OGH vom 29.05.2012, 9ObA39/11t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon. Prof Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Michael Kutis und Ing. Thomas Bauer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** H*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei U***** GmbH, *****, wegen 1.775,59 EUR brutto sA (Revisionsinteresse 440,83 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 11/11a 20, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cga 18/10m 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie als Endurteil insgesamt zu lauten haben:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 785,23 EUR samt 8,38 % Zinsen seit zu zahlen und die mit 1.022,33 EUR (darin 150,89 EUR USt und 124,20 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und die mit 188,01 EUR (darin 31,33 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 222,91 EUR (darin 37,15 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten von Anfang Oktober 2009 bis als Maurer beschäftigt. Die Auszahlung des Entgelts sollte 14 tägig erfolgen. Der Kläger war während der Dauer seines Arbeitsverhältnisses zusammen mit einem Vorarbeiter und zwei weiteren Arbeitern der Beklagten auf einer Baustelle tätig, für die die Beklagte einen Subauftrag übernommen hatte. Die konkreten Arbeitsaufträge erhielt der Kläger von einem Polier, der nicht bei der Beklagten, sondern bei einem anderen Unternehmen beschäftigt war. Die Stundenaufzeichnungen der Arbeiter der Beklagten, einschließlich des Klägers, führte der Vorarbeiter; unterfertigt wurden sie vom Polier. Dies war mit dem Prokuristen der Beklagten so vereinbart worden. Der Oktoberlohn des Klägers wurde vom Prokuristen auf der Baustelle in bar ausbezahlt. Im November 2009 arbeitete der Kläger in den Kalenderwochen 45 bis 47 insgesamt 102 Stunden für die Beklagte. Für diese Arbeiten wurde ihm kein Lohn mehr gezahlt. Der Kläger sagte daraufhin sowohl zum Polier als auch zum Vorarbeiter, dass er nicht mehr weiter arbeiten würde, wenn der ausständige Lohn nicht gezahlt werde. Ab dem blieb der Kläger schließlich zuhause. Am meldete die Beklagte den Kläger per bei der Gebietskrankenkasse ab. Als Grund der Abmeldung wurde ein unberechtigter vorzeitiger Austritt des Klägers angegeben.
Der Kläger begehrt mit der vorliegenden Klage den Betrag von 1.775,59 EUR brutto sA (Entgelt für November 2009 und Taggelder). An den fünf Arbeitstagen im Zeitraum 19. bis , an denen er nicht gearbeitet habe, habe er vom Zurückbehaltungsrecht bezüglich seiner Arbeitsleistung Gebrauch gemacht, weil ihm von der Beklagten das fällige Entgelt für die bis dahin im November 2009 erbrachten Leistungen vorenthalten worden sei.
Die Beklagte anerkannte im Prozess einen Teilbetrag von 990,36 EUR brutto, bestritt im Übrigen das Klagebegehren und wendete ein, dass die Leistungsnachweise des Klägers bisher nicht erbracht worden seien. Die Arbeitsbestätigungen seien nicht vom Zuständigen im Unternehmen der Beklagten, dem Auftraggeber oder dem Prokuristen, unterfertigt worden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger lediglich 20 Stunden erbracht habe.
Über Antrag des Klägers erließ das Erstgericht ein Teilanerkenntnisurteil, worin die Beklagte schuldig erkannt wurde, dem Kläger den Betrag von 990,36 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen seit zu zahlen.
Mit Endurteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte, dem Kläger einen weiteren Betrag von 344,40 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen seit zu zahlen und anteilige Prozesskosten zu ersetzen. Das Mehrbegehren des Klägers von 440,83 EUR sA wies das Erstgericht ab. Unter Zugrundelegung der vorstehend wiedergegebenen Tatsachenfeststellungen ging das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass der Kläger im November 2009 insgesamt 102 Stunden gearbeitet habe. Da das Teilanerkenntnis der Beklagten nur 72 Stunden umfasst habe, sei für die restlichen 30 Stunden ein weiterer Betrag von 344,40 EUR brutto sA zuzusprechen gewesen. Der Kläger sei zwar mangels Lohnzahlung zur Zurückbehaltung seiner Arbeitsleistung berechtigt gewesen. Für die Zeit der Zurückbehaltung gebühre ihm allerdings kein Entgelt, weil insofern kein gesetzlicher oder kollektivvertraglicher Tatbestand der Entgeltfortzahlung vorgelegen sei.
Das Berufungsgericht gab der gegen den klageabweisenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung des Klägers nicht Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei. Unterlasse der Arbeitnehmer die Erbringung von Arbeitsleistungen, ohne dass ein Fall vorliege, für den die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Weiterleistung der Entlohnung statuiert sei, so gebühre kein Entgelt. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorliegen.
Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, erkennbar wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn der vollständigen Klagestattgebung abzuändern.
Die Beklagte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig und berechtigt.
