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OGH vom 25.11.2014, 8ObA53/14y

OGH vom 25.11.2014, 8ObA53/14y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Wille Brandstätter Scherbaum Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Anfechtung einer Kündigung, in eventu Feststellung des aufrechten Fortbestands des Dienstverhältnisses (Streitwert: 36.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 21/14b 38, mit dem das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 1 Cga 105/12k 34, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin war seit als Angestellte bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte kündigte ihr Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom zum auf.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage, diese Kündigung für rechtsunwirksam zu erklären. Hilfsweise begehrt sie die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten über den hinaus aufrecht fortbesteht. Die Kündigung sei sozialwidrig iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG. Sie sei aber auch sittenwidrig gemäß § 879 ABGB bzw diskriminierend im Sinn des Gleichbehandlungsgesetzes. Die Kündigung sei nämlich nicht wegen vermeintlich überhöhter Krankenstände ausgesprochen worden. Ihr eigentlicher Grund liege darin, dass die Klägerin die Beklagte aufgefordert habe, sie vor unberechtigten Mobbing Angriffen insbesondere zweier anderer Mitarbeiter der Beklagten zu schützen. Anstelle ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen, habe die Beklagte die Klägerin gekündigt, um damit ein Exempel zu statuieren und gleichzeitig die am Arbeitsplatz bestehenden Spannungsverhältnisse zu lösen. Die Klägerin sei jünger als die anderen betroffenen Arbeitnehmer gewesen. Ihr Dienstverhältnis unterliege dem Kollektivvertrag, während die anderen betroffenen Mitarbeiter in einem öffentlich rechtlichen Dienstverhältnis stünden und daher kündigungsgeschützt seien. Die Kündigung sei daher aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven ausgesprochen worden.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass die erhöhten Krankenstände der Klägerin Anlass zu deren Kündigung gewesen seien. Die Klägerin sei in der Lage, in angemessener Zeit eine neue Anstellung zu finden, sodass die Kündigung nicht sozialwidrig sei. Zwischen der Klägerin und bestimmten Mitarbeitern hätten seit Jahren Konflikte bestanden, die auch über Vermittlung der Vorgesetzten der Klägerin nicht aufzulösen gewesen seien. Diese Konflikte hätten sich nachteilig auf das Betriebsklima ausgewirkt, sodass der Klägerin die Kündigung angedroht worden sei, falls sie ihr Verhalten nicht ändere. Darüber hinaus sei die Beklagte mit den Dienstleistungen der Klägerin nicht zufrieden gewesen.

