OGH vom 29.12.2011, 14Os167/11g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Moses M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG, AZ 316 HR 200/11y (nunmehr AZ 163 Hv 135/11k) des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Moses M***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 21 Bs 383/11v (ON 128), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Moses M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Beschluss setzte das Oberlandesgericht Wien die vom Landesgericht für Strafsachen Wien am über Moses M***** verhängte (ON 33) und mehrmals (zuletzt am mit Wirksamkeit bis zum ) fortgesetzte (ON 53, 91 und 124) Untersuchungshaft wegen dringenden Verdachts eines vom Beschwerdegericht als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 3 SMG beurteilten Verhaltens (Verkauf einer die Grenzmenge des § 28b SMG um mehr als das Fünfzehnfache übersteigenden Suchtgiftmenge [etwa 500 Gramm Kokain und etwa 240 Gramm Heroin von zumindest durchschnittlichem Reinheitsgehalt] an teils bekannte, teils unbekannte Abnehmer von Anfang 2010 bis ) aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO mit Wirksamkeit bis fort (ON 128). Gleichzeitig stellte es im Spruch der Entscheidung eine „durch die verspätete Vorlage des Abschlussberichts“ (der nach Ausforschung von 17 Suchtgiftabnehmern anhand deren Rufnummern und deren Vernehmung am bei der Anklagebehörde einlangte; BS 5 f) und die Säumnis der Staatsanwaltschaft betreffend die (bis zur Beschwerdeentscheidung nicht erfolgte) Einbringung der Anklageschrift bewirkte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§ 177 Abs 1 StPO) fest und führte in den Gründen aus, dass in diesen Umständen eine ins Gewicht fallende Verzögerung zu erblicken sei, die aber nicht zu einer Unangemessenheit der Haftdauer geführt habe, sodass Enthaftung nicht in Frage komme. Dem Beschwerdegericht stehe es zwar „aufgrund der Gewaltentrennung“ nicht zu, der Staatsanwaltschaft Aufträge zu erteilen, zur Verfahrensbeschleunigung werde aber das Erstgericht „auf eine möglichst baldige Anklageeinbringung durch die Staatsanwaltschaft Wien zu achten“ und „bei allfälligen weiteren Verzögerungen bei Einbringung der Anklageschrift binnen einer angemessenen Frist in einer neuerlichen Haftverhandlung über die Haftfrage neuerlich zu entscheiden haben.“ (BS 7).
Am brachte die Staatsanwaltschaft einen Strafantrag ein, mit dem sie Moses M***** und einem weiteren Angeklagten dem Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall SMG subsumierte Tathandlungen anlastet (ON 138).
Rechtliche Beurteilung
Der gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts erhobenen Grundrechtsbeschwerde, in der sich der Beschwerdeführer in seinem „Grundrecht nach Art 5 Abs 1 iVm Abs 3 zweiter Satz iVm Art 34 EMRK“ ausschließlich durch die Unterlassung der Anordnung von verfahrensbeschleunigenden Maßnahmen trotz Feststellung eines Verstoßes gegen § 177 Abs 1 StPO verletzt erachtet, kommt keine Berechtigung zu.
Sie zeigt zwar zunächst zutreffend auf, dass es dem angerufenen Gericht (hier dem Beschwerdegericht) entgegen dessen in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keineswegs untersagt ist, auch der Staatsanwaltschaft bei durch sie bewirkter Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen konkrete Aufträge zu erteilen, dem Gebot durch Setzung von (nötigenfalls vom Gericht näher zu bezeichnenden) Maßnahmen Rechnung zu tragen (in Betreff die Kriminalpolizei bindender Anordnungen vgl § 99 Abs 1 StPO). Diese Bindung der Staatsanwaltschaft, deren Mitglieder nach Art 90a B-VG Organe der Gerichtsbarkeit sind, an Aufträge des Gerichts aufgrund der Verletzung eines subjektiven Rechtes lässt sich aus den Bestimmungen über den Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 Abs 1 Z 2 StPO ableiten. Gibt das Gericht dem Einspruch statt, hat die Staatsanwaltschaft, sofern sie diesem nicht schon entsprochen hat (§ 106 Abs 4 StPO), den entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 107 Abs 4 StPO). Für den Fall der Verletzung eines subjektiven Rechtes durch die Staatsanwaltschaft, mit dem das Gericht im Weg eines auf Prüfung der Einhaltung einer die Haft betreffenden Vorschrift zielenden Antrags auf Freilassung befasst wird, kann (per analogiam) nichts anderes gelten. Wurde das zunächst Versäumte inzwischen nachgeholt, obliegt es dem Oberlandesgericht zudem, die Folgen der Säumnis nach Möglichkeit zu beseitigen, um ein Fortwirken der Verzögerung hintanzuhalten (vgl zum Ganzen für viele: Kirchbacher/Rami , WK-StPO § 177 Rz 6 mwN).
