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OGH vom 30.09.2013, 17Os23/13f

OGH vom 30.09.2013, 17Os23/13f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Vasak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Boris H***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 73 Hv 27/13v 23, sowie seine Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung von Probezeiten in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im Schuldspruch, demgemäß auch im Strafausspruch und im Kostenausspruch, weiters im Einziehungserkenntnis sowie der Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung von Probezeiten aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache abgesehen vom Einziehungserkenntnis zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Zu der Entscheidung über die Einziehung der sichergestellten Stahlrute wird die Sache an das Bezirksgericht D***** verwiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Boris H***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am in Wien den Gerichtsvollzieher des Bezirksgerichts D*****, Michael P*****, durch die Frage, ob dieser von der Zustellung eines Zahlungsbefehls Abstand nehme, wenn er ihm 100 Euro zahle, dazu zu bestimmen versucht, seine Befugnis, im Namen des (richtig) Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte nämlich Zustellungen vorzunehmen, „wissentlich“ zu missbrauchen und dadurch „den Staat an seinem Recht auf Zustellung amtlicher Schriftstücke zu schädigen“.

Vom weiteren Vorwurf, er habe am unbefugt eine (gemäß § 17 Abs 1 Z 6 WaffG) verbotene Waffe, nämlich eine Stahlrute, besessen, wurde der Angeklagte gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die sichergestellte Stahlrute wurde „gemäß § 26 Abs 1 iVm Abs 3 StGB“ eingezogen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Schuldspruch nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Beim Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt handelt es sich um ein Sonderdelikt, dessen Unrecht im Sinn des § 14 Abs 1 zweiter Satz StGB davon abhängt, dass der Beamte als Träger der „besonderen persönlichen Eigenschaften“ (Intraneus) in bestimmter Weise nämlich durch vorsätzlichen Fehlgebrauch der Befugnis an der Tat mitwirkt. Gerade auch darauf (den zumindest bedingten Vorsatz des unmittelbaren Täters) muss sich das Wissen eines an der strafbaren Handlung (als Bestimmungstäter) beteiligten Extraneus beziehen (RIS Justiz RS0108964; 14 Os 128/00). Dies hat das Erstgericht mit den Formulierungen, der Beschwerdeführer „wollte“ Michael P***** dazu bestimmen, seine Befugnis „wissentlich“ zu missbrauchen und der „Angeklagte wusste, dass Michael P***** durch die vom Angeklagten geforderte Unterlassung der Zustellung seine Befugnis missbrauchen würde“ (US 5 f), nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht.

Zudem muss sich der Schädigungsvorsatz auf ein konkretes Recht beziehen; dies gilt insbesondere auch für Rechte des Staates. Dessen Anspruch auf korrekte und saubere Verwaltung oder auf pflichtgemäße Berufsausübung durch den Beamten genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht (RIS Justiz RS0096270, RS0096261). Das vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staats darf nicht allein jenes sein, das den Beamten verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen (17 Os 19/12s, EvBl 2013/63, 423). Beim vom Erstgericht als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes konstatierten Recht des Staates „auf Zustellung amtlicher Schriftstücke“ und „auf ordnungsgemäße Verrichtung der Amtsgeschäfte“ (US 5 f) handelt es sich genau um einen derartigen, bloß abstrakten Anspruch gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufsausübung. Andere vom Schädigungsvorsatz erfasste Rechte, etwa jenes der Prozessgegnerin des Beschwerdeführers, ihre vermögensrechtlichen Ansprüche in einem Zivilverfahren (das durch das angestrebte Unterbleiben der Zustellung unterlaufen worden wäre) durchzusetzen, hat das Erstgericht nicht festgestellt.

Auch die Einziehung der Stahlrute ist mit Nichtigkeit (Z 9 lit a [ Ratz , WK-StPO § 281 Rz 556 und 674; ders in WK 2 StGB Vor §§ 21-25 Rz 8 und § 26 Rz 18; Fuchs/Tipold , WK StPO § 443 Rz 58 ff]) behaftet: Einziehung nach § 26 StGB setzt nämlich auch im hier gegebenen Fall eines Freispruchs vom korrespondierenden Anklagevorwurf (vgl § 26 Abs 3 StGB) eine Anlasstat, also die (allenfalls auch bloß fahrlässige) Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung voraus. Eine solche liegt (nur) dann vor, wenn der Tatbestand in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt ist. Schuldausschließungsgründe, persönliche Straf-ausschließungsgründe, Rücktritt vom Versuch und Verjährung hindern die Einziehung nicht (zum Ganzen Ratz in WK 2 StGB § 21 Rz 14 sowie § 26 Rz 9 ff und [zum Besitz als strafgesetzwidrige Verwendung im Sinn des § 26 Abs 1 StGB] Rz 4). Vorliegend hat das Erstgericht vom Vorwurf des wenn auch fahrlässigen (vgl § 50 Abs 1 WaffG) Besitzes einer verbotenen Waffe freigesprochen. Begründend ging es (soweit noch deutlich genug erkennbar) hinsichtlich der vorsätzlichen Begehungsvariante der Sache nach von einem (vorsatzausschließenden) Tatbildirrtum (zum Begriff und dessen Abgrenzung vom Rechtsirrtum des § 9 StGB RIS Justiz RS0088950; Fuchs , AT I 8 14/45; Reindl-Krauskopf in WK 2 StGB § 5 Rz 12 bis 15 und 50) aus, weil der Beschwerdeführer nicht „wusste“, dass „es sich bei dem Gegenstand um eine verbotene Waffe handelte“ (US 6 und 10). Feststellungen zu einer gleichwohl möglichen fahrlässigen Begehung haben die Tatrichter nicht getroffen, weil sie in Bezug auf diese Variante einen nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum (§ 9 StGB) angenommen haben (US 11; zur in diesem Umfang relevanten „Kombination“ von Irrtümern Fuchs , AT I 8 14/47, 23/23 und 26/1; Kienapfel/Höpfel/Kert AT 14 Z 12 Rz 23 und Z 19 Rz 16; vgl auch Höpfel in WK 2 StGB § 9 Rz 9). Solcherart haben sie (im Ergebnis) einen Schuldausschließungsgrund bejaht, welcher der Einziehung zwar nicht entgegensteht, zur von dieser vorausgesetzten (fahrlässigen Begehung der) mit Strafe bedrohten Handlung aber keine (ausreichenden) Feststellungen getroffen.

Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordern eine Aufhebung des Schuldspruchs, demgemäß auch des Strafausspruchs und des Kostenausspruchs sowie des Einziehungserkenntnisses samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO). Der vom Strafausspruch abhängige Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung von Probezeiten konnte demnach ebenfalls keinen Bestand haben (RIS Justiz RS0101886).

Mit seinen Rechtsmitteln war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Entscheidung über die im Hinblick auf den rechtskräftigen Freispruch wegen des nach dem WaffG erhobenen Vorwurfs nur mehr im selbständigen Verfahren mögliche Einziehung der Stahlrute kommt dem sachlich und örtlich zuständigen Bezirksgericht D***** zu (US 4 und 6; § 445 Abs 3 StPO; vgl auch § 445a StPO; Fuchs/Tipold , WK StPO § 443 Rz 98 ff).