhafte Verneinung einer Strafrahmenerweiterung nach § 39 StGB bewirkt Nichtigkeit des S* betreffenden Strafausspruchs (Z 11 erster Fall; RISJustiz RS0133600, RS0133690) und macht dessen Aufhebung erforderlich.
[13] Bei der daher erforderlichen Strafneubemessung waren die einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall, der lange Deliktszeitraum, die mehrfache Überschreitung der Grenzmenge, die Delinquenz innerhalb offener Probezeit und bei anhängigem Verfahren sowie das Zusammentreffen von Verbrechen und Vergehen erschwerend, mildernd demgegenüber der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, in geringem Ausmaß die teilweise objektive Schadensgutmachung durch Sicherstellung von Suchtgift und sein Beitrag zur Wahrheitsfindung, sodass eine (Zusatz)Freiheitsstrafe im Ausmaß von vier Jahren angemessen ist.
[14] Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer den Angeklagten S* betreffenden Berufung auf die Strafneubemessung zu verweisen.
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00046.22G.0728.001 |
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