Das Erstgericht gab dem Anfechtungsbegehren statt. Aufgrund der von ihm zu diesem Anfechtungsgrund getroffenen Feststellungen verneinte es die Sozialwidrigkeit der Kündigung. Eine Kündigungsanfechtung könne aber auch auf eine Verletzung der Fürsorgepflicht gestützt werden, wenn der Arbeitgeber den Gekündigten nicht vor Mobbing schütze, sondern die Kündigung des Gemobbten ausgesprochen habe. Dies entspreche zwar keinem Tatbestand nach dem Gleichbehandlungsggesetz, jedoch sei in diesem Fall die Kündigung gemäß § 879 ABGB sittenwidrig. Dazu ging es in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass die Klägerin über längere Zeit von zwei Mitarbeitern der Beklagten am Arbeitsplatz schikaniert worden sei, weshalb sie sich an die Beklagte um Abhilfe gewandt habe. Die Beklagte habe jedoch lediglich die Beteiligten aufgefordert, ihre Konflikte selbst zu lösen und keine effiziente Abhilfe angeboten. Sie habe die Klägerin gekündigt, weil diese nur einen „normalen Arbeitsvertrag“ habe und nicht Beamtin sei, und weil durch die Entfernung der gemobbten Klägerin der Konflikt beseitigt werden sollte. Unter Hinweis auf diese Feststellungen (deren Wiedergabe im Detail für das derzeitige Verfahrensstadium nicht von Bedeutung ist) erachtete das Erstgericht die Kündigung als sittenwidrig und das Klagehauptbegehren als berechtigt.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab. Die Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG setze eine rechtswirksame Kündigung voraus und sei mit Gestaltungsklage geltend zu machen, während die Sittenwidrigkeit einer Kündigung nach § 879 ABGB mit einer Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis weiterhin aufrecht fortbesteht, geltend zu machen sei. Die Klägerin habe den Streitgegenstand ihres Hauptklagebegehrens eindeutig bestimmt: Ihr Hauptklagebegehren die Anfechtung der Kündigung habe sie ausschließlich auf Sozialwidrigkeit gestützt. Insofern sei die Abweisung des Klagebegehrens „unangefochten in Rechtskraft“ erwachsen. Hingegen habe die Klägerin das Feststellungseventualbegehren auf § 879 ABGB bzw anfangs auch auf eine allerdings im Berufungsverfahren nicht geltend gemachte Diskriminierung nach dem Gleichbehandlungsgesetz gestützt. Dem Feststellungsbegehren komme aber keine Berechtigung zu, weil sich die Klägerin im (hier unstrittig gegebenen) Anwendungsbereich des § 105 ArbVG nicht auf § 879 ABGB berufen könne. Mit ihrem Vorbringen, dass ihre Kündigung aus Anlass der Geltendmachung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers erfolgt sei, mache sie inhaltlich den Anfechtungsgrund des § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG geltend. Die Klägerin habe die Kündigung aber nicht wegen eines verpönten Motivs angefochten. Eine Umdeutung des Feststellungsbegehrens komme nicht in Frage, weil dies die Behauptung der Klägerin voraussetzen würde, dass die Kündigung wirksam gewesen sei. Im Zusammenhang mit dem von ihr geltend gemachten Motiv behaupte die Klägerin aber im Gegenteil die Nichtigkeit der Kündigung. Dem Erstgericht könne schon im Hinblick auf die Fristgebundenheit des Anfechtungstatbestands keine Verletzung der Anleitungspflicht zur Geltendmachung einer Kündigungsanfechtung wegen eines verpönten Motivs vorgeworfen werden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage zu beurteilen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin.

In der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte die Zurück , hilfsweise die Abweisung der Revision.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Rechtsansicht des Berufungsgerichts korrekturbedürftig ist. Sie ist im Sinn des subsidiären Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Auf die vom Erstgericht als unberechtigt erachtete Anfechtung der Kündigung wegen Sozialwidrigkeit und auf die (nie näher konkretisierte) Anfechtung nach dem Gleichbehandlungsgesetz kommt die Klägerin in ihrer Revision nicht mehr zurück; beides ist daher nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

2. Die Anfechtung einer Kündigung wegen eines verpönten Motivs ist in § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG geregelt. Die dort aufgezählten verpönten Motive würden ohne ausdrückliche Erwähnung grundsätzlich zur Sittenwidrigkeit und damit zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Lehre und Rechtsprechung leiten daraus ab, dass im Anwendungsbereich der speziellen Kündigungsbestimmungen des § 105 ArbVG die Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung nach § 879 ABGB ausgeschlossen ist (RIS Justiz RS0018163; Wolligger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 80).

3. Das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (RIS Justiz RS0037440). Nach der herrschenden, aus § 226 ZPO abgeleiteten zweigliedrigen Streitgegenstandstheorie wird der prozessuale Begriff des Streitgegenstands durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt) bestimmt (RIS Justiz RS0037522; RS0039255). Klagegrund ist das tatsächliche Vorbringen, nicht die rechtliche Beurteilung dieses Vorbringens (RIS Justiz RS0037551; RS0037447). Geht aus dem Klagevorbringen hervor, dass der Sachverhalt vom Kläger offenbar rechtlich unrichtig qualifiziert wurde, so ist dies bedeutungslos (RIS Justiz RS0058348; RS0058336). Nur dann, wenn das Klagebegehren ausdrücklich und ausschließlich auf einen bestimmten Rechtsgrund beschränkt wurde, was im Zweifel nicht anzunehmen ist, ist es dem Gericht nach der herrschenden Rechtsprechung verwehrt, dem Begehren aus anderen Gründen stattzugeben (RIS Justiz RS0037610 [T36 und T 43]).

