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OGH vom 25.10.2017, 8Ob36/17b

OGH vom 25.10.2017, 8Ob36/17b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Dr. Brenn, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Markus Heis, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ing. W*****, vertreten durch Mag. Hubertus P. Weben, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 5.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 287/16h-21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom , GZ 31 C 26/14h-17, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Nutzung eines auf der Liegenschaft des Klägers befindlichen, an das Grundstück des Beklagten angrenzenden, Wiesenstreifens zu unterlassen. Er beruft sich darauf, seine Liegenschaft lastenfrei erworben zu haben. Der Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt weder ein vertragliches noch ein ersessenes Recht zur Nutzung gehabt. Darüber hinaus wäre ein solches Recht auch nicht nach § 1500 ABGB offenkundig gewesen. Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Auch die Revision vermag keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

1. Die Auslegung einer Vertragsurkunde allein nach deren Text gehört zur rechtlichen Beurteilung und kann vom Revisionsgericht unter diesem Gesichtspunkt geprüft werden. Dies ist aber dann nicht möglich, wenn die Vorinstanzen eine bestimmte Parteienabsicht festgestellt haben. Die Erforschung der Parteienabsicht ist als Tatfrage eine Frage der Beweiswürdigung, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen ist (vgl RISJustiz RS0017849).

Die Vorinstanzen haben die Auslegung der zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien getroffenen Vereinbarungen nicht allein nach dem Urkundeninhalt vorgenommen, sondern auch den dahinter liegenden Parteiwillen, den sie aus den Aussagen der vernommenen Zeugen abgeleitet haben, festgestellt und beurteilt. Soweit die Revision nicht von diesen Feststellungen ausgeht, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt.

2. Ein aus der Ersitzung oder Verjährung erworbenes Recht kann demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Dem gutgläubigen Erwerber kann somit der außerbücherliche Erwerb einer Dienstbarkeit nicht erfolgreich entgegengehalten werden. Der gute Glaube des Erwerbers muss sowohl im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als auch im Zeitpunkt des Ansuchens um Einverleibung gegeben sein (RIS-Justiz RS0012151 [T3]). Der Grundsatz des Vertrauens auf das öffentliche Buch gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Berufung auf die Gutgläubigkeit ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen. Daher ist Gutgläubigkeit bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit zu verneinen.

3. Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RISJustiz RS0011633). Es dürfen keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen (RISJustiz RS0011676). Dies gilt nicht nur für – regelmäßig durch Ersitzung – bereits endgültig erworbene dingliche Rechte, sondern auch für vertraglich eingeräumte Dienstbarkeiten (RIS-Justiz RS0011631), sofern diese nach dem Vertragswillen der Partner des Bestellungsvertrags dinglich wirken sollen. Ein solcher Vertragswille ist insbesondere dann anzunehmen, wenn für beide Vertragsparteien klar ist, dass der Berechtigte sein Recht über längere Zeit und unabhängig vom jeweiligen Eigentümer des dienenden Grundstücks ausüben will (vgl RIS-Justiz RS0011650 [T15).

4. Soweit sich aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstandes ergeben, müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Solche sind vom Ersteher nur bei Vorliegen besonderer, nach den Umständen des Einzelfalls bezüglich ihrer Eignung, Zweifel in dieser Hinsicht zu hegen, zu beurteilender Umstände zu verlangen (RISJustiz RS0034870).

Der Umfang der Sorgfaltspflicht bestimmt sich nach der Verkehrsübung. Es genügt leichte Fahrlässigkeit (RISJustiz RS0011676 [T9, T 17]). In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit. Ist dem außerbücherlich Berechtigten allerdings der Nachweis einer unklaren Situation, die einen Anlass für Nachforschungen darstellt, gelungen, so trifft die Beweislast für die Durchführung der Recherchen und ihr Ergebnis den, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand erworben haben will.

5. Nach den Feststellungen sollte das zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien vereinbarte und als „Fruchtgenuss“ bezeichnete Recht dem jeweiligen Eigentümer des (beklagten) Hofs zustehen und zu einer Nutzung des Wiesenstreifens berechtigten. Daraus kann aber abgeleitet werden, dass von den Parteien unabhängig von der Bezeichnung eine dinglich wirkende Dienstbarkeit vereinbart werden sollte, die mit dem Übergabsvertrag vom Vater des Beklagten auf ihn überging und bei Offenkundigkeit auch einen Erwerber der dienenden Liegenschaft bindet.

