OGH vom 28.06.2017, 9ObA39/17a

OGH vom 28.06.2017, 9ObA39/17a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller und Mag. Matthias Schachner in der Arbeitsrechtssache des Antragstellers Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus und Papier, *****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_Innen GmbH in Wien, gegen den Antragsgegner Verband Druck & Medientechnik, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 2 ASGG, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Anträge des Antragstellers,

4.1. Es wird festgestellt, dass die Statutenänderung und das daraus resultierende Erlöschen des Kollektivvertrags in rechtlicher Sicht als Kündigung zu qualifizieren ist.

4.2. Es wird festgestellt, dass der Kollektivvertrag im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin kein Kündigungsschreiben an die Antragstellerin übermittelt hat, nach wie vor nicht aufgekündigt ist,

in eventu:

4.3. Es wird festgestellt, dass der Kollektivvertrag aufgrund des Zugangs des Schreibens der Antragsgegnerin bei der Antragstellerin am für die betroffenen ArbeitnehmerInnen bis zum normativ gilt sowie

4.4. wird weiters festgestellt, dass im Hinblick auf den der Antragstellerin am zugegangenen Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit die Regelung des § 34 Abs 1 KV zum Tragen kommt, wonach bereits mit dem Ausspruch der Kündigung, das ist der , für die Regelungsbereiche 'wöchentliche Normalarbeitszeit', 'Entfall des Nachtzuschlags' sowie 'Anwendungsmöglichkeiten für Bandbreitenmodelle' das zum Stichtag gültige Kollektivvertragsrecht wieder in Kraft tritt und auch der Nachwirkung des Kollektivvertrages unterliegt.

4.5. Es wird festgestellt, dass mangels Aufkündigung des Kollektivvertrags die unter Punkt 3.4. angeführten Satzungen nach wie vor rechtswirksam sind;

in eventu:

4.6. Es wird festgestellt, dass die unter Punkt 3.4. angeführten Satzungen im Hinblick auf den Zugang des Schreibens der Antragsgegnerin bei der Antragstellerin am bis zum rechtswirksam sind, dies ab hinsichtlich der Regelungsbereiche 'wöchentliche Normalarbeitszeit', 'Entfall des Nachtzuschlags' sowie 'Anwendungsmöglichkeiten für Bandbreitenmodelle' unter Beachtung des Kollektivvertragsrechts zum Stichtag .

werden abgewiesen.

Text

Begründung:

Die Verfahrensparteien sind kollektiv-vertragsfähige, auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhende Berufsvereinigungen der Arbeitgeber (Antragsgegner) und der Arbeitnehmer (Antragsteller) iSd § 4 Abs 2 ArbVG und Kollektivvertragspartner des Kollektivvertrags Mantelverträge und Sonderbestimmungen ArbeiterInnen, technische Angestellte, kaufmännische Angestellte für das grafische Gewerbe Österreichs mit Zusatzvereinbarungen 2005, 2008, 2010 und 2012 (idF: Kollektivvertrag). Dieser wurde auch mehrfach gesatzt. § 34 Z 1 des Kollektivvertrags enthält ua die für bestimmte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geltende Bestimmung:

„Bei einer Kündigung durch den Arbeitgeberverband tritt bereits mit dem Ausspruch der Kündigung für die Regelungsbereiche 'wöchentliche Normalarbeitszeit', 'Entfall des Nachtzuschlags' sowie 'Anwendungsmöglichkeiten für Bandbreitenmodelle' das zum Stichtag gültige Kollektivvertragsrecht wieder in Kraft und unterliegt auch der Nachwirkung des Kollektivvertrags.“

Nach den vom Antragsteller vorgelegten Statuten des Antragsgegners in der am in Geltung gestandenen Fassung (Beilage ./B) war Zweck des Antragsgegners ua:

„Ordnung und Festigung der Beziehungen zwischen Dienstgebern und Dienstnehmern in den grafischen Gewerben (…), insbesondere durch Abschluss von Kollektivverträgen sowie durch Mitwirkung bei der Einhaltung und Durchführung durch Inschutznahme der Mitglieder bei allfälligen Streitigkeiten mit den Dienstnehmern über Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie durch Abschluss von Verträgen und Vereinbarungen, welche sich auf Kollektivvertrag, Kollektivvertragsgemeinschaft und Arbeitsbedingungen beziehen.“

Unstrittig beschloss der Antragsgegner am eine Änderung seiner Statuten durch Streichung dieser Bestimmung und beantragte am beim Bundeseinigungsamt die Aberkennung seiner Kollektivvertragsfähigkeit.