Der am erfolgten Übermittlung des Moses M***** und Kingsley N***** betreffenden Abschlussberichts der Kriminalpolizei (ON 118) ging jedoch vom Oberlandesgericht ohnedies eingeräumt die Auswertung der Überwachung von fünf Telefonanschlüssen im Zeitraum bis zur Verhaftung des Beschwerdeführers am (ON 2 ff), deren Transkript etwa sieben Aktenbände umfasst, und weiters die Ausforschung mutmaßlicher Suchtgiftabnehmer der Verdächtigen anhand deren Rufnummern sowie die zwecks Vorhalt späterer Aussagen teilweise mehrfache - Vernehmung von siebzehn dieser Abnehmer voraus. Dass die Durchführung dieser umfangreichen Erhebungen einen Zeitraum von etwa zwei Monaten (ab Festnahme am bis zum [richtig:] ; vgl die zweite Vernehmung des Stefan B***** unter Vorhalt der Angaben des Herbert Ma*****, ON 118 S 229) in Anspruch nahm, stellt entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung des Beschwerdegerichts nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs keine ins Gewicht fallende Säumigkeit der Kriminalpolizei in einer Haftsache dar. Der die Ermittlungsergebnisse übersichtlich zusammenfassende Abschlussbericht, dem die hier wesentlichen Vernehmungsprotokolle geordnet angeschlossen waren, wurde am , also innerhalb von vier Tagen nach der letzten Vernehmung (vgl dazu oben) verfasst, am der Staatsanwaltschaft übermittelt und damit dem Beschleunigungsgebot entsprochen.
Mit Blick auf den Umfang des (damals zehn Bände umfassenden) Aktes und die Vielzahl der inkriminierten Tathandlungen war zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (am , also etwas mehr als fünf Wochen nach Einlangen des Abschlussberichts) auch der Staatsanwaltschaft eine § 177 Abs 1 StPO verletzende Verzögerung des Verfahrens durch Säumigkeit bei Einbringung der Anklageschrift noch gar nicht vorzuwerfen, woran der vom Beschwerdegericht hervorgehobene Umstand nichts ändert, dass sieben der zehn Aktenbände „ausschließlich verschriftete Protokolle der Telefonüberwachung enthalten“, weil seriöse Anklageerhebung auch und gerade sorgfältiges Studium solcher Aktenteile erfordert.
Da somit ein Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen im hier aktuellen Fall gar nicht vorlag, stellt die in der Grundrechtsbeschwerde einzig gerügte Unterlassung der Anordnung verfahrensbeschleunigender Maßnahmen keine Grundrechtsverletzung dar.
Davon abgesehen stand dem Oberlandesgericht mehr als die Feststellung der nach seiner Ansicht in der verspäteten Einbringung des Abschlussberichts der Kriminalpolizei gelegenen Verletzung des § 177 Abs 1 StPO nicht zu Gebot, weil ein Fortwirken der Verzögerung mit der mittlerweile nachgeholten Verfahrenshandlung nicht erkennbar, die Anordnung einer verfahrensbeschleunigenden Maßnahme nicht zusätzlich erforderlich (neuerliche Haftverhandlung hätte dazu nichts beigetragen) und Enthaftung nicht sachgerecht war. Die vom Beschwerdegericht zulässig (§ 89 Abs 2b StPO), wenn auch nach dem Vorgesagten nicht berechtigt beanstandete Säumigkeit der Staatsanwaltschaft hatte der Beschwerdeführer hinwieder in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Haftbeschluss gar nicht geltend gemacht (vgl dazu RIS-Justiz RS0114487; vgl auch 14 Os 158/09f sowie zum Erfordernis genauer Bezeichnung der Verzögerung einer im Strafverfahren tätigen Behörde, Einrichtung und Person schon in der Haftbeschwerde: Kier , WK-StPO § 9 Rz 54 iVm 55).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.