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OGH vom 26.02.2014, 9ObA162/13h

OGH vom 26.02.2014, 9ObA162/13h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Stadtgemeinde S*****, vertreten durch Dr. Michael Wonisch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 65/13b 23, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Der Kläger war seit als Vertragsbediensteter der allgemeinen Verwaltung bei der beklagten Gebietskörperschaft seit unbefristet -beschäftigt. Nach dem Dienstvertrag finden darauf die Bestimmungen der Vertragsbedienstetenordnung 1966 der Stadt Salzburg (kurz: VBO 1966) sowie die für die Vertragsbediensteten des Bundes jeweils geltenden bundesgesetzlichen Vorschriften Anwendung. Mit Unkündbarkeitsdekret vom verzichtete die Beklagte gemäß § 11 VBO 1966 ab auf ihr Kündigungsrecht und erklärte, dass hiermit die Regelung des § 8 VBO 1966 in Kraft trete.

Mit Schreiben vom , das dem Kläger noch am selben Tag zugestellt wurde, sprach die Beklagte unter Bezugnahme auf die Entlassungstatbestände des § 34 Abs 1 und Abs 2 lit b, c und d VBG die Entlassung des Klägers gemäß § 1 VBO 1966 iVm § 34 VBG aus.

Das Erstgericht wies das auf Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der Entlassung gerichtete Klagebegehren ab. Die Entlassung sei rechtswirksam ohne Durchführung eines Disziplinarverfahrens und rechtzeitig ausgesprochen worden; sie sei wegen Vertrauensunwürdigkeit des Klägers auch berechtigt erfolgt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es darauf hinwies, dass das Klagebegehren in ein auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses gerichtetes Begehren umzudeuten sei.

Rechtliche Beurteilung

1. Vom Berufungsgericht verneinte Mängel des Verfahrens erster Instanz können nicht nach § 503 Z 2 ZPO geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0042963). Dieser Grundsatz kann auch nicht durch die Behauptung, das Berufungsverfahren sei weil das Berufungsgericht der Mängelrüge nicht gefolgt sei mangelhaft geblieben, umgangen werden (RIS Justiz RS0042963 [T58]; RS0043061 [T18]).

Ein Mangel des Berufungsverfahrens könnte daher nur dann vorliegen, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (RIS Justiz RS0043144; RS0043086 [T1]; RS0042963 [T9]; RS0043166). Dies ist hier nicht der Fall (§ 510 Abs 3 3. Satz ZPO).

2. Weder der Umstand, dass der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht zu den rechtlichen Auswirkungen des § 8 VBO 1966 Stellung genommen hat, noch dass diese Bestimmung auf einen größeren Kreis von betroffenen Arbeitnehmern anzuwenden ist, macht die Revision im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zulässig, wenn die Auslegung klar und eindeutig ist (9 ObA 311/99x; 8 ObA 58/11d ua). Dies ist aber angesichts der klaren und unmissverständlichen Bestimmung des § 8 VBO 1966 hier der Fall. Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung der kraft einzelvertraglicher Vereinbarung zum Vertragsinhalt gewordenen VBO 1966 auch kein unvertretbares korrekturbedürftiges Auslegungsergebnis erzielt (RIS Justiz RS0042936; RS0042776 [T6] ua).

§ 8 VBO 1966 (Disziplinarbehandlung) lautet:

„ (1) Der Vertragsbedienstete unterwirft sich mit Einlangen der Unkündbarkeit (§ 11) den für die Magistratsbeamten geltenden disziplinarrechtlichen Bestimmungen.

(2) Der unkündbare Vertragsbedienstete kann im Disziplinarverfahren nur gegen ein Erkenntnis der Disziplinaroberkommission eine Überprüfung durch das Gericht anstreben.“

§ 11 VBO 1966 regelt die Voraussetzungen, unter denen die beklagte Stadtgemeinde gegenüber einem Vertragsbediensteten auf ihr Kündigungsrecht gemäß § 32 VBG verzichten kann.

Das Magistrats Beamtinnen und Magistrats-Beamtengesetz 2002 des Landes Salzburg in der zum Zeitpunkt der Unkündbarkeitserklärung der Beklagten geltenden Fassung LGBl 2003/42 sah in § 101 Abs 1 Z 4 als Disziplinarstrafe die Entlassung vor.