Unstrittig ist weiter, dass mehr als drei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von den aus dem Spruch ersichtlichen Anträgen des Antragstellers betroffen sind.

Der Antragsteller brachte in seinem gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag vor, die Statutenänderung des Antragsgegners und der Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit seien ausschließlich zur Umgehung der Regelung des § 34 des Kollektivvertrags, sohin rechtsmissbräuchlich erfolgt. Der „inszenierte Wegfall“ der Kollektivvertragsfähigkeit sei in eine Kündigung umzudeuten, die unter Berücksichtigung der Statutenänderung am und einer sechsmonatigen Kündigungsfrist frühestens am normative Wirksamkeit entfalte und zum Wiederaufleben der zum in Geltung gestandenen Normen für die in § 34 des Kollektivvertrags genannten Regelungsbereiche führe. Bezüglich des Zugangs der Kündigung brachte der Antragsteller vor, der Antragsgegner habe ihm den Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit nie zugestellt, weswegen eine Kündigung grundsätzlich nicht erfolgt sei. Allerdings werde aus Gründen der Vorsicht davon ausgegangen, dass die Kündigung mit dem ihm am zugegangenen Schreiben des Bundeseinigungsamts, mit dem er über die Antragstellung des Antragsgegners informiert worden sei, erklärt worden sei. Demnach sei von der Normwirkung des Kollektivvertrags bis zum auszugehen.

Der Antragsgegner bestritt, beantragte die Zurück-, in eventu Abweisung des Antrags und wandte die fehlende Antragslegitimation des Antragstellers ein, weil die Feststellungsbegehren keine Rechtsfrage iSd § 54 Abs 2 iVm § 50 ASGG beträfen. Die Antragstellung beim Bundeseinigungsamt sei auch nicht rechtsmissbräuchlich erfolgt, weil sich trotz Bemühungen in den vergangenen Jahren die Kollektivvertragsverhandlungen als nicht zukunftsorientiert erwiesen hätten und der Antragsgegner diese Aufgabe nicht mehr wahrnehmen möchte. Ihm eine Statutenänderung zu verbieten wäre eine Verkennung des Grundsatzes der Privatautonomie hinsichtlich der verbandsinternen Gestaltung der Statuten und eine Verletzung der grundrechtlich geschützten Koalitionsfreiheit. Rechtsmissbrauch könne auch nicht zur begehrten Rechtsfolge einer Umdeutung in eine Kündigung, sondern allenfalls zur Nichtigkeit der Statutenänderung führen. Auch bei Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit greife die Nachwirkung des Kollektivvertrags, weil § 13 ArbVG bei jeglichem Erlöschen des Kollektivvertrags greife. Der Kündigung eines Kollektivvertrags (§ 17 ArbVG) käme auch kein Vorrang vor der Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit zu. § 34 des Kollektivvertrags erfasse ausschließlich eine Kündigung. Selbst bei Annahme eines Rechtsmissbrauchs könne der – nicht rechtswirksame – Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit nicht in eine Kündigung umgedeutet werden. Der Antrag wäre vom Bundeseinigungsamt auch nicht der Antragstellerin zuzustellen gewesen, weil sie im Verfahren über die Zu- und Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit von freiwilligen Berufsvereinigungen keine Parteirechte habe. Auch deshalb sei es eigentlich denkunmöglich, dass der Antragsgegner eine Kündigung hätte beabsichtigen können.