Der Kläger war bei der Beklagten in der Zeit von Anfang Oktober 2009 bis als Maurer beschäftigt. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wurde am über das Vermögen der Beklagten der Konkurs eröffnet und in der Zwischenzeit am wieder aufgehoben. Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , *****, wurde die Firma der Beklagten gemäß § 40 FBG (Vermögenslosigkeit) von Amts wegen gelöscht (Firmenbuch, Landesgericht Wiener Neustadt, *****). Der Kläger machte von der ihm mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , 9 ObA 39/11t, eingeräumten Möglichkeit, von der Verfahrensfortsetzung abzustehen, keinen Gebrauch. Sein Fortsetzungswille ist damit zu unterstellen.
Nach den bindenden Feststellungen des Erstgerichts blieb die Beklagte dem Kläger, der im November 2009 insgesamt 102 Stunden für die Beklagte gearbeitet hatte, den Lohn schuldig. Der Kläger hielt daraufhin an fünf Arbeitstagen in der Zeit vom 19. bis seine Arbeitsleistung zurück.
Im Revisionsverfahren ist nur die Frage strittig, ob dem Kläger auch für die Zeit der Zurückbehaltung der Arbeitsleistung das auf diese Zeit entfallende Entgelt in der Höhe von 440,83 EUR brutto sA gebührt. Zufolge Verzugs der Beklagten mit den vorhergehenden Lohnzahlungen bejahten die Vorinstanzen übereinstimmend zunächst das Recht des Klägers, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten. Dies entspricht der herrschenden Lehre und Rechtsprechung, wonach der Arbeitnehmer berechtigt ist, seine Arbeitsleistung solange zurückzuhalten, bis der Arbeitgeber einen bereits fällig gewordenen Lohnrückstand bezahlt hat ( Jabornegg , Kein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers?, in FS Schwarz 89; Krejci in Rummel , ABGB³ § 1154 Rz 53; Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.00 § 1153 Rz 12; 9 ObA 6/94 = SZ 67/53; 8 ObA 68/99d; RIS Justiz RS0020176 ua).
Richtig ist auch der weitere Hinweis der Vorinstanzen, dass für Zeiten, während deren der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung unterlässt, ohne dass ein Grund vorliegt, der nach dem Gesetz oder Kollektivertrag einen Anspruch auf Weiterleistung der Bezüge begründet, kein Entgeltanspruch besteht (9 ObA 19/90; 9 ObA 53/05t; RIS Justiz RS0027896 ua). Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen liegt hier aber ein gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestand zugunsten des Klägers vor. Nach § 1155 Abs 1 ABGB gebührt dem Arbeitnehmer nämlich auch für Dienstleistungen, die nicht zustandegekommen sind, das Entgelt, wenn er zur Leistung bereit war und durch Umstände, die auf Seite des Arbeitgebers liegen, daran verhindert worden ist; er muss sich jedoch anrechnen lassen, was er infolge Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt hat.
Die Anwendung des § 1155 ABGB auf den Fall der Zurückbehaltung der Arbeitsleistung mag auf den ersten Blick Probleme bereiten, denn die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts scheint in einem Spannungsverhältnis zur erforderlichen Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers zu stehen (arg „zur Leistung bereit war“). Die Verneinung der von § 1155 Abs 1 ABGB geforderten Leistungsbereitschaft bei zulässiger Ausübung des Zurückbehaltungsrechts würde aber den Wert des Zurückbehaltungsrechts des Arbeitnehmers bei Lohnverzug seines Arbeitgebers empfindlich beschränken. Die Formulierung „zur Leistung bereit war“ in § 1155 Abs 1 ABGB stellt daher offensichtlich nur auf die grundsätzliche Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers ab, wenn und solange der Arbeitgeber seine Lohnzahlungspflicht erfüllt. In diesem Sinn ist daher § 1155 ABGB teleologisch einschränkend auszulegen (vgl Jabornegg , Kein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers?, in FS Schwarz 89 [100]). Hält somit der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu Recht zurück, weil ihm fälliges Entgelt vorenthalten wird, dann steht ihm für die Zeit der Zurückbehaltung der Arbeitsleistung trotzdem Entgelt zu, weil die Arbeit aus Umständen unterbleibt, die auf Seite des Arbeitgebers liegen (vgl Jabornegg , Kein Zurückbehaltungsrecht des Arbeitnehmers?, in FS Schwarz 89 [100 ff]; Preiss in ZellKomm² § 1154 ABGB Rz 67; Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer , ABGB ON 1.00 § 1153 Rz 12; Vogt in Mazal/Risak , Arbeitsrecht, Kap XII Rz 167 iVm 172 ua).
Der Kläger hat daher im vorliegenden Fall Anspruch auch auf das Entgelt für die Zeit der Zurückbehaltung. Dass sich der Kläger für diese Zeit etwas anrechnen lassen müsse, was er sich erspart oder durch anderweitige Verwendung erworben oder zu erwerben absichtlich versäumt habe (§ 1155 ABGB), wurde von der Beklagten nicht eingewendet.
Der Revision des Klägers ist daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.