Die VBO 1966 ist eine Vertragsschablone, die kraft einzelvertraglicher Vereinbarung im Dienstvertrag Vertragsinhalt wurde (8 ObA 134/97g). Zur Auslegung des § 8 VBO 1966 ist es unabdingbar, auf § 11 VBO 1966 Bedacht zu nehmen. Nach dem klaren Wortlaut des § 11 VBO 1966 verzichtete die beklagte Stadtgemeinde ausdrücklich nur auf das Kündigungsrecht nach § 32 VBG. Auf das in § 30 Abs 1 Z 5 iVm § 34 VBG geregelte Recht, das Dienstverhältnis bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vorzeitig aufzulösen, wurde in keiner Weise Bezug genommen. Für die Anwendung der subsidiär anwendbaren (RIS Justiz RS0017752) Unklarheitenregel des § 915 2. Halbsatz ABGB auf die Bestimmung des § 8 VBO 1966 bleibt daher kein Raum. Die §§ 8, 11 VBO 1966 verfolgen auch nicht das Ziel, unkündbar gestellte Vertragsbedienstete hinsichtlich der materiellen Rechtslage in Bezug auf die Beendigung des Dienstverhältnisses den Beamten völlig gleichzustellen. Die Begünstigung, die durch die Unkündbarkeitserklärung gemäß § 11 iVm § 8 VBO 1966 bewirkt wird, besteht vielmehr darin, dass das Dienstverhältnis des Vertragsbediensteten nicht mehr nach § 32 VBG gekündigt, sondern nur mehr bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 34 Abs 2 VBG vorzeitig aufgelöst werden kann. Dadurch ist der unkündbar gestellte Vertragsbedienstete besser gestellt als der kündbare Vertragsbedienstete.

Auch aus der Entscheidung 9 ObA 63/94, die die freiwillige Bindung des Arbeitgebers an ein Erkenntnis im Disziplinarverfahren vor Ausspruch der Kündigung oder Entlassung im Arbeitsvertrag als eine freiwillige Selbstbeschränkung des dem Arbeitgeber nach den Normen des materiellen Rechts zustehenden Kündigungs und Entlassungsrechts für grundsätzlich zulässig ansah, ist für den Kläger nichts zu gewinnen, wurde doch hier gerade nicht vereinbart, dass eine Entlassung erst nach vorangegangenem Disziplinarverfahren möglich sei. Die Entscheidung kann auch nicht als „Indikator“ dafür angesehen werden, dass sich durch § 8 VBO 1966 beide Vertragsparteien bindend sämtlichen disziplinarrechtlichen Bestimmungen für Beamte unterwerfen wollten. Die Entlassung als Strafe ist dem Vertragsbedienstetenrecht fremd.

3. Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung eines Dienstverhältnisses vorliegen, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS Justiz RS0106298), stellt daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

Ob eine die Entlassung rechtfertigende Vertrauensunwürdigkeit des Dienstnehmers iSd § 34 Abs 2 lit b VBG gegeben ist, hängt davon ab, ob für den Dienstgeber vom Standpunkt vernünftigen kaufmännischen Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung besteht, dass seine Belange durch den Vertragsbediensteten gefährdet sind. Maßgebend ist, ob das Verhalten des Vertragsbediensteten das Vertrauen des Dienstgebers so schwer erschüttert hat, dass diesem die Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann (RIS Justiz RS0108229; RS0029323; RS0029833 ua). Ob dies der Fall ist, stellt eine Frage des Einzelfalls dar, die von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen die Zulässigkeit der Revision nicht rechtfertigen kann (8 ObA 53/10t; 9 ObA 88/12z; 9 ObA 144/12k; RIS Justiz RS0103201 ua).

Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung (RIS Justiz RS0081395; RS0081891) des Verhaltens des Klägers können bei späterer Wiederholung des abgemahnten Verhaltens die alten Vorfälle auch noch nachträglich Berücksichtigung finden (8 ObA 19/13x; 8 ObA 39/13p ua; RIS Justiz RS0028859). Dass es dabei aber nicht zulässig ist, mehrere unterschiedliche, nicht tatbestandsmäßige Entlassungsgründe zu kumulieren und einem Entlassungstatbestand zu unterstellen, wobei die fehlende Tatbestandsmäßigkeit durch die Quantität der Entlassungsgründe ersetzt werden soll, ist richtig (9 ObA 151/02z; RIS Justiz RS0029426). Davon kann aber hier keine Rede sein.

Die rechtliche Würdigung des Berufungsgerichts, das Gesamtverhalten des Klägers begründe Vertrauensunwürdigkeit iSd § 34 Abs 2 lit b VBG, ist jedenfalls vertretbar. Die Verhaltensweisen des Klägers, die letztlich den eigentlichen Anlass für die Entlassung bildeten, erreichten auch die von der Rechtsprechung geforderte Mindestintensität (8 ObA 37/11s). Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagten sei es angesichts der gesamten Umstände des vorliegenden Einzelfalls unzumutbar gewesen, den Kläger weiter zu beschäftigen (vgl RIS Justiz RS0029009; RS0105490), ist nicht korrekturbedürftig. Auch in der Beurteilung, der Kläger habe mit seinem Vorgehen zum Ausdruck gebracht, dass er sich mit seiner gegen die seiner Meinung nach gesetzwidrige Vollzugspraxis verschiedener Sozialbehörden des Landes Salzburg gerichteten Kampagne so sehr im Recht gesehen habe, dass er weder Argumenten noch Anweisungen, die seiner Überzeugung zuwidergelaufen seien, zugänglich gewesen sei, kann keine unvertretbare, die Rechtssicherheit gefährdende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts erblickt werden. Der Kläger ist auch als sozial engagierter Mitarbeiter verpflichtet, den sachlichen Anordnungen seines Dienstgebers Folge zu leisten (vgl 9 ObA 31/91). Aber auch dies hängt letztlich von den nicht revisiblen Umständen des Einzelfalls ab.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.