Rechtliche Beurteilung

Folgendes war zu erwägen:

1.1. Gemäß § 54 Abs 2 erster Satz ASGG können kollektivvertragsfähige Körperschaften der Arbeitgeber bzw der Arbeitnehmer im Rahmen ihres Wirkungsbereichs gegen eine kollektivvertragsfähige Körperschaft der Arbeitnehmer bzw der Arbeitgeber beim Obersten Gerichtshof einen Antrag auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens von Rechten oder Rechtsverhältnissen anbringen, die einen von namentlich bestimmten Personen unabhängigen Sachverhalt betreffen. Der Feststellungsantrag muss eine Rechtsfrage des materiellen Rechts auf dem Gebiet der Arbeitsrechtssachen nach § 50 ASGG zum Gegenstand haben, die für mindestens drei Arbeitgeber oder Arbeitnehmer von Bedeutung ist (§ 54 Abs 2 zweiter Satz ASGG).

Voranzustellen ist, dass der Einwand der fehlenden Antragslegitimation des Antragstellers unzutreffend ist: Gegenstand der Anträge ist im Wesentlichen die Frage, ob die Arbeitsverhältnisse bestimmter Arbeitnehmer iSd § 34 Z 1 des Kollektivvertrags unter Beachtung der kollektivvertraglichen Regelungen zum Stichtag zu beurteilen sind. Damit haben die Anträge ein Rechtsverhältnis zum Gegenstand, das iSd § 50 Abs 1 ASGG eine Arbeitsrechtssache ist. Dass für diese Entscheidung die beantragte Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit des Antragsgegners maßgebend ist, vermag daran nichts zu ändern.

1.2. Der Antrag muss einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet; prozessökonomischer Zweck der Feststellungsklage ist es, die Rechtslage dort zu klären, wo ein von der Rechtsordnung anerkanntes Bedürfnis zur Klärung streitiger Rechtsbeziehungen besteht, sei es um weitere Streitigkeiten zu vermeiden, sei es um eine brauchbare Grundlage für weitere Entscheidungen zu schaffen (RIS-Justiz RS0037422). Begründet der dem Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG notwendig zugrunde liegende Sachverhalt kein Feststellungsinteresse, dann ist der Antrag abzuweisen (RIS-Justiz RS0085712 [T1]). Dabei sind die zu Feststellungsbegehren iSd § 228 ZPO entwickelten Grundsätze auch auf Anträge nach § 54 Abs 2 ASGG anzuwenden (s RIS-Justiz RS0037479), sodass etwa Feststellungsbegehren, wie ein Tatbestand rechtlich zu qualifizieren ist, unzulässig sind (RIS-Justiz RS0038902).

1.3. Aus diesen Grundsätzen folgt auch, dass das Recht oder Rechtsverhältnis zur Zeit der Klageerhebung oder wenigstens im Entscheidungszeitpunkt bereits bestehen muss, wenn es auch augenblicklich etwa deshalb nicht wirksam ist, weil die daraus sich ergebenden Folgen an Bedingungen oder an eine Frist gebunden sind; Gegenstand der Klage kann demnach nicht ein erst künftig entstehendes Rechtsverhältnis oder ein etwa künftig entstehender Anspruch sein. Namentlich ist die Feststellungsklage nicht gegeben, um rein theoretisch alle denkbaren Möglichkeiten einer künftigen Rechtsverletzung auszuschließen. Die Feststellungsklage ist daher abzuweisen, wenn die zur Begründung eines Rechtsverhältnisses erforderliche Tatsache noch nicht eingetreten ist, ebenso vor Eintritt der Voraussetzungen, an die das Gesetz das Entstehen eines Anspruchs knüpft (RIS-Justiz RS0039178; s auch RS0039071 [T4]). Dies gilt auch für Anträge nach § 54 Abs 2 ASGG.

2.1. Ein derartiges Feststellungsinteresse ist hier nicht zu erkennen:

Punkt 4.1. des Antrags des Antragstellers, es werde festgestellt, dass die Statutenänderung und das daraus resultierende Erlöschen des Kollektivvertrags in rechtlicher Sicht als Kündigung zu qualifizieren sei, erfüllt die genannten Voraussetzungen schon deshalb nicht, weil der Antrag insoweit kein Recht oder Rechtsverhältnis zum Inhalt hat, sondern nur einen Tatbestand rechtlich qualifiziert wissen will. Das ist, wie dargelegt, unzulässig. Einer Umdeutung dieses Begehrens in eine Feststellung dahin, dass für die betroffenen Arbeitnehmer nunmehr § 34 Abs 1 KV folgend die begehrten Regelungen gelten, steht entgegen, dass eine solche Feststellung gesondert (Punkt 4.4.) beantragt wurde.