4. Die Klägerin hat in ihrer Klage geltend gemacht, dass der eigentliche Grund der Kündigung darin gelegen sei, dass sie ihre Vorgesetzten aufgefordert habe, sie vor unberechtigten Mobbing Angriffen anderer (namentlich genannter) Mitarbeiter ihrer Abteilung zu schützen. Anstatt ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen, habe die Beklagte die Klägerin aber der Einfachheit halber gekündigt. In diesem Zusammenhang behauptete sie ausdrücklich, dass die Kündigung „aus gänzlich unsachlichen und insbesondere aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes zu missbilligenden Motiven“ erfolgt sei.

Mit diesem Vorbringen macht die Klägerin aber wovon ja auch das Berufungsgericht ausgeht inhaltlich die Sittenwidrigkeit der aus einem verpönten Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG erfolgten Kündigung geltend. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitnehmer zur Anfechtung der Kündigung berechtigt, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer wegen einer offenbar nicht unberechtigten Geltendmachung vom Arbeitgeber in Frage gestellter Ansprüche kündigt (vgl Wollinger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 126 ff). Unter „Ansprüchen“ im Sinn dieser Bestimmung sind alle Ansprüche zu verstehen, die sich unmittelbar aus der Stellung des Arbeitnehmers im aufrechten Arbeitsverhältnis ergeben. Darunter sind nicht nur finanzielle arbeitsrechtliche Ansprüche zu verstehen, sondern auch sonstige Leistungs und Unterlassungsansprüche ( Gahleitner in Cerny/Gahleitner/Preiss/Schneller , ArbVG 4 § 105 Erl 31). Auf einen solchen Anspruch beruft sich die Klägerin, wenn sie geltend macht, die Beklagte im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht (§ 18 AngG) um Abhilfe gegen Mobbing Handlungen Dritter ersucht zu haben (RIS Justiz RS0119353; vgl Naderhirn in Reissner , AngG § 18 Rz 33; Majoros , Mobbing 91) und deshalb gekündigt worden zu sein.

5. Die Klägerin hat daher ihr Klagebegehren mit Sachvorbringen begründet, das grundsätzlich sowohl Grundlage einer Anfechtung nach § 879 ABGB als auch einer Anfechtung nach § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG sein konnte und hat da auf ihr Dienstverhältnis unstrittig die Anfechtungsbestimmungen des § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG zur Anwendung kommen mit ihrer Berufung auf § 879 ABGB den von ihr vorgetragenen Sachverhalt unrichtig qualifiziert, was ihr aber im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung nicht schadet. Eine ausdrückliche und ausschließliche Beschränkung der Klage auf den Rechtsgrund des § 879 ABGB ist dem Vorbringen der Klägerin in keiner Weise zu entnehmen.

6. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist der Klage keine zweifelsfreie Zuordnung der Begehren zu den einzelnen Teilen des Klagevorbringens zu entnehmen. Gerade im Verfahren über Kündigungsanfechtungen entspricht es der Gerichtserfahrung, dass Kläger häufig aus prozessualer Vorsicht eventualiter mehrere von ihnen als in Betracht kommend gewertete Klagebegehren erheben. Im Zusammenhang mit dem gesamten dazu erstatteten Sachvorbringen der Klägerin ist daher davon auszugehen, dass die Klägerin das Klagehauptbegehren auch auf ein verpöntes Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG gestützt hat.

7. Damit erweist sich die Revision als berechtigt. Das Berufungsgericht wird neuerlich über die Berufung der Klägerin zu entscheiden haben, weil es sich ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung noch nicht mit den in der Berufung geltend gemachten Mängel und Beweisrügen auseinandergesetzt hat.

Zum Eventualbegehren, das vor einer abschließenden Entscheidung über das Hauptbegehren nicht Gegenstand des Verfahrens ist, ist derzeit noch nicht Stellung zu nehmen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf den § 52 Abs 1 ZPO,§ 58 Abs 1 ASGG.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00053.14Y.1125.000