Aber auch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass selbst wenn man nicht von einer vertraglichen Berechtigung des Beklagten ausgeht, eine Ersitzung zu bejahen wäre, ist vertretbar. Wer sich auf die Ersitzung beruft, hat dabei neben einer Besitzausübung die nach Inhalt und Umfang dem zu erwerbenden Recht entspricht, nur noch die Vollendung der Ersitzungszeit zu beweisen, wobei es genügt, wenn der Bestand des Rechtsbesitzes am Beginn und Ende der Ersitzungszeit feststeht (RIS-Justiz RS0034251).

Nach § 1493 ABGB ist derjenige, der eine Sache von einem rechtmäßigen und redlichen Besitzer redlich übernimmt, als Nachfolger berechtigt, die Ersitzungszeit seines Rechtsvorgängers miteinzurechnen. Dies gilt auch bei der Ersitzung von Grunddienstbarkeiten. Entgegen der Ansicht in der Revision hindert allein der Umstand, dass der Großvater und der Vater des Beklagten vertraglich zur Nutzung berechtigt waren, nicht die Ersitzung durch diesen und damit auch nicht die Anrechnung dieser Zeiten (seit 1951 bzw 1959) zugunsten des Beklagten. Der Grundsatz, dass Sachen – oder Rechte an Sachen –, an denen den Berechtigten die Gewahrsame rechtsgeschäftlich überlassen wurde, nicht ersessen werden können, weil es an der erforderlichen Redlichkeit des Besitzes fehlt (RIS-Justiz RS0034095), gilt nicht uneingeschränkt. Die Redlichkeit fehlt regelmäßig nur dann, wenn dem Nutzer – wie das häufig der Fall ist – der Umstand der bloß obligatorischen Gebrauchsüberlassung bekannt ist oder bei ausreichender Sorgfalt bekannt sein muss. Andererseits hat die (uneigentliche) Ersitzung gerade in jenen Fällen Bedeutung, in denen der Ersitzende zwar eine frühere vertragliche (dinglich gemeinte) Rechtseinräumung annimmt, diese aber nicht ausreichend nachweisbar ist oder wenn ein Recht trotz ausreichenden Titels nicht verbüchert wurde (1 Ob 129/16a mwN). Von letzterem ist im vorliegenden Fall auszugehen.

6. Ob eine nicht verbücherte Dienstbarkeit als offenkundig anzusehen ist und ob eine Erkundungspflicht besteht, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0107329; RS0034803 [T16]). Für den Kläger war bei Abschluss des Kaufvertrags entweder die Bewirtschaftung durch den Beklagten oder die Lagerung von Baumaterialien auf der gesamten, eine topographische Einheit bildenden Wiese (also sowohl dem im Eigentum des Beklagten als auch nunmehr des Klägers befindlichen Teil) und damit eine einheitliche Nutzung der Wiese erkennbar. Gegen die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass aufgrund dieser Umstände eine Nachforschungspflicht bestanden hätte, bestehen keine Bedenken.

Die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit, die zum Verlust des guten Glaubens führen kann, wird auch durch Umstände begründet, die nicht unmittelbar wegen der Besonderheiten des dienenden Grundstücks selbst, sondern angesichts „sonstiger Vorgänge“ Bedenken erregen, die dem Erwerber der Liegenschaft gleichfalls zumutbare Nachforschungen nach Dienstbarkeiten etwa eines Nachbarn gebieten (RIS-Justiz RS0107843). Vor dem Hintergrund der zuvor dargestellten örtlichen Situation (eine durchgehende Wiesenfläche ohne Unterbrechung, Abstufung oder Abtrennungsmerkmalen mit erkennbar einheitlicher Bewirtschaftung), ist die Ansicht des Berufungsgerichts, dass hier auch die Lagerung von Baumaterialien Nachforschungspflichten und damit letztlich die Offenkundigkeit einer landwirtschaftlichen Servitut begründet haben, jedenfalls vertretbar. Eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage stellt sich auch in diesem Zusammenhang nicht.

7. Die Revision ist daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00036.17B.1025.000

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