2.2. Der unter Punkt 4.2. begehrten Feststellung, dass der Kollektivvertrag im Hinblick darauf, dass der Antragsgegner kein Kündigungsschreiben an den Antragsteller übermittelt hat, nach wie vor nicht aufgekündigt ist, liegt kein Feststellungsinteresse zugrunde, ist doch zwischen den Streitteilen nicht weiter strittig, dass der Antragsgegner den Kollektivvertrag nicht formal aufgekündigt hat.

2.3. Dies trifft in gleicher Weise auf die unter Punkt 4.5. beantragte Feststellung zu, dass mangels Aufkündigung des Kollektivvertrags die Satzungen nach wie vor rechtswirksam seien.

2.4. Mit Punkt 4.3. beantragt der Antragsteller die Feststellung, dass der Kollektivvertrag aufgrund des Zugangs des Schreibens des Antragsgegners beim Antragsteller bis zum normativ gelte. Die normative Geltung des Kollektivvertrags bis zu diesem Zeitpunkt (und allenfalls darüber hinaus) kann zwischen den Parteien jedoch nicht strittig sein, weil der Kollektivvertrag nach dem Vorbringen des Antragstellers derzeit weder durch Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit des Antragsgegners noch infolge Ablauf einer Kündigungsfrist erloschen ist.

2.5. Mit Punkt 4.4. begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass im Hinblick auf den ihm zugegangenen Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit die Regelung des § 34 Abs 1 KV zum Tragen komme. Ein Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit als solcher ist jedoch nicht geeignet, zum Wegfall des Kollektivvertrags zu führen:

Die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit an freiwillige Interessenvertretungen iSd § 4 Abs 2 ArbVG erfolgt durch rechtsgestaltenden Bescheid des Bundeseinigungsamts (9 ObA 43/05x; 9 ObA 114/06i). Dasselbe gilt für den die Kollektivvertragsfähigkeit aberkennenden Bescheid (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 5 Rz 13; s auch Reissner in ZellKomm2§ 5 ArbVG Rz 12). Erst dem rechtskräftigen Bescheid, nicht aber schon dem Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit könnte damit eine einer Kündigung vergleichbare Wirkung zukommen (es sei nur an den Fall gedacht, dass der Antrag zurück- oder – mit der Annahme des Antragstellers etwa wegen Rechtsmissbrauch – abgewiesen wird, womit auch kein Raum für eine Umdeutung in eine Kündigung bliebe).

Danach ist hier auch nicht zu beantworten, ob § 34 Z 1 des Kollektivvertrags nicht nur den Fall einer Kündigung, sondern auch jenen einer rechtskräftigen Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit betreffen sollte.

2.6. Diese Erwägungen gelten auch für die vom Antragsteller eventualiter begehrte Feststellung (Punkt 4.6.), dass die auf dem Kollektivvertrag fußenden Satzungen bis zum fiktiven Kündigungstermin des Kollektivvertrags unter Beachtung des Kollektivvertragsrechts zum rechtswirksam seien. Dass die Satzung mit dem Außerkrafttreten des Kollektivvertrags erlischt (Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch, ArbVG § 18 Rz 13; vgl auch Reissner in ZellKomm2§ 18 ArbVG Rz 12), ändert nichts daran, dass dem bloßen Antrag auf Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit keine kündigungsgleiche Rechtswirkung zukommt. Damit fehlt es dem Antragsteller auch in diesem Punkt am Interesse an der alsbaldigen Feststellung, weil der Kollektivvertrag unbestritten derzeit und auch jedenfalls bis zum Ablauf der vom Antragsteller fiktiv behaupteten Kündigungsfrist weiter normativ gilt.

3. Die Anträge sind daher insgesamt mangels eines Feststellungsinteresses des Antragstellers abzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00039.17A.0628.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,11 Arbeitsrechtssachen

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